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2022/12/17 10:28:33 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Aus für die Krippenausstellun g des St. Wendeler Künstlers Karl Heindl : Weil sich k eine Herberge für alle fand |
Datum | 2022/12/17 15:26:05 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Der Ausundeinwanderer |
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2022/12/30 22:29:53 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] 1902 Vertrag zum Bau der Synagoge in St. Wendel |
Betreff | 2022/12/28 21:04:10 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] über die Synagoge in St. We ndel |
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2022/12/17 10:28:33 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Aus für die Krippenausstellun g des St. Wendeler Künstlers Karl Heindl : Weil sich k eine Herberge für alle fand |
Autor | 2022/12/17 15:26:05 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Der Ausundeinwanderer |
Date: 2022/12/17 10:34:10
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Saarbrücker Zeitung, 15. Dezember 2022 um 08:53
Uhr 9
Minuten
75 Jahre Saar-Verfassung : „Das Saarland ist sicher das
internationalste aller
Bundesländer“
Professor Rainer Hudemann hatte bis 2013 den
Lehrstuhl für
Neuere und Neueste Geschichte an der Universität des Saarlandes
inne. Hudemann
(74) gilt als großer Frankreichkenner, er hat Jahrzehnte lang zum
deutsch-französischen Verhältnis geforscht. Von 2010 bis 2013
hatte er auch
eine Professur an der Pariser Sorbonne. Foto: Iris Maria Maurer
75 Jahre alt wird die saarländische Verfassung. Am 15. Dezember
1947 wurde sie
verabschiedet – zu einer Zeit, als das Saarland unter
französischer Verwaltung
stand. Nur ein einziges Änderungsgesetz und die ersatzlose
Streichung der
Präambel zur Verfassung waren 1956 nötig, um sie bei der
Rückgliederung in die
Bundesrepublik als Landesverfassung des neuen Bundeslandes zu
übernehmen.
Dieselbe Verfassung für zwei völlig verschiedene politische
Einbettungen (hier
Frankreich, da Deutschland), ist das nicht bemerkenswert?
HUDEMANN Das ist tatsächlich sehr bemerkenswert. Es gibt ja bis
heute noch die
Vorstellung, das Saarland sei ein französisches Protektorat
gewesen. Was es nie
war. Es blieb nicht politisch, aber staatsrechtlich 1947 noch Teil
des
Deutschen Reiches, doch mit einem unklaren teilautonomen Statut.
Die
Verfassung, für die es ganz unterschiedliche Pläne von
französischer Seite
gegeben hatte, glich in ihrer Struktur letzten Endes anderen
westdeutschen
Landesverfassungen dieser Jahre. Deshalb war 1956 auch keine
Änderung nötig.
Mit einem entscheidenden Unterschied zu anderen
Landesverfassungen: ihre
Präambel. Diese legte fest, dass das Saarland im Sinne einer Zoll-
und
Währungsunion wirtschaftlich an Frankreich angeschlossen und seine
Landesverteidigung und Außenpolitik in die Hände Frankreichs
gelegt wurden.
Ausdrücklich fixiert wurde in dieser Präambel auch die „politische
Unabhängigkeit des Saarlandes vom Deutschen Reich“ – die
Bundesrepublik wurde
ja erst zwei Jahre später gegründet. Spiegelte die Präambel den
Mehrheitswillen
der saarländischen Bevölkerung wider? Ein Referendum über die
Verfassung – und
damit auch über die Präambel – fand ja nie statt…
HUDEMANN Die Präambel und grundlegende Einzelbestimmungen sind
weit entfernt
von dem, was manche französischen Regierungsverantwortliche
angestrebt haben,
nämlich eine weitergehende Angliederung des Saarlandes an
Frankreich. In die
Verfassung sind viele grundsätzliche Bestimmungen eingegangen, die
den
deutschen Traditionen und den saarländischen Forderungen
entsprochen haben. Die
Saarländer haben sich weitgehend durchgesetzt und hatten dafür oft
auch den
Rückhalt des Landesgouverneurs Gilbert Grandval. Er hat die
Saarländer intern
immer wieder massiv unterstützt gegen weitergehende Bestrebungen
aus Paris.
