Monatsdigest

[Regionalforum-Saar] neuer Jahresband der ASF ist erschienen

Date: 2022/12/02 20:33:00
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Abend,

heuer ist die SFK 2022, der Jahresband der Arbeitsgemeinschaft für Saarländische Familienkunde (ASF), erschienen.

Auf etwa 130 Seiten enthält er folgende Artikel:

Markus Detemple
=> Ein Zeugenverhör aus dem 18. Jahrhundert

Roland Geiger
=> Drei Friedhöfe außerhalb St. Wendels
=> Ausländische Arbeiter und Soldaten auf Friedhöfen in St. Wendel
=> Der Fahrer des St. Wendeler Landrats - Aus den Erinnerungen von Adam Dallinger (1884-1970)

Marc Jeck
=> Wie der "Hauptmann von Köpenick" nach Luxemburg kam

Paul Glass
=> Archivarbeit und Familienkunde — Unterschriftenlisten als familienkundliche Quelle

Bonnie J. Everhart
=> Deutsche Glasbläser des 18. Jahrhunderts vom Saarland bis zum kolonialen Amerika

Bodo Bost
=> Aus Tholey nach Texas

Michael Hirtz
=> Alfred Ferdinand Shore und seine Wurzeln aus Illingen Hosterhof

Maria Knobloch
=> Die Hypothese in der Familienforschung.
Margueritte die „Hexe" und andere Geschichten.

Ferdinand Müller
=> Schwalbacher Ehepaar 1877 in Frankreich zu 10 Jahren Deportation nach Neu-Kaledonien verurteilt

Der Band hat das Format A5, Softcover, die Abbildungen sind schwarz-weiß.
Er kostet 10 Euro, Versand innerhalb Deutschlands 1,60 Euro, im Ausland generell 3,70 Euro.

Sie können das Buch direkt bei mir beziehen.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger
alsfassen(a)web.de

PS: Mitglieder der ASF erhalten den Band natürlich wie immer kostenlos, d.h. er ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Ich habe gestern und heute SFK und ID eingetütet und bringe die gut 300 Sendungen morgen zur Post.


[Regionalforum-Saar] „Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler“

Date: 2022/12/04 22:10:59
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

St. Wendel und Ottweiler im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.
Das „Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler“ ist jetzt im Volltext durchsuchbar!
https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/titleinfo/4375143

Re: [Regionalforum-Saar]   „Wochenblatt für d ie Kreise St. Wendel und Ottweiler“

Date: 2022/12/04 22:48:50
From: Stephan Molitor via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Super Hinweis, danke!

--
Diese Nachricht wurde von meinem Android Mobiltelefon mit GMX Mail gesendet.
Am 04.12.22, 22:11 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>:
St. Wendel und Ottweiler im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.
Das „Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler“ ist jetzt im Volltext durchsuchbar!
https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/titleinfo/4375143

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Re: [Regionalforum-Saar] „Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler“

Date: 2022/12/05 07:16:19
From: Hans-Joachim Hoffmann via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Am 04.12.2022 um 22:10 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar:
St. Wendel und Ottweiler im ausgehenden 19. und beginnenden 20.
Jahrhundert.
Das „Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler“ ist jetzt im
Volltext durchsuchbar!
https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/titleinfo/4375143

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Danke für diesen Hinweis, Herr Geiger.

Damit fängt die Woche gut an.

Viele Grüße

Hans-Joachim Hoffmann

Re: [Regionalforum-Saar] „Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler“

Date: 2022/12/05 09:01:58
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

😎

Am 05.12.2022 um 07:16 schrieb Hans-Joachim Hoffmann via Regionalforum-Saar:
Am 04.12.2022 um 22:10 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar:
St. Wendel und Ottweiler im ausgehenden 19. und beginnenden 20.
Jahrhundert.
Das „Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler“ ist jetzt im
Volltext durchsuchbar!
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Danke für diesen Hinweis, Herr Geiger.

Damit fängt die Woche gut an.

Viele Grüße

Hans-Joachim Hoffmann

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[Regionalforum-Saar] B. Lahusen: „Der Diens tbetrieb ist nicht gestört“

Date: 2022/12/06 18:42:00
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

B. Lahusen: „Der Dienstbetrieb ist nicht gestört“

Autor Benjamin Lahusen,
Erschienen München 2022: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten 384 S.
Preis € 34,00
ISBN 978-3-406-79026-3
Inhalt meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-76298.pdf

Rezensiert für H-Soz-Kult von Annette Weinke, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Spätestens seit dem Historikerstreit 1986/87 rückte das schillernde Konzept der „Normalität“ auch hierzulande in den Blickpunkt gesellschaftsgeschichtlicher Debatten über eine Historisierung der Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus. Einen wichtigen Anstoß dafür lieferte Detlev J.K. Peukerts Aufsatz Alltag und Barbarei, ein inzwischen kanonisch gewordener Text von 1987, der die Alltagserfahrungen von Normalität im „Dritten Reich“ und die Kontinuitäten deutscher Normalitätsdiskurse nach 1945 zu interpretieren versuchte.[1] In der Rechtsgeschichte wurde der Begriff erstmals Anfang der 1990er-Jahre aufgegriffen. So konnte ein Team um den Berliner Strafrechtler Klaus Marxen am Beispiel von Urteilen des Volksgerichtshofs zeigen, dass die Verschränkung von Terror und Normalität nicht nur bis zum Schluss ein konstitutives Merkmal juristischer Darstellungs- und Argumentationstechniken blieb, sondern dass damit für die beteiligten Juristen auch stark selbstentlastende Effekte verbunden waren.[2]

Benjamin Lahusens Studie zur Normalität der ordentlichen Gerichtsbarkeit im „Dritten Reich“ und während der alliierten Besatzungszeit, die überarbeitete Fassung seiner juristischen Habilitationsschrift, knüpft an diese frühen Arbeiten an, wählt jedoch einen anderen methodischen Zugang und thematischen Fokus. Statt danach zu fragen, wie die Weimarer Justiz eigentlich den Sprung in das Zeitalter von Ernst Fraenkels „Doppelstaat“ schaffte, betrachtet Lahusen die Entwicklungen zwischen 1943 und 1948. Ausgangspunkt der Untersuchung ist das Spannungsverhältnis zwischen dem Justitium, so der Fachbegriff für den erzwungenen „Stillstand der Rechtspflege“, und den vielfältigen Bemühungen der Justiz zur Aufrechterhaltung eines scheinbar „normalen“ Geschäftsbetriebs im Schatten der Gewalt. Vermessen wird also einerseits eine zeitliche und politisch-geografische Zone, die für große Teile des deutschen Juristenstands eine Phase des Umbruchs und der (Selbst-)Verwandlung darstellte. Andererseits soll unter dem Stichwort „Von Stalingrad zur Währungsreform“[3] ein älteres Paradigma der NS-Forschung und der Sonderwegs-Debatten für eine Zeitgeschichte des Rechts fruchtbar gemacht werden. Dabei geht der Autor von der diskussionsbedürftigen These aus, die auch juristisch vorangetriebene Entrechtung großer Bevölkerungsgruppen sei während der letzten beiden Kriegsjahre bereits abgeschlossen gewesen (S. 33), während das Entstehen neuer, teilweise antagonistischer Ordnungssysteme erst ansatzweise ausgebildet war. Als Grundlage der Untersuchung dienen vor allem Gerichtsakten, die Lahusen in Deutschland, Polen, Belgien, Israel und den Niederlanden ausgewertet hat.

Wie die jüngere Forschung zur Geschichte des Luftkriegs in Deutschland gezeigt hat, brachten die Bombardierungen einen spezifischen Modus der staatlichen und kommunalen Krisenbewältigung hervor, der auf verstärkte Selbstmobilisierung und Identifikation mit einer imaginierten „Heimatfront“ zielte. An diesem Prozess war auch die Justiz in entscheidender Weise beteiligt. So schildert das erste Kapitel unter der Überschrift „Die Freuden der Pflicht: Dienstbetrieb im Endkampf“, wie sich deutsche Gerichte in der letzten Kriegsphase zu Instanzen eines „volksgemeinschaftlichen“ Überlebenswillens aufschwangen. Um den Rechtspflegebetrieb trotz nicht nachlassender alliierter Angriffe aufrechterhalten zu können, wichen die Behörden größerer und mittelgroßer Städte auf provisorische Ersatzquartiere aus. Teilweise geschah dies mehrfach in kurzen Zeitabständen. Dabei wetteiferten die Gerichtspräsidenten förmlich darum, das eigene Organisationstalent bei der Bewältigung der zahllosen kriegsbedingten Herausforderungen gegenüber dem Reichsjustizministerium herauszustellen. So vermeldete der Berliner Generalstaatsanwalt nach schweren Luftangriffen stolz, man habe, „noch in den Rauchschwaden“ stehend, in den wenigen verbliebenen Räumen Strafverhandlungen durchgeführt (S. 62). Auch als am 13. Februar 1945 das Dresdner Justizgebäude dem Erdboden gleichgemacht wurde, führte dies nicht etwa zur Einstellung des Justizbetriebs. Noch Ende April, also wenige Tage vor der Kapitulation, verhandelte das Amtsgericht in einer Mietsache. Strittig war, ob der Vermieter eines Mehrfamilienhauses in seinem Garten weiterhin Staudenpflanzen und einen Goldfischteich dulden müsse (S. 70).

Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels steht „Neustadt am Wassersturz“, eine fiktive Gemeinde in der südwestdeutschen Provinz. Anhand von Personalakten und zusammengetragenen Fallgeschichten aus dem Zivil- und Strafrecht entwirft der Autor das Panorama einer Allerweltsjustiz und ihrer oftmals skurrilen Auswüchse. Danach blieb trotz „totalem Krieg“ im Grunde alles beim Alten: Statt heroischer Pflichterfüllung dominierten eine gewisse Behäbigkeit, fehlende juristische Finesse und Pragmatismus, während sich die ideologische Selbstmobilisierung der „Volksgemeinschaft“ in einer geradezu obsessiven Streitlust über die Kehrwoche erschöpfte (S. 93). In starkem Kontrast dazu steht das folgende Kapitel, das sich unter der Überschrift „Die Parzellierung des Todes“ mit den Grundbuchakten der ehemals polnischen Stadt Auschwitz befasst. Hier zeichnet Lahusen einfühlsam und mit detaillierter Aktenkenntnis nach, wie sich Eigentumsfragen seit Baubeginn eines von der IG Farben geplanten Werks zur Herstellung synthetischen Kautschuks zu einem Standortfaktor ersten Ranges und einem Politikum entwickelten. Angesichts von Investitionen, die zweistellige Millionenbeträge erreichten, betrachtete die Firmenleitung die fehlende grundbuchmäßige Erfassung der Grundstücke als rechtlich untragbaren Zustand (S. 129). Erst Ende 1943 eilte Reichsjustizminister Thierack dem bedrängten Chemiegiganten zur Hilfe, indem er das „rechtlose Interregnum“ kurzerhand durch die Aufteilung des Stadtgebiets in zwei Grundbuchbezirke beendete (S. 130).

Das vierte Kapitel ist dem scheinbar „normalen“ Lebensweg des „Bilderbuchjuristen“ Hans Keutgen gewidmet (1912–1999), der gegen Kriegsende als letzter Richter des Sondergerichts Aachen amtierte. Wie viele andere belastete Juristen wurde er schon kurz nach dem Zusammenbruch reaktiviert. Obwohl nachweislich an Todesurteilen beteiligt, ließ die britische Militärregierung den kriegsversehrten 33-Jährigen bereits im August 1945 erneut als Richter zu. In den 1950er-Jahren überstand er die DDR-Braunbuchkampagne unbeschadet, und die 1965 erhobene Strafanzeige eines NS-Verfolgten wurde vom Oberlandesgericht Köln ohne weitere Ermittlungen eingestellt. Und als ob dies nicht schon genug gewesen wäre, erhielt der frühere Sonderrichter kurz nach Kriegsende für eine zeitweilige Abordnung nach Bautzen und Umgebung eine Trennungsentschädigung von knapp 1.000 Reichsmark ausgezahlt. In den 1970er-Jahren folgte dann ein entsprechend angepasstes Ruhegehalt – letzteres ein später Dank des bundesdeutschen Wohlfahrtsstaats für seine Beamten. Das fünfte Kapitel betrachtet die Rückzugsbewegungen der deutschen Justiz während der letzten Kriegsphase. Im Fokus stehen hier insbesondere die Vergegenständlichung des Rechts sowie der Umgang mit Akten, Gerichtsinventaren und Büroutensilien. So verfügte das Reichsjustizministerium angesichts der herannahenden Frontlinien, die Akten unter allen Umständen für die juristische Nachwelt zu erhalten. Eine weitere Maßnahme war die Einrichtung von Ad-hoc-Sondergerichten, die für auf der Flucht verübte Plünderungen zuständig waren.

Im sechsten Kapitel stellt Lahusen dann nochmals klar, dass von einem Justitium oder einer „Stunde Null“ in Bezug auf die deutsche Justiz nicht die Rede sein könne. Ungeachtet der Potsdamer Beschlüsse habe sich der Wiederaufbau der Rechtspflege am Ende als „eine Art Wettlauf“ zwischen Ost und West vollzogen (S. 237). Beiden Seiten sei es in erster Linie darum gegangen, die Funktionstüchtigkeit der Gerichte so rasch wie möglich wiederherzustellen. Das siebte und letzte Kapitel ist schließlich der Frage gewidmet, wie die Transformation der Kriegs- in eine Friedensnormalität gelang. Den Mittelpunkt der Untersuchung bildet das sogenannte Kriegsverfahrensrecht, dessen Vorschriften während des Zweiten Weltkriegs dafür gesorgt hatten, große Bereiche der Rechtsordnung auf den Modus der Heimatfront umzustellen. Da es die alliierten Siegermächte den deutschen Spruchkörpern zunächst strikt untersagt hatten, auch nur implizite Erklärungen zur Fortdauer oder zum Ende des Kriegs abzugeben, suchten sich diese mit rhetorischen Ausweichformeln zu behelfen. Erst als sich im Juli 1952 Bundestag und Bundesrat nach langwierigen Beratungen auf das sogenannte Zuständigkeitsergänzungsgesetz geeinigt hatten, wurde es den Gerichten ermöglicht, die de facto eingetretene Beendigung des Kriegszustands juristisch in den Griff zu bekommen, ohne damit alliierte Vorbehaltsrechte herauszufordern.

Es war das Interesse an diesem unscheinbaren, 2006 fast vergessenen Gesetz, das den Autor ursprünglich dazu bewog, sich näher mit den normalisierenden Funktionen der ordentlichen Justiz und deren Rolle in der Übergangsphase von Krieg und Frieden zu beschäftigen. Auch wenn nicht alle Befunde der Studie überraschen, bekräftigt sie grundsätzlich den Wert alltagsgeschichtlicher, mikrohistorischer und epochenübergreifender Perspektiven auf den Nationalsozialismus und dessen Nachleben, wie sie sich seit einigen Jahren in der Forschung immer mehr durchgesetzt haben. Zudem wirft das Buch ein Licht auf die verqueren Binnenlogiken und Selbstrechtfertigungsstrategien eines Justizsystems, das inmitten allgemeiner Agonie und Auflösung an den bewährten Formeln Autorität, Berechenbarkeit und Stabilität festzuhalten suchte. Angesichts der Tatsache, dass dies in packender, höchst anschaulicher Weise geschieht, war der erste Platz auf der Sachbuch-Bestenliste vom September 2022 völlig berechtigt.[4]

Auf der anderen Seite gibt die Publikation Anlass, noch einmal intensiver über den epistemischen Nutzen des Normalitäts-Konzepts und dessen Grenzen nachzudenken. Abgesehen davon, dass es sich um eine Erzählung „von oben“ handelt, die zum Teil standardisierte Selbstbilder und Selbstmythologisierungen der deutschen Justizeliten reproduziert[5], verbleibt die Untersuchung fast ausschließlich in einem nationalgeschichtlichen Rahmen. Zu fragen wäre daher, ob und wie sich das gezeichnete Bild einer vermeintlich selbstgenügsamen, Stabilität suggerierenden Justiz verändert hätte, hätte sich der Autor dafür entschieden, den Einfluss deutscher Rechtspolitik und Rechtsprechung in den besetzten Ländern sowie die Interaktion mit nichtjuristischen deutschen und ausländischen Akteuren stärker zu berücksichtigen. Zu vermuten ist auch, dass eine intensivere Beschäftigung mit den alliierten Reformdiskussionen zum deutschen Rechtswesen und mit vergleichbaren Bestrebungen gegenüber Japan zu einer differenzierteren Bewertung geführt hätte.[6] Und schließlich lädt Benjamin Lahusens anregende Studie auch dazu ein, sich in Anlehnung an konzeptionelle Diskussionen, die unter anderem von Michael Wildt und Bernhard Gotto vorangetrieben wurden, kritisch mit der analytischen Tragfähigkeit von „Normalität“ als Transformationsbegriff und dynamischem Konzept auseinanderzusetzen. Denn nur so lässt sich verstehen, warum Justiz und Verwaltung sogar nach den ordnungspolitischen Umbrüchen an dem Normalitätsdiskurs festhielten, obwohl sich die ihm zugrunde liegenden Werte und Bezugspunkte doch grundlegend und irreversibel verändert hatten.

