Date: 2022/12/02 20:33:00
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Guten Abend,
heuer ist die SFK 2022, der Jahresband der Arbeitsgemeinschaft für
Saarländische Familienkunde (ASF), erschienen.
Auf etwa 130 Seiten enthält er folgende Artikel:
Markus Detemple
=> Ein Zeugenverhör aus dem 18. Jahrhundert
Roland Geiger
=> Drei Friedhöfe außerhalb St. Wendels
=> Ausländische Arbeiter und Soldaten auf Friedhöfen in St.
Wendel
=> Der Fahrer des St. Wendeler Landrats - Aus den Erinnerungen
von Adam
Dallinger (1884-1970)
Marc Jeck
=> Wie der "Hauptmann von Köpenick" nach Luxemburg kam
Paul Glass
=> Archivarbeit und Familienkunde — Unterschriftenlisten als
familienkundliche
Quelle
Bonnie J. Everhart
=> Deutsche Glasbläser des 18. Jahrhunderts vom Saarland bis
zum kolonialen
Amerika
Bodo Bost
=> Aus Tholey nach Texas
Michael Hirtz
=> Alfred Ferdinand Shore und seine Wurzeln aus Illingen
Hosterhof
Maria Knobloch
=> Die Hypothese in der Familienforschung.
Margueritte die „Hexe" und andere Geschichten.
Ferdinand Müller
=> Schwalbacher Ehepaar 1877 in Frankreich zu 10 Jahren
Deportation nach
Neu-Kaledonien verurteilt
Der Band hat das Format A5, Softcover, die Abbildungen sind
schwarz-weiß.
Er kostet 10 Euro, Versand innerhalb Deutschlands 1,60 Euro, im
Ausland
generell 3,70 Euro.
Sie können das Buch direkt bei mir beziehen.
Mit freundlichen Grüßen
Roland Geiger
alsfassen(a)web.de
PS: Mitglieder der ASF erhalten den Band natürlich wie immer
kostenlos, d.h. er
ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Ich habe gestern und heute SFK
und ID
eingetütet und bringe die gut 300 Sendungen morgen zur Post.
Date: 2022/12/04 22:10:59
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
St. Wendel und Ottweiler im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Das „Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler“ ist jetzt im Volltext durchsuchbar! https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/titleinfo/4375143
Date: 2022/12/04 22:48:50
From: Stephan Molitor via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Am 04.12.22, 22:11 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>:
St. Wendel und Ottweiler im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. |
Date: 2022/12/05 07:16:19
From: Hans-Joachim Hoffmann via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Am 04.12.2022 um 22:10 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar:
St. Wendel und Ottweiler im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Das „Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler“ ist jetzt im Volltext durchsuchbar! https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/titleinfo/4375143 _______________________________________________ Regionalforum-Saar mailing list Regionalforum-Saar(a)genealogy.net https://list.genealogy.net/mm/listinfo/regionalforum-saar
Danke für diesen Hinweis, Herr Geiger. Damit fängt die Woche gut an. Viele Grüße Hans-Joachim Hoffmann
Date: 2022/12/05 09:01:58
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
😎 Am 05.12.2022 um 07:16 schrieb Hans-Joachim Hoffmann via Regionalforum-Saar:
Am 04.12.2022 um 22:10 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar:St. Wendel und Ottweiler im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Das „Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler“ ist jetzt im Volltext durchsuchbar! https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/titleinfo/4375143 _______________________________________________ Regionalforum-Saar mailing list Regionalforum-Saar(a)genealogy.net https://list.genealogy.net/mm/listinfo/regionalforum-saarDanke für diesen Hinweis, Herr Geiger. Damit fängt die Woche gut an. Viele Grüße Hans-Joachim Hoffmann _______________________________________________ Regionalforum-Saar mailing list Regionalforum-Saar(a)genealogy.net https://list.genealogy.net/mm/listinfo/regionalforum-saar
Date: 2022/12/06 18:42:00
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
B. Lahusen: „Der Dienstbetrieb ist nicht
gestört“
Autor Benjamin Lahusen,
Erschienen München 2022: C.H.
Beck Verlag
Anzahl Seiten 384 S.
Preis € 34,00
ISBN 978-3-406-79026-3
Inhalt meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-76298.pdf
Rezensiert für H-Soz-Kult von Annette Weinke, Historisches
Institut,
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Spätestens seit dem Historikerstreit 1986/87 rückte das
schillernde Konzept der
„Normalität“ auch hierzulande in den Blickpunkt
gesellschaftsgeschichtlicher
Debatten über eine Historisierung der Geschichte und
Nachgeschichte des
Nationalsozialismus. Einen wichtigen Anstoß dafür lieferte Detlev
J.K. Peukerts
Aufsatz Alltag und Barbarei, ein inzwischen kanonisch gewordener
Text von 1987,
der die Alltagserfahrungen von Normalität im „Dritten Reich“ und
die
Kontinuitäten deutscher Normalitätsdiskurse nach 1945 zu
interpretieren
versuchte.[1] In der Rechtsgeschichte
wurde der Begriff
erstmals Anfang der 1990er-Jahre aufgegriffen. So konnte ein Team
um den
Berliner Strafrechtler Klaus Marxen am Beispiel von Urteilen des
Volksgerichtshofs zeigen, dass die Verschränkung von Terror und
Normalität
nicht nur bis zum Schluss ein konstitutives Merkmal juristischer
Darstellungs-
und Argumentationstechniken blieb, sondern dass damit für die
beteiligten
Juristen auch stark selbstentlastende Effekte verbunden waren.[2]
Benjamin Lahusens Studie zur Normalität der ordentlichen
Gerichtsbarkeit im
„Dritten Reich“ und während der alliierten Besatzungszeit, die
überarbeitete
Fassung seiner juristischen Habilitationsschrift, knüpft an diese
frühen
Arbeiten an, wählt jedoch einen anderen methodischen Zugang und
thematischen
Fokus. Statt danach zu fragen, wie die Weimarer Justiz eigentlich
den Sprung in
das Zeitalter von Ernst Fraenkels „Doppelstaat“ schaffte,
betrachtet Lahusen
die Entwicklungen zwischen 1943 und 1948. Ausgangspunkt der
Untersuchung ist
das Spannungsverhältnis zwischen dem Justitium, so der Fachbegriff
für den
erzwungenen „Stillstand der Rechtspflege“, und den vielfältigen
Bemühungen der
Justiz zur Aufrechterhaltung eines scheinbar „normalen“
Geschäftsbetriebs im
Schatten der Gewalt. Vermessen wird also einerseits eine zeitliche
und
politisch-geografische Zone, die für große Teile des deutschen
Juristenstands
eine Phase des Umbruchs und der (Selbst-)Verwandlung darstellte.
Andererseits
soll unter dem Stichwort „Von Stalingrad zur Währungsreform“[3] ein älteres Paradigma der
NS-Forschung
und der Sonderwegs-Debatten für eine Zeitgeschichte des Rechts
fruchtbar
gemacht werden. Dabei geht der Autor von der
diskussionsbedürftigen These aus,
die auch juristisch vorangetriebene Entrechtung großer
Bevölkerungsgruppen sei
während der letzten beiden Kriegsjahre bereits abgeschlossen
gewesen (S. 33),
während das Entstehen neuer, teilweise antagonistischer
Ordnungssysteme erst
ansatzweise ausgebildet war. Als Grundlage der Untersuchung dienen
vor allem
Gerichtsakten, die Lahusen in Deutschland, Polen, Belgien, Israel
und den
Niederlanden ausgewertet hat.
Wie die jüngere Forschung zur Geschichte des Luftkriegs in
Deutschland gezeigt
hat, brachten die Bombardierungen einen spezifischen Modus der
staatlichen und
kommunalen Krisenbewältigung hervor, der auf verstärkte
Selbstmobilisierung und
Identifikation mit einer imaginierten „Heimatfront“ zielte. An
diesem Prozess
war auch die Justiz in entscheidender Weise beteiligt. So
schildert das erste
Kapitel unter der Überschrift „Die Freuden der Pflicht:
Dienstbetrieb im
Endkampf“, wie sich deutsche Gerichte in der letzten Kriegsphase
zu Instanzen
eines „volksgemeinschaftlichen“ Überlebenswillens aufschwangen. Um
den
Rechtspflegebetrieb trotz nicht nachlassender alliierter Angriffe
aufrechterhalten zu können, wichen die Behörden größerer und
mittelgroßer
Städte auf provisorische Ersatzquartiere aus. Teilweise geschah
dies mehrfach
in kurzen Zeitabständen. Dabei wetteiferten die
Gerichtspräsidenten förmlich
darum, das eigene Organisationstalent bei der Bewältigung der
zahllosen
kriegsbedingten Herausforderungen gegenüber dem
Reichsjustizministerium
herauszustellen. So vermeldete der Berliner Generalstaatsanwalt
nach schweren
Luftangriffen stolz, man habe, „noch in den Rauchschwaden“
stehend, in den
wenigen verbliebenen Räumen Strafverhandlungen durchgeführt (S.
62). Auch als
am 13. Februar 1945 das Dresdner Justizgebäude dem Erdboden
gleichgemacht wurde,
führte dies nicht etwa zur Einstellung des Justizbetriebs. Noch
Ende April,
also wenige Tage vor der Kapitulation, verhandelte das Amtsgericht
in einer
Mietsache. Strittig war, ob der Vermieter eines Mehrfamilienhauses
in seinem
Garten weiterhin Staudenpflanzen und einen Goldfischteich dulden
müsse (S. 70).
Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels steht „Neustadt am
Wassersturz“, eine
fiktive Gemeinde in der südwestdeutschen Provinz. Anhand von
Personalakten und
zusammengetragenen Fallgeschichten aus dem Zivil- und Strafrecht
entwirft der
Autor das Panorama einer Allerweltsjustiz und ihrer oftmals
skurrilen
Auswüchse. Danach blieb trotz „totalem Krieg“ im Grunde alles beim
Alten: Statt
heroischer Pflichterfüllung dominierten eine gewisse Behäbigkeit,
fehlende juristische
Finesse und Pragmatismus, während sich die ideologische
Selbstmobilisierung der
„Volksgemeinschaft“ in einer geradezu obsessiven Streitlust über
die Kehrwoche
erschöpfte (S. 93). In starkem Kontrast dazu steht das folgende
Kapitel, das
sich unter der Überschrift „Die Parzellierung des Todes“ mit den
Grundbuchakten
der ehemals polnischen Stadt Auschwitz befasst. Hier zeichnet
Lahusen
einfühlsam und mit detaillierter Aktenkenntnis nach, wie sich
Eigentumsfragen
seit Baubeginn eines von der IG Farben geplanten Werks zur
Herstellung
synthetischen Kautschuks zu einem Standortfaktor ersten Ranges und
einem
Politikum entwickelten. Angesichts von Investitionen, die
zweistellige
Millionenbeträge erreichten, betrachtete die Firmenleitung die
fehlende grundbuchmäßige
Erfassung der Grundstücke als rechtlich untragbaren Zustand (S.
129). Erst Ende
1943 eilte Reichsjustizminister Thierack dem bedrängten
Chemiegiganten zur
Hilfe, indem er das „rechtlose Interregnum“ kurzerhand durch die
Aufteilung des
Stadtgebiets in zwei Grundbuchbezirke beendete (S. 130).
Das vierte Kapitel ist dem scheinbar „normalen“ Lebensweg des
„Bilderbuchjuristen“ Hans Keutgen gewidmet (1912–1999), der gegen
Kriegsende
als letzter Richter des Sondergerichts Aachen amtierte. Wie viele
andere
belastete Juristen wurde er schon kurz nach dem Zusammenbruch
reaktiviert.
Obwohl nachweislich an Todesurteilen beteiligt, ließ die britische
Militärregierung den kriegsversehrten 33-Jährigen bereits im
August 1945 erneut
als Richter zu. In den 1950er-Jahren überstand er die
DDR-Braunbuchkampagne
unbeschadet, und die 1965 erhobene Strafanzeige eines
NS-Verfolgten wurde vom
Oberlandesgericht Köln ohne weitere Ermittlungen eingestellt. Und
als ob dies
nicht schon genug gewesen wäre, erhielt der frühere Sonderrichter
kurz nach
Kriegsende für eine zeitweilige Abordnung nach Bautzen und
Umgebung eine
Trennungsentschädigung von knapp 1.000 Reichsmark ausgezahlt. In
den
1970er-Jahren folgte dann ein entsprechend angepasstes Ruhegehalt
– letzteres
ein später Dank des bundesdeutschen Wohlfahrtsstaats für seine
Beamten. Das
fünfte Kapitel betrachtet die Rückzugsbewegungen der deutschen
Justiz während
der letzten Kriegsphase. Im Fokus stehen hier insbesondere die
Vergegenständlichung des Rechts sowie der Umgang mit Akten,
Gerichtsinventaren
und Büroutensilien. So verfügte das Reichsjustizministerium
angesichts der
herannahenden Frontlinien, die Akten unter allen Umständen für die
juristische
Nachwelt zu erhalten. Eine weitere Maßnahme war die Einrichtung
von Ad-hoc-Sondergerichten,
die für auf der Flucht verübte Plünderungen zuständig waren.
Im sechsten Kapitel stellt Lahusen dann nochmals klar, dass von
einem Justitium
oder einer „Stunde Null“ in Bezug auf die deutsche Justiz nicht
die Rede sein
könne. Ungeachtet der Potsdamer Beschlüsse habe sich der
Wiederaufbau der
Rechtspflege am Ende als „eine Art Wettlauf“ zwischen Ost und West
vollzogen
(S. 237). Beiden Seiten sei es in erster Linie darum gegangen, die
Funktionstüchtigkeit der Gerichte so rasch wie möglich
wiederherzustellen. Das
siebte und letzte Kapitel ist schließlich der Frage gewidmet, wie
die
Transformation der Kriegs- in eine Friedensnormalität gelang. Den
Mittelpunkt
der Untersuchung bildet das sogenannte Kriegsverfahrensrecht,
dessen
Vorschriften während des Zweiten Weltkriegs dafür gesorgt hatten,
große
Bereiche der Rechtsordnung auf den Modus der Heimatfront
umzustellen. Da es die
alliierten Siegermächte den deutschen Spruchkörpern zunächst
strikt untersagt
hatten, auch nur implizite Erklärungen zur Fortdauer oder zum Ende
des Kriegs
abzugeben, suchten sich diese mit rhetorischen Ausweichformeln zu
behelfen.
Erst als sich im Juli 1952 Bundestag und Bundesrat nach
langwierigen Beratungen
auf das sogenannte Zuständigkeitsergänzungsgesetz geeinigt hatten,
wurde es den
Gerichten ermöglicht, die de facto eingetretene Beendigung des
Kriegszustands
juristisch in den Griff zu bekommen, ohne damit alliierte
Vorbehaltsrechte
herauszufordern.
Es war das Interesse an diesem unscheinbaren, 2006 fast
vergessenen Gesetz, das
den Autor ursprünglich dazu bewog, sich näher mit den
normalisierenden
Funktionen der ordentlichen Justiz und deren Rolle in der
Übergangsphase von
Krieg und Frieden zu beschäftigen. Auch wenn nicht alle Befunde
der Studie
überraschen, bekräftigt sie grundsätzlich den Wert
alltagsgeschichtlicher,
mikrohistorischer und epochenübergreifender Perspektiven auf den
Nationalsozialismus und dessen Nachleben, wie sie sich seit
einigen Jahren in
der Forschung immer mehr durchgesetzt haben. Zudem wirft das Buch
ein Licht auf
die verqueren Binnenlogiken und Selbstrechtfertigungsstrategien
eines
Justizsystems, das inmitten allgemeiner Agonie und Auflösung an
den bewährten
Formeln Autorität, Berechenbarkeit und Stabilität festzuhalten
suchte.
Angesichts der Tatsache, dass dies in packender, höchst
anschaulicher Weise
geschieht, war der erste Platz auf der Sachbuch-Bestenliste vom
September 2022
völlig berechtigt.[4]
Auf der anderen Seite gibt die Publikation Anlass, noch einmal
intensiver über
den epistemischen Nutzen des Normalitäts-Konzepts und dessen
Grenzen nachzudenken.
Abgesehen davon, dass es sich um eine Erzählung „von oben“
handelt, die zum
Teil standardisierte Selbstbilder und Selbstmythologisierungen der
deutschen
Justizeliten reproduziert[5], verbleibt die
Untersuchung fast
ausschließlich in einem nationalgeschichtlichen Rahmen. Zu fragen
wäre daher,
ob und wie sich das gezeichnete Bild einer vermeintlich
selbstgenügsamen,
Stabilität suggerierenden Justiz verändert hätte, hätte sich der
Autor dafür
entschieden, den Einfluss deutscher Rechtspolitik und
Rechtsprechung in den
besetzten Ländern sowie die Interaktion mit nichtjuristischen
deutschen und ausländischen
Akteuren stärker zu berücksichtigen. Zu vermuten ist auch, dass
eine
intensivere Beschäftigung mit den alliierten Reformdiskussionen
zum deutschen
Rechtswesen und mit vergleichbaren Bestrebungen gegenüber Japan zu
einer
differenzierteren Bewertung geführt hätte.[6] Und schließlich lädt
Benjamin Lahusens
anregende Studie auch dazu ein, sich in Anlehnung an
konzeptionelle
Diskussionen, die unter anderem von Michael Wildt und Bernhard
Gotto
vorangetrieben wurden, kritisch mit der analytischen Tragfähigkeit
von
„Normalität“ als Transformationsbegriff und dynamischem Konzept
auseinanderzusetzen. Denn nur so lässt sich verstehen, warum
Justiz und
Verwaltung sogar nach den ordnungspolitischen Umbrüchen an dem
Normalitätsdiskurs festhielten, obwohl sich die ihm zugrunde
liegenden Werte
und Bezugspunkte doch grundlegend und irreversibel verändert
hatten.