Setzte Frankreich darauf, dass die Wirtschaftsunion früher oder
später das
Saarland an Frankreich binden würde?
HUDEMANN Das Problem ist zunächst einmal, dass es „Frankreich“ in
diesem Sinne
nicht gab. Vielmehr wurden in Paris ganz verschiedene Positionen
zur Saarfrage
vertreten. Eine Annexion war schon 1945 ausgeschlossen worden,
auch wenn die
französische Bevölkerung ganz selbstverständlich davon ausgegangen
war. Das
Saarland stand nicht voll unter französischer Verwaltung.
Maßgebliche
Befugnisse wurden vielmehr selbst ausgeübt, eingeengt durch eine
Reihe von
Konventionen Anfang der 1950er Jahre. Deswegen scheint mir der
Begriff einer
„Teilautonomie“ die Situation am besten zu treffen. Im
wirtschaftlichen Bereich
muss man daran erinnern, dass erhebliche Teile der französischen
Wirtschaft gegen
eine weitgehende Wirtschaftsunion waren, weil sie die Konkurrenz
aus dem
Saarland fürchteten. Vor allem die Schwerindustrie in Lothringen
hat häufig zu
bremsen versucht. Man fürchtete auch, dass die saarländische
Industrie durch
die französische Politik zu stark modernisiert würde. Ein
Schwarz-Weiß-Bild
„französische gegen saarländische Interessen“ wird der komplexen
Dynamik der
saarländischen Entwicklung daher nicht gerecht.
Einerseits galt das Saarland unter Adenauer als „Stolperstein“,
andererseits
baute es entscheidende Brücken für die deutsch-französische
Verständigung.
Welche Rolle spielte der saarländische Sonderweg für das spätere
deutsch-französische Verhältnis?
HUDEMANN Den Stolperstein musste man beiseite räumen. Das gelang
nur auf
höchster Regierungsebene: Er wurde damit zum Meilenstein. Als
verbindendes
Element zwischen beiden Nationen war und ist das Saarland bis
heute in einer
ziemlich einzigartigen Situation. So sehen das nicht zuletzt
viele, die wie ich
von außen ins Saarland gekommen sind. Zugleich sind im Saarland
Konflikt und
Kooperation, wie häufig im deutsch-französischen Bereich, stets
vielfältig
miteinander vernetzt.
Wenn man jungen Leuten heute sagt, dass die Saarländer 1948 eine
eigene
Staatsbürgerschaft bekamen und das Saarland bei der Qualifikation
zur
Fußball-WM 1954 eine eigene Nationalelf stellte, dann gibt dies
eine Ahnung
davon, was diese Sonderrolle des Saarlandes alles umfasste. Was
waren die
Kern-Aspekte dieser Teil-Autonomie?
HUDEMANN Das ist vor allem die Wirtschafts- und Währungsunion mit
Frankreich.
Und die sehr vielfältig konkret verankerte Internationalität: Man
war hier
nicht voll integriert in einen Nationalstaat, sondern hatte eine
Zwischenposition, in der deutsche und französische Einflüsse eine
zentrale
Rolle gespielt haben. Das hat dieses Land langfristig maßgeblich
geprägt, die
heutige Frankreichstrategie führt das in neuen Formen fort.
Wie hat sich die Sichtweise auf die Rolle Frankreichs in den
Jahren 1945 bis
1956 verändert?
