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2022/07/11 08:35:21 Roland Geiger via Regionalforum-Saar Re: [Regionalforum-Saar] Fwd: AW: Harrasberger |
Datum | 2022/07/13 10:31:43 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Erdbeben in der Geschichtsschreibu ng des Früh- und Hochmittelalters. Ursprung, Verst ändnis und Anwendung einer spezifisch mittelalterlichen Tr aditionsbildung |
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2022/07/19 13:53:08 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum |
Betreff | 2022/07/21 18:49:30 Stefan Reuter via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Verdun-Fahrt des Volksbunds am 10.09.2022 |
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2022/07/11 08:35:21 Roland Geiger via Regionalforum-Saar Re: [Regionalforum-Saar] Fwd: AW: Harrasberger |
Autor | 2022/07/13 10:31:43 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Erdbeben in der Geschichtsschreibu ng des Früh- und Hochmittelalters. Ursprung, Verst ändnis und Anwendung einer spezifisch mittelalterlichen Tr aditionsbildung |
Date: 2022/07/13 10:21:11
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Rezension:
Destination
Elsewhere. Displaced Persons and Their Quest to Leave Postwar
Europe
Autor Ruth Balint
Erschienen Ithaca 2021: Cornell University Press
Anzahl Seiten XIII, 190 S., mit Abb.
Preis $ 45.00
ISBN 978-1-5017-6021-1
Inhalt => meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-60931.pdf
Rezensiert für H-Soz-Kult von Sebastian Musch, Historisches
Seminar und
Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien,
Universität
Osnabrück
Mit dem vorliegenden Buch greift die australische Historikerin
Ruth Balint
mehrere Entwicklungen der Displaced-Persons-Forschung auf, die
vor allem in der
letzten Dekade zu einem Boom und einer Neuorientierung des
Feldes beigetragen
haben.[1] Dazu gehört erstens der
transnationale
Turn, der den Fokus von den DP-Camps und den Institutionen in
den
Besatzungszonen auf die von Flucht und (Zwangs-)Migration
geprägte Vor- und
Nachgeschichte verlagerte. Zweitens entstand ein stärkeres
Interesse für kleine,
vormals vernachlässigte, marginalisierte Gruppen, die sich
hinter dem Label
„Displaced Persons“ verbergen und damit die Forschung zu den
zahlenmäßig
größeren Gruppen – vor allem den jüdischen und polnischen DPs –
ergänzten. Drittens
wurde versucht, die Stimmen einzelner DPs in den Vordergrund zu
rücken, wo
vorher oft bestimmte Institutionen und Organisationen das Bild
dominierten,
darunter auch solche, die als Interessenvertretungen der DPs
gegründet wurden. Balint,
Associate Professor an der australischen University of New South
Wales, hat mit
Destination Elsewhere. Displaced Persons and Their Quest to
Leave Postwar
Europe ein gut lesbares Buch geschrieben, das genau diese drei
Entwicklungen
aufgreift, vereint und dabei die Perspektiven der DPs, deren
Erfahrungen und
Stimmen ins Zentrum der Untersuchung stellt.
Der britische Historiker Peter Gatrell hat bereits 2007 darauf
hingewiesen,
dass eine der größten Herausforderungen der
migrationshistorischen Forschung
die Frage sei, wie die DPs selbst mit den komplexen
Machtverhältnissen umgingen
und wie sie den Prozess der Vertreibung verstanden.[2] Balint rekonstruiert
unzählige
Lebensgeschichten anhand der von Eligibility Officers der
International Refugee
Organisation (IRO) mit Flüchtlingen geführten Interviews. Darin
wurde die
Berechtigung geprüft, in das Resettlement-Programm der IRO
aufgenommen zu werden.
Eine weitere Quellengruppe sind die Akten des IRO Review Board,
bei denen
Einsprüche gegen die Entscheidungen der Eligibility Officers
verhandelt wurden.
Allerdings überforderten die mannigfaltigen Lebensgeschichten
und
Schicksalswege in der durch den Weltkrieg
durcheinandergewirbelten
geopolitischen und gesellschaftlichen Ordnung die bürokratischen
Vorgaben. Ein
Handbuch, das IRO Manual for Eligibility Officers, präsentierte
eigentlich
Leitlinien für den Umgang mit typischen und häufigen, aber auch
mit untypischen
und seltenen Fällen. Es wurde im Laufe seiner Gültigkeit zweimal
angepasst, um
den aktuellen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Doch die
Lebenswirklichkeit
oder zumindest deren narrative strategische Verarbeitung in den
IRO-Interviews
sprengte oftmals die Vorgaben, bzw. die Vorgaben blieben hinter
der
Lebenswirklichkeit der sich verändernden Nachkriegsordnung
zurück. Daher sind
für Balint besonders jene Fälle relevant, bei denen vor dem IRO
Review Board
die ablehnenden Entscheidungen der Eligibility Officers
angefochten wurden und
nochmals argumentiert werden konnte, warum die individuelle
Kriegs- und
Verfolgungserfahrung zur Aufnahme in das Resettlement-Programm
berechtige.
Spezialist:innen werden mit vielen der von Balint darlegten
Aspekte bereits
vertraut sein – das Buch eignet sich über weite Strecken
durchaus als
Einführung zum Thema DPs und sei als solche auch empfohlen.