Anmerkungen:
[1] Detlev J.K. Peukert, Alltag und Barbarei. Zur Normalität des Dritten Reiches, in: Dan Diner (Hrsg.), Ist der Nationalsozialismus Geschichte? Zu Historisierung und Historikerstreit, Frankfurt am Main 1987, S. 51–61.
[2] Klaus Marxen, Einführung, in: ders. / Holger Schlüter, Terror und „Normalität“. Urteile des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs 1934–1945, Düsseldorf 2004, S. 1–7.
[3] Martin Broszat / Klaus-Dietmar Henke / Hans Woller (Hrsg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland, München 1988, 3. Aufl. 1990.
[4] Siehe https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article240708627/Sachbuecher-des-Monats-WELT-Bestenliste-fuer-September-2022.html (22.11.2022).
[5] Die sich hartnäckig haltende Opferlegende vom „großen Sterben am Reichsgericht“ (August Schäfer, Deutsche Richterzeitung 1957), die Lahusen übernimmt (S. 236), kann inzwischen als widerlegt gelten. Aus internen Korrespondenzen des BGH-Richters Walther Uppenkamp, Anfang der 1950er-Jahre Sprecher einer Vereinigung ehemaliger Reichsgerichtsräte, geht hervor, dass diese Gruppe immerhin an die 70 Personen umfasste; diese Information verdanke ich Prof. Dr. Michael Kißener (Mainz), Ko-Leiter eines Forschungsprojekts zur Geschichte des Bundesgerichtshofs.
[6] Vgl. dazu R.W. Kostal, Laying Down the Law. The American Legal Revolutions in Occupied Germany and Japan, Cambridge, Mass. 2019.

Zitation

Annette Weinke: Rezension zu: Lahusen, Benjamin: „Der Dienstbetrieb ist nicht gestört“. Die Deutschen und ihre Justiz 1943–1948. München 2022: ISBN 978-3-406-79026-3, , In: H-Soz-Kult, 07.12.2022, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-118136>.




[Regionalforum-Saar] „Cuno von Pfullingen – Ein Tholeyer Heiliger“

Date: 2022/12/07 22:38:06
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Einladung zur Buchvorstellung

„Cuno von Pfullingen – Ein Tholeyer Heiliger“
von Dr. Walter Burnikel und Pater Wendelinus Naumann OSB

64 Seiten, Preis 9,50 Euro

Freitag, 9. Dezember 2022, 19.00 Uhr
Gästehaus St. Lioba, Im Kloster 3, 66636 Tholey

Das Leben des unglücklichen Prälaten wird anhand der Lebensbeschreibung des Tholeyer Mönches Theobert beschrieben, dessen Lebens- und Leidensgeschichte des Heiligen ein beeindruckendes Schriftstück des späten 11. Jahrhunderts ist.

Cuno von Pfullingen, geb. um 1035/40 in
Pfullingen; ermordet am 1. Juni1066 in Ürzig, wurde als Sohn des Egilolf von Pfullingen und der Hazecha von Steusslingen, einer Schwester des Erzbischofs Anno II. von Köln, geboren. Auf Betreiben Erzbischof Annos II. von Köln wurde er im Jahre 1066 zum Erzbischof von Trier ernannt. Der Adel des Trierer Landes fühlte sich bei dieser Entscheidung übergangen und betrieb die Gefangennahme und Ermordung Cunos.

Nach einer vorläufigen Bestattung Cunos wurde sein Leichnam auf Betreiben Bischof Theoderichs von Verdun in die Abteikirche der Benediktinerabtei Tholey überführt und dort am 10. Juli 1066 beigesetzt. Auf das Betreiben des damaligen Erzbischofs von Mainz, Siegfried, wurde Cuno heiliggesprochen.

Seine regionale Verehrung blieb noch bis ins frühe 19. Jahrhundert lebendig. Seine aufbewahrte zerstochene Tunika und andere Reliquien gingen in der Französischen Revolution verloren. Während der Sanierungsarbeiten in der Abteikirche 1960 und 2019 wurde die Kruft angeschnitten. Die Stelle ist durch eine Inschrift vor dem Tabernakel gekennzeichnet.


[Regionalforum-Saar] Warntag

Date: 2022/12/09 09:58:18
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Warntag am 8. Dezember 2022

Der Warntag hat mich richtig kalt erwischt. Normalerweise steht mein Handy auf „stumm“, weil ich es zum Telefonieren, Emaillionieren, Whatsapponieren und Fotografieren benutze, aber nicht, um angerufen zu werden. Um elf Uhr am Donnerstag habe ich eine Besuchergruppe aus Cochem für ne Führung um den Dom und in den Dom dabei und war gerade damit beschäftigte, die Attacke des Ketzers Franz von Sickingen auf St. Wendel zu beschreiben - die Mauer stand noch, war aber gerade fast am Umfallen - , als das Handy in meiner Hosentasche anfing zu „gärcksen“ (ja, ich weiß, das ist Mundart, aber wie soll ich den Ton sonst beschreiben? „Quaken“ vielleicht, jaaa, „quaken“ geht auch). Das verwunderte mich, weil ich das Ding vor Beginn einer Führung immer ausschalte. Der Ton brachte mich direkt auf die Palme, weil ich ihn als weiteren Störenfried definierte. Da war zunächst der Geräuschpegel des Passantenstroms um uns herum, weil um elf der Weihnachtsmarkt öffnet. Dann waren da noch drei meiner Schützlinge, die lieber im Eiltempo um den Dom gerannt wären statt stehenzubleiben und sich Geschichten anzuhören und die jetzt lieber zusammenstanden, um über Müllersch Bebb und ihre neue Frisur zu tratschen (vielleicht auf über ihre Hühneraugen, keine Ahnung, es war jedenfalls viel wichtiger und interessanter als alles, was ich über Sickingen daherlog). Und zum dann war da noch irgendein nicht definierbarer Sänger, der sich bemühte, aus dem Lautsprecher ein Lied herauszuquälen, das ansatzweise mit Weihnachten zu tun hat (nun, es hatte mehr damit zu tun als die Bond-Melodie, zu der sich die Feuerspringer am Abend zuvor unten in der Mott vergnügten). Gegen die Kakaphonie von Passanten, „Musik“ und Nichtzuhörern war ich gewappnet, gegen die Warn-Äpp nicht. Ich fummelte mein Telefon aus der Hosentasche, und prompt tat die Hälfte meiner Zuhörer das auch (laut Statistik heute morgen in der SZ waren das bei mir 7,5 Personen: das ist die Hälfte von 15 Stück Leuten (die drei „Müllersch Bebb“-Spezialisten eingerechnet), weil wohl die Hälfte aller potentiellen Empfänger die Warnung empfing, also 15 geteilt durch 2 = 7,5). Gemeinsam suchten wir alle einen Weg, zumindest ein Übel aus der Welt zu schaffen, was dadurch möglich war, daß das quakende Handy wichtiger war als Müllersch Bebb. Der Passanten Hälfte (und nicht nur deren jeweils bessere) war auch stehengeblieben. Jeder - ich auch -drückte wie wild auf seinem Teflon herum, aber das Quaken war hartnäckig. Und um dem Chaos noch eins drauf zu setzen, bliesen irgendwo weiter südlich die Sirenen ihr Gejaule in die Luft. Und natürlich kamen auch noch die Glocken vom Dom hinzu, nee, Moment, die gehörten da hin, es war ja 11 Uhr. Schließlich kamen ich auf den Schlouda (Platt für „Idee“), das blöde Handy runterzufahren, was dem Quaken die Luft bzw. den Strom nahm. Ich gab das weiter, und alle fuhren das Ding runter. Der Herr im Lautsprecher hatte mittlerweile einer Dame Platz gemacht, die viel süßlicher, aber auch erheblich leiser sang. Die drei Damen hatten sich wieder Müllersch Bebb zugewandt und ich leicht den Faden verloren. Ich konnte ihn aber wieder aufnehmen, ließ von Sickingen die Stadt plündern und die Kanonenkugel in der Dommauer versenken, d.h. befestigen. Oder so.
Ein Warntag ist immer schön, wenn man weiß, daß es nur ein Warntag ist. Fürs nächste Mal hab ich mir vorgenommen, gleich das Handy auszuschalten und dann gespannt zu sein, ob es trotzdem brummt. Dann kann ich beruhigt sein, daß mich der Staat im Auge hat und mich immer erreichen kann, wie er will - auch wenn ich nicht will. Dann werden wir uns vorher einen fröhlichen Warntag wünschen, und alle Leute sind glücklich. So wie der gute alte Dschortsch 1948, als er „1984“ schrieb.
Kuhl.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

--------------------

Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
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Re: [Regionalforum-Saar] Warntag

Date: 2022/12/09 12:02:58
From: Joerg Weinkauf via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Oder ein "altes" Handy mit Android älter 11 besorgen - meins ist schon uralte 4 Jahre alt. Dann bleibt's stumm.

Jörg Weinkauf

Am 09.12.2022 um 09:58 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar:
Warntag am 8. Dezember 2022

Der Warntag hat mich richtig kalt erwischt. Normalerweise steht mein Handy auf „stumm“, weil ich es zum Telefonieren, Emaillionieren, Whatsapponieren und Fotografieren benutze, aber nicht, um angerufen zu werden. Um elf Uhr am Donnerstag habe ich eine Besuchergruppe aus Cochem für ne Führung um den Dom und in den Dom dabei und war gerade damit beschäftigte, die Attacke des Ketzers Franz von Sickingen auf St. Wendel zu beschreiben - die Mauer stand noch, war aber gerade fast am Umfallen - , als das Handy in meiner Hosentasche anfing zu „gärcksen“ (ja, ich weiß, das ist Mundart, aber wie soll ich den Ton sonst beschreiben? „Quaken“ vielleicht, jaaa, „quaken“ geht auch). Das verwunderte mich, weil ich das Ding vor Beginn einer Führung immer ausschalte. Der Ton brachte mich direkt auf die Palme, weil ich ihn als weiteren Störenfried definierte. Da war zunächst der Geräuschpegel des Passantenstroms um uns herum, weil um elf der Weihnachtsmarkt öffnet. Dann waren da noch drei meiner Schützlinge, die lieber im Eiltempo um den Dom gerannt wären statt stehenzubleiben und sich Geschichten anzuhören und die jetzt lieber zusammenstanden, um über Müllersch Bebb und ihre neue Frisur zu tratschen (vielleicht auf über ihre Hühneraugen, keine Ahnung, es war jedenfalls viel wichtiger und interessanter als alles, was ich über Sickingen daherlog). Und zum dann war da noch irgendein nicht definierbarer Sänger, der sich bemühte, aus dem Lautsprecher ein Lied herauszuquälen, das ansatzweise mit Weihnachten zu tun hat (nun, es hatte mehr damit zu tun als die Bond-Melodie, zu der sich die Feuerspringer am Abend zuvor unten in der Mott vergnügten). Gegen die Kakaphonie von Passanten, „Musik“ und Nichtzuhörern war ich gewappnet, gegen die Warn-Äpp nicht. Ich fummelte mein Telefon aus der Hosentasche, und prompt tat die Hälfte meiner Zuhörer das auch (laut Statistik heute morgen in der SZ waren das bei mir 7,5 Personen: das ist die Hälfte von 15 Stück Leuten (die drei „Müllersch Bebb“-Spezialisten eingerechnet), weil wohl die Hälfte aller potentiellen Empfänger die Warnung empfing, also 15 geteilt durch 2 = 7,5). Gemeinsam suchten wir alle einen Weg, zumindest ein Übel aus der Welt zu schaffen, was dadurch möglich war, daß das quakende Handy wichtiger war als Müllersch Bebb. Der Passanten Hälfte (und nicht nur deren jeweils bessere) war auch stehengeblieben. Jeder - ich auch -drückte wie wild auf seinem Teflon herum, aber das Quaken war hartnäckig. Und um dem Chaos noch eins drauf zu setzen, bliesen irgendwo weiter südlich die Sirenen ihr Gejaule in die Luft. Und natürlich kamen auch noch die Glocken vom Dom hinzu, nee, Moment, die gehörten da hin, es war ja 11 Uhr. Schließlich kamen ich auf den Schlouda (Platt für „Idee“), das blöde Handy runterzufahren, was dem Quaken die Luft bzw. den Strom nahm. Ich gab das weiter, und alle fuhren das Ding runter. Der Herr im Lautsprecher hatte mittlerweile einer Dame Platz gemacht, die viel süßlicher, aber auch erheblich leiser sang. Die drei Damen hatten sich wieder Müllersch Bebb zugewandt und ich leicht den Faden verloren. Ich konnte ihn aber wieder aufnehmen, ließ von Sickingen die Stadt plündern und die Kanonenkugel in der Dommauer versenken, d.h. befestigen. Oder so.
Ein Warntag ist immer schön, wenn man weiß, daß es nur ein Warntag ist. Fürs nächste Mal hab ich mir vorgenommen, gleich das Handy auszuschalten und dann gespannt zu sein, ob es trotzdem brummt. Dann kann ich beruhigt sein, daß mich der Staat im Auge hat und mich immer erreichen kann, wie er will - auch wenn ich nicht will. Dann werden wir uns vorher einen fröhlichen Warntag wünschen, und alle Leute sind glücklich. So wie der gute alte Dschortsch 1948, als er „1984“ schrieb.
Kuhl.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

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Re: [Regionalforum-Saar] Warntag

Date: 2022/12/09 13:44:10
From: Stefan Reuter via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Klar, wenn man in Ernstfall nicht informiert werden möchte, kann man das so handhaben - kommt halt drauf an, welche Prioritäten man setzt.
Mir persönlich ist eine zeitnahe Warnmeldung im Fall der Fälle jedenfalls lieber, als mit einem solchen Fall plötzlich und unerwartet konfrontiert zu werden. Abgesehen davon, dass so ein Uralt-Handy auch für die Nutzung im WWW nur noch bedingt tauglich ist.

Dass der Warntag am 08.12. stattfindet und welche eventuellen Probleme da bei den unterschiedlichen Handytypen u. Betriebssystemen auftreten können, wurde aber in den Medien im Vorfeld m. E. hinlänglich breit getreten.

Gruß, Stefan Reuter

Am 09.12.2022 um 12:02 schrieb Joerg Weinkauf via Regionalforum-Saar:

Oder ein "altes" Handy mit Android älter 11 besorgen - meins ist schon uralte 4 Jahre alt. Dann bleibt's stumm.

Jörg Weinkauf

Am 09.12.2022 um 09:58 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar:
Warntag am 8. Dezember 2022

Der Warntag hat mich richtig kalt erwischt. Normalerweise steht mein Handy auf „stumm“, weil ich es zum Telefonieren, Emaillionieren, Whatsapponieren und Fotografieren benutze, aber nicht, um angerufen zu werden. Um elf Uhr am Donnerstag habe ich eine Besuchergruppe aus Cochem für ne Führung um den Dom und in den Dom dabei und war gerade damit beschäftigte, die Attacke des Ketzers Franz von Sickingen auf St. Wendel zu beschreiben - die Mauer stand noch, war aber gerade fast am Umfallen - , als das Handy in meiner Hosentasche anfing zu „gärcksen“ (ja, ich weiß, das ist Mundart, aber wie soll ich den Ton sonst beschreiben? „Quaken“ vielleicht, jaaa, „quaken“ geht auch). Das verwunderte mich, weil ich das Ding vor Beginn einer Führung immer ausschalte. Der Ton brachte mich direkt auf die Palme, weil ich ihn als weiteren Störenfried definierte. Da war zunächst der Geräuschpegel des Passantenstroms um uns herum, weil um elf der Weihnachtsmarkt öffnet. Dann waren da noch drei meiner Schützlinge, die lieber im Eiltempo um den Dom gerannt wären statt stehenzubleiben und sich Geschichten anzuhören und die jetzt lieber zusammenstanden, um über Müllersch Bebb und ihre neue Frisur zu tratschen (vielleicht auf über ihre Hühneraugen, keine Ahnung, es war jedenfalls viel wichtiger und interessanter als alles, was ich über Sickingen daherlog). Und zum dann war da noch irgendein nicht definierbarer Sänger, der sich bemühte, aus dem Lautsprecher ein Lied herauszuquälen, das ansatzweise mit Weihnachten zu tun hat (nun, es hatte mehr damit zu tun als die Bond-Melodie, zu der sich die Feuerspringer am Abend zuvor unten in der Mott vergnügten). Gegen die Kakaphonie von Passanten, „Musik“ und Nichtzuhörern war ich gewappnet, gegen die Warn-Äpp nicht. Ich fummelte mein Telefon aus der Hosentasche, und prompt tat die Hälfte meiner Zuhörer das auch (laut Statistik heute morgen in der SZ waren das bei mir 7,5 Personen: das ist die Hälfte von 15 Stück Leuten (die drei „Müllersch Bebb“-Spezialisten eingerechnet), weil wohl die Hälfte aller potentiellen Empfänger die Warnung empfing, also 15 geteilt durch 2 = 7,5). Gemeinsam suchten wir alle einen Weg, zumindest ein Übel aus der Welt zu schaffen, was dadurch möglich war, daß das quakende Handy wichtiger war als Müllersch Bebb. Der Passanten Hälfte (und nicht nur deren jeweils bessere) war auch stehengeblieben. Jeder - ich auch -drückte wie wild auf seinem Teflon herum, aber das Quaken war hartnäckig. Und um dem Chaos noch eins drauf zu setzen, bliesen irgendwo weiter südlich die Sirenen ihr Gejaule in die Luft. Und natürlich kamen auch noch die Glocken vom Dom hinzu, nee, Moment, die gehörten da hin, es war ja 11 Uhr. Schließlich kamen ich auf den Schlouda (Platt für „Idee“), das blöde Handy runterzufahren, was dem Quaken die Luft bzw. den Strom nahm. Ich gab das weiter, und alle fuhren das Ding runter. Der Herr im Lautsprecher hatte mittlerweile einer Dame Platz gemacht, die viel süßlicher, aber auch erheblich leiser sang. Die drei Damen hatten sich wieder Müllersch Bebb zugewandt und ich leicht den Faden verloren. Ich konnte ihn aber wieder aufnehmen, ließ von Sickingen die Stadt plündern und die Kanonenkugel in der Dommauer versenken, d.h. befestigen. Oder so.
Ein Warntag ist immer schön, wenn man weiß, daß es nur ein Warntag ist. Fürs nächste Mal hab ich mir vorgenommen, gleich das Handy auszuschalten und dann gespannt zu sein, ob es trotzdem brummt. Dann kann ich beruhigt sein, daß mich der Staat im Auge hat und mich immer erreichen kann, wie er will - auch wenn ich nicht will. Dann werden wir uns vorher einen fröhlichen Warntag wünschen, und alle Leute sind glücklich. So wie der gute alte Dschortsch 1948, als er „1984“ schrieb.
Kuhl.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

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Roland Geiger
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[Regionalforum-Saar] Eine Welt der Kohle. Historische Perspektiven auf den Bergbau im Saarrevier im überregiona len Vergleich

Date: 2022/12/17 10:20:34
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Eine Welt der Kohle. Historische Perspektiven auf den Bergbau im Saarrevier im überregionalen Vergleich

Organisatoren Arbeitskammer des Saarlandes, Universität des Saarlandes
Saarbrücken
Vom - Bis 15.09.2022 - 17.09.2022

Von Charlotte Ullmert / Nina Schmit, Historische Anthropologie/Europäische Ethnologie, Universität des Saarlandes

Zehn Jahre nach dem Ende des Bergbaus im Saarland sollte die Tagung historische Perspektiven auf den Bergbau werfen und neue Forschungsprojekte vorstellen. In vier Sektionen mit den Schwerpunkten „Deindustrialisierung“, „Gender“, „Alltag und Biografien“ sowie „Konfliktfelder und Krisen“ wurden Schlaglichter auf Entwicklungen und künftige Perspektiven auf den Steinkohlenbergbau insbesondere im Ruhrgebiet und an der Saar geworfen und dabei Forschungsdesiderate vorgestellt. Ziel der Veranstaltung war es, etablierte und innovative Zugänge zum Thema Bergbau zu bündeln und dabei aktuelle Themen wie Strukturwandel, Industriekultur, Erinnerungsarbeit und Transformationsprozesse in die Diskussionen miteinzubeziehen sowie neue Quellen vorzustellen. Hierfür wurden Forschende mit aktuellen Projekten zum Thema Bergbau aus ganz Deutschland geladen, die sowohl breit angelegte universitäre Forschungsprojekte als auch Erfahrungen aus der ministeriellen Arbeit sowie bisher unberücksichtigtes Quellenmaterial aus Archiven präsentierten. Das Tagungsprogramm vereinte dabei unterschiedliche Sichtweisen und Zugänge, die insbesondere Potentiale der Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte in Industrieregionen verdeutlichte und auslotete.