HUDEMANN In der Nachkriegszeit und vor allem ab etwa 1952 hat sich
die Haltung
gegenüber Frankreich sehr stark gewandelt. Das kann man an den
Wahlergebnissen
ablesen. 1947 hatte die Politik eines Wirtschafts- und
Währungsanschlusses an
Frankreich einen starken Rückhalt im Saarland. Während in
Deutschland – nicht
zuletzt aufgrund der völlig dilettantischen Wirtschafts- und
Finanzpolitik der
Nazis – die Wirtschaft zusammenbrach, profitierte das Saarland
früh von der
Anbindung an Frankreich. Im Zusammenwirken mit den Franzosen hatte
man auch
eine hervorragende Sozialpolitik. Die Familienbeihilfen im
Saarland lagen z.B.
weit über dem westdeutschen Durchschnitt.
Die Jahre unter französischer Verwaltung brachten dem Saarland
eine kulturelle
Blütezeit: Die Universität wurde gegründet, dazu die Kunst- und
Musikhochschule
oder der Sender „Europe 1“ in Berus. Das Kulturleben war reich und
vielfältig.
Auch wirtschaftlich stand man besser da als das übrige
Deutschland. Ihre
Forschungen haben früh den Blick dafür geöffnet, dass man in
Frankreich sehr
wohl wusste, dass die Saarländer sich nur durch Demokratisierung,
Wirtschaftsaufbau und kulturelle Teilhabe für sich gewinnen
ließen. Die
Saarabstimmung ging aus französischer Sicht dennoch verloren:
Votierten die
Saarländer für Deutschland oder gegen Frankreich?
HUDEMANN Ein entscheidendes Element der französischen Politik war
die Demokratisierungspolitik.
Man hatte die Vorstellung, dass „die“ Deutschen einen autoritären
Charakter
hatten. Nicht zuletzt, weil sie die Kriege 1870, 1914 und 1939
begonnen hätten.
Schon die ersten Geheimdirektiven de Gaulles enthielten 1945
Vorgaben zur Demokratisierung
der Deutschen. Für die Franzosen nahm dabei die Kulturpolitik eine
ganz
zentrale Position ein. Bis 1949 stellten die Franzosen
beispielsweise etwa 50
Ausstellungen zusammen, die durch fast alle Besatzungszonen
gewandert sind.
Dahinter stand die Vorstellung, dass Kultur völkerverbindend ist.
Aber nochmal: Votierten die Saarländer damals für Deutschland oder
votierten
sie gegen Frankreich?
HUDEMANN 1952 begann die Zustimmung zu Frankreich bereits zu
bröckeln. 1954
muss man dann in einem umfassenderen Kontext sehen: Die Politik
der Regierung
unter Johannes Hoffmann, oppositionelle politische Kräfte zu
reglementieren,
trug zum Verlust dieses Rückhaltes bei. Sogar Gouverneur Grandval
ermahnte
Hoffmann, demokratische Regeln zu beachten. Hinzu kommt:
Frankreich verlor
damals zunehmend seine Kolonien. Deutschland hatte sein
sogenanntes
„Wirtschaftswunder“. Die Bundesrepublik war stabil, während die
Vierte Republik
ständige Regierungswechsel erlebte. Nach der Gründung der
Montanunion 1952
setzte man auch im Saarland noch auf eine weitergehende
Europäisierung. Doch
die Europäische Verteidigungsgemeinschaft scheiterte dann, und das
letztlich an
Frankreich. Das heißt: Vieles, was das Prestige Frankreichs
ausgemacht hatte,
ging in den Jahren 1952 bis 1954 verloren. Dennoch interpretiere
ich das
Abstimmungsergebnis von 1954 anders, als man dies gemeinhin tut:
Dass trotz der
skizzierten, völlig veränderten Rahmenbedingungen noch fast ein
Drittel der
Bevölkerung für die Annahme des Europastatuts votierte, ist
ungeheuer viel. Es
war keine Niederlage für Europa. Es bleibt für mich Ausdruck der
beeindruckenden internationalen Orientierung des Saarlandes.
Welche Rolle spielte der Katholizismus im Saarland? 75 Prozent
aller Saarländer
waren Katholiken damals, der Trierer Bischof propagierte die
Rückbindung an
Deutschland. Wie stark beeinflusste dies, neben den Verheißungen
des deutschen
Wirtschaftswunders, die Abstimmung?