Anmerkungen:
[1] Detlev J.K. Peukert, Alltag
und Barbarei.
Zur Normalität des Dritten Reiches, in: Dan Diner (Hrsg.), Ist der
Nationalsozialismus Geschichte? Zu Historisierung und
Historikerstreit,
Frankfurt am Main 1987, S. 51–61.
[2] Klaus Marxen, Einführung, in:
ders. / Holger
Schlüter, Terror und „Normalität“. Urteile des
nationalsozialistischen
Volksgerichtshofs 1934–1945, Düsseldorf 2004, S. 1–7.
[3] Martin Broszat /
Klaus-Dietmar Henke / Hans
Woller (Hrsg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur
Sozialgeschichte des Umbruchs
in Deutschland, München 1988, 3. Aufl. 1990.
[4] Siehe https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article240708627/Sachbuecher-des-Monats-WELT-Bestenliste-fuer-September-2022.html
(22.11.2022).
[5] Die sich hartnäckig haltende
Opferlegende
vom „großen Sterben am Reichsgericht“ (August Schäfer, Deutsche
Richterzeitung
1957), die Lahusen übernimmt (S. 236), kann inzwischen als
widerlegt gelten.
Aus internen Korrespondenzen des BGH-Richters Walther Uppenkamp,
Anfang der
1950er-Jahre Sprecher einer Vereinigung ehemaliger
Reichsgerichtsräte, geht
hervor, dass diese Gruppe immerhin an die 70 Personen umfasste;
diese
Information verdanke ich Prof. Dr. Michael Kißener (Mainz),
Ko-Leiter eines
Forschungsprojekts zur Geschichte des Bundesgerichtshofs.
[6] Vgl. dazu R.W. Kostal, Laying
Down the Law.
The American Legal Revolutions in Occupied Germany and Japan,
Cambridge, Mass.
2019.
Zitation
Annette Weinke: Rezension zu: Lahusen, Benjamin: „Der
Dienstbetrieb ist nicht
gestört“. Die Deutschen und ihre Justiz 1943–1948. München 2022: ISBN 978-3-406-79026-3, , In: H-Soz-Kult,
07.12.2022, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-118136>.
Date: 2022/12/07 22:38:06
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Einladung
zur Buchvorstellung
„Cuno von Pfullingen – Ein Tholeyer Heiliger“
von Dr. Walter Burnikel und Pater Wendelinus Naumann OSB
64 Seiten, Preis 9,50 Euro
Freitag, 9. Dezember 2022, 19.00 Uhr
Gästehaus St. Lioba, Im Kloster 3, 66636 Tholey
Das Leben des unglücklichen Prälaten wird anhand der
Lebensbeschreibung des
Tholeyer Mönches Theobert beschrieben, dessen Lebens- und
Leidensgeschichte des
Heiligen ein beeindruckendes Schriftstück des späten 11.
Jahrhunderts ist.
Cuno von Pfullingen, geb. um 1035/40 in Pfullingen;
ermordet am 1. Juni1066 in Ürzig,
wurde als Sohn des
Egilolf von Pfullingen und der Hazecha von Steusslingen, einer
Schwester des
Erzbischofs Anno II. von Köln, geboren. Auf Betreiben Erzbischof Annos II.
von Köln
wurde er im Jahre 1066
zum Erzbischof
von Trier
ernannt. Der Adel des
Trierer Landes fühlte sich bei dieser Entscheidung übergangen
und betrieb die
Gefangennahme und Ermordung Cunos.
Nach
einer vorläufigen Bestattung Cunos wurde sein Leichnam auf
Betreiben Bischof
Theoderichs von Verdun
in die Abteikirche der Benediktinerabtei Tholey
überführt und dort am 10. Juli 1066 beigesetzt.
Auf das Betreiben des damaligen Erzbischofs von Mainz,
Siegfried, wurde Cuno heiliggesprochen.
Seine
regionale Verehrung blieb noch bis ins frühe 19. Jahrhundert
lebendig. Seine
aufbewahrte zerstochene Tunika und andere Reliquien gingen in
der Französischen
Revolution verloren. Während der Sanierungsarbeiten in der
Abteikirche 1960 und
2019 wurde die Kruft angeschnitten. Die Stelle ist durch eine
Inschrift vor dem
Tabernakel gekennzeichnet.
Date: 2022/12/09 09:58:18
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Der Warntag hat mich richtig kalt erwischt. Normalerweise steht
mein Handy auf
„stumm“, weil ich es zum Telefonieren, Emaillionieren,
Whatsapponieren und Fotografieren
benutze, aber nicht, um angerufen zu werden. Um elf Uhr am
Donnerstag habe ich
eine Besuchergruppe aus Cochem für ne Führung um den Dom und
in den Dom dabei und war gerade damit beschäftigte, die Attacke
des Ketzers
Franz von Sickingen auf St. Wendel zu beschreiben - die Mauer
stand noch, war
aber gerade fast am Umfallen - , als das Handy in meiner
Hosentasche anfing zu „gärcksen“
(ja, ich weiß, das ist Mundart, aber wie soll ich den Ton sonst
beschreiben?
„Quaken“ vielleicht, jaaa, „quaken“ geht auch). Das verwunderte
mich, weil ich
das Ding vor Beginn einer Führung immer ausschalte. Der Ton
brachte mich direkt
auf die Palme, weil ich ihn als weiteren Störenfried definierte.
Da war zunächst
der Geräuschpegel des Passantenstroms um uns herum, weil um elf
der
Weihnachtsmarkt öffnet. Dann waren da noch drei meiner
Schützlinge, die lieber
im Eiltempo um den Dom gerannt wären statt stehenzubleiben und
sich Geschichten
anzuhören und die jetzt lieber zusammenstanden, um über
Müllersch Bebb und ihre
neue Frisur zu tratschen (vielleicht auf über ihre Hühneraugen,
keine Ahnung,
es war jedenfalls viel wichtiger und interessanter als alles,
was ich über
Sickingen daherlog). Und zum dann war da noch irgendein nicht
definierbarer
Sänger, der sich bemühte, aus dem Lautsprecher ein Lied
herauszuquälen, das
ansatzweise mit Weihnachten zu tun hat (nun, es hatte mehr damit
zu tun als die
Bond-Melodie, zu der sich die Feuerspringer am Abend zuvor unten
in der Mott
vergnügten). Gegen die Kakaphonie von Passanten, „Musik“ und
Nichtzuhörern war
ich gewappnet, gegen die Warn-Äpp nicht. Ich fummelte mein
Telefon aus der
Hosentasche, und prompt tat die Hälfte meiner Zuhörer das auch
(laut Statistik
heute morgen in der SZ waren das bei mir 7,5 Personen: das ist
die Hälfte von
15 Stück Leuten (die drei „Müllersch Bebb“-Spezialisten
eingerechnet), weil
wohl die Hälfte aller potentiellen Empfänger die Warnung
empfing, also 15
geteilt durch 2 = 7,5). Gemeinsam suchten wir alle einen Weg,
zumindest ein
Übel aus der Welt zu schaffen, was dadurch möglich war, daß das
quakende Handy
wichtiger war als Müllersch Bebb. Der Passanten Hälfte (und
nicht nur deren
jeweils bessere) war auch stehengeblieben. Jeder - ich auch
-drückte wie wild
auf seinem Teflon herum, aber das Quaken war hartnäckig. Und um
dem Chaos noch
eins drauf zu setzen, bliesen irgendwo weiter südlich die
Sirenen ihr Gejaule
in die Luft. Und natürlich kamen auch noch die Glocken vom Dom
hinzu, nee,
Moment, die gehörten da hin, es war ja 11 Uhr. Schließlich kamen
ich auf den
Schlouda (Platt für „Idee“), das blöde Handy runterzufahren, was
dem Quaken die
Luft bzw. den Strom nahm. Ich gab das weiter, und alle fuhren
das Ding runter.
Der Herr im Lautsprecher hatte mittlerweile einer Dame Platz
gemacht, die viel
süßlicher, aber auch erheblich leiser sang. Die drei Damen
hatten sich wieder
Müllersch Bebb zugewandt und ich leicht den Faden verloren. Ich
konnte ihn aber
wieder aufnehmen, ließ von Sickingen die Stadt plündern und die
Kanonenkugel in
der Dommauer versenken, d.h. befestigen. Oder so.
Ein Warntag ist immer schön, wenn man weiß, daß es nur ein
Warntag ist. Fürs
nächste Mal hab ich mir vorgenommen, gleich das Handy
auszuschalten und dann gespannt
zu sein, ob es trotzdem brummt. Dann kann ich beruhigt sein, daß
mich der Staat
im Auge hat und mich immer erreichen kann, wie er will - auch
wenn ich nicht
will. Dann werden wir uns vorher einen fröhlichen Warntag
wünschen, und alle
Leute sind glücklich. So wie der gute alte Dschortsch 1948, als
er „1984“
schrieb.
Kuhl.
Mit freundlichen Grüßen
Date: 2022/12/09 12:02:58
From: Joerg Weinkauf via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Oder ein "altes" Handy mit Android älter 11 besorgen - meins ist
schon uralte 4 Jahre alt. Dann bleibt's stumm.
Warntag am 8. Dezember 2022
Der Warntag hat mich richtig kalt erwischt. Normalerweise steht mein Handy auf „stumm“, weil ich es zum Telefonieren, Emaillionieren, Whatsapponieren und Fotografieren benutze, aber nicht, um angerufen zu werden. Um elf Uhr am Donnerstag habe ich eine Besuchergruppe aus Cochem für ne Führung um den Dom und in den Dom dabei und war gerade damit beschäftigte, die Attacke des Ketzers Franz von Sickingen auf St. Wendel zu beschreiben - die Mauer stand noch, war aber gerade fast am Umfallen - , als das Handy in meiner Hosentasche anfing zu „gärcksen“ (ja, ich weiß, das ist Mundart, aber wie soll ich den Ton sonst beschreiben? „Quaken“ vielleicht, jaaa, „quaken“ geht auch). Das verwunderte mich, weil ich das Ding vor Beginn einer Führung immer ausschalte. Der Ton brachte mich direkt auf die Palme, weil ich ihn als weiteren Störenfried definierte. Da war zunächst der Geräuschpegel des Passantenstroms um uns herum, weil um elf der Weihnachtsmarkt öffnet. Dann waren da noch drei meiner Schützlinge, die lieber im Eiltempo um den Dom gerannt wären statt stehenzubleiben und sich Geschichten anzuhören und die jetzt lieber zusammenstanden, um über Müllersch Bebb und ihre neue Frisur zu tratschen (vielleicht auf über ihre Hühneraugen, keine Ahnung, es war jedenfalls viel wichtiger und interessanter als alles, was ich über Sickingen daherlog). Und zum dann war da noch irgendein nicht definierbarer Sänger, der sich bemühte, aus dem Lautsprecher ein Lied herauszuquälen, das ansatzweise mit Weihnachten zu tun hat (nun, es hatte mehr damit zu tun als die Bond-Melodie, zu der sich die Feuerspringer am Abend zuvor unten in der Mott vergnügten). Gegen die Kakaphonie von Passanten, „Musik“ und Nichtzuhörern war ich gewappnet, gegen die Warn-Äpp nicht. Ich fummelte mein Telefon aus der Hosentasche, und prompt tat die Hälfte meiner Zuhörer das auch (laut Statistik heute morgen in der SZ waren das bei mir 7,5 Personen: das ist die Hälfte von 15 Stück Leuten (die drei „Müllersch Bebb“-Spezialisten eingerechnet), weil wohl die Hälfte aller potentiellen Empfänger die Warnung empfing, also 15 geteilt durch 2 = 7,5). Gemeinsam suchten wir alle einen Weg, zumindest ein Übel aus der Welt zu schaffen, was dadurch möglich war, daß das quakende Handy wichtiger war als Müllersch Bebb. Der Passanten Hälfte (und nicht nur deren jeweils bessere) war auch stehengeblieben. Jeder - ich auch -drückte wie wild auf seinem Teflon herum, aber das Quaken war hartnäckig. Und um dem Chaos noch eins drauf zu setzen, bliesen irgendwo weiter südlich die Sirenen ihr Gejaule in die Luft. Und natürlich kamen auch noch die Glocken vom Dom hinzu, nee, Moment, die gehörten da hin, es war ja 11 Uhr. Schließlich kamen ich auf den Schlouda (Platt für „Idee“), das blöde Handy runterzufahren, was dem Quaken die Luft bzw. den Strom nahm. Ich gab das weiter, und alle fuhren das Ding runter. Der Herr im Lautsprecher hatte mittlerweile einer Dame Platz gemacht, die viel süßlicher, aber auch erheblich leiser sang. Die drei Damen hatten sich wieder Müllersch Bebb zugewandt und ich leicht den Faden verloren. Ich konnte ihn aber wieder aufnehmen, ließ von Sickingen die Stadt plündern und die Kanonenkugel in der Dommauer versenken, d.h. befestigen. Oder so.
Ein Warntag ist immer schön, wenn man weiß, daß es nur ein Warntag ist. Fürs nächste Mal hab ich mir vorgenommen, gleich das Handy auszuschalten und dann gespannt zu sein, ob es trotzdem brummt. Dann kann ich beruhigt sein, daß mich der Staat im Auge hat und mich immer erreichen kann, wie er will - auch wenn ich nicht will. Dann werden wir uns vorher einen fröhlichen Warntag wünschen, und alle Leute sind glücklich. So wie der gute alte Dschortsch 1948, als er „1984“ schrieb.
Kuhl.
Mit freundlichen Grüßen
Roland Geiger
--------------------
Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de
_______________________________________________ Regionalforum-Saar mailing list Regionalforum-Saar(a)genealogy.net https://list.genealogy.net/mm/listinfo/regionalforum-saar
Date: 2022/12/09 13:44:10
From: Stefan Reuter via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Klar, wenn man in Ernstfall nicht informiert werden möchte, kann
man das so handhaben - kommt halt drauf an, welche Prioritäten man
setzt.
Mir persönlich ist eine zeitnahe Warnmeldung im Fall der Fälle
jedenfalls lieber, als mit einem solchen Fall plötzlich und
unerwartet konfrontiert zu werden. Abgesehen davon, dass so ein
Uralt-Handy auch für die Nutzung im WWW nur noch bedingt tauglich
ist.
Dass der Warntag am 08.12. stattfindet und welche eventuellen Probleme da bei den unterschiedlichen Handytypen u. Betriebssystemen auftreten können, wurde aber in den Medien im Vorfeld m. E. hinlänglich breit getreten.
Gruß, Stefan Reuter
Oder ein "altes" Handy mit Android älter 11 besorgen - meins ist schon uralte 4 Jahre alt. Dann bleibt's stumm.
Jörg Weinkauf
Am 09.12.2022 um 09:58 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar:
Warntag am 8. Dezember 2022
Der Warntag hat mich richtig kalt erwischt. Normalerweise steht mein Handy auf „stumm“, weil ich es zum Telefonieren, Emaillionieren, Whatsapponieren und Fotografieren benutze, aber nicht, um angerufen zu werden. Um elf Uhr am Donnerstag habe ich eine Besuchergruppe aus Cochem für ne Führung um den Dom und in den Dom dabei und war gerade damit beschäftigte, die Attacke des Ketzers Franz von Sickingen auf St. Wendel zu beschreiben - die Mauer stand noch, war aber gerade fast am Umfallen - , als das Handy in meiner Hosentasche anfing zu „gärcksen“ (ja, ich weiß, das ist Mundart, aber wie soll ich den Ton sonst beschreiben? „Quaken“ vielleicht, jaaa, „quaken“ geht auch). Das verwunderte mich, weil ich das Ding vor Beginn einer Führung immer ausschalte. Der Ton brachte mich direkt auf die Palme, weil ich ihn als weiteren Störenfried definierte. Da war zunächst der Geräuschpegel des Passantenstroms um uns herum, weil um elf der Weihnachtsmarkt öffnet. Dann waren da noch drei meiner Schützlinge, die lieber im Eiltempo um den Dom gerannt wären statt stehenzubleiben und sich Geschichten anzuhören und die jetzt lieber zusammenstanden, um über Müllersch Bebb und ihre neue Frisur zu tratschen (vielleicht auf über ihre Hühneraugen, keine Ahnung, es war jedenfalls viel wichtiger und interessanter als alles, was ich über Sickingen daherlog). Und zum dann war da noch irgendein nicht definierbarer Sänger, der sich bemühte, aus dem Lautsprecher ein Lied herauszuquälen, das ansatzweise mit Weihnachten zu tun hat (nun, es hatte mehr damit zu tun als die Bond-Melodie, zu der sich die Feuerspringer am Abend zuvor unten in der Mott vergnügten). Gegen die Kakaphonie von Passanten, „Musik“ und Nichtzuhörern war ich gewappnet, gegen die Warn-Äpp nicht. Ich fummelte mein Telefon aus der Hosentasche, und prompt tat die Hälfte meiner Zuhörer das auch (laut Statistik heute morgen in der SZ waren das bei mir 7,5 Personen: das ist die Hälfte von 15 Stück Leuten (die drei „Müllersch Bebb“-Spezialisten eingerechnet), weil wohl die Hälfte aller potentiellen Empfänger die Warnung empfing, also 15 geteilt durch 2 = 7,5). Gemeinsam suchten wir alle einen Weg, zumindest ein Übel aus der Welt zu schaffen, was dadurch möglich war, daß das quakende Handy wichtiger war als Müllersch Bebb. Der Passanten Hälfte (und nicht nur deren jeweils bessere) war auch stehengeblieben. Jeder - ich auch -drückte wie wild auf seinem Teflon herum, aber das Quaken war hartnäckig. Und um dem Chaos noch eins drauf zu setzen, bliesen irgendwo weiter südlich die Sirenen ihr Gejaule in die Luft. Und natürlich kamen auch noch die Glocken vom Dom hinzu, nee, Moment, die gehörten da hin, es war ja 11 Uhr. Schließlich kamen ich auf den Schlouda (Platt für „Idee“), das blöde Handy runterzufahren, was dem Quaken die Luft bzw. den Strom nahm. Ich gab das weiter, und alle fuhren das Ding runter. Der Herr im Lautsprecher hatte mittlerweile einer Dame Platz gemacht, die viel süßlicher, aber auch erheblich leiser sang. Die drei Damen hatten sich wieder Müllersch Bebb zugewandt und ich leicht den Faden verloren. Ich konnte ihn aber wieder aufnehmen, ließ von Sickingen die Stadt plündern und die Kanonenkugel in der Dommauer versenken, d.h. befestigen. Oder so.
