heute in der SZ:
Vortrag über die Rolle Carl Juchs bei den St.
Wendeler
Unruhen von 1832 : Wurde geistiger Reichtum zum Fallstrick?
Mit der Rolle des Pfarrers Carl Juch im St. Wendeler Vormärz hat
sich Gerhard
Koepke in seinem Vortrag beschäftigt. Er zählte zu den
Protagonisten bei den
Unruhen 1832. Was vor allem beruflich Konsequenzen hatte.
Von Evelyn Schneider
Alte Fotografien, Karten, Gemälde und Aufnahmen von historischen
Schriftstücken
illustrieren den Vortrag von Gerhard Koepke. Dieser ist Teil der
Reihe „St. Wendel
im Vormärz“. Passenderweise beleuchtet der ehemalige
Superintendent des
evangelischen Kirchenkreises Saar-Ost darin die Rolle von Carl
Wilhelm Reginus
Juch, einem evangelischen Pfarrer und Lehrer, der zusammen mit
Kollegen 1831
die Keller‘sche Gesellschaft, eine bürgerlich-liberale Opposition,
begründete.
Der Referent gibt einen kurzen Überblick über die Quellen, die ihm
zur
Verfügung standen. An einer Stelle hatte er, der von Hause aus
kein Historiker
sei, dafür aber ehemaliger Pfarrer, einen Vorteil: Er konnte die
Kirchenchronik
einsehen.
„Ich entführe Sie in das Jahr 1824“, kündigt Koepke, der aktuell
Vorsitzender
des Adolf-Bender-Zentrums ist, den Besuchern im Maximiliansaal des
historischen
St. Wendeler Rathauses an. Damals gehörte die heutige Kreisstadt
zum Fürstentum
Lichtenberg. Es herrschte ein ausgeprägtes Staats- und
Rechtsbewusstsein. Werte
wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, die während der
Französischen
Revolution beschworen wurden, waren noch in den Köpfen der
Menschen. Diese
Haltung traf mit Ernst I. von Sachsen-Coburg und Gotha (Titel ab
1826) auf
einen Landesherrn, der sich als einen souveränen Fürsten verstand.
Im Zuge des
Wiener Kongresses hatte er 1816 die Kantone Baumholder, Grumbach
und St. Wendel
erhalten, erhob sie 1819 zum Fürstentum Lichtenberg. „Zwischen der
neuen
Regierung und den Regierten war es von Anfang an schwierig“, merkt
Koepke an.
In jenem Jahr 1824 kam Ernsts Gattin, Herzogin Luise, nach St.
Wendel. Keine
freiwillige Reise, sondern eine Verbannung. In ihrem Gefolge war
der 23-jährige
Hofprediger Carl Juch. Dieser wurde am 11. Dezember 1801 in Gotha
geboren.
Später studierte er Philosophie und Theologie in Jena. „Das war
die
politischste Universität zu jener Zeit und die Wiege der
Burschenschaften“,
erläutert der Referent. Liberalismus und Sozialismus bestimmten
Juchs
Studentenleben, wobei er in dieser Zeit nie aufgefallen sei.
In St. Wendel wurde Juch Konrektor am Herzoglichen Lyzeums und
zugleich erster
Pfarrer der Stadt, in der zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 41
evangelische
Seelen lebten. Eine Kirche gab es noch nicht, die Gottesdienste
wurden in jenem
Saal, in dem der Vortragende und die Zuhörer gerade
zusammengekommen sind,
abgehalten.
Es sind auch einige private Fakten über den Pfarrer bekannt. „Er
hatte eine
katholische Frau“, merkt Koepke an. Wobei das damals wohl weniger
Aufsehen
erregte, als sich vermuten ließe. 26 Jahre alt war Carl Juch, als
er die fünf
Jahre jüngere Wilhelmine Regine Riotte, auch Minna genannt,
heiratete. Von vier
Kindern liegen die Geburtsurkunden in Archiven vor. 1828 wurde
Sohn Carl
Wilhelm geboren, 1830 die Zwillinge Ernst und Albert (diese Namen
trugen auch
die beiden Söhne von Herzogin Luise und Ernst I.) und 1832 die
Tochter Emilie
Catharina. Drei weitere Kinder seien früh verstorben. „Es fehlt
der Hinweis auf
die Konfession der Kinder“, so Koepke. Und auch die Informationen,
ob Minna
Riotte vielleicht die Konfession gewechselt hatte. Vermutlich
wurden die Söhne
nach dem Glauben des Vaters, die Tochter nach dem der Mutter
erzogen. Im Jahr
1828 lebten bereits 214 evangelische Bürger in St. Wendel.