Den Auftakt zur Veranstaltung gab STEFAN BERGER (Bochum). In Anlehnung an die Theorie des agonistischen Erinnerns, das sich von binären Formen des Erinnerns abgrenzt, indem Diskurse von Heroisierungen der Industrialisierung und Deindustrialisierung aufgebrochen werden, wurde am Beispiel der „Urbane Künste Ruhr“ die Kunst als erfolgreiches Medium agonistischer Intervention gedeutet. Agonistisches Erinnern ist eine innovative Form des Erinnerns, wobei insbesondere eine kritische, reflektierende Erinnerungspraxis gefördert wird. Die bisherige kosmopolitischen und antagonistischen Erinnerungsmuster könnten durch diese neue, dritte Form gelockert werden und heroische Narrative der Industriegeschichte, wie sie bisher in der Ruhrregion erhalten wurde, kritisch hinterfragt werden. Die bisherige Praxis, den Strukturwandel als reine Erfolgsgeschichte zu vermitteln, könne durch Künstler:innen und soziale Bewegungen, sogenannten „Erinnerungsaktivisten“ verändert werden und eine kritische, zukunftsweisende Perspektive eingenommen werden. Durch partizipative Formate, die eine stärkere Selbstreflexion erfordern, könnten so wichtige Fragen wie „Wie wollen wir in Zukunft leben?“ bürgernah vermittelt werden und Impulse zu einer neuen Betrachtungsweise von bisher historisierten Klassendiskursen führen. In der Diskussion wurde insbesondere die Relevanz von Bürgernähe in der Kunstvermittlung hervorgestellt. Zudem verdeutlichte der Vortrag die Relevanz von Kunst und Kultur als wichtige Spiegel und Träger gesellschaftlicher Selbstreflektion.

JULIANE CZIERPKA (Bochum) richtete ihren Fokus auf jene Sektoren, die im Schatten der Montanindustrie standen, wie die Textil- und die IT-Branche im Ruhrgebiet. Durch die Dominanz der Kohle- und Stahlindustrie rückten andere Arbeitermilieus in den Hintergrund und würden in der Forschung marginalisiert, wobei erst eine Betrachtung unterschiedlicher Arbeitergruppen die Diversität der Region abbilden könne. Mittels lebensgeschichtlicher Interviews könnten subjektiv wahrgenommene Handlungsspielräume der Einwohnerinnen und Einwohner im Strukturwandel erfasst und nachvollzogen werden. Insbesondere im Hinblick auf sozial-ökonomische Fragen wie die Berufstätigkeit von Frauen im Ruhrgebiet könne die Betrachtung von weiteren Industriezweigen Aufschluss geben. Mit der vorweg gestellten Frage „Was bleibt von der Kohle“ stellte DELF SLOTTA (Saarbrücken) anhand verschiedener Beispiele die Entwicklung der Industrielandschaft an der Saar vor. Neben den Altlasten und Ewigkeitsaufgaben, wie unter anderem die Problematik des Grubenwassers, lag ein besonderer Schwerpunkt auf dem Umgang mit noch erhaltenen Relikten, wie bspw. das Pumpenhaus am Itzenplitzer Weiher, Bergfestplätze und Knappschaftskrankenhäusern. In der Diskussion wurde deutlich, dass das Saarland mit seiner Industriegeschichte hinter dem Ruhrgebiet förmlich verschwinde, da hier die Bemühungen um den Erhalt der Industriekultur überwiegend von ehrenamtlichem Engagement ausgingen. Das Saarland als Bundesland sei zudem stark von politischen Stimmungen geprägt, was sich auch im Umgang mit dem industriellen Erbe niederschlage. Als weitere Problemlagen benannte Slotta die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Frankreich, divergierende politische und kulturelle Interessen sowie Sprachbarrieren, die eine fokussierte, kooperative Zielsetzung bzgl. des Erhalts und der Inwertsetzung erschwere.

FABIAN LEMMES (Bochum) stellte ein neues, breit angelegtes Forschungsprojekt vor, das das Ziel verfolgt, eine vergleichende, transnationale deutsch-französische Mikrosozialgeschichte der Deindustrialisierung als Erfahrungs- und Emotionsgeschichte zu schreiben und deren Auswirkungen auf soziale Bindungen, Verhältnisse von Arbeiterinnen und Arbeitern zur Politik sowie Netzwerke der Soziabilität zu untersuchen, die zuvor die Arbeitswelt strukturierten. Fruchtbar erschien der Ansatz insbesondere dadurch, dass statt makroökonomischer Analysen die Emotionsgeschichte einen neuen Zugang bieten kann, der bisher wenig berücksichtigt wurde. Gefühle wie Wut, Angst und Trauer resultieren schließlich in Praktiken und bestimmen menschliches Handeln, weshalb sie als Diskursweiser verstärkt berücksichtigt werden sollten.

JULIA WAMBACH (Berlin) knüpfte mit ihrem Vortrag an diese Frage an. Sie forscht im Rahmen desselben Forschungsprojektes zur Entwicklung von Solidarität seit den 1960er-Jahren in Deutschland und Frankreich. Als Fallbeispiele stellte sie Lens im nordfranzösischen Kohlenbecken und Gelsenkirchen im nördlichen Ruhrgebiet gegenüber, beide Kommunen sind Bewahrer der Bergbautradition und zugleich Verlierer der Krise, wofür hohe Arbeitslosenzahlen und Armut bezeichnend sind. Was hält die Bewohner der Gebiete zusammen, nachdem die Arbeit in der Industrie verschwand? Dass sich neue Formen der Solidarität bildeten, wenn auch nicht mehr über die gemeinsame Arbeit, veranschaulichte Wambach am Beispiel der Fußballclubs FC Schalke und RC Lens, die sich zumindest ab den 1980er-Jahren verstärkt mit Themen wie Arbeitslosigkeit auseinandersetzten und dadurch auch neue Orte der Solidarität und Zusammengehörigkeit bilden konnten, so Wambach. Die Untersuchung hat das Ziel, das bisherige, medial vermittelte schlechte Image der Städte zu hinterfragen. In der Diskussion kam die Frage auf, inwiefern tatsächlich von einem ehemals durch die Arbeit evozierten Zusammengehörigkeitsgefühl gesprochen werden kann oder ob auch dieses zunächst nachgewiesen werden müsse.

In der Sektion „Gender“ wurde die Frage nach Geschlechterkonzepten und -konstruktionen im Bergbau erörtert und diskutiert, wobei die Vortragenden zu ähnlichen Ergebnissen und Schlussfolgerungen gelangten. SEBASTIAN KNOLL-JUNG (Heidelberg) zeigte mit seiner Untersuchung zu Arbeitsunfällen und Unfallverhütung im Kaiserreich, dass die Risiken des Berufes das Leitbild des starken und harten Mannes festigten, was Maßnahmen der Risiko- und Gesundheitsprävention hemmte. Verklärungen von Bedrohungen, Abgestumpftheit und das Herunterspielen von Schmerz blockierten teils präventive Maßnahmen. Während Unfallverhütungsmaßnahmen wie beispielsweise Schutzausrüstungen von den Arbeitern teils als Schwäche gedeutet wurden, wurde die Familie als positiver Einflussfaktor betrachtet, indem an die Rolle des Mannes als Ernährer und somit an sein Verantwortungsbewusstsein appelliert wurde. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte CHARLOTTE ULLMERT (Saarbrücken), die die Lehrlingszeitung „Der junge Bergmann der Saargruben“ nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1960er-Jahre auf Männlichkeitsaspekte hin untersuchte. Auch hier zeigte sich, dass sich das Bild des „starken Mannes“ nicht grundsätzlich gewandelt hatte, propagierte das Unternehmen dieses doch förmlich. Die Abwertung von Schwäche als „unmännliche“ Eigenschaft, die Pathetisierung des Berufes, die Abgrenzung von anderen Berufsgruppen und die Verklärung des Bergarbeiters zum Helden ließ sie Vergleiche zum Soldaten und Militär schließen. Dort seien ähnliche Images vertreten, die jedoch im Falle von Unfall und Tod sinnstiftend wirken können. Die Rolle der Frau und Konstrukte von Weiblichkeit in Bergbauregionen stellt hingegen ein Forschungsdesiderat dar, wie BIRGIT METZGER (Saarbrücken) zeigte. Obwohl Frauen in Kriegszeiten sowohl im Bergbau eingesetzt wurden und auch bei Streiks und Umweltkonflikten ihr Engagement zeigten, wurden ihre Lebensbedingungen und ihre Aktivitäten bisher kaum untersucht, auch tauchen sie in der industriekulturellen Erinnerung nur am Rande auf. Dabei profitierten Frauen weniger von den wirtschaftlichen Vorteilen der Montanindustrie und litten gleichzeitig unter den negativen Auswirkungen wie Wasser- und Bodenverschmutzung. Hier liegt ein besonderes Potential in der künftigen Forschung, eine geschlechtergerechte Geschichte zu schreiben, in der Rollenbilder mit Blick auf Ursprünge, Symbiosen und Entwicklungen analysiert werden.

Die dritte Sektion eröffnete JOANA BAUMGÄRTEL (Saarbrücken), die das Prämienhaussystem der saarländischen Bergarbeiter seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, die von der Régie des Mines de la Sarre eingeführte Baudarlehensabteilung sowie das Prinzip der Bauinteressensgemeinschaft vorstellte. Alle Maßnahmen verfolgten das Ziel, Arbeitnehmer an den Arbeitgeber zu binden und wurden gegebenenfalls auch als Druckmittel eingesetzt. Mit dem Rückgang der deutschen Montanindustrie und der Verringerung der Zahl der Arbeiter lief auch das Modell der Bauinteressensgemeinschaften aus, was die prozesshafte Ablösung von der Montanindustrie in der Saarregion zeige. THOMAS FLÄSCHNER (Saarbrücken) widmete sich in seiner Untersuchung zu Arbeitswegen einem bisher kaum berücksichtigten Untersuchungsgegenstand. Die aufschlussreiche Beschreibung der Bestreitung des Arbeits- und Anfahrtsweges der saarländischen Bergarbeiter zeigte einen elementaren Bestandteil des Arbeitsalltags, war der Weg oftmals schwer zu bestreiten. Bezeichnungen der Arbeiter als „Hartfüßler“ und „Ranzenmänner“ fanden so Einzug in die Alltagssprache. Konflikte zwischen Arbeitern und dem Eisenbahnpersonal sind in archivalischen Quellen gut dokumentiert und füllen so die Leerstelle im Alltag, den wortwörtlichen Übergang zwischen Heim- und Arbeitsstätte. Die Entwicklung einer saarländischen Industriestadt im 19. und 20. Jahrhundert am Beispiel St. Ingbert zeigte HEIDEMARIE ERTLE (Saarbrücken), wobei sie auf die Besonderheiten zwischen den preußischen und bayrischen Saarstädten aufmerksam machte. Gehörte St. Ingbert zum Bayrischen Königreich, führte die politischen und geografischen Faktoren dazu, dass neben der Entwicklung zur Industriestadt auch ein urbanes Zentrum entstand, das dazu beitrug, ökonomische Krisen im späteren 20. Jahrhundert gut zu bewältigen. Zu den Besonderheiten zählte auch der Einsatz von 22 Frauen als Grubenbetreiberinnen, was nochmal auf die Relevanz der Aufarbeitung von Geschlechterrollen im Bergbau verwies. Der Frage, wie sich bergmännische Arbeit und Alltag im langen Strukturwandel ab Ende der 1950er-Jahre gestaltete, ging STEFAN MOITRA (Bochum) nach. Dabei rückten drei Faktoren in den Fokus: der Umgang mit technischem Wandel, mentale Veränderungen insbesondere im Hinblick auf hierarchische Strukturen sowie die Zechenschließungen in Verbindung mit Verlegungen der Belegschaft in aktive Bergwerke. Aus umfangreichem Interviewmaterial konnten Veränderungen nachgezeichnet werden, so zum Beispiel das Einführen neuer Betriebsführungsmodelle oder auch die anfänglichen Schwierigkeiten der Bergarbeiter mit dem Umgang technischer Neuerungen und Maschinen. Zudem kristallisierte sich in den Interviews das Leiden unter dem Verlust von Heimat bei Verlegungen in andere aktive Nachbarzechen heraus, genauso wie der schwere Umgang der Bergmänner mit Entlassungen in den vorzeitigen Ruhestand.

Die vierte Sektion über Konflikte und Krisen eröffnete FRANK HIRSCH (Saarbrücken). Er erörterte die Völkerbundzeit an der Saar und die Konflikte zwischen den saarländischen Bergarbeitern und der Regierungskommission. Dadurch, dass die Arbeiter sich durch die französische Besatzung unterdrückt sahen, wuchsen eine Reihe von Streitereien, Streiks und Auseinandersetzungen, die durch den Ruhrkampf noch befeuert wurden. Wobei hier deutlich wurde, dass die Bergarbeiter sich für ihre eigenen Interessen stark einsetzten und sich teils auch darin behaupten konnten. Dennoch zeigte das harte Vorgehen der französischen Grubenverwaltung und Massenentlassungen in der wirtschaftlichen Krise Ende der 1920er-Jahre seine Konsequenz in der Saarabstimmung 1935, bei der über 90 Prozent für eine Rückkehr ins Deutsche Reich stimmten und damit Hitler den ersten außenpolitischen Erfolg einbrachte. An dieser Stelle interessierte der Vergleich mit der erneuten französischen Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere ob und welche Konfliktpotentiale sich auftaten. Zahlreiche Auseinandersetzungen konnte auch AMERIGO CARUSO (Bonn) für die Bergarbeiterstreiks im Kaiserreich aufzeigen. Diese verliefen eben nicht friedlich und kontrolliert wie bisher angenommen, sondern äußerten sich trotz der Disziplin der Arbeiterbewegung in einer Art „kleinen Gewalt“, wie Caruso diese bezeichnete. Darunter zählen Belästigungen von „Arbeitswilligen“ und Streikbrechern, Drohbriefe und das Tragen von „Rechtschutzrevolvern“, die ein neues Bild der Streikbewegung zeichneten, wurde diese auch als akute Bedrohung für die Sicherheit im Kaiserreich wahrgenommen. HANS-CHRISTOPH SEIDEL (Bochum) arbeitete charakteristische Ausprägungen der Zwangsarbeiter- und Ausländerbeschäftigung im Steinkohlenbergbau während des Zweiten Weltkriegs heraus. Zentral hierbei schien der hohe Anteil der sowjetischen Kriegsgefangenen ab 1941/42, die mit Abstand die größte nationale Gruppe in allen Steinkohlenrevieren darstellte. Gewalterfahrungen und Mangelernährung, insbesondere die sogenannte „Leistungsernährung“, bei der besonders leistungsstarke Zwangsarbeiter als Belohnung die Nahrungsration der schwachen Zwangsarbeiter erhielten, demonstrierten das grausame Zwangsarbeiterregime der Reichsvereinigung Kohle. Obwohl der Steinkohlenbergbau nicht Initiator der Brutalitäten war, so war er doch maßgeblich an Ausbeutung und Folter beteiligt.

NINA SCHMIT (Saarbrücken) fragte in ihrem Vortrag nach der In-Wert-Setzung ehemaliger Bergbaustandorte am Beispiel des ehemaligen saarländischen Bergwerks Reden und verdeutlichte die gegensätzlichen Interessen bei der zukünftigen Entwicklung der industriellen Relikte. Der als „Erlebnisort Reden“ beworbene Ort würde zwar durch sein vielfältiges Angebot an Natur, Naherholung und Eventtourismus als Erfolg betrachtet, doch zeigen die Probleme bei der Durchsetzung von Ideen und Plänen auch die Konfliktpotentiale auf: Fragen der Sicherheit, Artenschutz und der Erhalt als Kulturdenkmal stehen einer touristischen Nutzung gegenüber und eröffneten ein Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit und Industriekultur, wie es für sämtliche Bergbaustandorte gelten könne.