Ein Warntag ist immer schön, wenn man weiß, daß es nur ein Warntag ist. Fürs nächste Mal hab ich mir vorgenommen, gleich das Handy auszuschalten und dann gespannt zu sein, ob es trotzdem brummt. Dann kann ich beruhigt sein, daß mich der Staat im Auge hat und mich immer erreichen kann, wie er will - auch wenn ich nicht will. Dann werden wir uns vorher einen fröhlichen Warntag wünschen, und alle Leute sind glücklich. So wie der gute alte Dschortsch 1948, als er „1984“ schrieb.
Kuhl.
Mit freundlichen Grüßen
Roland Geiger
--------------------
Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de
_______________________________________________ Regionalforum-Saar mailing list Regionalforum-Saar(a)genealogy.net https://list.genealogy.net/mm/listinfo/regionalforum-saar
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Date: 2022/12/17 10:20:34
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Eine Welt der Kohle. Historische Perspektiven
auf den
Bergbau im Saarrevier im überregionalen Vergleich
Organisatoren Arbeitskammer des Saarlandes, Universität des
Saarlandes
Saarbrücken
Vom - Bis 15.09.2022 - 17.09.2022
Von Charlotte Ullmert / Nina Schmit, Historische
Anthropologie/Europäische
Ethnologie, Universität des Saarlandes
Zehn Jahre nach dem Ende des Bergbaus im Saarland sollte die
Tagung historische
Perspektiven auf den Bergbau werfen und neue Forschungsprojekte
vorstellen. In
vier Sektionen mit den Schwerpunkten „Deindustrialisierung“,
„Gender“, „Alltag
und Biografien“ sowie „Konfliktfelder und Krisen“ wurden
Schlaglichter auf
Entwicklungen und künftige Perspektiven auf den Steinkohlenbergbau
insbesondere
im Ruhrgebiet und an der Saar geworfen und dabei
Forschungsdesiderate
vorgestellt. Ziel der Veranstaltung war es, etablierte und
innovative Zugänge
zum Thema Bergbau zu bündeln und dabei aktuelle Themen wie
Strukturwandel,
Industriekultur, Erinnerungsarbeit und Transformationsprozesse in
die
Diskussionen miteinzubeziehen sowie neue Quellen vorzustellen.
Hierfür wurden
Forschende mit aktuellen Projekten zum Thema Bergbau aus ganz
Deutschland
geladen, die sowohl breit angelegte universitäre
Forschungsprojekte als auch
Erfahrungen aus der ministeriellen Arbeit sowie bisher
unberücksichtigtes
Quellenmaterial aus Archiven präsentierten. Das Tagungsprogramm
vereinte dabei
unterschiedliche Sichtweisen und Zugänge, die insbesondere
Potentiale der
Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte in Industrieregionen
verdeutlichte
und auslotete.
Den Auftakt zur Veranstaltung gab STEFAN BERGER (Bochum). In
Anlehnung an die
Theorie des agonistischen Erinnerns, das sich von binären Formen
des Erinnerns
abgrenzt, indem Diskurse von Heroisierungen der Industrialisierung
und
Deindustrialisierung aufgebrochen werden, wurde am Beispiel der
„Urbane Künste
Ruhr“ die Kunst als erfolgreiches Medium agonistischer
Intervention gedeutet.
Agonistisches Erinnern ist eine innovative Form des Erinnerns,
wobei
insbesondere eine kritische, reflektierende Erinnerungspraxis
gefördert wird.
Die bisherige kosmopolitischen und antagonistischen
Erinnerungsmuster könnten
durch diese neue, dritte Form gelockert werden und heroische
Narrative der
Industriegeschichte, wie sie bisher in der Ruhrregion erhalten
wurde, kritisch
hinterfragt werden. Die bisherige Praxis, den Strukturwandel als
reine Erfolgsgeschichte
zu vermitteln, könne durch Künstler:innen und soziale Bewegungen,
sogenannten
„Erinnerungsaktivisten“ verändert werden und eine kritische,
zukunftsweisende
Perspektive eingenommen werden. Durch partizipative Formate, die
eine stärkere
Selbstreflexion erfordern, könnten so wichtige Fragen wie „Wie
wollen wir in
Zukunft leben?“ bürgernah vermittelt werden und Impulse zu einer
neuen
Betrachtungsweise von bisher historisierten Klassendiskursen
führen. In der
Diskussion wurde insbesondere die Relevanz von Bürgernähe in der
Kunstvermittlung hervorgestellt. Zudem verdeutlichte der Vortrag
die Relevanz
von Kunst und Kultur als wichtige Spiegel und Träger
gesellschaftlicher
Selbstreflektion.
JULIANE CZIERPKA (Bochum) richtete ihren Fokus auf jene Sektoren,
die im
Schatten der Montanindustrie standen, wie die Textil- und die
IT-Branche im
Ruhrgebiet. Durch die Dominanz der Kohle- und Stahlindustrie
rückten andere
Arbeitermilieus in den Hintergrund und würden in der Forschung
marginalisiert,
wobei erst eine Betrachtung unterschiedlicher Arbeitergruppen die
Diversität
der Region abbilden könne. Mittels lebensgeschichtlicher
Interviews könnten
subjektiv wahrgenommene Handlungsspielräume der Einwohnerinnen und
Einwohner im
Strukturwandel erfasst und nachvollzogen werden. Insbesondere im
Hinblick auf
sozial-ökonomische Fragen wie die Berufstätigkeit von Frauen im
Ruhrgebiet
könne die Betrachtung von weiteren Industriezweigen Aufschluss
geben. Mit der
vorweg gestellten Frage „Was bleibt von der Kohle“ stellte DELF
SLOTTA
(Saarbrücken) anhand verschiedener Beispiele die Entwicklung der
Industrielandschaft an der Saar vor. Neben den Altlasten und
Ewigkeitsaufgaben,
wie unter anderem die Problematik des Grubenwassers, lag ein
besonderer
Schwerpunkt auf dem Umgang mit noch erhaltenen Relikten, wie bspw.
das
Pumpenhaus am Itzenplitzer Weiher, Bergfestplätze und
Knappschaftskrankenhäusern. In der Diskussion wurde deutlich, dass
das Saarland
mit seiner Industriegeschichte hinter dem Ruhrgebiet förmlich
verschwinde, da hier
die Bemühungen um den Erhalt der Industriekultur überwiegend von
ehrenamtlichem
Engagement ausgingen. Das Saarland als Bundesland sei zudem stark
von
politischen Stimmungen geprägt, was sich auch im Umgang mit dem
industriellen
Erbe niederschlage. Als weitere Problemlagen benannte Slotta die
grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Frankreich, divergierende
politische
und kulturelle Interessen sowie Sprachbarrieren, die eine
fokussierte,
kooperative Zielsetzung bzgl. des Erhalts und der Inwertsetzung
erschwere.
FABIAN LEMMES (Bochum) stellte ein neues, breit angelegtes
Forschungsprojekt
vor, das das Ziel verfolgt, eine vergleichende, transnationale
deutsch-französische Mikrosozialgeschichte der
Deindustrialisierung als
Erfahrungs- und Emotionsgeschichte zu schreiben und deren
Auswirkungen auf
soziale Bindungen, Verhältnisse von Arbeiterinnen und Arbeitern
zur Politik
sowie Netzwerke der Soziabilität zu untersuchen, die zuvor die
Arbeitswelt
strukturierten. Fruchtbar erschien der Ansatz insbesondere
dadurch, dass statt
makroökonomischer Analysen die Emotionsgeschichte einen neuen
Zugang bieten
kann, der bisher wenig berücksichtigt wurde. Gefühle wie Wut,
Angst und Trauer
resultieren schließlich in Praktiken und bestimmen menschliches
Handeln,
weshalb sie als Diskursweiser verstärkt berücksichtigt werden
sollten.
JULIA WAMBACH (Berlin) knüpfte mit ihrem Vortrag an diese Frage
an. Sie forscht
im Rahmen desselben Forschungsprojektes zur Entwicklung von
Solidarität seit
den 1960er-Jahren in Deutschland und Frankreich. Als Fallbeispiele
stellte sie
Lens im nordfranzösischen Kohlenbecken und Gelsenkirchen im
nördlichen
Ruhrgebiet gegenüber, beide Kommunen sind Bewahrer der
Bergbautradition und
zugleich Verlierer der Krise, wofür hohe Arbeitslosenzahlen und
Armut bezeichnend
sind. Was hält die Bewohner der Gebiete zusammen, nachdem die
Arbeit in der
Industrie verschwand? Dass sich neue Formen der Solidarität
bildeten, wenn auch
nicht mehr über die gemeinsame Arbeit, veranschaulichte Wambach am
Beispiel der
Fußballclubs FC Schalke und RC Lens, die sich zumindest ab den
1980er-Jahren
verstärkt mit Themen wie Arbeitslosigkeit auseinandersetzten und
dadurch auch
neue Orte der Solidarität und Zusammengehörigkeit bilden konnten,
so Wambach.
Die Untersuchung hat das Ziel, das bisherige, medial vermittelte
schlechte
Image der Städte zu hinterfragen. In der Diskussion kam die Frage
auf,
inwiefern tatsächlich von einem ehemals durch die Arbeit
evozierten
Zusammengehörigkeitsgefühl gesprochen werden kann oder ob auch
dieses zunächst
nachgewiesen werden müsse.
In der Sektion „Gender“ wurde die Frage nach Geschlechterkonzepten
und
-konstruktionen im Bergbau erörtert und diskutiert, wobei die
Vortragenden zu
ähnlichen Ergebnissen und Schlussfolgerungen gelangten. SEBASTIAN
KNOLL-JUNG (Heidelberg)
zeigte mit seiner Untersuchung zu Arbeitsunfällen und
Unfallverhütung im
Kaiserreich, dass die Risiken des Berufes das Leitbild des starken
und harten
Mannes festigten, was Maßnahmen der Risiko- und
Gesundheitsprävention hemmte.
Verklärungen von Bedrohungen, Abgestumpftheit und das
Herunterspielen von
Schmerz blockierten teils präventive Maßnahmen. Während
Unfallverhütungsmaßnahmen wie beispielsweise Schutzausrüstungen
von den
Arbeitern teils als Schwäche gedeutet wurden, wurde die Familie
als positiver
Einflussfaktor betrachtet, indem an die Rolle des Mannes als
Ernährer und somit
an sein Verantwortungsbewusstsein appelliert wurde. Zu ähnlichen
Ergebnissen
gelangte CHARLOTTE ULLMERT (Saarbrücken), die die Lehrlingszeitung
„Der junge
Bergmann der Saargruben“ nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die
1960er-Jahre auf
Männlichkeitsaspekte hin untersuchte. Auch hier zeigte sich, dass
sich das Bild
des „starken Mannes“ nicht grundsätzlich gewandelt hatte,
propagierte das
Unternehmen dieses doch förmlich. Die Abwertung von Schwäche als
„unmännliche“
Eigenschaft, die Pathetisierung des Berufes, die Abgrenzung von
anderen
Berufsgruppen und die Verklärung des Bergarbeiters zum Helden ließ
sie
Vergleiche zum Soldaten und Militär schließen. Dort seien ähnliche
Images
vertreten, die jedoch im Falle von Unfall und Tod sinnstiftend
wirken können.
Die Rolle der Frau und Konstrukte von Weiblichkeit in
Bergbauregionen stellt
hingegen ein Forschungsdesiderat dar, wie BIRGIT METZGER
(Saarbrücken) zeigte.
Obwohl Frauen in Kriegszeiten sowohl im Bergbau eingesetzt wurden
und auch bei
Streiks und Umweltkonflikten ihr Engagement zeigten, wurden ihre
Lebensbedingungen und ihre Aktivitäten bisher kaum untersucht,
auch tauchen sie
in der industriekulturellen Erinnerung nur am Rande auf. Dabei
profitierten
Frauen weniger von den wirtschaftlichen Vorteilen der
Montanindustrie und
litten gleichzeitig unter den negativen Auswirkungen wie Wasser-
und
Bodenverschmutzung. Hier liegt ein besonderes Potential in der
künftigen
Forschung, eine geschlechtergerechte Geschichte zu schreiben, in
der
Rollenbilder mit Blick auf Ursprünge, Symbiosen und Entwicklungen
analysiert
werden.
Die dritte Sektion eröffnete JOANA BAUMGÄRTEL (Saarbrücken), die
das
Prämienhaussystem der saarländischen Bergarbeiter seit der Mitte
des 19.
Jahrhunderts, die von der Régie des Mines de la Sarre eingeführte
Baudarlehensabteilung sowie das Prinzip der
Bauinteressensgemeinschaft
vorstellte. Alle Maßnahmen verfolgten das Ziel, Arbeitnehmer an
den Arbeitgeber
zu binden und wurden gegebenenfalls auch als Druckmittel
eingesetzt. Mit dem
Rückgang der deutschen Montanindustrie und der Verringerung der
Zahl der
Arbeiter lief auch das Modell der Bauinteressensgemeinschaften
aus, was die
prozesshafte Ablösung von der Montanindustrie in der Saarregion
zeige. THOMAS
FLÄSCHNER (Saarbrücken) widmete sich in seiner Untersuchung zu
Arbeitswegen
einem bisher kaum berücksichtigten Untersuchungsgegenstand. Die
aufschlussreiche Beschreibung der Bestreitung des Arbeits- und
Anfahrtsweges der
saarländischen Bergarbeiter zeigte einen elementaren Bestandteil
des
Arbeitsalltags, war der Weg oftmals schwer zu bestreiten.
Bezeichnungen der
Arbeiter als „Hartfüßler“ und „Ranzenmänner“ fanden so Einzug in
die
Alltagssprache. Konflikte zwischen Arbeitern und dem
Eisenbahnpersonal sind in
archivalischen Quellen gut dokumentiert und füllen so die
Leerstelle im Alltag,
den wortwörtlichen Übergang zwischen Heim- und Arbeitsstätte. Die
Entwicklung
einer saarländischen Industriestadt im 19. und 20. Jahrhundert am
Beispiel St.
Ingbert zeigte HEIDEMARIE ERTLE (Saarbrücken), wobei sie auf die
Besonderheiten
zwischen den preußischen und bayrischen Saarstädten aufmerksam
machte. Gehörte
St. Ingbert zum Bayrischen Königreich, führte die politischen und
geografischen
Faktoren dazu, dass neben der Entwicklung zur Industriestadt auch
ein urbanes
Zentrum entstand, das dazu beitrug, ökonomische Krisen im späteren
20.
Jahrhundert gut zu bewältigen. Zu den Besonderheiten zählte auch
der Einsatz
von 22 Frauen als Grubenbetreiberinnen, was nochmal auf die
Relevanz der
Aufarbeitung von Geschlechterrollen im Bergbau verwies. Der Frage,
wie sich
bergmännische Arbeit und Alltag im langen Strukturwandel ab Ende
der
1950er-Jahre gestaltete, ging STEFAN MOITRA (Bochum) nach. Dabei
rückten drei
Faktoren in den Fokus: der Umgang mit technischem Wandel, mentale
Veränderungen
insbesondere im Hinblick auf hierarchische Strukturen sowie die
Zechenschließungen in Verbindung mit Verlegungen der Belegschaft
in aktive
Bergwerke. Aus umfangreichem Interviewmaterial konnten
Veränderungen
nachgezeichnet werden, so zum Beispiel das Einführen neuer
Betriebsführungsmodelle oder auch die anfänglichen Schwierigkeiten
der
Bergarbeiter mit dem Umgang technischer Neuerungen und Maschinen.
Zudem kristallisierte
sich in den Interviews das Leiden unter dem Verlust von Heimat bei
Verlegungen
in andere aktive Nachbarzechen heraus, genauso wie der schwere
Umgang der
Bergmänner mit Entlassungen in den vorzeitigen Ruhestand.
Die vierte Sektion über Konflikte und Krisen eröffnete FRANK
HIRSCH
(Saarbrücken). Er erörterte die Völkerbundzeit an der Saar und die
Konflikte
zwischen den saarländischen Bergarbeitern und der
Regierungskommission.
