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2022/07/13 10:21:11 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Rezension: Ziel Anderswo. Vertriebene und ihr Streben, das Nachkriegseuropa zu verlassen |
Datum | 2022/07/19 13:53:08 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum |
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2022/07/03 08:24:09 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Das römische Puzzle in Bliesb ruck-Reinheim |
Betreff | 2022/07/03 10:08:30 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Genealogieseminar „Vertief ende Familienforschung“ 2022 auf der Burglichtenberg |
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2022/07/13 10:21:11 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Rezension: Ziel Anderswo. Vertriebene und ihr Streben, das Nachkriegseuropa zu verlassen |
Autor | 2022/07/19 13:53:08 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum |
Date: 2022/07/13 10:31:43
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Autor Konrad Schellbach
Reihe Historical Catastrophe Studies / Historische
Katastrophenforschung
Erschienen Berlin 2021: de
Gruyter
Anzahl Seiten XII, 354 S.
Preis € 99,95
ISBN 978-3-110-61982-9
Inhalt => meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-60371.pdf
Rezensiert für H-Soz-Kult von Thomas Wozniak, Seminar für
Mittelalterliche Geschichte, Eberhard Karls Universität Tübingen
Da Menschen kaum einer anderen Naturerfahrung so sehr ausgeliefert
sein können
wie einem Erdbeben, verlangen die seismischen Erschütterungen nach
Erklärung.
Dabei steht hinter der von den mittelalterlichen Autoren
verwendeten Wendung terrae
motus factus est magnus nicht nur eine Erläuterung, sondern eine
ganz eigene
Weltsicht, deren Verständnis sich Konrad Schellbach in seiner an
der
Universität Potsdam in Kooperation mit dem GeoForschungsZentrum
Potsdam
entstandenen Dissertation nähert. Ziel ist eine Rekonstruktion des
früh- und
hochmittelalterlichen Verständnisses von Erdbeben. Vorab ist noch
anzumerken,
dass mit dem hier zu besprechenden Band die neue von Dominik
Collet,
Christopher Gerrard und Christian Rohr herausgegebene Reihe
„Historical
Catastrophe Studies / Historische Katastrophenforschung“ eröffnet
wird.
Bemerkenswert und in seinem Umfang einzigartig ist der
Quellenbestand von 93
historiographischen und annalistischen Zeugnissen für das Beben am
3. Januar
1117 in Verona (S. 36). Aufgrund dessen bildet dieses Ereignis
einen
„Wendepunkt“ (S. 181) in der Wahrnehmung wie der Darstellung von
Erdbeben, die
„als Hinweis auf das bevorstehende Jüngste Gericht“ (S. 76)
verstanden worden
seien. Dies geht aus den Untersuchungen zur Beschreibung von
Erdbeben (ab 782)
vor 1117 und während des Ereignisses von 1117 hervor, als terrae
motus mit facere
oder mit esse oder nur terrae motus ohne Verb verwendet wurde (S.
181f.). Ab
1117 (bis 1250) etabliert sich dann die Begrifflichkeit terrae
motus factus est
als maßgebliche Beschreibungsweise.
Die Arbeit, die auf der Basis lateinischer Quellen eine
überwiegend sprach- und
toposbezogene Analyse leistet, besteht aus fünf großen Teilen. In
der
Einleitung (S. 1–24) werden Aufbau und Methoden skizziert.
Ausgehend von den
eloquenten lateinischen Erdbebenbeschreibungen in römisch-antiken
Quellen
leitet die Arbeit über zur qualitativen Reduktion der Beschreibung
in der
mittelalterlichen Schriftkultur. Im zweiten Kapitel „Bilder der
Erschütterung –
Erdbeben in der Geschichtsschreibung des Früh- und
Hochmittelalters“ (S. 25–90)
wird gezeigt, dass sich aus einer Vielzahl antiker
Erdbebenbeschreibungen der
Terminus terrae motus als einheitliche frühmittelalterliche
Formulierungsgewohnheit etablierte. Dabei beleuchtet Schellbach
auch, in
welchen narrativen Varianten es die Geschichtsschreibung
vermochte, die Erde
sprachlich erbeben zu lassen und was sich daraus für die
ereignisgeschichtliche
Rekonstruktion ableiten lässt. Beispielsweise trennt das Beben von
1117 den
Verbgebrauch von contingere (seit 1021) vom späteren accidere –
was anschaulich
auf schematischen Darstellungen (S. 89f.) abgebildet wird.
Im dritten Kapitel „Mittelalterliche Erdbebenbeschreibungen im
Zeichen des
Triviums“ (S. 91–224) wird die Einbettung der Erdbeben in antike
und frühmittelalterliche
theoretische Logikgebäude über die grammatische Konstitution des
Erdbebenbegriffs vorgenommen. Im Vordergrund der Untersuchung
Schellbachs
stehen dabei die begriffs- und ideengeschichtlichen Provenienzen
mittelalterlicher Erdbebenbeschreibungen. Für den geplanten
parallelen
Erdbebenkatalog[1] werden die Möglichkeiten
der Parametrisierung
der Erdbebenbeschreibungen geprüft, also Fragen, ob und wieweit
sich die
qualitativen Aussagen der mittelalterlichen Zeugnisse in für die
moderne
Katalogarbeit nutzbare quantitative oder topographische
Informationen umwandeln
lassen, die dann der Historischen Seismologie als Datenbasis
dienen können.