MICHAEL FARRENKOPF (Bochum) resümierte im abschließenden Kommentar, dass der Bergbau als Bestimmer globaler Prozesse gelte, allein dadurch bedingt, dass Fragen nach dem Umgang mit fossilen Rohstoffen seit jeher ein entscheidender Faktor für Gesellschaft, Technologie und Umwelt darstellen. Damit eröffne sich ein Spannungsfeld zwischen Lokalität, Distribution, Konsum und den ökologischen Folgen des Bergbaus, das auch in der künftigen Forschung als zu berücksichtigen sei. Erinnerungsnarrative seien ebenfalls von entscheidender Bedeutung, verhelfen sie der Geschichtsschreibung des Bergbaus zu Authentizität und wirkten auf historisierende Perspektiven korrigierend. Allgemein stelle sich die Frage in der künftigen Forschung nach der Konstruktion von Raum und Materialität, Umwelt und Wissen, Gesellschaft und Kultur sowie Verflechtung und Rückkopplung, wobei Bergbaugeschichte globaler werden müsse – insbesondere unter Berücksichtigung der vielen beteiligten Akteure und Gruppen, die miteinander verknüpft sind und auch in wechselseitigen Austauschbeziehungen zueinanderstehen.

Insgesamt verdeutlichte die Tagung die Fülle an Themen und Perspektiven, die teils trotz der enormen Bedeutung des Steinkohlenbergbaus für Deutschland noch etliche Forschungslücken aufweisen. Unberücksichtigte Quellenbestände und Zeitzeugeninterviews gilt es nun aufzugreifen und auszuwerten und somit die Bergbaugeschichte voranzutreiben. Neuere Perspektiven, insbesondere was neue Formen der Erinnerungskultur, Gender- und Emotionsgeschichte sowie die Berücksichtigung weiterer Industriezweige als Teil einer gesamthistorischen Industriegeschichte betrifft, können sich auch für das Saarland als fruchtbar erweisen.

Konferenzübersicht:

Öffentlicher Abendvortrag

Stefan Berger (Bochum): Urbane Künste Ruhr im Strukturwandel: Erinnerung an Industrialisierung und Deindustrialisierung

Sektion 1: Deindustrialisierung
Moderation: Stefan Berger (Bochum)

Juliane Czierpka (Bochum): Strukturwandel im Schatten von Kohle und Stahl. Das Ruhrgebiet

Delf Slotta (Saarbrücken): Zum kulturellen Erbe des Saarbergbaus – Gebäude, technische Anlagen, Landschaftsbauten und Bergbaulandschaften

Fabian Lemmes (Bochum): Für eine Erfahrungs- und Emotionsgeschichte der Deindustrialisierung

Julia Wambach (Berlin): Das Ende der Solidarität? Deindustrialisierung in Deutschland und Frankreich seit den 1960er-Jahren

Sektion 2: Gender
Moderation: Jonas Nesselhauf (Saarbrücken)

Sebastian Knoll-Jung (Heidelberg): Der Bergmann an der Saar zwischen Peer Group, Familie und sozialem Umfeld – Aspekte von Männlichkeit im Kontext von Arbeitsunfällen und deren Folgenbewältigung

Charlotte Ullmert (Saarbrücken): “Ein Bergmann will ich werden...” Konzepte von Männlichkeit im saarländischen Steinkohlenbergbau

Birgit Metzger (Saarbrücken): Konstruktionen von Weiblichkeit – Fallbeispiele aus der Saarregion

Sektion 3: Alltag und Biografien
Moderation: Barbara Krug-Richter (Saarbrücken)

Joana Baumgärtel (Saarbrücken): Bauen in Gemeinschaft – Zur Eigenheimkultur im saarländischen Bergbau nach dem Zweiten Weltkrieg

Thomas Fläschner (Saarbrücken): “Seitdem die Bahn fährt, ist ja das Schaffengehn auf die Grub een Plaisir” – Die Nutzung der Eisenbahn durch die Bergarbeiter des Saarreviers

Heidemarie Ertle (Saarbrücken): Gebaut auf schwarzem Gold – Die Stadt St. Ingbert und der Bergbau

Stefan Moitra (Bochum): “Ich habe Untertage nicht mehr wiedererkannt.” – Bergmännische Arbeit und Alltag im langen Strukturwandel

Sektion 4: Konfliktfelder und Krisen
Moderation: Gabriele Clemens (Saarbrücken)

Frank Hirsch (Saarbrücken): Bergbau im Saargebiet – Zwangslagen und Dauerkrise

Amerigo Caruso (Bonn): Bedrohung an Ruhr und Saar – Bergarbeiterstreiks und die Sicherheitsarchitektur des Deutschen Kaiserreichs

Hans-Christoph Seidel (Bochum): Ausländerbeschäftigung und Zwangsarbeit im deutschen Steinkohlenbergbau während des Zweiten Weltkriegs

Nina Schmit (Saarbrücken): Konfliktpotenzial im Umgang mit dem Erbe des saarländischen Steinkohlenbergbaus

Fazit und Abschlusskommentar
Michael Farrenkopf (Bochum)

Zitation

Tagungsbericht: Eine Welt der Kohle. Historische Perspektiven auf den Bergbau im Saarrevier im überregionalen Vergleich, In: H-Soz-Kult, 17.12.2022, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-131965>.





[Regionalforum-Saar] Aus für die Krippenausstellun g des St. Wendeler Künstlers Karl Heindl : Weil sich k eine Herberge für alle fand

Date: 2022/12/17 10:28:33
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Saarbrücker Zeitung, 16. Dezember 2022

Aus für die Krippenausstellung des St. Wendeler Künstlers Karl Heindl : Weil sich keine Herberge für alle fand

Von Evelyn Schneider

Musik wird im Hintergrund erklingen, die Krippen werden beleuchtet sein. Ein bisschen wie früher und doch ganz anders. Denn es ist Stück für Stück auch ein Abschied – von der Ausstellung von Karl Heindl. Sie gehörte für viele Menschen fest zur Vor- und Weihnachtszeit in St. Wendel dazu. Der 2016 verstorbene Künstler hatte es  über die Jahre Dank seiner Schaffensfreude und Sammelleidenschaft auf einen Fundus von mehr als 550 Krippen gebracht. Seit 1988 wurden diese Jahr für Jahr in einer Ausstellung präsentiert. Auch nach dem Tod des St. Wendeler Krippenbauers. Seine Frau Marliese Heindl und sein langjähriger Freund Ernst Wilhelm Kiefer empfingen fortan die Besucher in den Räumlichkeiten unterhalb der Missionshaus-Buchhandlung. Bis schließlich das Coronavirus 2020 die Tradition unterbrach. Auch Heindl und Kiefer gingen damals noch von einer pandemiebedingten Pause aus. Doch es sollte alles anders kommen.

Wenn Marliese Heindl an diesem Samstag und Sonntag, 17. und 18. Dezember, die Tür zur Krippenschau aufschließt und nochmals Gäste empfängt, dann wird es kein Ausstellungswochenende wie einst sein. Denn wer möchte, kann die Kunstwerke, die auf verschiedene Weise die Geschichte von Christi Geburt erzählen, nicht nur bestaunen, sondern auch erwerben. Die Sammlung wird aufgelöst. Die Entscheidung dazu ist der 71-Jährigen nicht leicht gefallen. „Aber inzwischen weiß ich, es ist der richtige Zeitpunkt“, sagt Heindl. Diesen hat sie gemeinsam mit der Familie abgestimmt.

Einige der Exponate haben bereits neue Besitzer gefunden. So sicherten sich Familienmitglieder und Freunde ihre Lieblingsstücke. Marliese Heindl hat in ihrem Keller eigens einen Raum für einige der Werke hergerichtet. Aber auch Interessenten außerhalb des direkten Umfelds des Künstlers meldeten sich. So wird die große Kirchen-Krippe aus der Sammlung künftig ihren Platz bei der Benediktinerabtei St.Mauritius in Tholey finden. Gleich zwei Krippen gingen zum Wendelinushof in St. Wendel. Eine wurde in der Hofkapelle platziert, die zweite kann im Hofladen bestaunt werden. „Es ist schön, die Krippen in guten Händen zu wissen“, sagt Marliese Heindl. Besonders habe sie sich gefreut, dass auch die acht Meter breite Panorama-Krippe bereits einen neuen Besitzer gefunden hat. Von 1963 bis 1999 hat Karl Heindl an dieser Szenerie gearbeitet. Seiner Witwe war sie immer eine der liebsten.

In der Adventszeit vor einem Jahr wussten Marliese Heindl und Ernst Wilhelm Kiefer bereits, dass es für die Ausstellung in den Räumlichkeiten des Missionshauses nicht weitergehen würde (wir berichteten). Dessen Leiter hatte sie darüber in Kenntnis setzen müssen, dass die Schau aus Brandschutzgründen nicht mehr öffnen kann. Diese Nachricht begriffen beide damals auch als Chance. „Denn wir hatten uns Gedanken gemacht, wie lange wir das noch stemmen können“, blickt Heindl zurück. Daher begaben sie sich auf die Suche nach einer neuen Herberge für die Schau.

In einem ersten Schritt informierten sie den St. Wendeler Bürgermeister Peter Klär (CDU) und Landrat Udo Recktenwald (CDU) über die Umstände. „In der Folge haben wir viele Gespräche geführt“, sagt die 71-Jährige. Sie war offen, was eine mögliche Präsentation der Krippen betraf. Sie hätte sich vorstellen können, die Sammlung aufzuteilen. Nach einiger Zeit des Wartens kam dann ein Lichtblick. Dieser hieß Hospital-Kirche. Es gab den Vorschlag, dort einen Teil der Werke zu zeigen. „Wir waren regelrecht euphorisch“, gesteht Heindl. In Gedanken habe sie schon die Krippen im Raum platziert. Die Idee gefiel ihr immer besser. Doch auf die Freude folgte der Rückschlag. Die Ausstellung könne doch nicht übersiedeln. Wieder lagen die angegebenen Gründe im Brandschutz. Zudem müsse das Dach saniert, Fluchtwege müssten eingerichtet werden. Zu teuer. Jetzt, da sich das Aus für die Sammlung herumspricht, reagierten einige Menschen sehr enttäuscht. Marliese Heindl selbst hat Verständnis dafür, dass an vielen Stellen jetzt das Geld fehle. Auch die Stadt St. Wendel stünde vor vielen Herausforderungen.

Durch Karl Heindls Ausstellung zu schlendern, bedeutete auch immer Geschichten zu lauschen und später, nach seinem Tod, für Bekannte, in Erinnerungen zu schwelgen. Dazu bietet sich an diesem Wochenende sowie am zweiten Weihnachtsfeiertag nochmals die Gelegenheit, wenn Marliese Heindl Gäste empfängt, um Stück für Stück die Krippensammlung loszulassen.

Aktion: Marliese Heindl und Ernst Wilhelm Kiefer sind an diesem Samstag und Sonntag, 17. und 18. Dezember, sowie am zweiten Weihnachtstag, 26. Dezember, je von 14 bis 18 Uhr in den Räumen der Ausstellung (unterhalb der Missionshaus-Buchhandlung in St. Wendel), um Interessenten die Möglichkeit zu geben, Exponate zu erwerben. Dies ist zudem nach vorheriger telefonischer Vereinbarung möglich bei Marliese Heindl,Telefon  (0 68 51) 12 98 oder Ernst Wilhelm Kiefer, Telefon (0 68 51) 8 38 60 oder mobil (01 71) 2 67 18 06.


[Regionalforum-Saar] 75 Jahre Saar-Verfassung : „Das Saarland ist sicher das internationalste aller Bun desländer“

Date: 2022/12/17 10:34:10
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Saarbrücker Zeitung, 15. Dezember 2022 um 08:53 Uhr 9 Minuten

75 Jahre Saar-Verfassung : „Das Saarland ist sicher das internationalste aller Bundesländer“

Professor Rainer Hudemann hatte bis 2013 den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität des Saarlandes inne. Hudemann (74) gilt als großer Frankreichkenner, er hat Jahrzehnte lang zum deutsch-französischen Verhältnis geforscht. Von 2010 bis 2013 hatte er auch eine Professur an der Pariser Sorbonne. Foto: Iris Maria Maurer

75 Jahre alt wird die saarländische Verfassung. Am 15. Dezember 1947 wurde sie verabschiedet – zu einer Zeit, als das Saarland unter französischer Verwaltung stand. Nur ein einziges Änderungsgesetz und die ersatzlose Streichung der Präambel zur Verfassung waren 1956 nötig, um sie bei der Rückgliederung in die Bundesrepublik als Landesverfassung des neuen Bundeslandes zu übernehmen. Dieselbe Verfassung für zwei völlig verschiedene politische Einbettungen (hier Frankreich, da Deutschland), ist das nicht bemerkenswert?

HUDEMANN Das ist tatsächlich sehr bemerkenswert. Es gibt ja bis heute noch die Vorstellung, das Saarland sei ein französisches Protektorat gewesen. Was es nie war. Es blieb nicht politisch, aber staatsrechtlich 1947 noch Teil des Deutschen Reiches, doch mit einem unklaren teilautonomen Statut. Die Verfassung, für die es ganz unterschiedliche Pläne von französischer Seite gegeben hatte, glich in ihrer Struktur letzten Endes anderen westdeutschen Landesverfassungen dieser Jahre. Deshalb war 1956 auch keine Änderung nötig.

Mit einem entscheidenden Unterschied zu anderen Landesverfassungen: ihre Präambel. Diese legte fest, dass das Saarland im Sinne einer Zoll- und Währungsunion wirtschaftlich an Frankreich angeschlossen und seine Landesverteidigung und Außenpolitik in die Hände Frankreichs gelegt wurden. Ausdrücklich fixiert wurde in dieser Präambel auch die „politische Unabhängigkeit des Saarlandes vom Deutschen Reich“ – die Bundesrepublik wurde ja erst zwei Jahre später gegründet. Spiegelte die Präambel den Mehrheitswillen der saarländischen Bevölkerung wider? Ein Referendum über die Verfassung – und damit auch über die Präambel – fand ja nie statt…

HUDEMANN Die Präambel und grundlegende Einzelbestimmungen sind weit entfernt von dem, was manche französischen Regierungsverantwortliche angestrebt haben, nämlich eine weitergehende Angliederung des Saarlandes an Frankreich. In die Verfassung sind viele grundsätzliche Bestimmungen eingegangen, die den deutschen Traditionen und den saarländischen Forderungen entsprochen haben. Die Saarländer haben sich weitgehend durchgesetzt und hatten dafür oft auch den Rückhalt des Landesgouverneurs Gilbert Grandval. Er hat die Saarländer intern immer wieder massiv unterstützt gegen weitergehende Bestrebungen aus Paris.

Setzte Frankreich darauf, dass die Wirtschaftsunion früher oder später das Saarland an Frankreich binden würde?

HUDEMANN Das Problem ist zunächst einmal, dass es „Frankreich“ in diesem Sinne nicht gab. Vielmehr wurden in Paris ganz verschiedene Positionen zur Saarfrage vertreten. Eine Annexion war schon 1945 ausgeschlossen worden, auch wenn die französische Bevölkerung ganz selbstverständlich davon ausgegangen war. Das Saarland stand nicht voll unter französischer Verwaltung. Maßgebliche Befugnisse wurden vielmehr selbst ausgeübt, eingeengt durch eine Reihe von Konventionen Anfang der 1950er Jahre. Deswegen scheint mir der Begriff einer „Teilautonomie“ die Situation am besten zu treffen. Im wirtschaftlichen Bereich muss man daran erinnern, dass erhebliche Teile der französischen Wirtschaft gegen eine weitgehende Wirtschaftsunion waren, weil sie die Konkurrenz aus dem Saarland fürchteten. Vor allem die Schwerindustrie in Lothringen hat häufig zu bremsen versucht. Man fürchtete auch, dass die saarländische Industrie durch die französische Politik zu stark modernisiert würde. Ein Schwarz-Weiß-Bild „französische gegen saarländische Interessen“ wird der komplexen Dynamik der saarländischen Entwicklung daher nicht gerecht.

Einerseits galt das Saarland unter Adenauer als „Stolperstein“, andererseits baute es entscheidende Brücken für die deutsch-französische Verständigung. Welche Rolle spielte der saarländische Sonderweg für das spätere deutsch-französische Verhältnis?

HUDEMANN Den Stolperstein musste man beiseite räumen. Das gelang nur auf höchster Regierungsebene: Er wurde damit zum Meilenstein. Als verbindendes Element zwischen beiden Nationen war und ist das Saarland bis heute in einer ziemlich einzigartigen Situation. So sehen das nicht zuletzt viele, die wie ich von außen ins Saarland gekommen sind. Zugleich sind im Saarland Konflikt und Kooperation, wie häufig im deutsch-französischen Bereich, stets vielfältig miteinander vernetzt.

Wenn man jungen Leuten heute sagt, dass die Saarländer 1948 eine eigene Staatsbürgerschaft bekamen und das Saarland bei der Qualifikation zur Fußball-WM 1954 eine eigene Nationalelf stellte, dann gibt dies eine Ahnung davon, was diese Sonderrolle des Saarlandes alles umfasste. Was waren die Kern-Aspekte dieser Teil-Autonomie?

HUDEMANN Das ist vor allem die Wirtschafts- und Währungsunion mit Frankreich. Und die sehr vielfältig konkret verankerte Internationalität: Man war hier nicht voll integriert in einen Nationalstaat, sondern hatte eine Zwischenposition, in der deutsche und französische Einflüsse eine zentrale Rolle gespielt haben. Das hat dieses Land langfristig maßgeblich geprägt, die heutige Frankreichstrategie führt das in neuen Formen fort.

Wie hat sich die Sichtweise auf die Rolle Frankreichs in den Jahren 1945 bis 1956 verändert?