Dadurch, dass die Arbeiter sich durch die französische Besatzung
unterdrückt sahen,
wuchsen eine Reihe von Streitereien, Streiks und
Auseinandersetzungen, die
durch den Ruhrkampf noch befeuert wurden. Wobei hier deutlich
wurde, dass die
Bergarbeiter sich für ihre eigenen Interessen stark einsetzten und
sich teils
auch darin behaupten konnten. Dennoch zeigte das harte Vorgehen
der
französischen Grubenverwaltung und Massenentlassungen in der
wirtschaftlichen
Krise Ende der 1920er-Jahre seine Konsequenz in der Saarabstimmung
1935, bei
der über 90 Prozent für eine Rückkehr ins Deutsche Reich stimmten
und damit
Hitler den ersten außenpolitischen Erfolg einbrachte. An dieser
Stelle
interessierte der Vergleich mit der erneuten französischen
Besatzungszeit nach
dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere ob und welche
Konfliktpotentiale sich auftaten.
Zahlreiche Auseinandersetzungen konnte auch AMERIGO CARUSO (Bonn)
für die
Bergarbeiterstreiks im Kaiserreich aufzeigen. Diese verliefen eben
nicht
friedlich und kontrolliert wie bisher angenommen, sondern äußerten
sich trotz
der Disziplin der Arbeiterbewegung in einer Art „kleinen Gewalt“,
wie Caruso
diese bezeichnete. Darunter zählen Belästigungen von
„Arbeitswilligen“ und
Streikbrechern, Drohbriefe und das Tragen von
„Rechtschutzrevolvern“, die ein
neues Bild der Streikbewegung zeichneten, wurde diese auch als
akute Bedrohung
für die Sicherheit im Kaiserreich wahrgenommen. HANS-CHRISTOPH
SEIDEL (Bochum)
arbeitete charakteristische Ausprägungen der Zwangsarbeiter- und
Ausländerbeschäftigung im Steinkohlenbergbau während des Zweiten
Weltkriegs
heraus. Zentral hierbei schien der hohe Anteil der sowjetischen
Kriegsgefangenen ab 1941/42, die mit Abstand die größte nationale
Gruppe in
allen Steinkohlenrevieren darstellte. Gewalterfahrungen und
Mangelernährung,
insbesondere die sogenannte „Leistungsernährung“, bei der
besonders
leistungsstarke Zwangsarbeiter als Belohnung die Nahrungsration
der schwachen
Zwangsarbeiter erhielten, demonstrierten das grausame
Zwangsarbeiterregime der
Reichsvereinigung Kohle. Obwohl der Steinkohlenbergbau nicht
Initiator der Brutalitäten
war, so war er doch maßgeblich an Ausbeutung und Folter beteiligt.
NINA SCHMIT (Saarbrücken) fragte in ihrem Vortrag nach der
In-Wert-Setzung
ehemaliger Bergbaustandorte am Beispiel des ehemaligen
saarländischen Bergwerks
Reden und verdeutlichte die gegensätzlichen Interessen bei der
zukünftigen
Entwicklung der industriellen Relikte. Der als „Erlebnisort Reden“
beworbene
Ort würde zwar durch sein vielfältiges Angebot an Natur,
Naherholung und
Eventtourismus als Erfolg betrachtet, doch zeigen die Probleme bei
der
Durchsetzung von Ideen und Plänen auch die Konfliktpotentiale auf:
Fragen der
Sicherheit, Artenschutz und der Erhalt als Kulturdenkmal stehen
einer
touristischen Nutzung gegenüber und eröffneten ein Spannungsfeld
zwischen
Wirtschaftlichkeit und Industriekultur, wie es für sämtliche
Bergbaustandorte
gelten könne.
MICHAEL FARRENKOPF (Bochum) resümierte im abschließenden
Kommentar, dass der
Bergbau als Bestimmer globaler Prozesse gelte, allein dadurch
bedingt, dass
Fragen nach dem Umgang mit fossilen Rohstoffen seit jeher ein
entscheidender
Faktor für Gesellschaft, Technologie und Umwelt darstellen. Damit
eröffne sich
ein Spannungsfeld zwischen Lokalität, Distribution, Konsum und den
ökologischen
Folgen des Bergbaus, das auch in der künftigen Forschung als zu
berücksichtigen
sei. Erinnerungsnarrative seien ebenfalls von entscheidender
Bedeutung,
verhelfen sie der Geschichtsschreibung des Bergbaus zu
Authentizität und
wirkten auf historisierende Perspektiven korrigierend. Allgemein
stelle sich
die Frage in der künftigen Forschung nach der Konstruktion von
Raum und
Materialität, Umwelt und Wissen, Gesellschaft und Kultur sowie
Verflechtung und
Rückkopplung, wobei Bergbaugeschichte globaler werden müsse –
insbesondere
unter Berücksichtigung der vielen beteiligten Akteure und Gruppen,
die
miteinander verknüpft sind und auch in wechselseitigen
Austauschbeziehungen
zueinanderstehen.
Insgesamt verdeutlichte die Tagung die Fülle an Themen und
Perspektiven, die
teils trotz der enormen Bedeutung des Steinkohlenbergbaus für
Deutschland noch
etliche Forschungslücken aufweisen. Unberücksichtigte
Quellenbestände und
Zeitzeugeninterviews gilt es nun aufzugreifen und auszuwerten und
somit die
Bergbaugeschichte voranzutreiben. Neuere Perspektiven,
insbesondere was neue
Formen der Erinnerungskultur, Gender- und Emotionsgeschichte sowie
die
Berücksichtigung weiterer Industriezweige als Teil einer
gesamthistorischen
Industriegeschichte betrifft, können sich auch für das Saarland
als fruchtbar
erweisen.
Konferenzübersicht:
Öffentlicher Abendvortrag
Stefan Berger (Bochum): Urbane Künste Ruhr im Strukturwandel:
Erinnerung an
Industrialisierung und Deindustrialisierung
Sektion 1: Deindustrialisierung
Moderation: Stefan Berger (Bochum)
Juliane Czierpka (Bochum): Strukturwandel im Schatten von Kohle
und Stahl. Das
Ruhrgebiet
Delf Slotta (Saarbrücken): Zum kulturellen Erbe des Saarbergbaus –
Gebäude,
technische Anlagen, Landschaftsbauten und Bergbaulandschaften
Fabian Lemmes (Bochum): Für eine Erfahrungs- und
Emotionsgeschichte der
Deindustrialisierung
Julia Wambach (Berlin): Das Ende der Solidarität?
Deindustrialisierung in
Deutschland und Frankreich seit den 1960er-Jahren
Sektion 2: Gender
Moderation: Jonas Nesselhauf (Saarbrücken)
Sebastian Knoll-Jung (Heidelberg): Der Bergmann an der Saar
zwischen Peer
Group, Familie und sozialem Umfeld – Aspekte von Männlichkeit im
Kontext von
Arbeitsunfällen und deren Folgenbewältigung
Charlotte Ullmert (Saarbrücken): “Ein Bergmann will ich werden...”
Konzepte von
Männlichkeit im saarländischen Steinkohlenbergbau
Birgit Metzger (Saarbrücken): Konstruktionen von Weiblichkeit –
Fallbeispiele
aus der Saarregion
Sektion 3: Alltag und Biografien
Moderation: Barbara Krug-Richter (Saarbrücken)
Joana Baumgärtel (Saarbrücken): Bauen in Gemeinschaft – Zur
Eigenheimkultur im
saarländischen Bergbau nach dem Zweiten Weltkrieg
Thomas Fläschner (Saarbrücken): “Seitdem die Bahn fährt, ist ja
das
Schaffengehn auf die Grub een Plaisir” – Die Nutzung der Eisenbahn
durch die
Bergarbeiter des Saarreviers
Heidemarie Ertle (Saarbrücken): Gebaut auf schwarzem Gold – Die
Stadt St.
Ingbert und der Bergbau
Stefan Moitra (Bochum): “Ich habe Untertage nicht mehr
wiedererkannt.” –
Bergmännische Arbeit und Alltag im langen Strukturwandel
Sektion 4: Konfliktfelder und Krisen
Moderation: Gabriele Clemens (Saarbrücken)
Frank Hirsch (Saarbrücken): Bergbau im Saargebiet – Zwangslagen
und Dauerkrise
Amerigo Caruso (Bonn): Bedrohung an Ruhr und Saar –
Bergarbeiterstreiks und die
Sicherheitsarchitektur des Deutschen Kaiserreichs
Hans-Christoph Seidel (Bochum): Ausländerbeschäftigung und
Zwangsarbeit im
deutschen Steinkohlenbergbau während des Zweiten Weltkriegs
Nina Schmit (Saarbrücken): Konfliktpotenzial im Umgang mit dem
Erbe des
saarländischen Steinkohlenbergbaus
Fazit und Abschlusskommentar
Michael Farrenkopf (Bochum)
Zitation
Tagungsbericht: Eine Welt der Kohle. Historische Perspektiven auf
den Bergbau
im Saarrevier im überregionalen Vergleich, In: H-Soz-Kult,
17.12.2022, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-131965>.
Date: 2022/12/17 10:28:33
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Saarbrücker
Zeitung, 16. Dezember 2022
Aus für die Krippenausstellung des St. Wendeler Künstlers Karl
Heindl : Weil
sich keine Herberge für alle fand
Von Evelyn
Schneider
Musik wird im Hintergrund erklingen, die Krippen werden beleuchtet
sein. Ein
bisschen wie früher und doch ganz anders. Denn es ist Stück für
Stück auch ein
Abschied – von der Ausstellung von Karl Heindl. Sie gehörte für
viele Menschen
fest zur Vor- und Weihnachtszeit in St. Wendel dazu. Der 2016
verstorbene
Künstler hatte es über die Jahre Dank seiner Schaffensfreude und
Sammelleidenschaft auf einen Fundus von mehr als 550 Krippen
gebracht. Seit
1988 wurden diese Jahr für Jahr in einer Ausstellung präsentiert.
Auch nach dem
Tod des St. Wendeler Krippenbauers. Seine Frau Marliese Heindl und
sein
langjähriger Freund Ernst Wilhelm Kiefer empfingen fortan die
Besucher in den
Räumlichkeiten unterhalb der Missionshaus-Buchhandlung. Bis
schließlich das
Coronavirus 2020 die Tradition unterbrach. Auch Heindl und Kiefer
gingen damals
noch von einer pandemiebedingten Pause aus. Doch es sollte alles
anders kommen.
Wenn Marliese Heindl an diesem Samstag und Sonntag, 17. und 18.
Dezember, die
Tür zur Krippenschau aufschließt und nochmals Gäste empfängt, dann
wird es kein
Ausstellungswochenende wie einst sein. Denn wer möchte, kann die
Kunstwerke,
die auf verschiedene Weise die Geschichte von Christi Geburt
erzählen, nicht
nur bestaunen, sondern auch erwerben. Die Sammlung wird aufgelöst.
Die
Entscheidung dazu ist der 71-Jährigen nicht leicht gefallen. „Aber
inzwischen
weiß ich, es ist der richtige Zeitpunkt“, sagt Heindl. Diesen hat
sie gemeinsam
mit der Familie abgestimmt.
Einige der Exponate haben bereits neue Besitzer gefunden. So
sicherten sich
Familienmitglieder und Freunde ihre Lieblingsstücke. Marliese
Heindl hat in
ihrem Keller eigens einen Raum für einige der Werke hergerichtet.
Aber auch
Interessenten außerhalb des direkten Umfelds des Künstlers
meldeten sich. So
wird die große Kirchen-Krippe aus der Sammlung künftig ihren Platz
bei der Benediktinerabtei
St. Mauritius in Tholey finden. Gleich zwei Krippen
gingen zum
Wendelinushof in St. Wendel. Eine wurde in der Hofkapelle
platziert, die zweite
kann im Hofladen bestaunt werden. „Es ist schön, die Krippen in
guten Händen zu
wissen“, sagt Marliese Heindl. Besonders habe sie sich gefreut,
dass auch die
acht Meter breite Panorama-Krippe bereits einen neuen Besitzer
gefunden hat.
Von 1963 bis 1999 hat Karl Heindl an dieser Szenerie gearbeitet.
Seiner Witwe
war sie immer eine der liebsten.
In der Adventszeit vor einem Jahr wussten Marliese Heindl und
Ernst Wilhelm
Kiefer bereits, dass es für die Ausstellung in den Räumlichkeiten
des
Missionshauses nicht weitergehen würde (wir berichteten). Dessen
Leiter hatte
sie darüber in Kenntnis setzen müssen, dass die Schau aus
Brandschutzgründen
nicht mehr öffnen kann. Diese Nachricht begriffen beide damals
auch als Chance.
„Denn wir hatten uns Gedanken gemacht, wie lange wir das noch
stemmen können“,
blickt Heindl zurück. Daher begaben sie sich auf die Suche nach
einer neuen
Herberge für die Schau.
In einem ersten Schritt informierten sie den St. Wendeler
Bürgermeister Peter
Klär (CDU) und Landrat Udo Recktenwald (CDU) über die Umstände.
„In der Folge
haben wir viele Gespräche geführt“, sagt die 71-Jährige. Sie war
offen, was
eine mögliche Präsentation der Krippen betraf. Sie hätte sich
vorstellen
können, die Sammlung aufzuteilen. Nach einiger Zeit des Wartens
kam dann ein
Lichtblick. Dieser hieß Hospital-Kirche. Es gab den Vorschlag,
dort einen Teil
der Werke zu zeigen. „Wir waren regelrecht euphorisch“, gesteht
Heindl. In
Gedanken habe sie schon die Krippen im Raum platziert. Die Idee
gefiel ihr immer
besser. Doch auf die Freude folgte der Rückschlag. Die Ausstellung
könne doch
nicht übersiedeln. Wieder lagen die angegebenen Gründe im
Brandschutz. Zudem
müsse das Dach saniert, Fluchtwege müssten eingerichtet werden. Zu
teuer.
Jetzt, da sich das Aus für die Sammlung herumspricht, reagierten
einige
Menschen sehr enttäuscht. Marliese Heindl selbst hat Verständnis
dafür, dass an
vielen Stellen jetzt das Geld fehle. Auch die Stadt St. Wendel
stünde vor
vielen Herausforderungen.
Durch Karl Heindls Ausstellung zu schlendern, bedeutete auch immer
Geschichten
zu lauschen und später, nach seinem Tod, für Bekannte, in
Erinnerungen zu
schwelgen. Dazu bietet sich an diesem Wochenende sowie am zweiten
Weihnachtsfeiertag nochmals die Gelegenheit, wenn Marliese Heindl
Gäste
empfängt, um Stück für Stück die Krippensammlung loszulassen.
Aktion: Marliese Heindl und Ernst Wilhelm Kiefer sind an diesem
Samstag und
Sonntag, 17. und 18. Dezember, sowie am zweiten Weihnachtstag, 26.
Dezember, je
von 14 bis 18 Uhr in den Räumen der Ausstellung (unterhalb der
Missionshaus-Buchhandlung in St. Wendel), um Interessenten die
Möglichkeit zu geben,
Exponate zu erwerben. Dies ist zudem nach vorheriger telefonischer
Vereinbarung
möglich bei Marliese Heindl,Telefon (0 68 51) 12 98 oder Ernst
Wilhelm
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Date: 2022/12/17 10:34:10
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Saarbrücker Zeitung, 15. Dezember 2022 um 08:53
Uhr 9
Minuten
75 Jahre Saar-Verfassung : „Das Saarland ist sicher das
internationalste aller
Bundesländer“
Professor Rainer Hudemann hatte bis 2013 den
Lehrstuhl für
Neuere und Neueste Geschichte an der Universität des Saarlandes
inne. Hudemann
(74) gilt als großer Frankreichkenner, er hat Jahrzehnte lang zum
deutsch-französischen Verhältnis geforscht. Von 2010 bis 2013
hatte er auch
eine Professur an der Pariser Sorbonne. Foto: Iris Maria Maurer
75 Jahre alt wird die saarländische Verfassung. Am 15. Dezember
1947 wurde sie
verabschiedet – zu einer Zeit, als das Saarland unter
französischer Verwaltung
stand. Nur ein einziges Änderungsgesetz und die ersatzlose
Streichung der
Präambel zur Verfassung waren 1956 nötig, um sie bei der
Rückgliederung in die
Bundesrepublik als Landesverfassung des neuen Bundeslandes zu
übernehmen.
Dieselbe Verfassung für zwei völlig verschiedene politische
Einbettungen (hier
Frankreich, da Deutschland), ist das nicht bemerkenswert?
HUDEMANN Das ist tatsächlich sehr bemerkenswert. Es gibt ja bis
heute noch die
Vorstellung, das Saarland sei ein französisches Protektorat
gewesen. Was es nie
war. Es blieb nicht politisch, aber staatsrechtlich 1947 noch Teil
des
Deutschen Reiches, doch mit einem unklaren teilautonomen Statut.
Die
Verfassung, für die es ganz unterschiedliche Pläne von
französischer Seite
gegeben hatte, glich in ihrer Struktur letzten Endes anderen
westdeutschen
Landesverfassungen dieser Jahre. Deshalb war 1956 auch keine
Änderung nötig.
Mit einem entscheidenden Unterschied zu anderen
Landesverfassungen: ihre
Präambel. Diese legte fest, dass das Saarland im Sinne einer Zoll-
und
Währungsunion wirtschaftlich an Frankreich angeschlossen und seine
Landesverteidigung und Außenpolitik in die Hände Frankreichs
gelegt wurden.