Ab 1830 brodelte es in der Region. Mehrere Aspekte kamen zusammen,
welche die
Bürger gegen die Obrigkeit aufbrachten. So wurden alte Forderungen
unter
anderem nach Trennung von Verwaltung und Justiz wach. Zusätzlichen
Zündstoff
lieferte der Lichtenberger-Preußische Zollvertrag, der ohne
Anhörung des
Landraths, einem Gremium bestehend aus sieben gewählten
Mitgliedern, in diesem
Jahr geschlossen worden war.
1831 gründeten die Lehrer Carl Juch, Johannes Schue und Philipp
Sauer den
politischen Stammtisch, die Keller‘sche Gesellschaft, die sich im
Wirtshaus von
Peter Keller, dem heutigen Sprinnrad, traf. Hier wurde aus
Presseberichten
vorgelesen, die Freiheit propagiert und die Regierung kritisiert.
Die Obrigkeit
beobachtete das Geschehen, aber auch die Predigten Juchs, die als
politisch
eingestuft wurden. Dies hatte Konsequenzen. Zunächst wurde ihm
Anfang 1832 das
Predigen untersagt, dann wurde er im März suspendiert – zunächst
als Pfarrer,
zwei Monate später auch als Konrektor des Lyzeums.
Es kam der 27. Mai, jener Tag, an dem in St. Wendel – parallel zum
Hambacher
Fest – das Bosenberg Fest gefeiert wurde. In coburgischen Akten
ist zu lesen,
dass Carl Juch von einer Feldkanzel aus eine Rede gehalten und
dabei Wein
getrunken habe. Nach diesen Unruhen griff die Regierung streng
durch.
Protagonisten der Bewegung wie Juch wurden inhaftiert. Aus dem
Arrest schrieb
er einen Brief, wehrte sich gegen die Vorwürfe, beteuerte, dass er
keine
Revolution, sondern nur eine Reformation gewollt habe und unter
einer
Gemütskrankheit leide. Letztlich wurde er Anfang 1833 zu einer
dreimonatigen
Haftstrafe verurteilt, die er aber aufgrund der Zeit in
Untersuchungshaft nicht
mehr absitzen musste.
1834 trat Ernst I. das Fürstentum Lichtenberg an Preußen ab. Für
Juch sollte
das keine Besserung bedeuten, er wurde nicht geduldet, verließ mit
seiner
Familie im Oktober 1834 St. Wendel in Richtung Gotha. Dort starb
er 1858 im
Alter von 57 Jahren an einem Magen- und Darmleiden.
Zwischenzeitlich hatte er
wieder mal Anstellungen als Lehrer erhalten. „Aber er hat nie
wieder richtig
Fuß gefasst“, sagt Koepke. Der Theologe und Philosoph sei für
seine Werte
eingetreten, verfolgt und mundtot gemacht worden.
Wie ist also Juch zu bewerten? Auf der Leinwand blendet Referent
Koepke
verschiedene Aussagen ein, die andere über den Pfarrer getroffen
hatten. So
wurde er als „Einpeitscher“, aber auch als
„gutmütig mit zu geringer Welterfahrung“ beschrieben. Sein
Nachfolger
als Pfarrer in St. Wendel, Friedrich Moerchen, schrieb einmal: „so
gerieth ihm
leider der Reichthum seines Geistes zum Fallstrick“. Mit diesem
Zitat hat
Gerhard Koepke seinen Vortrag überschrieben.
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Auf einen Blick
Die Vortragsreihe „St. Wendel im Vormärz“ endet am Donnerstag, 19.
Mai. An
diesem Termin hält Franz-Josef Kockler ab 19 Uhr einen Vortrag zu
dem Thema:
„Die „Keller‘sche Gesellschaft“ – Die Unruhen des Jahres 1832 im
Fürstentum
Lichtenberg und ihre gerichtliche Aufarbeitung“. Veranstaltungsort
ist der
Maximiliansaal im historischen Rathaus in St. Wendel.
Anmeldung: Stadtarchiv, per Telefon (0 68 51) 8 09 19 60 oder per
Mail:
archiv(a)... de
Hinweis: Im Gebäude gilt Maskenpflicht.