HUDEMANN In der Nachkriegszeit und vor allem ab etwa 1952 hat sich die Haltung gegenüber Frankreich sehr stark gewandelt. Das kann man an den Wahlergebnissen ablesen. 1947 hatte die Politik eines Wirtschafts- und Währungsanschlusses an Frankreich einen starken Rückhalt im Saarland. Während in Deutschland – nicht zuletzt aufgrund der völlig dilettantischen Wirtschafts- und Finanzpolitik der Nazis – die Wirtschaft zusammenbrach, profitierte das Saarland früh von der Anbindung an Frankreich. Im Zusammenwirken mit den Franzosen hatte man auch eine hervorragende Sozialpolitik. Die Familienbeihilfen im Saarland lagen z.B. weit über dem westdeutschen Durchschnitt.

Die Jahre unter französischer Verwaltung brachten dem Saarland eine kulturelle Blütezeit: Die Universität wurde gegründet, dazu die Kunst- und Musikhochschule oder der Sender „Europe 1“ in Berus. Das Kulturleben war reich und vielfältig. Auch wirtschaftlich stand man besser da als das übrige Deutschland. Ihre Forschungen haben früh den Blick dafür geöffnet, dass man in Frankreich sehr wohl wusste, dass die Saarländer sich nur durch Demokratisierung, Wirtschaftsaufbau und kulturelle Teilhabe für sich gewinnen ließen. Die Saarabstimmung ging aus französischer Sicht dennoch verloren: Votierten die Saarländer für Deutschland oder gegen Frankreich?

HUDEMANN Ein entscheidendes Element der französischen Politik war die Demokratisierungspolitik. Man hatte die Vorstellung, dass „die“ Deutschen einen autoritären Charakter hatten. Nicht zuletzt, weil sie die Kriege 1870, 1914 und 1939 begonnen hätten. Schon die ersten Geheimdirektiven de Gaulles enthielten 1945 Vorgaben zur Demokratisierung der Deutschen. Für die Franzosen nahm dabei die Kulturpolitik eine ganz zentrale Position ein. Bis 1949 stellten die Franzosen beispielsweise etwa 50 Ausstellungen zusammen, die durch fast alle Besatzungszonen gewandert sind. Dahinter stand die Vorstellung, dass Kultur völkerverbindend ist.

Aber nochmal: Votierten die Saarländer damals für Deutschland oder votierten sie gegen Frankreich?

HUDEMANN 1952 begann die Zustimmung zu Frankreich bereits zu bröckeln. 1954 muss man dann in einem umfassenderen Kontext sehen: Die Politik der Regierung unter Johannes Hoffmann, oppositionelle politische Kräfte zu reglementieren, trug zum Verlust dieses Rückhaltes bei. Sogar Gouverneur Grandval ermahnte Hoffmann, demokratische Regeln zu beachten. Hinzu kommt: Frankreich verlor damals zunehmend seine Kolonien. Deutschland hatte sein sogenanntes „Wirtschaftswunder“. Die Bundesrepublik war stabil, während die Vierte Republik ständige Regierungswechsel erlebte. Nach der Gründung der Montanunion 1952 setzte man auch im Saarland noch auf eine weitergehende Europäisierung. Doch die Europäische Verteidigungsgemeinschaft scheiterte dann, und das letztlich an Frankreich. Das heißt: Vieles, was das Prestige Frankreichs ausgemacht hatte, ging in den Jahren 1952 bis 1954 verloren. Dennoch interpretiere ich das Abstimmungsergebnis von 1954 anders, als man dies gemeinhin tut: Dass trotz der skizzierten, völlig veränderten Rahmenbedingungen noch fast ein Drittel der Bevölkerung für die Annahme des Europastatuts votierte, ist ungeheuer viel. Es war keine Niederlage für Europa. Es bleibt für mich Ausdruck der beeindruckenden internationalen Orientierung des Saarlandes.

Welche Rolle spielte der Katholizismus im Saarland? 75 Prozent aller Saarländer waren Katholiken damals, der Trierer Bischof propagierte die Rückbindung an Deutschland. Wie stark beeinflusste dies, neben den Verheißungen des deutschen Wirtschaftswunders, die Abstimmung?

HUDEMANN Ich denke, das hat eine gewisse Rolle gespielt, aber ist schwer zu quantifizieren. Die Rolle der katholischen Kirche war uneinheitlich, wie Judith Hüser in unserem Buch zeigt. Bei der Heilig-Rock-Wallfahrt 1933, zu der das Bistum Trier über zwei Millionen Pilger zählte, demonstrierte der Trierer Bischof Bornewasser die Allianz von Kirche und nationalsozialistischem Staat, um insbesondere die Saarländer in ihrem 1935 bevorstehenden Votum dafür zu gewinnen. Das war ein kompliziertes Erbe. In den 1950er Jahren verliefen die innerkirchlichen Frontstellungen anfangs teilweise entlang der Europäisierungsfronten, doch verloren sie bereits im Vorfeld der Abstimmung in beiden Kirchen an Wirkungskraft. Der Plan eines eigenen Saar-Bistums erledigte sich von selbst durch das Abstimmungsergebnis.

Der lange vergriffene, bis heute sehr, sehr lesenswerte Tagungsband „Die Saar 1945-1955“, der auf ein historisches Kolloquium im Landtag mit ehemaligen Entscheidungsträgern im Jahr 1990 zurückgeht, ist nun neu aufgelegt und um sechs wissenschaftliche Beiträge ergänzt worden, die neue Facetten jenes historischen Saar-Jahrzehnts von 1945 bis 1955 offenlegen. Der saarländische Sonderweg liegt nun 75 Jahre zurück, gerade mal drei Generationen. Welche Lehre können junge Menschen heute aus ihm ziehen?

HUDEMANN Ermutigung zur internationalen Arbeit und zur Kooperation – gerade trotz der Schwierigkeiten. Wie viele Initiativen vom Saarland auf dieser Grundlage ausgingen, wusste ich auch erst teilweise, bevor ich hier Professor wurde und darüber forschte. Die späte Eingliederung in die Bundesrepublik führte aber auch, zu Lasten des Saarlandes, zu einer anderen Sonderrolle: Man nimmt seine internationale Leistungsfähigkeit überregional zu wenig wahr.

Wie hätten sich die Dinge wohl weiterentwickelt, wenn das zweite Saar-Statut 1954 nicht von zwei Dritteln der Bevölkerung abgelehnt worden wäre, sondern das Saarland einen europäischen Status erhalten hätte? Nach französischen Plänen sollte Saarbrücken Sitz der Montanunion werden. Auch wäre man Vorhut Europas gewesen. Wäre Saarbrücken heute vielleicht Brüssel oder Luxemburg?

HUDEMANN Das französische Konzept für die Saar war beeinflusst von dem Beispiel Luxemburgs. Bis in die Institutionen hinein sieht man das. Luxemburg ist aber ein Nationalstaat. Das ist ein großer Unterschied. Dass Luxemburg auf den Sitz der Montanunion verzichtet hätte, halte ich für ausgeschlossen. Und Frankreich hat Straßburg für europäische Institutionen favorisiert. Dass das Saarland zur Hauptstadt Europas hätte werden können, halte ich daher für eine sehr sympathische, aber unrealistische Hoffnung. Das Saarland aber ist sicher heute das internationalste aller Bundesländer.

Der von Rainer Hudemann, Raymond Poidevin und Armin Heinen herausgegebene Band „Die Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte“ ist in 3. Auflage – maßgeblich erweitert um sechs lesenswerte wissenschaftliche Beiträge – im Verlag de Gruyter / Oldenbourg neu aufgelegt worden und kostet 79,95 €.

Der saarländische Landtag kommt aus Anlass des 75-jährigen Verfassungsjubiläums um 11 Uhr zu einer parlamentarischen Feierstunde zusammen.


[Regionalforum-Saar] Der Ausundeinwanderer

Date: 2022/12/17 15:26:05
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Quelle: Rheinpfalz, 10.-11. Dezember 2022

Der Ausundeinwanderer

Zufälle gibt es: Da bewirbt sich ein junger US-Amerikaner um einen Job als Verfahrenstechniker in der Pfalz. Er bekommt die Anstellung und merkt erst nach der Ankunft , dass er in der alten Heimat seiner Familie gelandet ist. Denn seine Vorfahren sind Pennsylvanisch-Deitsche.
Von Stefan Keller

Der US-Amerikaner Erich Mace aus Pennsylvania, seine Frau Erin und seine Tochter Eva kommen Ende November 2018 in Frankenthal an.

Mace, heute 40 Jahre alt, hat in den USA Deutsch und Verfahrenstechnik studiert und ist dort auch auf das JobAngebot in der Alten Welt gestoßen.

Inzwischen arbeitet er in Teilzeit bei der Firma Worley, einem BASF-Partnerunternehmen, in der Anilin in Ludwigshafen. Parallel promoviert er an der FU Berlin. Seine Frau Erin ist Englischlehrerin an einer Internationalen Schule in Viernheim. Die heute 36Jährige stammt aus Michigan. In der Stadt fühlen sie sich sofort bestens aufgenommen. „Die Menschen sind offen und freundlich“, sagt Erin Mace.

Was beiden US-Amerikanern nicht klar ist, als sie in der Pfalz ankommen: Die Familie ist in der Heimat ihrer Vorfahren gelandet, wo inzwischen auch ihr heute fünf Monate alter Sohn Steven geboren ist. Erich Maces Eltern und Großeltern leben im Umland der 95.000 Einwohner zählenden Industriestadt Reading in Pennsylvania, im „Pennsylvanisch-Deitsche Land“, wo Hunderttausende Menschen eine Sprache sprechen, die dem Pfälzischen eng verwandt ist.

Auch Erich Mace kennt diese Sprache von Kindesbeinen an, in der er inzwischen sogar Lieder schreibt, um sie bewahren zu helfen. Stellt sich die Frage, warum er erst in Ludwigshafen und Frankenthal bemerkt hat, dass er mitten in der eigenen Familiengeschichte gelandet ist. Warum er also trotz enger historischer Verbindung ziemlich blind war für den Ursprung dieser Wurzeln, als er und seine Familie in der Pfalz einen neuen Anfang wagten.

Erich Mace erzählt, dass sich seine Großeltern gar nicht gern zu ihrer eigenen Herkunft bekennen. Viele ausgewanderte Deutsche und die Generationen danach hätten amerikanisches Englisch mit starkem deutschen Akzent und durchaus fehlerbehaftet gesprochen. Dafür seien sie von den Einheimischen kritisiert und für nicht gerade clever gehalten worden.

„Deitsch ist dumm“, heißt ein Lied, das Erich Mace geschrieben hat. Darin erklärt er, wie es sich anfühlt, von oben herab betrachtet zu werden. Die ältere Generation – auch Maces Großeltern – habe das den Jungen ersparen wollen. Die Erfahrungen der USA mit Nazi-Deutschland trugen ebenfalls dazu bei, dass Pennsylvanisch-Deitsche ihren möglichen Stolz auf ihre deutschen Wurzeln nicht unbedingt gerne zur Schau getragen haben.

Auch wenn seine Eltern – „Mei Daadi ist Vermögensberater gewest und meine Maami Abwaerdern, also Krankenschwester“ – schon viel offener mit der Sprache aus der Alten Welt und der eigenen Vergangenheit umgegangen seien, habe das alles dazu geführt, dass Erich Mace bis heute noch nicht weiß, von wo ganz genau aus sich seine Ahnen vor gut 300 Jahren über den Atlantik aufgemacht haben. Vielleicht wird er es auch nie erfahren.

In der neuen Heimat in Frankenthal pflegen die Maces nun den gesamten Sprachschatz ihrer Familie. Erin Mace redet mit den Kindern nur Amerikanisch, Erich Mace spricht bewusst PennsylvanischDeitsch, Hochdeutsch und Frankenthaler Pfälzisch. Es soll nichts vergessen und es soll nichts unter den Tisch gekehrt werden. Maßgeblich geholfen, die Pfalz für sich verorten zu können, hat dem jungen Ehepaar der Film „Hiwwe wie driwwe“ von Benjamin Wagener (Schwegenheim) und Christian Schega (Landau), der 2019 die Region begeistert und vielen Pfälzern die Auswandergeschichte witzig-ironisch, aber auch informativ näherbrachte.

In „Hiwwe wie driwwe“ hatte sich der US-amerikanische und pennsylvanisch-deitsche Deutschlehrer Douglas Madenford als Hauptdarsteller auf Spurensuche begeben. Am 24. April 2019 feierte der Streifen, gedreht in Pennsylvania rund um die pennsylvanisch-deitsche Hochburg Kutztown mit seinem Heritage-Center sowie in der Pfalz, eine umjubelte Premiere in Landau.

Erich und Erin sehen den Streifen im Frühjahr 2019 und sind vollkommen überrascht: „Wir haben darin unsere Heimat gesehen, Straßen, die wir kannten, Städte und die Gegend, aus der wir kommen“, berichten sie im Gespräch mit der RHEINPFALZ am SONNTAG. Und sie stellten fest: Die Pfalz rund um Ludwigshafen ähnelt auch landschaftlich der alten Heimat sehr. Die 1748 gegründete Stadt Reading ist der Verwaltungssitz von Berks County im „Rust Belt“, dem „Rostgürtel“, der ältesten und größten Industrieregion im Nordosten der Vereinigten Staaten, die sich über mehrere Staaten erstreckt und in weiten Teilen ländlich geprägt ist. Im Film erkennt Erich Mace mit Doug Madenford auch seinen zwei Jahre älteren Schulkameraden wieder. Beide hatten in den USA denselben Deutschlehrer, sind später zeitweise sogar Kommilitonen. Das alles weckt bei Erich Mace Heimatgefühle und das Interesse an der eigenen Sprache und der Geschichte noch einmal neu.

Das Ehepaar Mace hat die RHEINPFALZ am SONNTAG zum Mittagessen mit einem Festtagsgericht aus der Heimat eingeladen: Auf dem Tisch stehen „Buweschenkel“, eine Schüssel „Gummerselaat“ und „Rotrieweoier“. Das sind große gefüllte Ravioli, hartgekochte Eier in Rote-BeteSalat und Gurkensalat. Sofort sind die Bezeichnungen Gesprächsthema.

„Mir sagen Gummer zur Gurke, wie heißt bei euch die Ernte?“, fragt Erich.

„Gummere sagen wir auch, antwortet der Autor. Und die werden „gerobbt“.

„Wie bei uns“, sagt Erich. „Buweschenkel“ bezeichnet die Form der Nudel. Das schwäbische Wort „Buwespitzle“ für Schupfnudeln kennen die Maces noch nicht. Aber die Erklärung sorgt natürlich für Heiterkeit.

Zum Innenleben der Nudeln. Mace holt eine Schüssel aus der Küche und erklärt: „Des isch es Fillsel.“ Klingt wie in der Pfalz: „Das“ wird durch „es“ ersetzt. „Die Englischen sagen ,Dutch potato filling’“. Die Zutaten sind laut Erich und Erin: „Grumbeere, altes Brot, Zwiwwle, Sellerie, Budder, Salz un Peffer.“ Übergossen mit flüssiger Butter ist das Ganze sehr schmackhaft und macht ziemlich satt.

Mace hat Chemie und Mathematik studiert, Nebenfach Deutsch. „Mein Deutschunterricht hat mir in der High School gut gefallen, und neben den familialen Gründen fand ich, dass Deutsch immer noch im Bereich Chemie und Ingenieurwissenschaften relevant war.“ Das war jedenfalls seine eigentliche Motivation, eine Arbeitsstelle in Deutschland anzunehmen.

„Was wären die Mathematik und Chemie ohne Kepler, Gauß, Leibniz, Helmholtz, Einstein, Heisenberg und Haber oder die Weltwirtschaft ohne Bayer, die BASF und Linde?“, fragt er am Esstisch rhetorisch und in gesprochenem Schriftdeutsch – bevor er lässig wieder ins Pennsylvanisch-Deitsche wechselt, das nach offiziellen Angaben heute noch rund 400.000 Menschen in den Vereinigten Staaten sprechen, darunter viele Amische und Mennoniten.

Erich Mace kennt viele von ihnen aus seinem früheren Leben. „Die Amishe leben noch immer sehr abgeschlossen für sich auf ihren ,Bauereien’“, – ihren Bauernhöfen. Dort bleibe die Sprache weiter urtümlich erhalten, auch weitgehend unbeeinflusst vom starken Tourismus in der Region oder modernen Entwicklungen.

Maces eigene Familie ist dagegen evangelisch-freikirchlich geprägt.

„Die sogenannten ,fancy’ Pennsylvanisch-Deitschen waren schon immer stärker der Welt zugewandt, blieben nie nur unter sich“, erklären Mace und seine Frau Erin. „Fancy“ bedeutet „schick“ und hat oft auch einen leicht ironischen Unterton.

Erich und Erin Mace sind fest überzeugt, dass sich die Sprache Pennsylvanisch-Deitsch weiter verändern wird. „Es gibt zum Beispiel in der alten Sprache keine Worte für alle technischen Neuerungen“, erklärt Mace.

„Dafür werden die englischen einfließen.“ Oder es werden neue erfunden.

Umso wichtiger sei es, viel Textliches in Pennsylvanisch-Deitsch zu veröffentlichen, um den aktuellen Zustand zu dokumentieren und zu archivieren, fordert er.

Mace freut sich, dass aktuell neue Bücher, auch Kinderbücher, in der Sprache seiner Vorfahren aufgelegt werden. Er wünscht sich, dass sich die Menschen auf beiden Seiten des Großen Teichs ihre Vergangenheit, ihre Herkunft sowie ihre enge Beziehung und die Unterschiede bewusst machen – um sich miteinander besser zu verstehen.

Und Erich Mace will alle Bemühungen in diese Richtung unterstützen – was ihn zurück zum Filme „Hiwwe wie Driwwe“ bringt. „Dieser Film war auch ganz wichtig für den Erhalt und das Fixieren der Sprache und der Kultur“, ist Mace überzeugt. Seine Frau und er sind jedenfalls bereits gespannt auf Teil zwei. Laut Regisseur Wagener soll er voraussichtlich Anfang 2024 ins Kino kommen.