Ausdrücklich fixiert wurde in dieser Präambel auch die „politische
Unabhängigkeit des Saarlandes vom Deutschen Reich“ – die
Bundesrepublik wurde
ja erst zwei Jahre später gegründet. Spiegelte die Präambel den
Mehrheitswillen
der saarländischen Bevölkerung wider? Ein Referendum über die
Verfassung – und
damit auch über die Präambel – fand ja nie statt…
HUDEMANN Die Präambel und grundlegende Einzelbestimmungen sind
weit entfernt
von dem, was manche französischen Regierungsverantwortliche
angestrebt haben,
nämlich eine weitergehende Angliederung des Saarlandes an
Frankreich. In die
Verfassung sind viele grundsätzliche Bestimmungen eingegangen, die
den
deutschen Traditionen und den saarländischen Forderungen
entsprochen haben. Die
Saarländer haben sich weitgehend durchgesetzt und hatten dafür oft
auch den
Rückhalt des Landesgouverneurs Gilbert Grandval. Er hat die
Saarländer intern
immer wieder massiv unterstützt gegen weitergehende Bestrebungen
aus Paris.
Setzte Frankreich darauf, dass die Wirtschaftsunion früher oder
später das
Saarland an Frankreich binden würde?
HUDEMANN Das Problem ist zunächst einmal, dass es „Frankreich“ in
diesem Sinne
nicht gab. Vielmehr wurden in Paris ganz verschiedene Positionen
zur Saarfrage
vertreten. Eine Annexion war schon 1945 ausgeschlossen worden,
auch wenn die
französische Bevölkerung ganz selbstverständlich davon ausgegangen
war. Das
Saarland stand nicht voll unter französischer Verwaltung.
Maßgebliche
Befugnisse wurden vielmehr selbst ausgeübt, eingeengt durch eine
Reihe von
Konventionen Anfang der 1950er Jahre. Deswegen scheint mir der
Begriff einer
„Teilautonomie“ die Situation am besten zu treffen. Im
wirtschaftlichen Bereich
muss man daran erinnern, dass erhebliche Teile der französischen
Wirtschaft gegen
eine weitgehende Wirtschaftsunion waren, weil sie die Konkurrenz
aus dem
Saarland fürchteten. Vor allem die Schwerindustrie in Lothringen
hat häufig zu
bremsen versucht. Man fürchtete auch, dass die saarländische
Industrie durch
die französische Politik zu stark modernisiert würde. Ein
Schwarz-Weiß-Bild
„französische gegen saarländische Interessen“ wird der komplexen
Dynamik der
saarländischen Entwicklung daher nicht gerecht.
Einerseits galt das Saarland unter Adenauer als „Stolperstein“,
andererseits
baute es entscheidende Brücken für die deutsch-französische
Verständigung.
Welche Rolle spielte der saarländische Sonderweg für das spätere
deutsch-französische Verhältnis?
HUDEMANN Den Stolperstein musste man beiseite räumen. Das gelang
nur auf
höchster Regierungsebene: Er wurde damit zum Meilenstein. Als
verbindendes
Element zwischen beiden Nationen war und ist das Saarland bis
heute in einer
ziemlich einzigartigen Situation. So sehen das nicht zuletzt
viele, die wie ich
von außen ins Saarland gekommen sind. Zugleich sind im Saarland
Konflikt und
Kooperation, wie häufig im deutsch-französischen Bereich, stets
vielfältig
miteinander vernetzt.
Wenn man jungen Leuten heute sagt, dass die Saarländer 1948 eine
eigene
Staatsbürgerschaft bekamen und das Saarland bei der Qualifikation
zur
Fußball-WM 1954 eine eigene Nationalelf stellte, dann gibt dies
eine Ahnung
davon, was diese Sonderrolle des Saarlandes alles umfasste. Was
waren die
Kern-Aspekte dieser Teil-Autonomie?
HUDEMANN Das ist vor allem die Wirtschafts- und Währungsunion mit
Frankreich.
Und die sehr vielfältig konkret verankerte Internationalität: Man
war hier
nicht voll integriert in einen Nationalstaat, sondern hatte eine
Zwischenposition, in der deutsche und französische Einflüsse eine
zentrale
Rolle gespielt haben. Das hat dieses Land langfristig maßgeblich
geprägt, die
heutige Frankreichstrategie führt das in neuen Formen fort.
Wie hat sich die Sichtweise auf die Rolle Frankreichs in den
Jahren 1945 bis
1956 verändert?
HUDEMANN In der Nachkriegszeit und vor allem ab etwa 1952 hat sich
die Haltung
gegenüber Frankreich sehr stark gewandelt. Das kann man an den
Wahlergebnissen
ablesen. 1947 hatte die Politik eines Wirtschafts- und
Währungsanschlusses an
Frankreich einen starken Rückhalt im Saarland. Während in
Deutschland – nicht
zuletzt aufgrund der völlig dilettantischen Wirtschafts- und
Finanzpolitik der
Nazis – die Wirtschaft zusammenbrach, profitierte das Saarland
früh von der
Anbindung an Frankreich. Im Zusammenwirken mit den Franzosen hatte
man auch
eine hervorragende Sozialpolitik. Die Familienbeihilfen im
Saarland lagen z.B.
weit über dem westdeutschen Durchschnitt.
Die Jahre unter französischer Verwaltung brachten dem Saarland
eine kulturelle
Blütezeit: Die Universität wurde gegründet, dazu die Kunst- und
Musikhochschule
oder der Sender „Europe 1“ in Berus. Das Kulturleben war reich und
vielfältig.
Auch wirtschaftlich stand man besser da als das übrige
Deutschland. Ihre
Forschungen haben früh den Blick dafür geöffnet, dass man in
Frankreich sehr
wohl wusste, dass die Saarländer sich nur durch Demokratisierung,
Wirtschaftsaufbau und kulturelle Teilhabe für sich gewinnen
ließen. Die
Saarabstimmung ging aus französischer Sicht dennoch verloren:
Votierten die
Saarländer für Deutschland oder gegen Frankreich?
HUDEMANN Ein entscheidendes Element der französischen Politik war
die Demokratisierungspolitik.
Man hatte die Vorstellung, dass „die“ Deutschen einen autoritären
Charakter
hatten. Nicht zuletzt, weil sie die Kriege 1870, 1914 und 1939
begonnen hätten.
Schon die ersten Geheimdirektiven de Gaulles enthielten 1945
Vorgaben zur Demokratisierung
der Deutschen. Für die Franzosen nahm dabei die Kulturpolitik eine
ganz
zentrale Position ein. Bis 1949 stellten die Franzosen
beispielsweise etwa 50
Ausstellungen zusammen, die durch fast alle Besatzungszonen
gewandert sind.
Dahinter stand die Vorstellung, dass Kultur völkerverbindend ist.
Aber nochmal: Votierten die Saarländer damals für Deutschland oder
votierten
sie gegen Frankreich?
HUDEMANN 1952 begann die Zustimmung zu Frankreich bereits zu
bröckeln. 1954
muss man dann in einem umfassenderen Kontext sehen: Die Politik
der Regierung
unter Johannes Hoffmann, oppositionelle politische Kräfte zu
reglementieren,
trug zum Verlust dieses Rückhaltes bei. Sogar Gouverneur Grandval
ermahnte
Hoffmann, demokratische Regeln zu beachten. Hinzu kommt:
Frankreich verlor
damals zunehmend seine Kolonien. Deutschland hatte sein
sogenanntes
„Wirtschaftswunder“. Die Bundesrepublik war stabil, während die
Vierte Republik
ständige Regierungswechsel erlebte. Nach der Gründung der
Montanunion 1952
setzte man auch im Saarland noch auf eine weitergehende
Europäisierung. Doch
die Europäische Verteidigungsgemeinschaft scheiterte dann, und das
letztlich an
Frankreich. Das heißt: Vieles, was das Prestige Frankreichs
ausgemacht hatte,
ging in den Jahren 1952 bis 1954 verloren. Dennoch interpretiere
ich das
Abstimmungsergebnis von 1954 anders, als man dies gemeinhin tut:
Dass trotz der
skizzierten, völlig veränderten Rahmenbedingungen noch fast ein
Drittel der
Bevölkerung für die Annahme des Europastatuts votierte, ist
ungeheuer viel. Es
war keine Niederlage für Europa. Es bleibt für mich Ausdruck der
beeindruckenden internationalen Orientierung des Saarlandes.
Welche Rolle spielte der Katholizismus im Saarland? 75 Prozent
aller Saarländer
waren Katholiken damals, der Trierer Bischof propagierte die
Rückbindung an
Deutschland. Wie stark beeinflusste dies, neben den Verheißungen
des deutschen
Wirtschaftswunders, die Abstimmung?
HUDEMANN Ich denke, das hat eine gewisse Rolle gespielt, aber ist
schwer zu
quantifizieren. Die Rolle der katholischen Kirche war
uneinheitlich, wie Judith
Hüser in unserem Buch zeigt. Bei der Heilig-Rock-Wallfahrt 1933,
zu der das
Bistum Trier über zwei Millionen Pilger zählte, demonstrierte der
Trierer
Bischof Bornewasser die Allianz von Kirche und
nationalsozialistischem Staat,
um insbesondere die Saarländer in ihrem 1935 bevorstehenden Votum
dafür zu
gewinnen. Das war ein kompliziertes Erbe. In den 1950er Jahren
verliefen die
innerkirchlichen Frontstellungen anfangs teilweise entlang der
Europäisierungsfronten,
doch verloren sie bereits im Vorfeld der Abstimmung in beiden
Kirchen an
Wirkungskraft. Der Plan eines eigenen Saar-Bistums erledigte sich
von selbst
durch das Abstimmungsergebnis.
Der lange vergriffene, bis heute sehr, sehr lesenswerte
Tagungsband „Die Saar
1945-1955“, der auf ein historisches Kolloquium im Landtag mit
ehemaligen
Entscheidungsträgern im Jahr 1990 zurückgeht, ist nun neu
aufgelegt und um
sechs wissenschaftliche Beiträge ergänzt worden, die neue Facetten
jenes
historischen Saar-Jahrzehnts von 1945 bis 1955 offenlegen. Der
saarländische
Sonderweg liegt nun 75 Jahre zurück, gerade mal drei Generationen.
Welche Lehre
können junge Menschen heute aus ihm ziehen?
HUDEMANN Ermutigung zur internationalen Arbeit und zur Kooperation
– gerade
trotz der Schwierigkeiten. Wie viele Initiativen vom Saarland auf
dieser
Grundlage ausgingen, wusste ich auch erst teilweise, bevor ich
hier Professor
wurde und darüber forschte. Die späte Eingliederung in die
Bundesrepublik
führte aber auch, zu Lasten des Saarlandes, zu einer anderen
Sonderrolle: Man
nimmt seine internationale Leistungsfähigkeit überregional zu
wenig wahr.
Wie hätten sich die Dinge wohl weiterentwickelt, wenn das zweite
Saar-Statut
1954 nicht von zwei Dritteln der Bevölkerung abgelehnt worden
wäre, sondern das
Saarland einen europäischen Status erhalten hätte? Nach
französischen Plänen
sollte Saarbrücken Sitz der Montanunion werden. Auch wäre man
Vorhut Europas
gewesen. Wäre Saarbrücken heute vielleicht Brüssel oder Luxemburg?
HUDEMANN Das französische Konzept für die Saar war beeinflusst von
dem Beispiel
Luxemburgs. Bis in die Institutionen hinein sieht man das.
Luxemburg ist aber
ein Nationalstaat. Das ist ein großer Unterschied. Dass Luxemburg
auf den Sitz
der Montanunion verzichtet hätte, halte ich für ausgeschlossen.
Und Frankreich
hat Straßburg für europäische Institutionen favorisiert. Dass das
Saarland zur
Hauptstadt Europas hätte werden können, halte ich daher für eine
sehr
sympathische, aber unrealistische Hoffnung. Das Saarland aber ist
sicher heute
das internationalste aller Bundesländer.
Der von Rainer Hudemann, Raymond Poidevin und Armin Heinen
herausgegebene Band
„Die Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte“ ist
in 3. Auflage
– maßgeblich erweitert um sechs lesenswerte wissenschaftliche
Beiträge – im
Verlag de Gruyter / Oldenbourg neu aufgelegt worden und kostet
79,95 €.
Der saarländische Landtag kommt aus Anlass des 75-jährigen
Verfassungsjubiläums
um 11 Uhr zu einer parlamentarischen Feierstunde zusammen.
Date: 2022/12/17 15:26:05
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Quelle: Rheinpfalz, 10.-11. Dezember 2022
Der Ausundeinwanderer
Zufälle gibt es: Da bewirbt sich ein junger US-Amerikaner um einen
Job als Verfahrenstechniker
in der Pfalz. Er bekommt die Anstellung und merkt erst nach der
Ankunft , dass
er in der alten Heimat seiner Familie gelandet ist. Denn seine
Vorfahren sind
Pennsylvanisch-Deitsche.
Von Stefan Keller
Der US-Amerikaner Erich Mace aus Pennsylvania, seine Frau Erin und
seine Tochter
Eva kommen Ende November 2018 in Frankenthal an.
Mace, heute 40 Jahre alt, hat in den USA Deutsch und
Verfahrenstechnik studiert
und ist dort auch auf das JobAngebot in der Alten Welt gestoßen.
Inzwischen arbeitet er in Teilzeit bei der Firma Worley, einem
BASF-Partnerunternehmen, in der Anilin in Ludwigshafen. Parallel
promoviert er
an der FU Berlin. Seine Frau Erin ist Englischlehrerin an einer
Internationalen
Schule in Viernheim. Die heute 36Jährige stammt aus Michigan. In
der Stadt
fühlen sie sich sofort bestens aufgenommen. „Die Menschen sind
offen und
freundlich“, sagt Erin Mace.
Was beiden US-Amerikanern nicht klar ist, als sie in der Pfalz
ankommen: Die
Familie ist in der Heimat ihrer Vorfahren gelandet, wo inzwischen
auch ihr
heute fünf Monate alter Sohn Steven geboren ist. Erich Maces
Eltern und
Großeltern leben im Umland der 95.000 Einwohner zählenden
Industriestadt
Reading in Pennsylvania, im „Pennsylvanisch-Deitsche Land“, wo
Hunderttausende
Menschen eine Sprache sprechen, die dem Pfälzischen eng verwandt
ist.
Auch Erich Mace kennt diese Sprache von Kindesbeinen an, in der er
inzwischen
sogar Lieder schreibt, um sie bewahren zu helfen. Stellt sich die
Frage, warum
er erst in Ludwigshafen und Frankenthal bemerkt hat, dass er
mitten in der
eigenen Familiengeschichte gelandet ist. Warum er also trotz enger
historischer
Verbindung ziemlich blind war für den Ursprung dieser Wurzeln, als
er und seine
Familie in der Pfalz einen neuen Anfang wagten.
Erich Mace erzählt, dass sich seine Großeltern gar nicht gern zu
ihrer eigenen
Herkunft bekennen. Viele ausgewanderte Deutsche und die
Generationen danach
hätten amerikanisches Englisch mit starkem deutschen Akzent und
durchaus
fehlerbehaftet gesprochen. Dafür seien sie von den Einheimischen
kritisiert und
für nicht gerade clever gehalten worden.
„Deitsch ist dumm“, heißt ein Lied, das Erich Mace geschrieben
hat. Darin
erklärt er, wie es sich anfühlt, von oben herab betrachtet zu
werden. Die
ältere Generation – auch Maces Großeltern – habe das den Jungen
ersparen wollen.
Die Erfahrungen der USA mit Nazi-Deutschland trugen ebenfalls dazu
bei, dass
Pennsylvanisch-Deitsche ihren möglichen Stolz auf ihre deutschen
Wurzeln nicht
unbedingt gerne zur Schau getragen haben.
Auch wenn seine Eltern – „Mei Daadi ist Vermögensberater gewest
und meine Maami
Abwaerdern, also Krankenschwester“ – schon viel offener mit der
Sprache aus der
Alten Welt und der eigenen Vergangenheit umgegangen seien, habe
das alles dazu geführt,
dass Erich Mace bis heute noch nicht weiß, von wo ganz genau aus
sich seine
Ahnen vor gut 300 Jahren über den Atlantik aufgemacht haben.
Vielleicht wird er
es auch nie erfahren.
In der neuen Heimat in Frankenthal pflegen die Maces nun den
gesamten
Sprachschatz ihrer Familie. Erin Mace redet mit den Kindern nur
Amerikanisch,
Erich Mace spricht bewusst PennsylvanischDeitsch, Hochdeutsch und
Frankenthaler
Pfälzisch. Es soll nichts vergessen und es soll nichts unter den
Tisch gekehrt
werden. Maßgeblich geholfen, die Pfalz für sich verorten zu
können, hat dem
jungen Ehepaar der Film „Hiwwe wie driwwe“ von Benjamin Wagener
(Schwegenheim)
und Christian Schega (Landau), der 2019 die Region begeistert und
vielen
Pfälzern die Auswandergeschichte witzig-ironisch, aber auch
informativ
näherbrachte.
In „Hiwwe wie driwwe“ hatte sich der US-amerikanische und
pennsylvanisch-deitsche Deutschlehrer Douglas Madenford als
Hauptdarsteller auf
Spurensuche begeben. Am 24. April 2019 feierte der Streifen,
gedreht in
Pennsylvania rund um die pennsylvanisch-deitsche Hochburg Kutztown
mit seinem
Heritage-Center sowie in der Pfalz, eine umjubelte Premiere in
Landau.