HUDEMANN Ich denke, das hat eine gewisse Rolle gespielt, aber ist
schwer zu
quantifizieren. Die Rolle der katholischen Kirche war
uneinheitlich, wie Judith
Hüser in unserem Buch zeigt. Bei der Heilig-Rock-Wallfahrt 1933,
zu der das
Bistum Trier über zwei Millionen Pilger zählte, demonstrierte der
Trierer
Bischof Bornewasser die Allianz von Kirche und
nationalsozialistischem Staat,
um insbesondere die Saarländer in ihrem 1935 bevorstehenden Votum
dafür zu
gewinnen. Das war ein kompliziertes Erbe. In den 1950er Jahren
verliefen die
innerkirchlichen Frontstellungen anfangs teilweise entlang der
Europäisierungsfronten,
doch verloren sie bereits im Vorfeld der Abstimmung in beiden
Kirchen an
Wirkungskraft. Der Plan eines eigenen Saar-Bistums erledigte sich
von selbst
durch das Abstimmungsergebnis.
Der lange vergriffene, bis heute sehr, sehr lesenswerte
Tagungsband „Die Saar
1945-1955“, der auf ein historisches Kolloquium im Landtag mit
ehemaligen
Entscheidungsträgern im Jahr 1990 zurückgeht, ist nun neu
aufgelegt und um
sechs wissenschaftliche Beiträge ergänzt worden, die neue Facetten
jenes
historischen Saar-Jahrzehnts von 1945 bis 1955 offenlegen. Der
saarländische
Sonderweg liegt nun 75 Jahre zurück, gerade mal drei Generationen.
Welche Lehre
können junge Menschen heute aus ihm ziehen?
HUDEMANN Ermutigung zur internationalen Arbeit und zur Kooperation
– gerade
trotz der Schwierigkeiten. Wie viele Initiativen vom Saarland auf
dieser
Grundlage ausgingen, wusste ich auch erst teilweise, bevor ich
hier Professor
wurde und darüber forschte. Die späte Eingliederung in die
Bundesrepublik
führte aber auch, zu Lasten des Saarlandes, zu einer anderen
Sonderrolle: Man
nimmt seine internationale Leistungsfähigkeit überregional zu
wenig wahr.
Wie hätten sich die Dinge wohl weiterentwickelt, wenn das zweite
Saar-Statut
1954 nicht von zwei Dritteln der Bevölkerung abgelehnt worden
wäre, sondern das
Saarland einen europäischen Status erhalten hätte? Nach
französischen Plänen
sollte Saarbrücken Sitz der Montanunion werden. Auch wäre man
Vorhut Europas
gewesen. Wäre Saarbrücken heute vielleicht Brüssel oder Luxemburg?
HUDEMANN Das französische Konzept für die Saar war beeinflusst von
dem Beispiel
Luxemburgs. Bis in die Institutionen hinein sieht man das.
Luxemburg ist aber
ein Nationalstaat. Das ist ein großer Unterschied. Dass Luxemburg
auf den Sitz
der Montanunion verzichtet hätte, halte ich für ausgeschlossen.
Und Frankreich
hat Straßburg für europäische Institutionen favorisiert. Dass das
Saarland zur
Hauptstadt Europas hätte werden können, halte ich daher für eine
sehr
sympathische, aber unrealistische Hoffnung. Das Saarland aber ist
sicher heute
das internationalste aller Bundesländer.
Der von Rainer Hudemann, Raymond Poidevin und Armin Heinen
herausgegebene Band
„Die Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte“ ist
in 3. Auflage
– maßgeblich erweitert um sechs lesenswerte wissenschaftliche
Beiträge – im
Verlag de Gruyter / Oldenbourg neu aufgelegt worden und kostet
79,95 €.
Der saarländische Landtag kommt aus Anlass des 75-jährigen
Verfassungsjubiläums
um 11 Uhr zu einer parlamentarischen Feierstunde zusammen.