„Wir verfolgen die Dreharbeiten und freuen uns auf die neuen Gemeinsamkeiten und Unterschiede“, sagt Erich Mace, und seine Frau Erin stimmt ihm nickend zu.

EIN LIED, EIN GEDICHT
Erich Mace engagiert sich inzwischen stark fürs Pennsylvanisch-Deitsche. Schon immer habe er Texte und Lieder geschrieben, erzählt er, denn er spielt Gitarre, Bass, Schlagzeug und Klavier. Der Herausgeber der Zeitung „Hiwwe wie Driwwe“, Michael Werner, (Nieder-Olm), habe ihn dazu ermuntert, auch Lieder „in seller Sprooch“ zu schreiben.

In seinem Lied „Zwee Seide vun ́em Silwerschtick“, das er bei den Bockenheimer Mundarttagen vorstellte, schildert Mace seine Situation:

Ich kenn zwee Seide vun em Silwerschtick.
Sie kenne enanner gar net sehne,
Doch in der Midde sin sie vergnippt
Un es gebt dausend Silwerschticker in em Regge.

ALTE SPRACHE NEUE WELT

PENNSYLVANISCH-DEUTSCH
Um religiöser Verfolgung zu entgehen, sind vor allem im 18. Jahrhundert Mitglieder verschiedener protestantischer Glaubensrichtungen wie Mennoniten und Pietisten nach Pennsylvanien ausgewandert. Viele stammten aus der historischen Kurpfalz, aber auch aus den angrenzenden Gebieten in Baden, Württemberg, der deutschsprachigen Schweiz und dem Elsass. Zunächst gab es im US-amerikanischen Einwanderungsgebiet verschiedene Dialekträume. Ab etwa 1800 gehen Forscher von einer überregionalen Angleichung der Dialekte auf der Basis des Pfälzischen aus, das „Pennsylvania Dutch“ war entstanden. Pennsylvania-Deutsch ähnelt in seiner Grundstruktur stark dem Vorderpfälzischen und Kurpfälzischen zwischen Mannheim, Ludwigshafen, Speyer und Neustadt, allerdings gänzlich ohne die nach der Auswanderungswelle ins Pfälzische eingeflossenen französischen Wörter. Heute wird Pennsylvania Dutch vor allem von den Amischen und den Mennoniten alter Ordnung an die nächste Generation weitergegeben. Bis zu den beiden Weltkriegen war das Pennsylvania Dutch eine im Südosten Pennsylvanias relativ weit verbreitete Sprache mit etwa 800.000 Sprechern.

Erst antideutsche Maßnahmen und repressive Gesetze infolge der Weltkriege sowie der soziale Druck auf die Sprecher führten dazu, dass die Sprache in vielen Fällen nicht mehr an die folgende Generation weitergegeben wurde.

DER ARBEITSKREIS
2003 wurde in Ober-Olm der Deutsch-Pennsylvanische Arbeitskreis gegründet. Der Verein fördert den sprachlich-kulturellen Austausch zwischen dem deutschen und dem pennsylvanisch-deutschen Sprachraum. Seit 2006 gibt es auch eine Webseite auf Pennsylvania-Deutsch. Einige Autoren publizieren in der von Michael Werner vor 25 Jahren gegründeten pennsylvania-deutschen Zeitung „Hiwwe wie Driwwe“. Werner ist Sprachwissenschaftler, Publizist und Musiker. Er hat 2021 das Buch „Hiwwe wie Driwwe. Der Pennsylvania-Reiserverführer“ verfasst. Seit 2011 vergibt die Jury des Pfälzischen Mundartdichterwettstreits in Bockenheim als Sonderpreis den „Hiwwe wie Driwwe Award“ für pennsylvanisch-deutsche Literatur.

DIE UNTERSCHIEDE
Der unbestimmte Artikel ist immer „en“, also „en Mann“, „en Fraa“, „en Kind“ im Gegensatz zu „en Mann“, „e Fraa“, „e Kind“ im Vorderpfälzischen.

In Wörtern wie „kurz“ oder „dort“ erscheint der Vokal als Laut „a“, nicht als „oa“, also „katz“, „dat“ statt „koatz“, „doat“. Der Doppellaut „au“ wird in vielen Unterdialekten als langes „a“ gesprochen.

Lehnwörter aus dem amerikanischen Englisch werden meist wie deutsche Wörter benutzt: Englisch „to farm“ für „Landwirtschaft betreiben“ wird zu: „Als ich hab gefarmt“.

Tipps
Michael Werner: „Hiwwe wie driwwe. Der Pennsylvania Reiseverführer.“Agiro-Verlag Neustadt, 2021.

Mehr zum gleichnamigen Filmprojekt: hiwwewiedriwwe.com




Re: [Regionalforum-Saar] Der Ausundeinwanderer

Date: 2022/12/18 08:38:04
From: Hartmut Leibrock via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Hallo Roland,

das ist ein sehr interessanter Bericht.
Bei der Durchsicht der Unterlagen im Haus bin ich auf einen Verwandten gestoßen, der in Erie, Pennsylvania lebt bzw. lebte. Der ist ein Verwandter meines Opas, der aus der Pfalz stammt. Also ist er einer der vielen Auswanderer aus der Pfalz nach Pennsylvania. Sehr interessant.

Liebe Grüße und schönen 4. Advent
Hartmut 


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Am Samstag, Dezember 17, 2022, 15:26 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>:

Quelle: Rheinpfalz, 10.-11. Dezember 2022

Der Ausundeinwanderer

Zufälle gibt es: Da bewirbt sich ein junger US-Amerikaner um einen Job als Verfahrenstechniker in der Pfalz. Er bekommt die Anstellung und merkt erst nach der Ankunft , dass er in der alten Heimat seiner Familie gelandet ist. Denn seine Vorfahren sind Pennsylvanisch-Deitsche.
Von Stefan Keller

Der US-Amerikaner Erich Mace aus Pennsylvania, seine Frau Erin und seine Tochter Eva kommen Ende November 2018 in Frankenthal an.

Mace, heute 40 Jahre alt, hat in den USA Deutsch und Verfahrenstechnik studiert und ist dort auch auf das JobAngebot in der Alten Welt gestoßen.

Inzwischen arbeitet er in Teilzeit bei der Firma Worley, einem BASF-Partnerunternehmen, in der Anilin in Ludwigshafen. Parallel promoviert er an der FU Berlin. Seine Frau Erin ist Englischlehrerin an einer Internationalen Schule in Viernheim. Die heute 36Jährige stammt aus Michigan. In der Stadt fühlen sie sich sofort bestens aufgenommen. „Die Menschen sind offen und freundlich“, sagt Erin Mace.

Was beiden US-Amerikanern nicht klar ist, als sie in der Pfalz ankommen: Die Familie ist in der Heimat ihrer Vorfahren gelandet, wo inzwischen auch ihr heute fünf Monate alter Sohn Steven geboren ist. Erich Maces Eltern und Großeltern leben im Umland der 95.000 Einwohner zählenden Industriestadt Reading in Pennsylvania, im „Pennsylvanisch-Deitsche Land“, wo Hunderttausende Menschen eine Sprache sprechen, die dem Pfälzischen eng verwandt ist.

Auch Erich Mace kennt diese Sprache von Kindesbeinen an, in der er inzwischen sogar Lieder schreibt, um sie bewahren zu helfen. Stellt sich die Frage, warum er erst in Ludwigshafen und Frankenthal bemerkt hat, dass er mitten in der eigenen Familiengeschichte gelandet ist. Warum er also trotz enger historischer Verbindung ziemlich blind war für den Ursprung dieser Wurzeln, als er und seine Familie in der Pfalz einen neuen Anfang wagten.

Erich Mace erzählt, dass sich seine Großeltern gar nicht gern zu ihrer eigenen Herkunft bekennen. Viele ausgewanderte Deutsche und die Generationen danach hätten amerikanisches Englisch mit starkem deutschen Akzent und durchaus fehlerbehaftet gesprochen. Dafür seien sie von den Einheimischen kritisiert und für nicht gerade clever gehalten worden.

„Deitsch ist dumm“, heißt ein Lied, das Erich Mace geschrieben hat. Darin erklärt er, wie es sich anfühlt, von oben herab betrachtet zu werden. Die ältere Generation – auch Maces Großeltern – habe das den Jungen ersparen wollen. Die Erfahrungen der USA mit Nazi-Deutschland trugen ebenfalls dazu bei, dass Pennsylvanisch-Deitsche ihren möglichen Stolz auf ihre deutschen Wurzeln nicht unbedingt gerne zur Schau getragen haben.

Auch wenn seine Eltern – „Mei Daadi ist Vermögensberater gewest und meine Maami Abwaerdern, also Krankenschwester“ – schon viel offener mit der Sprache aus der Alten Welt und der eigenen Vergangenheit umgegangen seien, habe das alles dazu geführt, dass Erich Mace bis heute noch nicht weiß, von wo ganz genau aus sich seine Ahnen vor gut 300 Jahren über den Atlantik aufgemacht haben. Vielleicht wird er es auch nie erfahren.

In der neuen Heimat in Frankenthal pflegen die Maces nun den gesamten Sprachschatz ihrer Familie. Erin Mace redet mit den Kindern nur Amerikanisch, Erich Mace spricht bewusst PennsylvanischDeitsch, Hochdeutsch und Frankenthaler Pfälzisch. Es soll nichts vergessen und es soll nichts unter den Tisch gekehrt werden. Maßgeblich geholfen, die Pfalz für sich verorten zu können, hat dem jungen Ehepaar der Film „Hiwwe wie driwwe“ von Benjamin Wagener (Schwegenheim) und Christian Schega (Landau), der 2019 die Region begeistert und vielen Pfälzern die Auswandergeschichte witzig-ironisch, aber auch informativ näherbrachte.

In „Hiwwe wie driwwe“ hatte sich der US-amerikanische und pennsylvanisch-deitsche Deutschlehrer Douglas Madenford als Hauptdarsteller auf Spurensuche begeben. Am 24. April 2019 feierte der Streifen, gedreht in Pennsylvania rund um die pennsylvanisch-deitsche Hochburg Kutztown mit seinem Heritage-Center sowie in der Pfalz, eine umjubelte Premiere in Landau.

Erich und Erin sehen den Streifen im Frühjahr 2019 und sind vollkommen überrascht: „Wir haben darin unsere Heimat gesehen, Straßen, die wir kannten, Städte und die Gegend, aus der wir kommen“, berichten sie im Gespräch mit der RHEINPFALZ am SONNTAG. Und sie stellten fest: Die Pfalz rund um Ludwigshafen ähnelt auch landschaftlich der alten Heimat sehr. Die 1748 gegründete Stadt Reading ist der Verwaltungssitz von Berks County im „Rust Belt“, dem „Rostgürtel“, der ältesten und größten Industrieregion im Nordosten der Vereinigten Staaten, die sich über mehrere Staaten erstreckt und in weiten Teilen ländlich geprägt ist. Im Film erkennt Erich Mace mit Doug Madenford auch seinen zwei Jahre älteren Schulkameraden wieder. Beide hatten in den USA denselben Deutschlehrer, sind später zeitweise sogar Kommilitonen. Das alles weckt bei Erich Mace Heimatgefühle und das Interesse an der eigenen Sprache und der Geschichte noch einmal neu.

Das Ehepaar Mace hat die RHEINPFALZ am SONNTAG zum Mittagessen mit einem Festtagsgericht aus der Heimat eingeladen: Auf dem Tisch stehen „Buweschenkel“, eine Schüssel „Gummerselaat“ und „Rotrieweoier“. Das sind große gefüllte Ravioli, hartgekochte Eier in Rote-BeteSalat und Gurkensalat. Sofort sind die Bezeichnungen Gesprächsthema.

„Mir sagen Gummer zur Gurke, wie heißt bei euch die Ernte?“, fragt Erich.

„Gummere sagen wir auch, antwortet der Autor. Und die werden „gerobbt“.

„Wie bei uns“, sagt Erich. „Buweschenkel“ bezeichnet die Form der Nudel. Das schwäbische Wort „Buwespitzle“ für Schupfnudeln kennen die Maces noch nicht. Aber die Erklärung sorgt natürlich für Heiterkeit.

Zum Innenleben der Nudeln. Mace holt eine Schüssel aus der Küche und erklärt: „Des isch es Fillsel.“ Klingt wie in der Pfalz: „Das“ wird durch „es“ ersetzt. „Die Englischen sagen ,Dutch potato filling’“. Die Zutaten sind laut Erich und Erin: „Grumbeere, altes Brot, Zwiwwle, Sellerie, Budder, Salz un Peffer.“ Übergossen mit flüssiger Butter ist das Ganze sehr schmackhaft und macht ziemlich satt.

Mace hat Chemie und Mathematik studiert, Nebenfach Deutsch. „Mein Deutschunterricht hat mir in der High School gut gefallen, und neben den familialen Gründen fand ich, dass Deutsch immer noch im Bereich Chemie und Ingenieurwissenschaften relevant war.“ Das war jedenfalls seine eigentliche Motivation, eine Arbeitsstelle in Deutschland anzunehmen.

„Was wären die Mathematik und Chemie ohne Kepler, Gauß, Leibniz, Helmholtz, Einstein, Heisenberg und Haber oder die Weltwirtschaft ohne Bayer, die BASF und Linde?“, fragt er am Esstisch rhetorisch und in gesprochenem Schriftdeutsch – bevor er lässig wieder ins Pennsylvanisch-Deitsche wechselt, das nach offiziellen Angaben heute noch rund 400.000 Menschen in den Vereinigten Staaten sprechen, darunter viele Amische und Mennoniten.

Erich Mace kennt viele von ihnen aus seinem früheren Leben. „Die Amishe leben noch immer sehr abgeschlossen für sich auf ihren ,Bauereien’“, – ihren Bauernhöfen. Dort bleibe die Sprache weiter urtümlich erhalten, auch weitgehend unbeeinflusst vom starken Tourismus in der Region oder modernen Entwicklungen.

Maces eigene Familie ist dagegen evangelisch-freikirchlich geprägt.

„Die sogenannten ,fancy’ Pennsylvanisch-Deitschen waren schon immer stärker der Welt zugewandt, blieben nie nur unter sich“, erklären Mace und seine Frau Erin. „Fancy“ bedeutet „schick“ und hat oft auch einen leicht ironischen Unterton.

Erich und Erin Mace sind fest überzeugt, dass sich die Sprache Pennsylvanisch-Deitsch weiter verändern wird. „Es gibt zum Beispiel in der alten Sprache keine Worte für alle technischen Neuerungen“, erklärt Mace.

„Dafür werden die englischen einfließen.“ Oder es werden neue erfunden.

Umso wichtiger sei es, viel Textliches in Pennsylvanisch-Deitsch zu veröffentlichen, um den aktuellen Zustand zu dokumentieren und zu archivieren, fordert er.

Mace freut sich, dass aktuell neue Bücher, auch Kinderbücher, in der Sprache seiner Vorfahren aufgelegt werden. Er wünscht sich, dass sich die Menschen auf beiden Seiten des Großen Teichs ihre Vergangenheit, ihre Herkunft sowie ihre enge Beziehung und die Unterschiede bewusst machen – um sich miteinander besser zu verstehen.

Und Erich Mace will alle Bemühungen in diese Richtung unterstützen – was ihn zurück zum Filme „Hiwwe wie Driwwe“ bringt. „Dieser Film war auch ganz wichtig für den Erhalt und das Fixieren der Sprache und der Kultur“, ist Mace überzeugt. Seine Frau und er sind jedenfalls bereits gespannt auf Teil zwei. Laut Regisseur Wagener soll er voraussichtlich Anfang 2024 ins Kino kommen.

„Wir verfolgen die Dreharbeiten und freuen uns auf die neuen Gemeinsamkeiten und Unterschiede“, sagt Erich Mace, und seine Frau Erin stimmt ihm nickend zu.

EIN LIED, EIN GEDICHT
Erich Mace engagiert sich inzwischen stark fürs Pennsylvanisch-Deitsche. Schon immer habe er Texte und Lieder geschrieben, erzählt er, denn er spielt Gitarre, Bass, Schlagzeug und Klavier. Der Herausgeber der Zeitung „Hiwwe wie Driwwe“, Michael Werner, (Nieder-Olm), habe ihn dazu ermuntert, auch Lieder „in seller Sprooch“ zu schreiben.

In seinem Lied „Zwee Seide vun ́em Silwerschtick“, das er bei den Bockenheimer Mundarttagen vorstellte, schildert Mace seine Situation:

Ich kenn zwee Seide vun em Silwerschtick.
Sie kenne enanner gar net sehne,
Doch in der Midde sin sie vergnippt
Un es gebt dausend Silwerschticker in em Regge.

ALTE SPRACHE NEUE WELT

PENNSYLVANISCH-DEUTSCH
Um religiöser Verfolgung zu entgehen, sind vor allem im 18. Jahrhundert Mitglieder verschiedener protestantischer Glaubensrichtungen wie Mennoniten und Pietisten nach Pennsylvanien ausgewandert. Viele stammten aus der historischen Kurpfalz, aber auch aus den angrenzenden Gebieten in Baden, Württemberg, der deutschsprachigen Schweiz und dem Elsass. Zunächst gab es im US-amerikanischen Einwanderungsgebiet verschiedene Dialekträume. Ab etwa 1800 gehen Forscher von einer überregionalen Angleichung der Dialekte auf der Basis des Pfälzischen aus, das „Pennsylvania Dutch“ war entstanden. Pennsylvania-Deutsch ähnelt in seiner Grundstruktur stark dem Vorderpfälzischen und Kurpfälzischen zwischen Mannheim, Ludwigshafen, Speyer und Neustadt, allerdings gänzlich ohne die nach der Auswanderungswelle ins Pfälzische eingeflossenen französischen Wörter. Heute wird Pennsylvania Dutch vor allem von den Amischen und den Mennoniten alter Ordnung an die nächste Generation weitergegeben. Bis zu den beiden Weltkriegen war das Pennsylvania Dutch eine im Südosten Pennsylvanias relativ weit verbreitete Sprache mit etwa 800.000 Sprechern.