Erich und Erin sehen den Streifen im Frühjahr 2019 und sind
vollkommen
überrascht: „Wir haben darin unsere Heimat gesehen, Straßen, die
wir kannten,
Städte und die Gegend, aus der wir kommen“, berichten sie im
Gespräch mit der
RHEINPFALZ am SONNTAG. Und sie stellten fest: Die Pfalz rund um
Ludwigshafen
ähnelt auch landschaftlich der alten Heimat sehr. Die 1748
gegründete Stadt
Reading ist der Verwaltungssitz von Berks County im „Rust Belt“,
dem „Rostgürtel“,
der ältesten und größten Industrieregion im Nordosten der
Vereinigten Staaten,
die sich über mehrere Staaten erstreckt und in weiten Teilen
ländlich geprägt
ist. Im Film erkennt Erich Mace mit Doug Madenford auch seinen
zwei Jahre
älteren Schulkameraden wieder. Beide hatten in den USA denselben
Deutschlehrer,
sind später zeitweise sogar Kommilitonen. Das alles weckt bei
Erich Mace
Heimatgefühle und das Interesse an der eigenen Sprache und der
Geschichte noch
einmal neu.
Das Ehepaar Mace hat die RHEINPFALZ am SONNTAG zum Mittagessen mit
einem
Festtagsgericht aus der Heimat eingeladen: Auf dem Tisch stehen
„Buweschenkel“,
eine Schüssel „Gummerselaat“ und „Rotrieweoier“. Das sind große
gefüllte
Ravioli, hartgekochte Eier in Rote-BeteSalat und Gurkensalat.
Sofort sind die Bezeichnungen
Gesprächsthema.
„Mir sagen Gummer zur Gurke, wie heißt bei euch die Ernte?“, fragt
Erich.
„Gummere sagen wir auch, antwortet der Autor. Und die werden
„gerobbt“.
„Wie bei uns“, sagt Erich. „Buweschenkel“ bezeichnet die Form der
Nudel. Das
schwäbische Wort „Buwespitzle“ für Schupfnudeln kennen die Maces
noch nicht.
Aber die Erklärung sorgt natürlich für Heiterkeit.
Zum Innenleben der Nudeln. Mace holt eine Schüssel aus der Küche
und erklärt:
„Des isch es Fillsel.“ Klingt wie in der Pfalz: „Das“ wird durch
„es“ ersetzt.
„Die Englischen sagen ,Dutch potato filling’“. Die Zutaten sind
laut Erich und
Erin: „Grumbeere, altes Brot, Zwiwwle, Sellerie, Budder, Salz un
Peffer.“
Übergossen mit flüssiger Butter ist das Ganze sehr schmackhaft und
macht
ziemlich satt.
Mace hat Chemie und Mathematik studiert, Nebenfach Deutsch. „Mein
Deutschunterricht
hat mir in der High School gut gefallen, und neben den familialen
Gründen fand
ich, dass Deutsch immer noch im Bereich Chemie und
Ingenieurwissenschaften
relevant war.“ Das war jedenfalls seine eigentliche Motivation,
eine
Arbeitsstelle in Deutschland anzunehmen.
„Was wären die Mathematik und Chemie ohne Kepler, Gauß, Leibniz,
Helmholtz,
Einstein, Heisenberg und Haber oder die Weltwirtschaft ohne Bayer,
die BASF und
Linde?“, fragt er am Esstisch rhetorisch und in gesprochenem
Schriftdeutsch –
bevor er lässig wieder ins Pennsylvanisch-Deitsche wechselt, das
nach
offiziellen Angaben heute noch rund 400.000 Menschen in den
Vereinigten Staaten
sprechen, darunter viele Amische und Mennoniten.
Erich Mace kennt viele von ihnen aus seinem früheren Leben. „Die
Amishe leben
noch immer sehr abgeschlossen für sich auf ihren ,Bauereien’“, –
ihren
Bauernhöfen. Dort bleibe die Sprache weiter urtümlich erhalten,
auch weitgehend
unbeeinflusst vom starken Tourismus in der Region oder modernen
Entwicklungen.
Maces eigene Familie ist dagegen evangelisch-freikirchlich
geprägt.
„Die sogenannten ,fancy’ Pennsylvanisch-Deitschen waren schon
immer stärker der
Welt zugewandt, blieben nie nur unter sich“, erklären Mace und
seine Frau Erin.
„Fancy“ bedeutet „schick“ und hat oft auch einen leicht ironischen
Unterton.
Erich und Erin Mace sind fest überzeugt, dass sich die Sprache
Pennsylvanisch-Deitsch weiter verändern wird. „Es gibt zum
Beispiel in der
alten Sprache keine Worte für alle technischen Neuerungen“,
erklärt Mace.
„Dafür werden die englischen einfließen.“ Oder es werden neue
erfunden.
Umso wichtiger sei es, viel Textliches in Pennsylvanisch-Deitsch
zu
veröffentlichen, um den aktuellen Zustand zu dokumentieren und zu
archivieren,
fordert er.
Mace freut sich, dass aktuell neue Bücher, auch Kinderbücher, in
der Sprache
seiner Vorfahren aufgelegt werden. Er wünscht sich, dass sich die
Menschen auf
beiden Seiten des Großen Teichs ihre Vergangenheit, ihre Herkunft
sowie ihre
enge Beziehung und die Unterschiede bewusst machen – um sich
miteinander besser
zu verstehen.
Und Erich Mace will alle Bemühungen in diese Richtung unterstützen
– was ihn
zurück zum Filme „Hiwwe wie Driwwe“ bringt. „Dieser Film war auch
ganz wichtig
für den Erhalt und das Fixieren der Sprache und der Kultur“, ist
Mace
überzeugt. Seine Frau und er sind jedenfalls bereits gespannt auf
Teil zwei.
Laut Regisseur Wagener soll er voraussichtlich Anfang 2024 ins
Kino kommen.
„Wir verfolgen die Dreharbeiten und freuen uns auf die neuen
Gemeinsamkeiten
und Unterschiede“, sagt Erich Mace, und seine Frau Erin stimmt ihm
nickend zu.
EIN LIED, EIN GEDICHT
Erich Mace engagiert sich inzwischen stark fürs
Pennsylvanisch-Deitsche. Schon
immer habe er Texte und Lieder geschrieben, erzählt er, denn er
spielt Gitarre,
Bass, Schlagzeug und Klavier. Der Herausgeber der Zeitung „Hiwwe
wie Driwwe“,
Michael Werner, (Nieder-Olm), habe ihn dazu ermuntert, auch Lieder
„in seller
Sprooch“ zu schreiben.
In seinem Lied „Zwee Seide vun ́em Silwerschtick“, das er bei den
Bockenheimer
Mundarttagen vorstellte, schildert Mace seine Situation:
Ich kenn zwee Seide vun em Silwerschtick.
Sie kenne enanner gar net sehne,
Doch in der Midde sin sie vergnippt
Un es gebt dausend Silwerschticker in em Regge.
ALTE SPRACHE NEUE WELT
PENNSYLVANISCH-DEUTSCH
Um religiöser Verfolgung zu entgehen, sind vor allem im 18.
Jahrhundert
Mitglieder verschiedener protestantischer Glaubensrichtungen wie
Mennoniten und
Pietisten nach Pennsylvanien ausgewandert. Viele stammten aus der
historischen
Kurpfalz, aber auch aus den angrenzenden Gebieten in Baden,
Württemberg, der
deutschsprachigen Schweiz und dem Elsass. Zunächst gab es im
US-amerikanischen
Einwanderungsgebiet verschiedene Dialekträume. Ab etwa 1800 gehen
Forscher von
einer überregionalen Angleichung der Dialekte auf der Basis des
Pfälzischen
aus, das „Pennsylvania Dutch“ war entstanden. Pennsylvania-Deutsch
ähnelt in
seiner Grundstruktur stark dem Vorderpfälzischen und
Kurpfälzischen zwischen
Mannheim, Ludwigshafen, Speyer und Neustadt, allerdings gänzlich
ohne die nach
der Auswanderungswelle ins Pfälzische eingeflossenen französischen
Wörter.
Heute wird Pennsylvania Dutch vor allem von den Amischen und den
Mennoniten
alter Ordnung an die nächste Generation weitergegeben. Bis zu den
beiden
Weltkriegen war das Pennsylvania Dutch eine im Südosten
Pennsylvanias relativ
weit verbreitete Sprache mit etwa 800.000 Sprechern.
Erst antideutsche Maßnahmen und repressive Gesetze infolge der
Weltkriege sowie
der soziale Druck auf die Sprecher führten dazu, dass die Sprache
in vielen
Fällen nicht mehr an die folgende Generation weitergegeben wurde.
DER ARBEITSKREIS
2003 wurde in Ober-Olm der Deutsch-Pennsylvanische Arbeitskreis
gegründet. Der Verein
fördert den sprachlich-kulturellen Austausch zwischen dem
deutschen und dem
pennsylvanisch-deutschen Sprachraum. Seit 2006 gibt es auch eine
Webseite auf
Pennsylvania-Deutsch. Einige Autoren publizieren in der von
Michael Werner vor
25 Jahren gegründeten pennsylvania-deutschen Zeitung „Hiwwe wie
Driwwe“. Werner
ist Sprachwissenschaftler, Publizist und Musiker. Er hat 2021 das
Buch „Hiwwe
wie Driwwe. Der Pennsylvania-Reiserverführer“ verfasst. Seit 2011
vergibt die
Jury des Pfälzischen Mundartdichterwettstreits in Bockenheim als
Sonderpreis
den „Hiwwe wie Driwwe Award“ für pennsylvanisch-deutsche
Literatur.
DIE UNTERSCHIEDE
Der unbestimmte Artikel ist immer „en“, also „en Mann“, „en Fraa“,
„en Kind“ im
Gegensatz zu „en Mann“, „e Fraa“, „e Kind“ im Vorderpfälzischen.
In Wörtern wie „kurz“ oder „dort“ erscheint der Vokal als Laut
„a“, nicht als
„oa“, also „katz“, „dat“ statt „koatz“, „doat“. Der Doppellaut
„au“ wird in vielen
Unterdialekten als langes „a“ gesprochen.
Lehnwörter aus dem amerikanischen Englisch werden meist wie
deutsche Wörter
benutzt: Englisch „to farm“ für „Landwirtschaft betreiben“ wird
zu: „Als ich
hab gefarmt“.
Tipps
Michael Werner: „Hiwwe wie driwwe. Der Pennsylvania
Reiseverführer.“Agiro-Verlag Neustadt, 2021.
Mehr zum gleichnamigen Filmprojekt: hiwwewiedriwwe.com
Date: 2022/12/18 08:38:04
From: Hartmut Leibrock via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Am Samstag, Dezember 17, 2022, 15:26 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>:
_______________________________________________Quelle: Rheinpfalz, 10.-11. Dezember 2022
Der Ausundeinwanderer
Zufälle gibt es: Da bewirbt sich ein junger US-Amerikaner um einen Job als Verfahrenstechniker in der Pfalz. Er bekommt die Anstellung und merkt erst nach der Ankunft , dass er in der alten Heimat seiner Familie gelandet ist. Denn seine Vorfahren sind Pennsylvanisch-Deitsche.
Von Stefan Keller
Der US-Amerikaner Erich Mace aus Pennsylvania, seine Frau Erin und seine Tochter Eva kommen Ende November 2018 in Frankenthal an.
Mace, heute 40 Jahre alt, hat in den USA Deutsch und Verfahrenstechnik studiert und ist dort auch auf das JobAngebot in der Alten Welt gestoßen.
Inzwischen arbeitet er in Teilzeit bei der Firma Worley, einem BASF-Partnerunternehmen, in der Anilin in Ludwigshafen. Parallel promoviert er an der FU Berlin. Seine Frau Erin ist Englischlehrerin an einer Internationalen Schule in Viernheim. Die heute 36Jährige stammt aus Michigan. In der Stadt fühlen sie sich sofort bestens aufgenommen. „Die Menschen sind offen und freundlich“, sagt Erin Mace.
Was beiden US-Amerikanern nicht klar ist, als sie in der Pfalz ankommen: Die Familie ist in der Heimat ihrer Vorfahren gelandet, wo inzwischen auch ihr heute fünf Monate alter Sohn Steven geboren ist. Erich Maces Eltern und Großeltern leben im Umland der 95.000 Einwohner zählenden Industriestadt Reading in Pennsylvania, im „Pennsylvanisch-Deitsche Land“, wo Hunderttausende Menschen eine Sprache sprechen, die dem Pfälzischen eng verwandt ist.
Auch Erich Mace kennt diese Sprache von Kindesbeinen an, in der er inzwischen sogar Lieder schreibt, um sie bewahren zu helfen. Stellt sich die Frage, warum er erst in Ludwigshafen und Frankenthal bemerkt hat, dass er mitten in der eigenen Familiengeschichte gelandet ist. Warum er also trotz enger historischer Verbindung ziemlich blind war für den Ursprung dieser Wurzeln, als er und seine Familie in der Pfalz einen neuen Anfang wagten.
Erich Mace erzählt, dass sich seine Großeltern gar nicht gern zu ihrer eigenen Herkunft bekennen. Viele ausgewanderte Deutsche und die Generationen danach hätten amerikanisches Englisch mit starkem deutschen Akzent und durchaus fehlerbehaftet gesprochen. Dafür seien sie von den Einheimischen kritisiert und für nicht gerade clever gehalten worden.
„Deitsch ist dumm“, heißt ein Lied, das Erich Mace geschrieben hat. Darin erklärt er, wie es sich anfühlt, von oben herab betrachtet zu werden. Die ältere Generation – auch Maces Großeltern – habe das den Jungen ersparen wollen. Die Erfahrungen der USA mit Nazi-Deutschland trugen ebenfalls dazu bei, dass Pennsylvanisch-Deitsche ihren möglichen Stolz auf ihre deutschen Wurzeln nicht unbedingt gerne zur Schau getragen haben.
Auch wenn seine Eltern – „Mei Daadi ist Vermögensberater gewest und meine Maami Abwaerdern, also Krankenschwester“ – schon viel offener mit der Sprache aus der Alten Welt und der eigenen Vergangenheit umgegangen seien, habe das alles dazu geführt, dass Erich Mace bis heute noch nicht weiß, von wo ganz genau aus sich seine Ahnen vor gut 300 Jahren über den Atlantik aufgemacht haben. Vielleicht wird er es auch nie erfahren.
In der neuen Heimat in Frankenthal pflegen die Maces nun den gesamten Sprachschatz ihrer Familie. Erin Mace redet mit den Kindern nur Amerikanisch, Erich Mace spricht bewusst PennsylvanischDeitsch, Hochdeutsch und Frankenthaler Pfälzisch. Es soll nichts vergessen und es soll nichts unter den Tisch gekehrt werden. Maßgeblich geholfen, die Pfalz für sich verorten zu können, hat dem jungen Ehepaar der Film „Hiwwe wie driwwe“ von Benjamin Wagener (Schwegenheim) und Christian Schega (Landau), der 2019 die Region begeistert und vielen Pfälzern die Auswandergeschichte witzig-ironisch, aber auch informativ näherbrachte.
In „Hiwwe wie driwwe“ hatte sich der US-amerikanische und pennsylvanisch-deitsche Deutschlehrer Douglas Madenford als Hauptdarsteller auf Spurensuche begeben. Am 24. April 2019 feierte der Streifen, gedreht in Pennsylvania rund um die pennsylvanisch-deitsche Hochburg Kutztown mit seinem Heritage-Center sowie in der Pfalz, eine umjubelte Premiere in Landau.
Erich und Erin sehen den Streifen im Frühjahr 2019 und sind vollkommen überrascht: „Wir haben darin unsere Heimat gesehen, Straßen, die wir kannten, Städte und die Gegend, aus der wir kommen“, berichten sie im Gespräch mit der RHEINPFALZ am SONNTAG. Und sie stellten fest: Die Pfalz rund um Ludwigshafen ähnelt auch landschaftlich der alten Heimat sehr. Die 1748 gegründete Stadt Reading ist der Verwaltungssitz von Berks County im „Rust Belt“, dem „Rostgürtel“, der ältesten und größten Industrieregion im Nordosten der Vereinigten Staaten, die sich über mehrere Staaten erstreckt und in weiten Teilen ländlich geprägt ist. Im Film erkennt Erich Mace mit Doug Madenford auch seinen zwei Jahre älteren Schulkameraden wieder. Beide hatten in den USA denselben Deutschlehrer, sind später zeitweise sogar Kommilitonen. Das alles weckt bei Erich Mace Heimatgefühle und das Interesse an der eigenen Sprache und der Geschichte noch einmal neu.
Das Ehepaar Mace hat die RHEINPFALZ am SONNTAG zum Mittagessen mit einem Festtagsgericht aus der Heimat eingeladen: Auf dem Tisch stehen „Buweschenkel“, eine Schüssel „Gummerselaat“ und „Rotrieweoier“. Das sind große gefüllte Ravioli, hartgekochte Eier in Rote-BeteSalat und Gurkensalat. Sofort sind die Bezeichnungen Gesprächsthema.
„Mir sagen Gummer zur Gurke, wie heißt bei euch die Ernte?“, fragt Erich.
„Gummere sagen wir auch, antwortet der Autor. Und die werden „gerobbt“.
„Wie bei uns“, sagt Erich. „Buweschenkel“ bezeichnet die Form der Nudel. Das schwäbische Wort „Buwespitzle“ für Schupfnudeln kennen die Maces noch nicht. Aber die Erklärung sorgt natürlich für Heiterkeit.
Zum Innenleben der Nudeln. Mace holt eine Schüssel aus der Küche und erklärt: „Des isch es Fillsel.“ Klingt wie in der Pfalz: „Das“ wird durch „es“ ersetzt. „Die Englischen sagen ,Dutch potato filling’“. Die Zutaten sind laut Erich und Erin: „Grumbeere, altes Brot, Zwiwwle, Sellerie, Budder, Salz un Peffer.“ Übergossen mit flüssiger Butter ist das Ganze sehr schmackhaft und macht ziemlich satt.