Gerade so wichtige Fragen wie der räumliche Wahrnehmungsbereich
eines Erdbebens
oder die aus den Quellen abgeleitete Stärke von Erdbeben werden
dabei
veranschaulicht (S. 163–165). In Bezug auf die zeitliche Nähe der
Quellenstellen zum Erdbebenereignis werden drei Kategorien
vorgeschlagen:
„zeitgenössisch“, „zeitnah“ und „vergangenheitsgeschichtlich“,
deren
Chakteristika ausführlich referiert werden. Insbesondere das
Aufspüren falscher
Erdbeben in der historischen Überlieferung gehört dabei zu den
zentralen
Aufgabenstellungen der Historischen Seismologie. Einmal
unterliegen die
mittelalterlichen Autoren eschatologischen Erwartungen, die sie
dazu zwingen,
Beben falsch anzugeben, um dem eschatologischen Deutungsmuster zu
entsprechen.
Andererseits nutzen sie Falschbeben, um späteren negativen
Ereignissen ein
Unheilszeichen (Prodigium) vorangehen zu lassen. Insgesamt wird
festgehalten,
dass sich der Erfolg der Geschichtsvermittlung aus der
rhetorischen Schreibkompetenz
des Historiographen ergab (S. 223).
Im letzten Großkapitel „Zur Einheit von Exegese und
Geschichtsschreibung – Die
mittelalterliche Erdbebenbeschreibung terrae motus factus est als
Ausdrucksform
christlicher Weltauslegung“ (S. 225–286) geht es um den Bezug zur
Bibel: „Gemäß
der für die mittelalterliche Weltdeutung autoritativen biblischen
Vorlage
betont das Argument ‚Erdbeben‘ eine Botschaft, welche mit dem
Kreuz Christi,
dessen Grab und seiner Auferstehung verbunden“ (S. 246) sei. Viel
Raum nimmt hier
die Auslegung der Erdbebenbeschreibung gemäß den geistigen
Schriftsinnen ein
(S. 246–283). Eine durch Erdbeben erfolgende Erinnerung an das
Exemplum Christi
ziele dabei maßgeblich auf eine hieraus abgeleitete Opfer- und
Lebensbereitschaft ab, könne aber genauso einen typologischen
Gegenpol bedeuten
und als Personifizierung des Antichristen (konkret Heinrich V. als
rex tyrannus)
gedeutet werden (S. 257).
Die Schlussbetrachtungen (S. 287–302) können als mustergültige
Analyse des
Toposkonzeptes von Bornscheuer 1976 gelten[2], die in dieser konzisen
Ausführlichkeit
vorher nicht zusammengeführt wurden. Es folgen ein ausführliches
Quellen- und
Literaturverzeichnis (S. 303–344) und Register, getrennt nach
Sachen, Personen
und lateinischen Formen (S. 345–352) sowie Orten (S. 353f.). Nach
diesen
aufwendigen theoretischen wie sprachanalytischen Überlegungen
steigen die
Erwartungen an den in Vorbereitung befindlichen Katalog aller
betrachteten
Erdbebenereignisse, die dem Untersuchungsgang zugrunde liegen.[3]
Einschränkend ist zwar zu betonen, dass „ein historiographisch
überliefertes
Erdbeben […] stets als Resultat einer Gegenwartsanalyse
aufzufassen“ (S. 295) ist
und erst durch die Analyse der Schreibermotivation wie -intention,
der
Quellentendenzen und der spezifisch mittelalterlichen
Argumentations- und
Erinnerungstechniken sich das Phänomen „Erdbeben“ evaluieren
lässt. Dabei
konzentriert sich die Darstellung sehr stark auf Erdbeben, ohne in
einem
übergeordneten Ansatz zu reflektieren, dass dies ebenso für
zahlreiche andere
Naturereignisse der mittelalterlichen Historiographie (wie
Kometen,
Finsternisse) gilt. Auch deren Darstellung unterlag seit der
Spätantike einer
vielfältigen Nutzung und Wandlung; auch diese Ereignisse wurden
intentional
eingesetzt. Einen zentralen Bezugspunkt bildet dabei die
Johannesapokalypse mit
der Erwartung des Weltenendes. Diesbezüglich werden Erdbeben von
Schellbach vor
allem als Ausdruck des Motivs der Theophanie interpretiert (S.
242–246).
Für Erdbeben, welche durch Mt 28,2 (Et ecce terraemotus factus est
magnus)
ausdrücklich mit dem Pantokrator Jesus Christus verbunden sind,
liegt nun eine
ausführliche Studie vor, die auf einer breiten Basis lateinischer
Quellen den
vielschichtigen Prozess von Ursprung, Verständnis, Auslegung und
rhetorisch-narrativer Aussageabsichten der Erdbebenbeschreibungen
vom 8. bis
13. Jahrhundert ausführlich erläutert. Es ist zu hoffen, dass es
als beispielgebendes
Werk ähnliche Untersuchungen zu anderen Naturereignissen anregt.
Anmerkungen:
[1] Konrad Schellbach / Gottfried
Grünthal, Vom
Erdbeben der Erde im Früh- und Hochmittelalter. Ein
parametrisierter,
historisch-kritischer Katalog der Erdbeben im westlichen Europa
vom 8. bis zum
13. Jahrhundert (in Vorbereitung bei De Gruyter).
[2] Lothar Bornscheuer, Topik.
Zur Struktur der
gesellschaftlichen Einbildungskraft, Frankfurt am Main 1976.
[3] Vgl. Anm. 1.
Zitation
Thomas Wozniak: Rezension zu: Schellbach, Konrad: Erdbeben in der
Geschichtsschreibung
des Früh- und Hochmittelalters. Ursprung, Verständnis und
Anwendung einer
spezifisch mittelalterlichen Traditionsbildung. Berlin 2021: ISBN 978-3-110-61982-9, , In: H-Soz-Kult,
13.07.2022, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-94764>.