Erst antideutsche Maßnahmen und repressive Gesetze infolge der Weltkriege sowie der soziale Druck auf die Sprecher führten dazu, dass die Sprache in vielen Fällen nicht mehr an die folgende Generation weitergegeben wurde.

DER ARBEITSKREIS
2003 wurde in Ober-Olm der Deutsch-Pennsylvanische Arbeitskreis gegründet. Der Verein fördert den sprachlich-kulturellen Austausch zwischen dem deutschen und dem pennsylvanisch-deutschen Sprachraum. Seit 2006 gibt es auch eine Webseite auf Pennsylvania-Deutsch. Einige Autoren publizieren in der von Michael Werner vor 25 Jahren gegründeten pennsylvania-deutschen Zeitung „Hiwwe wie Driwwe“. Werner ist Sprachwissenschaftler, Publizist und Musiker. Er hat 2021 das Buch „Hiwwe wie Driwwe. Der Pennsylvania-Reiserverführer“ verfasst. Seit 2011 vergibt die Jury des Pfälzischen Mundartdichterwettstreits in Bockenheim als Sonderpreis den „Hiwwe wie Driwwe Award“ für pennsylvanisch-deutsche Literatur.

DIE UNTERSCHIEDE
Der unbestimmte Artikel ist immer „en“, also „en Mann“, „en Fraa“, „en Kind“ im Gegensatz zu „en Mann“, „e Fraa“, „e Kind“ im Vorderpfälzischen.

In Wörtern wie „kurz“ oder „dort“ erscheint der Vokal als Laut „a“, nicht als „oa“, also „katz“, „dat“ statt „koatz“, „doat“. Der Doppellaut „au“ wird in vielen Unterdialekten als langes „a“ gesprochen.

Lehnwörter aus dem amerikanischen Englisch werden meist wie deutsche Wörter benutzt: Englisch „to farm“ für „Landwirtschaft betreiben“ wird zu: „Als ich hab gefarmt“.

Tipps
Michael Werner: „Hiwwe wie driwwe. Der Pennsylvania Reiseverführer.“Agiro-Verlag Neustadt, 2021.

Mehr zum gleichnamigen Filmprojekt: hiwwewiedriwwe.com




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Regionalforum-Saar(a)genealogy.net
https://list.genealogy.net/mm/listinfo/regionalforum-saar

[Regionalforum-Saar] Neuer Film über die coburgisc he Herzogin Luise

Date: 2022/12/28 20:41:13
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Neuer Film über die coburgische Herzogin Luise

heute in Saarbrücker Zeitung, Kultur in der Region, B6

Einen breiten Blick auf Kurzfilme von jungen Filmemacherinnen und Filmemachern, ob sie nun an Hochschulen oder unabhängig entstanden sind – den will die Shortlist beim kommenden Filmfestival Max Ophüls Preis (23. bis 29. Januar) bieten. Fünf Kurzfilmprogramme sind geplant, eines davon zeigt fünf Filme aus der Großregion.

Im Saarland entstand der Animationsfilm „Herzogin Luise“ von Lydia Kaminski, 15 Minuten lang, eine Uraufführung, gefördert von den Saarland Medien. Kaminski erzählt die Geschichte der Herzogin Luise von Sachsen-Coburg-Saalfeld, die 1817 den 16 Jahre älteren Herzog Ernst von Coburg heiratet; der nimmt es mit ehelicher Treue nicht sehr genau, zugleich werden Luise Affären unterstellt – sie wird nach St. Wendel verbannt. In dem Film sind die Stimmen von Katharina Bihler, Juliane Lang, Hans Georg Körbel und Jan Eiko zur Eck zu hören, die Musik schrieben Katharina Bihler und Stefan Scheib.

Quelle: https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saar-kultur/filmfestival-max-ophuels-preis-zeigt-filme-aus-saar-lor-lux_aid-81968399

[Regionalforum-Saar] über die Synagoge in St. We ndel

Date: 2022/12/28 21:04:10
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

heute morgen im St. Wendeler Teil der Saarbrücker Zeitung:

Vor 120 Jahren gefeiert, vor 84 Jahren zerstört

Von Evelyn Schneider

Innen war das Gotteshaus feierlich geschmückt und es erklang Chorgesang an jenem zweiten Weihnachtstag, an dem es etwas Besonderes zu feiern gab. Und zwar die Einweihung des neuen Hauses des Gebets, das „Im Kelsweiler“ erbaut worden war. Im Jahre 1902. Jene Feier liegt 120 Jahre zurück. Das Gebäude, das damals unter „den Schutz der Stadt gestellt wurde“, gibt es nicht mehr. Es war die jüdische Synagoge, an die heute eine Stele in der Kelsweilerstraße erinnert. Ein Blick zurück.

Um 1860 stand die Stadt St. Wendel wirtschaftlich gut da, was auch dazu führte, dass sich jüdische Kaufleute hier ansiedelten. Darunter auch die Brüder Max und Samuel Daniel. Letzterer gründete das bekannte Kaufhaus S. Daniel in der Luisenstraße. Dort, wo heute die Dom-Galerie zu finden ist. „Bereits im Jahr 1869 gab es den Wunsch nach einer Synagoge“, berichtet Nicolas Pontius vom Stadtarchiv St. Wendel. Doch sollte dieser erst 33 Jahre später erfüllt werden.

Am 2. Februar 1902 reichte die israelitische Gemeinde den Antrag zum Bau einer Synagoge bei der Stadt ein. Dieser liegt im Archiv ebenso vor wie ein zuvor gestellter Antrag zur Erlangung der Korporationsrechte (das einer Körperschaft verliehene juristische Recht), den 19 Familien (mit 95 Personen) unterschrieben hatten. Durch ihre Mitgliedsbeiträge sollte der Bau finanziert werden.

Mehrere Zeichnungen, teils mit Maßangaben versehen, und ein Lageplan liegen auf dem Tisch im Stadtarchiv ausgebreitet. „Davon abgesehen, gibt es noch eine Postkarte, welche die Synagoge zeigt“, sagt Pontius. Fotografien liegen keine vor. Die Entwürfe für den sakralen Bau stammen von Architekt Hans Zeeh, als Bauherren fungierten Hermann Bonem sowie Michel und Moriz Rothschild.

Die Erlaubnis, eine Synagoge zu errichten, wurde am 9. September 1902 erteilt. „Wir gehen davon aus, dass kurz darauf die Arbeiten begannen“, so Pontius. Die nächste interessante Aktennotiz datiert vom 17. November. „Hier haben wir den Hinweis, dass der Rohbau bereits fertig gestellt war“, sagt Historikerin Andrea Recktenwald. Neben Akten, Anträgen und Bauunterlagen dienten dem Team des Stadtarchivs vor allem alte Zeitungsartikel als Quellen. So sind es die Nahe- und Blies-Zeitung sowie das St. Wendeler Volksblatt, die über die Einweihung der Synagoge berichten. Im Vorfeld und auch nach den Feierlichkeiten. Hierin ist stets vom 26. Dezember die Rede.

Doch kursiert auch ein zweites Datum im Zusammenhang mit der Synagogen-Einweihung: der 6. Dezember. Dieses wird beispielsweise in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 23. Januar 1903 genannt. „Dort ist vom ,6. vorigen Monats‘ die Rede“, weiß Recktenwald. Sie geht schlichtweg von einem Druck- oder Übermittlungsfehler aus. In den übrigen Quellen ist nämlich nicht nur vom 26.Dezember, sondern auch konkret vom zweiten Weihnachtstag die Rede. Außerdem wäre der Abstand zwischen Rohbau und einer Vollendung der Arbeiten zum 6. Dezember doch sehr gering gewesen.

Was ist nun bekannt vom Ablauf der Feier zu Ehren der neuen Synagoge? Übereinstimmend wird in Artikeln von Fahnen berichtet. „Es hat eine kurze Prozession gegeben und anschließend einen Einweihungsgottesdienst“, schildert die Historikerin. Zu den Ehrengästen zählte der damalige St. Wendeler Bürgermeister Karl Alfred Friedrich. Er war es auch, der den Quellen zufolge, das Gotteshaus unter den Schutz der Stadt stellte. Ein Versprechen, das am 10. November 1938 nicht mehr gelten sollte.

Neben dem Gottesdienst gehörten auch ein Konzert und tags drauf ein Ball zu den Feierlichkeiten Ende 1902. „Es gab insgesamt eine positive Berichterstattung“, sagt Pontius. In der Folge ließen sich keine weiteren Aktivitäten rund um die Synagoge finden. Erst 1922 wird diese erneut erwähnt. Anlass ist dieses Mal die Einweihung einer Gedenktafel mit den Namen der „im Kampf ums Vaterland“ gefallenen Söhne.

13 Jahre später änderte sich die Situation für die jüdische Gemeinschaft in St. Wendel entschieden. Nachdem sich am 13. Januar 1935 bei der Saarabstimmung 90,4 Prozent der abgegebenen Stimmen für die Rückkehr zum Deutschen Reich ausgesprochen hatten, galt nun auch hier die NS-Gesetzgebung. Die Mehrheit der jüdischen Bürger verließ in der Folge die Stadt. In einem Artikel des St. Wendeler Volksblatts vom 7. Oktober 1938 ist die Rede davon, dass die jüdische Gemeinde von einst etwa 90 auf neun Köpfe herabgesunken sei. Der Verpflichtung zum Erhalt der Synagoge könne sie nicht mehr nachkommen. Seit geraumer Zeit habe es keinen Gottesdienst mehr gegeben. Es wird von „zerbrochenen Fensterscheiben“ und einem „verwahrlosten Vorgarten“ berichtet.

Als Reichspogromnacht ist der 9. November 1938 in die Geschichte Deutschlands eingegangen. Damals wurden unter anderem jüdische Geschäfte geplündert, Synagogen in Brand gesteckt. Dieses Schicksal ereilte auch das St. Wendeler Gotteshaus – allerdings erst am 10. November. Quellen besagen, dass die Feuerwehr an jenem Abend zwar angerückt sei, doch nicht, um die Flammen zu löschen, sondern benachbarte Häuser davor zu schützen.

Das, was von der Synagoge übrig geblieben war, wurde in der Folge abgerissen – „aus sicherheitspolizeilichen Gründen“ wie in einer Notiz im St. Wendeler Volksblatt vom 25. November 1938 zu lesen war. In einem weiteren Artikel aus dem Jahr 1939 heißt es lapidar: „In St. Wendel wurde in der Kelsweilerstraße eine Baustelle frei.“ Wie die Lücke geschlossen werden solle, sei noch nicht entschieden.

„1941 bestand die jüdische Gemeinde in St. Wendel nicht mehr“, sagt Pontius. Seit 2016 erinnert eine Stele an die Synagoge, die 36 Jahre zum Stadtbild St. Wendels dazugehört hatte.

Zusatz:

Seit 2016 gibt es in Höhe der Hausnummer 13 in der Kelsweilerstraße in St. Wendel eine Stele aus afrikanischem Naturstein. Sie erinnert an die jüdische Synagoge, die von 1902 bis 1938 hier stand. Als diese erbaut wurde, führte an dem dafür vorgesehenen Grundstück (Im Flur 5 Parzelle Nr. 245/200) noch die Straße „von Saarbrücken nach Bingen“ vorbei. So zumindest ist es in einem Lageplan vermerkt, der dem St. Wendeler Stadtarchiv vorliegt. Das Gebiet wurde zu jener Zeit „Im Kelsweiler“ genannt. 1909 erhielt die Straße den Namen Kelsweilerstraße, der bis heute geblieben ist.

[Regionalforum-Saar] die Synagoge in St. Wendel, Zusatz 1

Date: 2022/12/28 21:05:13
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Zu dem Artikel heute morgen in der Zeitung gibt es zwei Notariatsakte, die den Kauf des Grundstücks sowie den Bau der Synagoge betreffend.

„Notar Wiese
416
04.02.1892

Balthasar Jacob, Handelsmann zu St. Wendel, verkauft an
1. Samuel Daniel, Kaufmann, und Ehefrau Karolina Koppel, St. Wendel
2. Wendel Schoemann, Kaufmann, und Ehefrau Sarah Berl, St. Wendel
3. Borg Borg, Handelsmann, und Ehefrau Lisette Simon, St. Wendel
4. Jacob Sender, Metzger; und Ehefrau Karolina Sender, St. Wendel
5. Bernhard Hermann, Metzger, und Ehefrau Bertha Wolf, Alsfassen
6. Abraham Alexander, Metzger, und Ehefrau Karolina Adler, St. Wendel
7. Alphons Wolf, Kaufmann, und Ehefrau Regina Meyer, St. Wendel
8. Michel Rothschild, Handelsmann, und Ehefrau Viola August, St. Wendel
9. Julius Sender, Handelsmann, und Ehefrau Ida Jacob, St. Wendel
10. Hermann Weyl, Kaufmann, und Ehefrau Mathilde Kahn, St. Wendel
11. Moritz Jacob, Handelsmann, und Ehefrau Jetta Haas, St. Wendel
12. Hermann Bonem, Kaufmann, ledig, St. Wendel
13. Leopold Borg, Handelsmann, und Ehefrau Klara Henne, St. Wendel
als gemeinschaftliche Ankäufer.

Flur 5 Nr. 245/200
in Kelzweiler
Garten
10 ar 28 Meter
unter Eduard Jochem und Josef Knoll
zum Preise von 2800 Mark

Dieses Grundstück solle als Bauplatz für eine noch zu errichtende Synagoge dienen.

Die von 1.-13. genannten erwerben je ein 14tel und werde somit Miteigentümer.

-----------------------

Notar Thiel
251
11.04.1902

I. Moritz Rothschild, Handelsmann in St. Wendel, in eigenem Namen und als Bevollmächtigter von
1. Karolina Koppel, Witwe von Samuel Daniel in St. Wendel
2. Milian Daniel, Kaufmann in St. Wendel
3. Eheleute Hermann Bonem, Kaufmann in St. Wendel, und Delphine Daniel
4. Eheleute Julius Stern, Kaufmann in Lebach, und Ehefrau Emma Daniel
5. Fritz Daniel, Kaufmann in St. Wendel
5. (doppelt vergeben) Eheleute Leopold Borg, Handelsmann in St. Wendel, und Clara Henne
6. Babetta Simon, Witwe von Borg Borg in St. Wendel, in eigenem Namen
7. Salomon Borg, Handelsmann in St. Wendel
8. Simon Borg, Handelsmann in St. Wendel
9. Emma Borg, ledig in St. Wendel
10. Ida Borg, Ladengehülfin, früher in Furschweiler, jetzt in Wiesbaden wohnend (* 29.7.1878 St. Wendel )
11. Eheleute Richard Hermann, Handelsmann in Ottweiler, und Bertha Wolff
12. Eheleute Abraham Alexander, Metzger in St. Wendel, und Karolina Adler
13. Karolina Sender, Witwe von Metzger Jakob Sender in St. Wendel
14. Max Josef Schoemann, Kaufmann zu McLeansboro, Hamilton County, Illinois , America (Vollmacht liegt bei)
15. Siegmund Schoemann, Kaufmann zu Moline, Rock Island County, Staat Illinois in America (Vollmacht liegt bei)
16. Sara Berl, Mörchingen, Witwe des Mendel Schoemann, gestorben in St. Wendel, in eigenem Namen und als Gewalthaberin und gesetzliche Vertreterin ihres minderjährigen Sohnes Julius Schoemann aus der o.a. Ehe
17. Gertrude Schoemann, ledig, Ladengehülfin in Mörchingen
18. Eheleute Hermann Weil, Kaufmann in Metz, und Mathilde Juliane Kahn

II. Alphons Wolff, Kaufmann in St. Wendel, und Ehefrau Regina Meyer
III. Eheleute Balthasar Jacob, Handelsmann in St. Wendel, und Karolina Wolff
IV. Eheleute Michel Rothschild, Handelsmann in St. Wendel, und Wiola August
V. Eheleute Julius Sender, Handelsmann in St. Wendel, und Ida Jacob
VI. Eheleute Moritz Jacob, Handelsmann in St. Wendel, und Henriette Haas
VII. Siegmund Sender, Metzger in St. Wendel, für sich und als Bevollmächtigter seines Schwagers Abraham Wolff, Kaufmann in Köln

der genannte Hermann Bonem ist ebenfalls miterschienen

Michel Rotschild, Moritz Rotschild und Hermann Bonem als Baukommission der israelischen Gemeinde St. Wendel schließen mit Nikolaus Vollmann als Bauunternehmer einen Vertrag ab.

Artikel 1:
Vollmann übernimmt für die isrealitische Gemeinde zu St. Wendel die schlüsselfertige Herstellung einer Synagoge nach Maßgabe der vorliegenden Zeichnungen und des Kostenanschlages sowie des von ihm eingerichten Preisangebotes zum Gesamtpreis von 15.940 Mark 03 Pfennig.“

Hinsichtlich der Zerstörung der Synagoge bzw. der 10 Jahre darauf erfolgten Untersuchung der Geschehnisse im Oktober 1938 verweise ich auf mein Buch „Untersuchung zum Brand der Synagoge in St. Wendel 1947-1950“, erschienen 2013 in St. Wendel.