Mace hat Chemie und Mathematik studiert, Nebenfach Deutsch. „Mein Deutschunterricht hat mir in der High School gut gefallen, und neben den familialen Gründen fand ich, dass Deutsch immer noch im Bereich Chemie und Ingenieurwissenschaften relevant war.“ Das war jedenfalls seine eigentliche Motivation, eine Arbeitsstelle in Deutschland anzunehmen.
„Was wären die Mathematik und Chemie ohne Kepler, Gauß, Leibniz, Helmholtz, Einstein, Heisenberg und Haber oder die Weltwirtschaft ohne Bayer, die BASF und Linde?“, fragt er am Esstisch rhetorisch und in gesprochenem Schriftdeutsch – bevor er lässig wieder ins Pennsylvanisch-Deitsche wechselt, das nach offiziellen Angaben heute noch rund 400.000 Menschen in den Vereinigten Staaten sprechen, darunter viele Amische und Mennoniten.
Erich Mace kennt viele von ihnen aus seinem früheren Leben. „Die Amishe leben noch immer sehr abgeschlossen für sich auf ihren ,Bauereien’“, – ihren Bauernhöfen. Dort bleibe die Sprache weiter urtümlich erhalten, auch weitgehend unbeeinflusst vom starken Tourismus in der Region oder modernen Entwicklungen.
Maces eigene Familie ist dagegen evangelisch-freikirchlich geprägt.
„Die sogenannten ,fancy’ Pennsylvanisch-Deitschen waren schon immer stärker der Welt zugewandt, blieben nie nur unter sich“, erklären Mace und seine Frau Erin. „Fancy“ bedeutet „schick“ und hat oft auch einen leicht ironischen Unterton.
Erich und Erin Mace sind fest überzeugt, dass sich die Sprache Pennsylvanisch-Deitsch weiter verändern wird. „Es gibt zum Beispiel in der alten Sprache keine Worte für alle technischen Neuerungen“, erklärt Mace.
„Dafür werden die englischen einfließen.“ Oder es werden neue erfunden.
Umso wichtiger sei es, viel Textliches in Pennsylvanisch-Deitsch zu veröffentlichen, um den aktuellen Zustand zu dokumentieren und zu archivieren, fordert er.
Mace freut sich, dass aktuell neue Bücher, auch Kinderbücher, in der Sprache seiner Vorfahren aufgelegt werden. Er wünscht sich, dass sich die Menschen auf beiden Seiten des Großen Teichs ihre Vergangenheit, ihre Herkunft sowie ihre enge Beziehung und die Unterschiede bewusst machen – um sich miteinander besser zu verstehen.
Und Erich Mace will alle Bemühungen in diese Richtung unterstützen – was ihn zurück zum Filme „Hiwwe wie Driwwe“ bringt. „Dieser Film war auch ganz wichtig für den Erhalt und das Fixieren der Sprache und der Kultur“, ist Mace überzeugt. Seine Frau und er sind jedenfalls bereits gespannt auf Teil zwei. Laut Regisseur Wagener soll er voraussichtlich Anfang 2024 ins Kino kommen.
„Wir verfolgen die Dreharbeiten und freuen uns auf die neuen Gemeinsamkeiten und Unterschiede“, sagt Erich Mace, und seine Frau Erin stimmt ihm nickend zu.
EIN LIED, EIN GEDICHT
Erich Mace engagiert sich inzwischen stark fürs Pennsylvanisch-Deitsche. Schon immer habe er Texte und Lieder geschrieben, erzählt er, denn er spielt Gitarre, Bass, Schlagzeug und Klavier. Der Herausgeber der Zeitung „Hiwwe wie Driwwe“, Michael Werner, (Nieder-Olm), habe ihn dazu ermuntert, auch Lieder „in seller Sprooch“ zu schreiben.
In seinem Lied „Zwee Seide vun ́em Silwerschtick“, das er bei den Bockenheimer Mundarttagen vorstellte, schildert Mace seine Situation:
Ich kenn zwee Seide vun em Silwerschtick.
Sie kenne enanner gar net sehne,
Doch in der Midde sin sie vergnippt
Un es gebt dausend Silwerschticker in em Regge.
ALTE SPRACHE NEUE WELT
PENNSYLVANISCH-DEUTSCH
Um religiöser Verfolgung zu entgehen, sind vor allem im 18. Jahrhundert Mitglieder verschiedener protestantischer Glaubensrichtungen wie Mennoniten und Pietisten nach Pennsylvanien ausgewandert. Viele stammten aus der historischen Kurpfalz, aber auch aus den angrenzenden Gebieten in Baden, Württemberg, der deutschsprachigen Schweiz und dem Elsass. Zunächst gab es im US-amerikanischen Einwanderungsgebiet verschiedene Dialekträume. Ab etwa 1800 gehen Forscher von einer überregionalen Angleichung der Dialekte auf der Basis des Pfälzischen aus, das „Pennsylvania Dutch“ war entstanden. Pennsylvania-Deutsch ähnelt in seiner Grundstruktur stark dem Vorderpfälzischen und Kurpfälzischen zwischen Mannheim, Ludwigshafen, Speyer und Neustadt, allerdings gänzlich ohne die nach der Auswanderungswelle ins Pfälzische eingeflossenen französischen Wörter. Heute wird Pennsylvania Dutch vor allem von den Amischen und den Mennoniten alter Ordnung an die nächste Generation weitergegeben. Bis zu den beiden Weltkriegen war das Pennsylvania Dutch eine im Südosten Pennsylvanias relativ weit verbreitete Sprache mit etwa 800.000 Sprechern.
Erst antideutsche Maßnahmen und repressive Gesetze infolge der Weltkriege sowie der soziale Druck auf die Sprecher führten dazu, dass die Sprache in vielen Fällen nicht mehr an die folgende Generation weitergegeben wurde.
DER ARBEITSKREIS
2003 wurde in Ober-Olm der Deutsch-Pennsylvanische Arbeitskreis gegründet. Der Verein fördert den sprachlich-kulturellen Austausch zwischen dem deutschen und dem pennsylvanisch-deutschen Sprachraum. Seit 2006 gibt es auch eine Webseite auf Pennsylvania-Deutsch. Einige Autoren publizieren in der von Michael Werner vor 25 Jahren gegründeten pennsylvania-deutschen Zeitung „Hiwwe wie Driwwe“. Werner ist Sprachwissenschaftler, Publizist und Musiker. Er hat 2021 das Buch „Hiwwe wie Driwwe. Der Pennsylvania-Reiserverführer“ verfasst. Seit 2011 vergibt die Jury des Pfälzischen Mundartdichterwettstreits in Bockenheim als Sonderpreis den „Hiwwe wie Driwwe Award“ für pennsylvanisch-deutsche Literatur.
DIE UNTERSCHIEDE
Der unbestimmte Artikel ist immer „en“, also „en Mann“, „en Fraa“, „en Kind“ im Gegensatz zu „en Mann“, „e Fraa“, „e Kind“ im Vorderpfälzischen.
In Wörtern wie „kurz“ oder „dort“ erscheint der Vokal als Laut „a“, nicht als „oa“, also „katz“, „dat“ statt „koatz“, „doat“. Der Doppellaut „au“ wird in vielen Unterdialekten als langes „a“ gesprochen.
Lehnwörter aus dem amerikanischen Englisch werden meist wie deutsche Wörter benutzt: Englisch „to farm“ für „Landwirtschaft betreiben“ wird zu: „Als ich hab gefarmt“.
Tipps
Michael Werner: „Hiwwe wie driwwe. Der Pennsylvania Reiseverführer.“Agiro-Verlag Neustadt, 2021.
Mehr zum gleichnamigen Filmprojekt: hiwwewiedriwwe.com
Regionalforum-Saar mailing list
Regionalforum-Saar(a)genealogy.net
https://list.genealogy.net/mm/listinfo/regionalforum-saar
Date: 2022/12/28 20:41:13
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
heute in Saarbrücker Zeitung, Kultur in der Region, B6
Einen breiten Blick auf Kurzfilme von jungen Filmemacherinnen und
Filmemachern,
ob sie nun an Hochschulen oder unabhängig entstanden sind – den
will die
Shortlist beim kommenden Filmfestival Max Ophüls Preis (23. bis
29. Januar)
bieten. Fünf Kurzfilmprogramme sind geplant, eines davon zeigt
fünf Filme aus
der Großregion.
Im Saarland entstand der Animationsfilm „Herzogin Luise“ von Lydia
Kaminski, 15
Minuten lang, eine Uraufführung, gefördert von den Saarland
Medien. Kaminski
erzählt die Geschichte der Herzogin Luise von
Sachsen-Coburg-Saalfeld, die 1817
den 16 Jahre älteren Herzog Ernst von Coburg heiratet; der nimmt
es mit
ehelicher Treue nicht sehr genau, zugleich werden Luise Affären
unterstellt –
sie wird nach St. Wendel verbannt. In dem Film sind die Stimmen
von Katharina
Bihler, Juliane Lang, Hans Georg Körbel und Jan Eiko zur Eck zu
hören, die
Musik schrieben Katharina Bihler und Stefan Scheib.
Quelle:
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saar-kultur/filmfestival-max-ophuels-preis-zeigt-filme-aus-saar-lor-lux_aid-81968399
Date: 2022/12/28 21:04:10
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
heute morgen im St. Wendeler Teil der
Saarbrücker Zeitung:
Vor 120 Jahren gefeiert, vor 84 Jahren zerstört
Von Evelyn
Schneider
Innen war das Gotteshaus feierlich geschmückt und es erklang
Chorgesang an
jenem zweiten Weihnachtstag, an dem es etwas Besonderes zu feiern
gab. Und zwar
die Einweihung des neuen Hauses des Gebets, das „Im Kelsweiler“
erbaut worden
war. Im Jahre 1902. Jene Feier liegt 120 Jahre zurück. Das
Gebäude, das damals
unter „den Schutz der Stadt gestellt wurde“, gibt es nicht mehr.
Es war die
jüdische Synagoge, an die heute eine Stele in der Kelsweilerstraße
erinnert.
Ein Blick zurück.
Um 1860 stand die Stadt St. Wendel wirtschaftlich gut da, was auch
dazu führte,
dass sich jüdische Kaufleute hier ansiedelten. Darunter auch die
Brüder Max und
Samuel Daniel. Letzterer gründete das bekannte Kaufhaus S. Daniel
in der
Luisenstraße. Dort, wo heute die Dom-Galerie zu finden ist.
„Bereits im Jahr
1869 gab es den Wunsch nach einer Synagoge“, berichtet Nicolas
Pontius vom
Stadtarchiv St. Wendel. Doch sollte dieser erst 33 Jahre später
erfüllt werden.
Am 2. Februar 1902 reichte die israelitische Gemeinde den Antrag
zum Bau einer
Synagoge bei der Stadt ein. Dieser liegt im Archiv ebenso vor wie
ein zuvor
gestellter Antrag zur Erlangung der Korporationsrechte (das einer
Körperschaft
verliehene juristische Recht), den 19 Familien (mit 95 Personen)
unterschrieben
hatten. Durch ihre Mitgliedsbeiträge sollte der Bau finanziert
werden.
Mehrere Zeichnungen, teils mit Maßangaben versehen, und ein
Lageplan liegen auf
dem Tisch im Stadtarchiv ausgebreitet. „Davon abgesehen, gibt es
noch eine
Postkarte, welche die Synagoge zeigt“, sagt Pontius. Fotografien
liegen keine
vor. Die Entwürfe für den sakralen Bau stammen von Architekt Hans
Zeeh, als
Bauherren fungierten Hermann Bonem sowie Michel und Moriz
Rothschild.
Die Erlaubnis, eine Synagoge zu errichten, wurde am 9. September
1902 erteilt.
„Wir gehen davon aus, dass kurz darauf die Arbeiten begannen“, so
Pontius. Die
nächste interessante Aktennotiz datiert vom 17. November. „Hier
haben wir den
Hinweis, dass der Rohbau bereits fertig gestellt war“, sagt
Historikerin Andrea
Recktenwald. Neben Akten, Anträgen und Bauunterlagen dienten dem
Team des
Stadtarchivs vor allem alte Zeitungsartikel als Quellen. So sind
es die Nahe-
und Blies-Zeitung sowie das St. Wendeler Volksblatt, die über die
Einweihung
der Synagoge berichten. Im Vorfeld und auch nach den
Feierlichkeiten. Hierin
ist stets vom 26. Dezember die Rede.
Doch kursiert auch ein zweites Datum im Zusammenhang mit der
Synagogen-Einweihung: der 6. Dezember. Dieses wird beispielsweise
in der
Zeitschrift „Der Israelit“ vom 23. Januar 1903 genannt. „Dort ist
vom ,6.
vorigen Monats‘ die Rede“, weiß Recktenwald. Sie geht schlichtweg
von einem
Druck- oder Übermittlungsfehler aus. In den übrigen Quellen ist
nämlich nicht
nur vom 26. Dezember, sondern auch konkret vom zweiten
Weihnachtstag die
Rede. Außerdem wäre der Abstand zwischen Rohbau und einer
Vollendung der
Arbeiten zum 6. Dezember doch sehr gering gewesen.
Was ist nun bekannt vom Ablauf der Feier zu Ehren der neuen
Synagoge?
Übereinstimmend wird in Artikeln von Fahnen berichtet. „Es hat
eine kurze
Prozession gegeben und anschließend einen
Einweihungsgottesdienst“, schildert
die Historikerin. Zu den Ehrengästen zählte der damalige St.
Wendeler
Bürgermeister Karl Alfred Friedrich. Er war es auch, der den
Quellen zufolge,
das Gotteshaus unter den Schutz der Stadt stellte. Ein
Versprechen, das am 10.
November 1938 nicht mehr gelten sollte.
Neben dem Gottesdienst gehörten auch ein Konzert und tags drauf
ein Ball zu den
Feierlichkeiten Ende 1902. „Es gab insgesamt eine positive
Berichterstattung“,
sagt Pontius. In der Folge ließen sich keine weiteren Aktivitäten
rund um die
Synagoge finden. Erst 1922 wird diese erneut erwähnt. Anlass ist
dieses Mal die
Einweihung einer Gedenktafel mit den Namen der „im Kampf ums
Vaterland“
gefallenen Söhne.
13 Jahre später änderte sich die Situation für die jüdische
Gemeinschaft in St.
Wendel entschieden. Nachdem sich am 13. Januar 1935 bei der
Saarabstimmung 90,4
Prozent der abgegebenen Stimmen für die Rückkehr zum Deutschen
Reich
ausgesprochen hatten, galt nun auch hier die NS-Gesetzgebung. Die
Mehrheit der
jüdischen Bürger verließ in der Folge die Stadt. In einem Artikel
des St.
Wendeler Volksblatts vom 7. Oktober 1938 ist die Rede davon, dass
die jüdische
Gemeinde von einst etwa 90 auf neun Köpfe herabgesunken sei. Der
Verpflichtung
zum Erhalt der Synagoge könne sie nicht mehr nachkommen. Seit
geraumer Zeit
habe es keinen Gottesdienst mehr gegeben. Es wird von
„zerbrochenen
Fensterscheiben“ und einem „verwahrlosten Vorgarten“ berichtet.
Als Reichspogromnacht ist der 9. November 1938 in die Geschichte
Deutschlands
eingegangen. Damals wurden unter anderem jüdische Geschäfte
geplündert,
Synagogen in Brand gesteckt. Dieses Schicksal ereilte auch das St.
Wendeler
Gotteshaus – allerdings erst am 10. November. Quellen besagen,
dass die
Feuerwehr an jenem Abend zwar angerückt sei, doch nicht, um die
Flammen zu
löschen, sondern benachbarte Häuser davor zu schützen.
Das, was von der Synagoge übrig geblieben war, wurde in der Folge
abgerissen –
„aus sicherheitspolizeilichen Gründen“ wie in einer Notiz im St.
Wendeler
Volksblatt vom 25. November 1938 zu lesen war. In einem weiteren
Artikel aus
dem Jahr 1939 heißt es lapidar: „In St. Wendel wurde in der
Kelsweilerstraße
eine Baustelle frei.“ Wie die Lücke geschlossen werden solle, sei
noch nicht
entschieden.
„1941 bestand die jüdische Gemeinde in St. Wendel nicht mehr“,
sagt Pontius.
Seit 2016 erinnert eine Stele an die Synagoge, die 36 Jahre zum
Stadtbild St.
Wendels dazugehört hatte.
Zusatz:
Seit 2016 gibt es in Höhe der Hausnummer 13 in der Kelsweilerstraße in St. Wendel eine Stele aus afrikanischem Naturstein. Sie erinnert an die jüdische Synagoge, die von 1902 bis 1938 hier stand. Als diese erbaut wurde, führte an dem dafür vorgesehenen Grundstück (Im Flur 5 Parzelle Nr. 245/200) noch die Straße „von Saarbrücken nach Bingen“ vorbei. So zumindest ist es in einem Lageplan vermerkt, der dem St. Wendeler Stadtarchiv vorliegt. Das Gebiet wurde zu jener Zeit „Im Kelsweiler“ genannt. 1909 erhielt die Straße den Namen Kelsweilerstraße, der bis heute geblieben ist.
Date: 2022/12/28 21:05:13
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Date: 2022/12/28 21:12:06
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Am 27. Dezember 1902 berichtete die Nahe-Blies-Zeitung unter "Lokales und Vermischtes", was sich am Tag zuvor, einem Freitag, in der Kelsweilerstraße zugetragen hatte:
"Die Einweihung der neuen Synagoge fand heute Nachmittag in feierlichster Weise statt. Um ½3 Uhr hatte sich vor der alten Synagoge ein Festzug aufgestellt, in dem der Reihe nach die Festordner, die Schuljugend, die Regimentskapelle des 30. Inf.-Rgts, der Synagogenchor, die Schlüsselträgerin mit zwei Begleiterinnen, weißgekleidete Mädchen, der Vorstand der Gemeinde, die Thorarollen, getragen von den ältesten Gemeindemitgliedern, der Rabbiner Lewit aus Birkenfeld, Obercantor Fuchs aus Luxemburg, Cantor Fuchs, die Ehrengäste, unter denen wir die Herren Landrat Dr. Momm, Bürgermeister Friedrich, Pfarrer Back, Direktor Dr. Baar u.a. bemerkten, die Baukommission, Bauunternehmer und Architekt und schließlich die Gemeinderatsmitglieder folgten. Der Zug bewegte sich unter den Klängen eines Chorals bis an den Bahnübergang in der Kelsweilerstraße und dann zurück nach dem neuen Gotteshause. Hier angekommen überreichte die kleine Schülerin Emma Rothschild mit hübsch gewählten Worten dem Rabbiner den Schlüssel; dieser warf einen Rückblick auf die vergangenen Jahre, in denen in der jüdischen Gemeinde immer mehr der Wunsch nach dem Besitze eines eigenen Gotteshauses laut geworden sei. Dieser Wunsch ist heute erfüllt und er übergebe mit Freuden dem Vorstand der Gemeinde den Schlüssel, um nunmehr Besitz zu ergreifen von dem Gotteshause. Herr Moritz Rothschild übernahm den Schlüssel, dankte allen Feststeilnehmern für ihr zahlreiches Erscheinen, insbesondere den Behörden, und überreichte den Schlüssel Herrn Bürgermeister Friedrich, indem er die Synagoge in den Schutz der Stadt stellte. Letzterer versprach dem neuen Gotteshause den Schutz der Stadt und drückte der Gemeinde seine besten Wünsche aus. Hierauf eröffnete er die Pforte der Synagoge, die aufs schönste geschmückt und feierlich erleuchtet war. Nachdem der Rabbiner, der Cantor, der Vorstand und die Thora-Rollenträger vor die heilige Lade getreten waren, begann die Weihe des Gotteshauses durch ein Präludium, dem ein Begrüßungsgesang des Synagogenchores und ein dreimaliger Umzug mit den Thorarollen unter Chorgesang folgte. Hierauf sang der Obercantor Fuchs aus Luxemburg die Verkündigung des Bekenntnisses, nach welchem der Geistliche die Thorarollen in die heilige Lade einsetzte und dann die ewige Lampe anzündete, worauf die heilige Lade geschlossen wurde. Nach einem recht gut vorgetragenen Chorgesang "Ich will den Herrn loben" hielt Herr Landesrabbiner Lewit die Festpredigt, welcher die Versammelten andächtig zuhörten. Als diese beendet war, sang der Synagogenchor das herrliche Lied "Herr, deine Güte reicht soweit", der Geistliche betete für Kaiser und Vaterland und sprach dann noch ein Schlußweihegebet. Die offizielle Einweihungsfeier war damit zu Ende, und es folgte daran anschließend der Sabbatgottesdienst, dem auch die Ehrengäste anwohnten. Wir dürfen wohl sagen, daß die Feier einen außerordentlich guten Eindruck machte und wir möchten auch unsererseits der jüdischen Gemeinde unsere besten Wünsche zu dem Gelingen des gesegneten Werkes ausdrücken."
Date: 2022/12/30 10:54:01
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Guten Morgen,
vor 30 Jahren hat Pastor Rudolf Gerber Teile dieser Akte
transkribiert und mir Anfang der 1990er die Daten zur Verfügung
gestellt.
=>
http://www.hfrg.de/index.php?id=1132
Date: 2022/12/30 13:36:05
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Hallo, der Link funktioniert so nicht. Werde
ich heute abend ändern.
Roland
Guten Morgen,
vor 30 Jahren hat Pastor Rudolf Gerber Teile dieser Akte transkribiert und mir Anfang der 1990er die Daten zur Verfügung gestellt.
=> http://www.hfrg.de/index.php?id=1132
--
Mit freundlichen Grüßen
Roland Geiger
--------------------
Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de
Date: 2022/12/30 19:24:50
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Date: 2022/12/30 22:29:53
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
[Landesarchiv Saarbrücken, Notariat St. Wendel,
Notar Thiel,
Nr. 251 vom 11.04.1902]
Heute den elften April 1902 erschienen vor dem unterzeichneten zu
St. Wendel im
Oberlandesgericht Cöln wohnenden Notar Gustav Walther Thiel:
I. Moritz Rothschild, Handelsmann in St. Wendel, handelnd als
Bevollmächtigter
1. Karolina Koppel, Witwe von Samuel Daniel in St. Wendel
2. Milian Daniel, Kaufmann zu St. Wendel
3. Eheleute Hermann Bonem, Kaufmann in St. Wendel, und Delphine
Daniel
4. Eheleute Julius Stern, Kaufmann in Lebach, und Ehefrau Emma
Daniel,
5. Fritz Daniel, Kaufmann in St. Wendel
5. (doppelt vergeben) Eheleute Leopold Borg, Handelsmann in St.
Wendel, und
Clara Henne
6. Babetta Simon, Witwe von Borg Borg in St. Wendel, in eigenem
Namen und als
Bevollmächtigte ihres Sohnes Max Borg, Buchhalter in New York
wohnend
7. Salomon Borg, Handelsmann in St. Wendel
8. Simon Borg, Handelsmann in St. Wendel
9. Emma Borg, ledig in St. Wendel
10. Ida Borg, Ladengehülfin, früher in Dudweiler, jetzt in
Wiesbaden wohnend (*
29.7.1878 St. Wendel )
11. Eheleute Richard Hermann, Handelsmann in Ottweiler, und Bertha
Wolff
12. Eheleute Abraham Alexander, Metzger in St. Wendel, und
Karolina Adler
13. Karolina Sender, Witwe von Metzger Jakob Sender in St. Wendel
14. Max Josef Schoemann, Kaufmann zu zu McLeansboro, Hamilton
County, Illinois
, America (Vollmacht liegt bei)
15. Siegmund Schoemann, Kaufmann zu Moline, Rock Island County,
Staat Illinois
in America (Vollmacht liegt bei)
16. Sara Berl, Mörchingen, Witwe des Mendel Schoemann, gestorben
in St. Wendel,
in eigenem Namen und als Gewalthaberin und gesetzliche Vertreterin
ihres
minderjährigen Sohnes Julius Schoemann aus der o.a. Ehe
17. Gertrude Schoemann, ledig, Ladengehülfin in Mörchingen
18. Eheleute Hermann Weil, Kaufmann in Metz , Gartenstraße 27-29,
und Mathilde
Juliane Kahn (Vollmacht liegt bei)
II. Alphons Wolff, Kaufmann in St. Wendel, und Ehefrau Regina
Meyer
III. Eheleute Balthasar Jacob, Handelsmann in St. Wendel, und
Karolina Wolff
IV. Eheleute Michel Rothschild, Handelsmann in St. Wendel, und
Wiola August
V. Eheleute Julius Sender, Handelsmann in St. Wendel, und Ida
Jacob
VI. Eheleute Moritz Jacob, Handelsmann in St. Wendel, und
Henriette Haas
VII. Siegmund Sender, Metzger in St. Wendel, für sich und als
Bevollmächtigter
seines Schwagers Abraham Wolff, Kaufmann in Köln
der genannte Hermann Bonem ist ebenfalls miterschienen
Einerseits
B, anderseits Nikolaus Vollmann, Unternehmer zu Urweiler wohnend.
Die vorgenannten erschienenen Michel Rothschild, Moritz Rothschild
und Hermann
Bonem als Baukommission der israelitischen Gemeinde St. Wendel
sowie der
genannte Nikolaus Vollmann als Bauunternehmer erklärten:
zwischen der Baukommission und dem Unternehmer Nikolaus Vollmann
wird heute
folgender Vertrag abgeschlossen:
Art. 1
Nikolaus Vollmann übernimmt für die isrealitische Gemeinde zu St.
Wendel die
schlüsselfertige Herstellung einer Synagoge nach Maßgabe der
vorliegenden
Zeichnungen und des Kostenanschlages sowie des von ihm
eingerichten
Preisangebotes zum Gesamtpreis von 15.940 Mark 03 Pfennig. Sollte
durch eine
nachträgliche Änderung, welche von der Baukommission verlangt
würde, irgendeine
Mehrarbeit eintreten, so wird dieselbe unter Zugrundelegung der
Einzelpreise
nach Ausmaß berechnet. In dem oben angeführten Gesamtpreis sind
inbegriffen:
Die Lieferung und Beifuhr aller Materialien, auch derjenigen neben
Nebenmaterialien, welche im Kostenanschlag nicht besonders
aufgeführt sein
sollten, Stellung aller nötigen Gerüste und Geräte in genügender
Anzahl und
guter Beschaffenheit, Abgrenzung der Baustelle während der Bauzeit
gegen die
Straße und das Feld und Zugänglichhaltung für die Interessenten,
Beschaffung
des Bauwassers, Errichtung eines Abortes für die Arbeiter an
anzugebender
Stelle, sowie die Ausführung aller in Betracht kommenden
polizeilichen
Bestimmungen und Anordnungen in Bezug auf Sicherheit der Person
und des
Eigentums.
Art. 2.
Sollte außer der in dem Kostenanschlag aufgeführten Arbeiten dem
Unternehmer
noch andere zur Ausführung übertragen werden, so ist hierüber in
jedem
einzelnen Falle mit der Bauleitung eine besondere schriftliche
Vereinbarung zu
treffen und durch beiderseitige Unterschrift anzuerkennen, andere
Vereinbarungen sind ungültig.
Art. 3.
Der Unternehmer ist verpflichtet, nur erstklassiges Material und
meistermäßige
Arbeit zu liefern, auch wenn dies im Kostenanschlag nicht
besonders betont ist.
Über die Qualität der Arbeit und des Materials entscheidet allein
die Bauleitung.
Bei der Vergebung der Einzelarbeiten seitens des Unternehmers an
die
Subunternehmer sind nur wirklich leistungsfähige Firmen zu
berücksichtigen und
hat der Bauleiter bei Auswahl derselben mit beratende Stimme sowie
während der
Ausführung der Arbeiten das Recht in der Wirkstelle der
betreffenden Firma sich
von dem Fortschritt der Qualität der Arbeit überzeugen.
Art. 4.
Der Unternehmer übernimmt für seine gesamten Leistungen eine
2-jährige Garantie
derart, dass er alle während dieses Zeitraums sich zeigenden
Mängel, welche auf
sein Verschulden zurückzuführen sind, auf erstmalige Aufforderung
des
Bauleiters oder der Baukommission sofort ohne jede Vergütung
endgültig
beseitigt.
Art. 5.
Wenn der Unternehmer seinen Verpflichtungen nachkommt, erhält er
während des
Baus auf seinen Antrag und auf Anweisung der Bauleitung
entsprechend
Abschlagszahlungen bis zur Gesamthöhe von 4000 Mark. Die 1.
Abschlagszahlung
wird jedoch frühestens eine Woche nach Beginn der Arbeit
geleistet. Für die
Restsumme in Höhe von 11.940 Mark 3 Pfennig wird der Unternehmer
gesichert
durch eine auf den nachstehend genannten Liegenschaften
aufzunehmende
Grundschuld. Der Bauplatz, dessen jetziger Wert ca. 8000 Mark
beträgt, ist
lastenfrei.
Art. 6.
Sofort nach Eintragung der Grundschuld ist mit den Arbeiten zu
beginnen und
sind dieselben derart zu fördern, dass am 21. Juni dieses Jahres
der Bau unter
Dach ist und am 13. September laufenden Jahres übergeben werden
kann. Sollte
der Unternehmer bis zu dem bestimmten Termin nicht fertig sein, so
verfällt der
selbe ohne weitere Inverzugsetzung oder dergleichen in eine
Konventionalstrafe
von 5 Mark für jeden der 1. 3 Tage und von 15 Mark für jeden
folgenden Tag der
Verzögerung.
Art. 7.
Die nötigen Zeichnungen und Listen, welche der Unternehmer auf
ihre Richtigkeit
zu prüfen hat, erhält der selbe von dem Architekten H. Zeeh in
Saarbrücken.
Kommen durch solche Zeichnungen oder Listen, welche von dem
Unternehmer zu
prüfen waren, Unrichtigkeiten vor, so haftet der Unternehmer für
den Schaden.
Den Anordnungen des Bauleiters oder dessen sich legitimierenden
Stellvertreters
ist soweit dieselben den Bau betreffen auch auf der Baustelle
stets Folge zu
geben und hat der Unternehmer deshalb dafür zu sorgen, dass
während der ganzen
Bauzeit in den Arbeitsstunden stets ein genügend erfahrener Polier
am Bauplatz
ist, der die ihm gegebenen Aufträge und Anordnungen versteht und
in sinngemäßer
Weise zur Ausführung bringen kann. Mit diesem Polier gemachte
Abmachungen sind
für den Bauherrn bindend.
Der vorstehend durch die Baukommission übernommenen Verpflichtung
gemäß
bewilligen und beantragen die sämtlichen vorausgefahren
Komparenten in ihrer
Eigenschaft als Eigentümer des Synagogenbauplatzes bzw. als
Vertreter von
Eigentümern, dass auf die Parzelle Flur 5 Nummer 245/200 in
Kelsweiler, Garten,
10 Ar 28 Meter, der Gemeinde St. Wendel für den mit erschienenen
Nikolaus
Vollmann eine Grundschuld eingetragen wird in Höhe von 11.940 Mark
3 Pfennig.
Nikolaus Vollmann bewilligt und beantragt auch seinerseits dieser
Eintragung.
Diese Eintragung soll erfolgen unter folgenden Bedingungen:
1.) Die Grundschuld ist vom 13. September dieses Jahres ab oder
falls die
Abnahme des Baus an einem späteren Tage erfolgt, von diesem Tag ab
an mit
viereinhalb Prozent jährlich am gleichen Tage des folgenden Jahres
zu verzinsen
und um ein Prozent an dem gleichen Fälligkeitstag zu amortisieren.
Es bleibt
indessen der Gemeinde überlassen, nach vorhergehender
vierteljährliche
Kündigung die Grundschuld früher ganz oder teilweise abzulösen.
Der komparierende Notar wird ermächtigt, sich den zu bildenden
Grundschuldbrief
vom Grundbuch aushändigen zu lassen.
Auf Wunsch der Erschienenen wird noch ausdrücklich vereinbart,
dass für die
Grundschuldbesteller durch die Belastung des Grundstückes ein
obligatorische
Verbindlichkeit nicht entsteht.
Art. 8.
Sollten zwischen den Unternehmern über irgend einen Punkt dieses
Vertrages
Streitigkeiten entstehen, welche auf gütlichem Wege nicht
beizulegen sind, so
verpflichten sich die Parteien, dem Amtsgericht zu St. Wendel vor
dem
Landgericht zu Saarbrücken recht zu geben und zu nehmen, auf eine
höhere
Instanz aber zu verzichten. Die sämtlichen hier erschienenen
Beteiligten für
sich und namens ihrer Vollmachtgeber treffen auch die
Vereinbarung, dass
derjenige von ihnen, der von St. Wendel wegzieht und seine
Kultusabgaben nicht
mehr verrichtet, soweit es sich um einen dauernden Wegzug handelt,
aller seiner
Anrechte auf Synagogenplatz und Gebäude verlustig geht.
Zusätze genehmigt und mit dem Hauptakt unterschrieben.
[Unterschriften]
Das beantragte Darlehen wird in Höhe von 15.000 Mark gegen
Hypothek und
solidarische Bürgschaft bewilligt.
St. Wendel, den 30. April 1901.
Das Curatorium der Kreisspar- und Darlehenskasse.
F.Halseband Jochem W. Bier
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Eintrag im Grundbuch von St. Wendel. Bd. XXIV Art. 1174.
Grundsteuerkataster Artikel Nummer 1841.
Auszug (unbeglaubigte Abschrift)., St. Wendel, den 15. April 1901:
keine Belastungen, dauernden Lasten und Einschränkungen,
Hypotheken und
Grundschulden
Date: 2022/12/30 22:31:57
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Sankt Wendeler Volksblatt
7. Oktober 1938
Die verwahrloste Synagoge.
St. Wendel, 7. Oktober.
Man schreibt uns: In vielen Orten, auch in der Nachbarschaft, ist
man dazu
übergegangen, die ihrem eigentlichen Zwecke nicht mehr dienenden
Synagogen nach
Möglichkeit von ihren Eigentümern zu erwerben und sie anderen
Zwecken
nutzbringend zuzuführen. Die hiesige jüdische Gemeinde, die zur
Zeit der
Abstimmung nach ca. 85-90 Köpfe zählte und wirtschaftlich hier
eine ziemlich
bedeutende Rolle spielte, ist auf 9 Köpfe herabgesunken, ihre
Geschäfte und
Häuser sämtlich in arischen Besitz übergegangen. Sie kann deshalb
ihren
Verpflichtungen zur Erhaltung des Gebäudes nicht mehr nachkommen,
auch wird
schon seit geraumer Zeit kein Gottesdienst mehr darin gehalten. Es
würde deshalb
dankbar begrüßt werden, wenn die Stadtverwaltung bzw. wenn sie
kein Interesse
daran hat, andere ernsthafte Liebhaber sich darum bemühen würden,
das Gebäude
mit dem Grundstück in ihren Besitz zu bringen. Einen schönen
Anblick bietet die
Synagoge heute nicht mit ihren zerbrochenen Fensterscheiben und
dem
verwahrlosten Vorgarten.