[Regionalforum-Saar] die Synagoge in St. Wendel, Zusatz 2

Date: 2022/12/28 21:12:06
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Am 27. Dezember 1902 berichtete die Nahe-Blies-Zeitung unter "Lokales und Vermischtes", was sich am Tag zuvor, einem Freitag, in der Kelsweilerstraße zugetragen hatte:

 

"Die Einweihung der neuen Synagoge fand heute Nachmittag in feierlichster Weise statt. Um ½3 Uhr hatte sich vor der alten Synagoge ein Festzug aufgestellt, in dem der Reihe nach die Festordner, die Schuljugend, die Regimentskapelle des 30. Inf.-Rgts, der Synagogenchor, die Schlüsselträgerin mit zwei Begleiterinnen, weißgekleidete Mädchen, der Vorstand der Gemeinde, die Thorarollen, getragen von den ältesten Gemeindemitgliedern, der Rabbiner Lewit aus Birkenfeld, Obercantor Fuchs aus Luxemburg, Cantor Fuchs, die Ehrengäste, unter denen wir die Herren Landrat Dr. Momm, Bürgermeister Friedrich, Pfarrer Back, Direktor Dr. Baar u.a. bemerkten, die Baukommission, Bauunternehmer und Architekt und schließlich die Gemeinderatsmitglieder folgten. Der Zug bewegte sich unter den Klängen eines Chorals bis an den Bahnübergang in der Kelsweilerstraße und dann zurück nach dem neuen Gotteshause. Hier angekommen überreichte die kleine Schülerin Emma Rothschild mit hübsch gewählten Worten dem Rabbiner den Schlüssel; dieser warf einen Rückblick auf die vergangenen Jahre, in denen in der jüdischen Gemeinde immer mehr der Wunsch nach dem Besitze eines eigenen Gotteshauses laut geworden sei. Dieser Wunsch ist heute erfüllt und er übergebe mit Freuden dem Vorstand der Gemeinde den Schlüssel, um nunmehr Besitz zu ergreifen von dem Gotteshause. Herr Moritz Rothschild übernahm den Schlüssel, dankte allen Feststeilnehmern für ihr zahlreiches Erscheinen, insbesondere den Behörden, und überreichte den Schlüssel Herrn Bürgermeister Friedrich, indem er die Synagoge in den Schutz der Stadt stellte. Letzterer versprach dem neuen Gotteshause den Schutz der Stadt und drückte der Gemeinde seine besten Wünsche aus. Hierauf eröffnete er die Pforte der Synagoge, die aufs schönste geschmückt und feierlich erleuchtet war. Nachdem der Rabbiner, der Cantor, der Vorstand und die Thora-Rollenträger vor die heilige Lade getreten waren, begann die Weihe des Gotteshauses durch ein Präludium, dem ein Begrüßungsgesang des Synagogenchores und ein dreimaliger Umzug mit den Thorarollen unter Chorgesang folgte. Hierauf sang der Obercantor Fuchs aus Luxemburg die Verkündigung des Bekenntnisses, nach welchem der Geistliche die Thorarollen in die heilige Lade einsetzte und dann die ewige Lampe anzündete, worauf die heilige Lade geschlossen wurde. Nach einem recht gut vorgetragenen Chorgesang "Ich will den Herrn loben" hielt Herr Landesrabbiner Lewit die Festpredigt, welcher die Versammelten andächtig zuhörten. Als diese beendet war, sang der Synagogenchor das herrliche Lied "Herr, deine Güte reicht soweit", der Geistliche betete für Kaiser und Vaterland und sprach dann noch ein Schlußweihegebet. Die offizielle Einweihungsfeier war damit zu Ende, und es folgte daran anschließend der Sabbatgottesdienst, dem auch die Ehrengäste anwohnten. Wir dürfen wohl sagen, daß die Feier einen außerordentlich guten Eindruck machte und wir möchten auch unsererseits der jüdischen Gemeinde unsere besten Wünsche zu dem Gelingen des gesegneten Werkes ausdrücken."

[Regionalforum-Saar] 1780-1796 Neubürgeraufnahme u nd Altbürgerentlassung in St. Wendel

Date: 2022/12/30 10:54:01
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Morgen,

vor 30 Jahren hat Pastor Rudolf Gerber Teile dieser Akte transkribiert und mir Anfang der 1990er die Daten zur Verfügung gestellt.

=> http://www.hfrg.de/index.php?id=1132       

--
Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

--------------------

Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de

[Regionalforum-Saar] Link funzt so nicht: 1780-1796 N eubürgeraufnahme und Altbürgerentlassung in St. Wen del. muß ich ändern.

Date: 2022/12/30 13:36:05
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Hallo, der Link funktioniert so nicht. Werde ich heute abend ändern.

Roland


Am 30.12.2022 um 10:53 schrieb Roland Geiger:

Guten Morgen,

vor 30 Jahren hat Pastor Rudolf Gerber Teile dieser Akte transkribiert und mir Anfang der 1990er die Daten zur Verfügung gestellt.

=> http://www.hfrg.de/index.php?id=1132       

--
Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

--------------------

Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de

[Regionalforum-Saar] 1780ff Bürgereid, Neub ürger, Altbürger, Bürgerschaft in St. Wend el.

Date: 2022/12/30 19:24:50
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Abend,

vor 30 Jahren hat Pastor Rudolf Gerber Teile dieser Akte transkribiert und mir Anfang der 1990er die Daten zur Verfügung gestellt.

http://www.hfrg.de/index.php?id=860
1780 Bürgerlicher Eyd der Statt St: Wendel

http://www.hfrg.de/index.php?id=1132
1780-1796 Neubürgeraufnahme und Altbürgerentlassung

http://www.hfrg.de/index.php?id=1135
1783 Bürgerschafft Sanct Wendel und Hintersassen nach dem A:B;C

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] 1902 Vertrag zum Bau der Synagoge in St. Wendel

Date: 2022/12/30 22:29:53
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

[Landesarchiv Saarbrücken, Notariat St. Wendel, Notar Thiel, Nr. 251 vom 11.04.1902]

Heute den elften April 1902 erschienen vor dem unterzeichneten zu St. Wendel im Oberlandesgericht Cöln wohnenden Notar Gustav Walther Thiel:

I. Moritz Rothschild, Handelsmann in St. Wendel, handelnd als Bevollmächtigter
1. Karolina Koppel, Witwe von Samuel Daniel in St. Wendel
2. Milian Daniel, Kaufmann zu St. Wendel
3. Eheleute Hermann Bonem, Kaufmann in St. Wendel, und Delphine Daniel
4. Eheleute Julius Stern, Kaufmann in Lebach, und Ehefrau Emma Daniel,
5. Fritz Daniel, Kaufmann in St. Wendel
5. (doppelt vergeben) Eheleute Leopold Borg, Handelsmann in St. Wendel, und Clara Henne
6. Babetta Simon, Witwe von Borg Borg in St. Wendel, in eigenem Namen und als Bevollmächtigte ihres Sohnes Max Borg, Buchhalter in New York wohnend
7. Salomon Borg, Handelsmann in St. Wendel
8. Simon Borg, Handelsmann in St. Wendel
9. Emma Borg, ledig in St. Wendel
10. Ida Borg, Ladengehülfin, früher in Dudweiler, jetzt in Wiesbaden wohnend (* 29.7.1878 St. Wendel )
11. Eheleute Richard Hermann, Handelsmann in Ottweiler, und Bertha Wolff
12. Eheleute Abraham Alexander, Metzger in St. Wendel, und Karolina Adler
13. Karolina Sender, Witwe von Metzger Jakob Sender in St. Wendel
14. Max Josef Schoemann, Kaufmann zu zu McLeansboro, Hamilton County, Illinois , America (Vollmacht liegt bei)
15. Siegmund Schoemann, Kaufmann zu Moline, Rock Island County, Staat Illinois in America (Vollmacht liegt bei)
16. Sara Berl, Mörchingen, Witwe des Mendel Schoemann, gestorben in St. Wendel, in eigenem Namen und als Gewalthaberin und gesetzliche Vertreterin ihres minderjährigen Sohnes Julius Schoemann aus der o.a. Ehe
17. Gertrude Schoemann, ledig, Ladengehülfin in Mörchingen
18. Eheleute Hermann Weil, Kaufmann in Metz , Gartenstraße 27-29, und Mathilde Juliane Kahn (Vollmacht liegt bei)

II. Alphons Wolff, Kaufmann in St. Wendel, und Ehefrau Regina Meyer
III. Eheleute Balthasar Jacob, Handelsmann in St. Wendel, und Karolina Wolff
IV. Eheleute Michel Rothschild, Handelsmann in St. Wendel, und Wiola August
V. Eheleute Julius Sender, Handelsmann in St. Wendel, und Ida Jacob
VI. Eheleute Moritz Jacob, Handelsmann in St. Wendel, und Henriette Haas
VII. Siegmund Sender, Metzger in St. Wendel, für sich und als Bevollmächtigter seines Schwagers Abraham Wolff, Kaufmann in Köln
der genannte Hermann Bonem ist ebenfalls miterschienen
Einerseits

B, anderseits Nikolaus Vollmann, Unternehmer zu Urweiler wohnend.

Die vorgenannten erschienenen Michel Rothschild, Moritz Rothschild und Hermann Bonem als Baukommission der israelitischen Gemeinde St. Wendel sowie der genannte Nikolaus Vollmann als Bauunternehmer erklärten:
zwischen der Baukommission und dem Unternehmer Nikolaus Vollmann wird heute folgender Vertrag abgeschlossen:

Art. 1
Nikolaus Vollmann übernimmt für die isrealitische Gemeinde zu St. Wendel die schlüsselfertige Herstellung einer Synagoge nach Maßgabe der vorliegenden Zeichnungen und des Kostenanschlages sowie des von ihm eingerichten Preisangebotes zum Gesamtpreis von 15.940 Mark 03 Pfennig. Sollte durch eine nachträgliche Änderung, welche von der Baukommission verlangt würde, irgendeine Mehrarbeit eintreten, so wird dieselbe unter Zugrundelegung der Einzelpreise nach Ausmaß berechnet. In dem oben angeführten Gesamtpreis sind inbegriffen: Die Lieferung und Beifuhr aller Materialien, auch derjenigen neben Nebenmaterialien, welche im Kostenanschlag nicht besonders aufgeführt sein sollten, Stellung aller nötigen Gerüste und Geräte in genügender Anzahl und guter Beschaffenheit, Abgrenzung der Baustelle während der Bauzeit gegen die Straße und das Feld und Zugänglichhaltung für die Interessenten, Beschaffung des Bauwassers, Errichtung eines Abortes für die Arbeiter an anzugebender Stelle, sowie die Ausführung aller in Betracht kommenden polizeilichen Bestimmungen und Anordnungen in Bezug auf Sicherheit der Person und des Eigentums.

Art. 2.
Sollte außer der in dem Kostenanschlag aufgeführten Arbeiten dem Unternehmer noch andere zur Ausführung übertragen werden, so ist hierüber in jedem einzelnen Falle mit der Bauleitung eine besondere schriftliche Vereinbarung zu treffen und durch beiderseitige Unterschrift anzuerkennen, andere Vereinbarungen sind ungültig.

Art. 3.
Der Unternehmer ist verpflichtet, nur erstklassiges Material und meistermäßige Arbeit zu liefern, auch wenn dies im Kostenanschlag nicht besonders betont ist. Über die Qualität der Arbeit und des Materials entscheidet allein die Bauleitung. Bei der Vergebung der Einzelarbeiten seitens des Unternehmers an die Subunternehmer sind nur wirklich leistungsfähige Firmen zu berücksichtigen und hat der Bauleiter bei Auswahl derselben mit beratende Stimme sowie während der Ausführung der Arbeiten das Recht in der Wirkstelle der betreffenden Firma sich von dem Fortschritt der Qualität der Arbeit überzeugen.

Art. 4.
Der Unternehmer übernimmt für seine gesamten Leistungen eine 2-jährige Garantie derart, dass er alle während dieses Zeitraums sich zeigenden Mängel, welche auf sein Verschulden zurückzuführen sind, auf erstmalige Aufforderung des Bauleiters oder der Baukommission sofort ohne jede Vergütung endgültig beseitigt.

Art. 5.
Wenn der Unternehmer seinen Verpflichtungen nachkommt, erhält er während des Baus auf seinen Antrag und auf Anweisung der Bauleitung entsprechend Abschlagszahlungen bis zur Gesamthöhe von 4000 Mark. Die 1. Abschlagszahlung wird jedoch frühestens eine Woche nach Beginn der Arbeit geleistet. Für die Restsumme in Höhe von 11.940 Mark 3 Pfennig wird der Unternehmer gesichert durch eine auf den nachstehend genannten Liegenschaften aufzunehmende Grundschuld. Der Bauplatz, dessen jetziger Wert ca. 8000 Mark beträgt, ist lastenfrei.

Art. 6.
Sofort nach Eintragung der Grundschuld ist mit den Arbeiten zu beginnen und sind dieselben derart zu fördern, dass am 21. Juni dieses Jahres der Bau unter Dach ist und am 13. September laufenden Jahres übergeben werden kann. Sollte der Unternehmer bis zu dem bestimmten Termin nicht fertig sein, so verfällt der selbe ohne weitere Inverzugsetzung oder dergleichen in eine Konventionalstrafe von 5 Mark für jeden der 1. 3 Tage und von 15 Mark für jeden folgenden Tag der Verzögerung.

Art. 7.
Die nötigen Zeichnungen und Listen, welche der Unternehmer auf ihre Richtigkeit zu prüfen hat, erhält der selbe von dem Architekten H. Zeeh in Saarbrücken. Kommen durch solche Zeichnungen oder Listen, welche von dem Unternehmer zu prüfen waren, Unrichtigkeiten vor, so haftet der Unternehmer für den Schaden. Den Anordnungen des Bauleiters oder dessen sich legitimierenden Stellvertreters ist soweit dieselben den Bau betreffen auch auf der Baustelle stets Folge zu geben und hat der Unternehmer deshalb dafür zu sorgen, dass während der ganzen Bauzeit in den Arbeitsstunden stets ein genügend erfahrener Polier am Bauplatz ist, der die ihm gegebenen Aufträge und Anordnungen versteht und in sinngemäßer Weise zur Ausführung bringen kann. Mit diesem Polier gemachte Abmachungen sind für den Bauherrn bindend.
Der vorstehend durch die Baukommission übernommenen Verpflichtung gemäß bewilligen und beantragen die sämtlichen vorausgefahren Komparenten in ihrer Eigenschaft als Eigentümer des Synagogenbauplatzes bzw. als Vertreter von Eigentümern, dass auf die Parzelle Flur 5 Nummer 245/200 in Kelsweiler, Garten, 10 Ar 28 Meter, der Gemeinde St. Wendel für den mit erschienenen Nikolaus Vollmann eine Grundschuld eingetragen wird in Höhe von 11.940 Mark 3 Pfennig.
Nikolaus Vollmann bewilligt und beantragt auch seinerseits dieser Eintragung.
Diese Eintragung soll erfolgen unter folgenden Bedingungen:
1.) Die Grundschuld ist vom 13. September dieses Jahres ab oder falls die Abnahme des Baus an einem späteren Tage erfolgt, von diesem Tag ab an mit viereinhalb Prozent jährlich am gleichen Tage des folgenden Jahres zu verzinsen und um ein Prozent an dem gleichen Fälligkeitstag zu amortisieren. Es bleibt indessen der Gemeinde überlassen, nach vorhergehender vierteljährliche Kündigung die Grundschuld früher ganz oder teilweise abzulösen.
Der komparierende Notar wird ermächtigt, sich den zu bildenden Grundschuldbrief vom Grundbuch aushändigen zu lassen.

Auf Wunsch der Erschienenen wird noch ausdrücklich vereinbart, dass für die Grundschuldbesteller durch die Belastung des Grundstückes ein obligatorische Verbindlichkeit nicht entsteht.

Art. 8.
Sollten zwischen den Unternehmern über irgend einen Punkt dieses Vertrages Streitigkeiten entstehen, welche auf gütlichem Wege nicht beizulegen sind, so verpflichten sich die Parteien, dem Amtsgericht zu St. Wendel vor dem Landgericht zu Saarbrücken recht zu geben und zu nehmen, auf eine höhere Instanz aber zu verzichten. Die sämtlichen hier erschienenen Beteiligten für sich und namens ihrer Vollmachtgeber treffen auch die Vereinbarung, dass derjenige von ihnen, der von St. Wendel wegzieht und seine Kultusabgaben nicht mehr verrichtet, soweit es sich um einen dauernden Wegzug handelt, aller seiner Anrechte auf Synagogenplatz und Gebäude verlustig geht.

Zusätze genehmigt und mit dem Hauptakt unterschrieben.

[Unterschriften]

Das beantragte Darlehen wird in Höhe von 15.000 Mark gegen Hypothek und solidarische Bürgschaft bewilligt.
St. Wendel, den 30. April 1901.
Das Curatorium der Kreisspar- und Darlehenskasse.
F.Halseband Jochem  W. Bier
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Eintrag im Grundbuch von St. Wendel. Bd. XXIV Art. 1174.
Grundsteuerkataster Artikel Nummer 1841.
Auszug (unbeglaubigte Abschrift)., St. Wendel, den 15. April 1901:
keine Belastungen, dauernden Lasten und Einschränkungen, Hypotheken und Grundschulden



[Regionalforum-Saar] Die verwahrloste Synagoge

Date: 2022/12/30 22:31:57
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Sankt Wendeler Volksblatt
7. Oktober 1938

Die verwahrloste Synagoge.
St. Wendel, 7. Oktober.
Man schreibt uns: In vielen Orten, auch in der Nachbarschaft, ist man dazu übergegangen, die ihrem eigentlichen Zwecke nicht mehr dienenden Synagogen nach Möglichkeit von ihren Eigentümern zu erwerben und sie anderen Zwecken nutzbringend zuzuführen. Die hiesige jüdische Gemeinde, die zur Zeit der Abstimmung nach ca. 85-90 Köpfe zählte und wirtschaftlich hier eine ziemlich bedeutende Rolle spielte, ist auf 9 Köpfe herabgesunken, ihre Geschäfte und Häuser sämtlich in arischen Besitz übergegangen. Sie kann deshalb ihren Verpflichtungen zur Erhaltung des Gebäudes nicht mehr nachkommen, auch wird schon seit geraumer Zeit kein Gottesdienst mehr darin gehalten. Es würde deshalb dankbar begrüßt werden, wenn die Stadtverwaltung bzw. wenn sie kein Interesse daran hat, andere ernsthafte Liebhaber sich darum bemühen würden, das Gebäude mit dem Grundstück in ihren Besitz zu bringen. Einen schönen Anblick bietet die Synagoge heute nicht mit ihren zerbrochenen Fensterscheiben und dem verwahrlosten Vorgarten.