Geschickt verwebt
Balint individuelle Lebensgeschichten mit einer
globalgeschichtlichen
Perspektive. Dennoch bleibt es meistens bei einer Andeutung der
Implikationen
dieses Perspektivenwechsels auf die über das Lokale
hinausgehenden globalen
Verknüpfungen, was vor allem dem Fokus auf die Interviewbögen
der IRO
geschuldet ist. Außer in den beiden letzten Kapiteln, die sich
mit den DPs in
Australien auseinandersetzen, werden die Schicksale der
Interviewten über die
Akten der IRO hinaus in den sieben Kapiteln nur vereinzelt
nachverfolgt.
Nach einer überblicksartigen Einführung bietet Balint im ersten
inhaltlichen
Kapitel die elaborierte und sorgfältige Diskussion eines Themas,
das sich wie
ein roter Faden durch das ganze Buch zieht, nämlich die
tückische Frage nach
der Wahrheit: Welche narrativen Strategien benutzten
Flüchtlinge, um in den
Interviews mit den Eligibility Officers den begehrten DP-Status
zugesprochen zu
bekommen? Hierbei spielten auch unter den Flüchtlingen
kursierende Gerüchte und
Tipps eine wichtige Rolle. Direkt daran anknüpfend widmet sich
Balint im
zweiten Kapitel dem heiklen Thema der Denunziationen, mit denen
DPs sich
Vorteile verschaffen konnten – oder anderen Menschen Nachteile.
Denunziationen
bezogen sich direkt nach dem Krieg auf Kollaboration mit den
Nationalsozialisten, aber seit dem langsamen Auftauchen des
Kalten Krieges am
Ereignishorizont und den schärfer werdenden Gegensätzen zwischen
den westlichen
und östlichen Alliierten gewann der Vorwurf der Kollaboration
mit der
Sowjetunion oder der Vorwurf der kommunistischen Sympathien
zunehmend an
Relevanz. Gleichzeitig konnten spätestens ab Mitte 1946 DPs, die
Furcht vor
kommunistischer Verfolgung gegenüber den Eligibility Officers
glaubhaft machen
konnten, mit der Aufnahme in das Resettlement-Programm rechnen,
wovon auch
osteuropäische Kollaborateur:innen der Nationalsozialisten
profitierten. Balint
legt überzeugend dar, wie bürokratische Selektivblindheit die
politische
Epochenwende begleitete. Denunziation und Kollaboration im
Wechselspiel mit der
sich verschiebenden geopolitischen Ordnung erweisen sich für
Balint als
nützliche Sonden, um die Begegnung zwischen DPs und IRO als
individuelle
Selbstbehauptung gegenüber einem administrativen Apparat zu
beschreiben.
Das dritte, vierte und fünfte Kapitel bilden eine Einheit, die
im Zentrum des
Buches steht; hier betrachtet die Autorin familien- und
genderpolitische
Aspekte des DP-Komplexes. Zuerst zeigt sie, wie Frauen, deren
Status als DPs
eng mit ihren Ehemännern verknüpft war, durch das Labyrinth der
IRO-Verordnungen manövrierten, und wie der IRO-Apparat auf
Beziehungen und Ehen
über nationale und religiöse Unterschiede hinweg reagierte. Im
vierten Kapitel
widmet sich Balint der Frage, wie unbegleitete Kinder und ihre
Schicksale die
IRO heraus- und teilweise überforderten. Im fünften Kapitel
schildert sie den
oft grausamen Umgang mit behinderten Kindern. Da viele Staaten
nur bereit
waren, (potentiell) arbeitsfähige DPs aufzunehmen, wurde für
viele Familie das
Resettlement daran geknüpft, ihre behinderten Kinder in der
Obhut deutscher
Waisen- und Behindertenheime zurückzulassen. Der kalte
Pragmatismus der Aufnahmeländer,
deren Auswahlkriterien vor allem unter volkswirtschaftlichen und
sogar
eugenischen Zielen zu verstehen sind, stach selbst die familien-
und
genderpolitischen Scheuklappen der IRO aus. Die Organisation
rekurrierte vor
allem auf ein Familienverständnis, das sich normativ als
Gegenstück zu der
vermeintlichen Atomisierung – sprich: Zerstörung – der Familie
durch den
Sowjetkommunismus sah. Mit dem nahenden Ende des Mandats der IRO
Anfang der
1950er-Jahre wurde es eine gängige Praxis, erheblichen Druck auf
die
verbleibenden „hard core“-Fälle auszuüben. Die Historikerin
Sheila Fitzpatrick
hat in Bezug auf die Rückführung von Sowjetbürger:innen durch
die sowjetischen
Besatzungsbehörden ähnliche Praktiken, die sich im Gegensatz zur
Zwangsrepatriierung auf institutionellen oder persönlichen Druck
und
Überzeugungstechniken stützten, als „soft repatriation“
bezeichnet.[3] Wie Balint zeigt, hat
sich auch die IRO
unter dem Druck ihrer Mitgliedsländer der Mittel der „soft
repatriation“
bedient, um dadurch unwillige DPs in das Resettlement-Programm
zu drängen.
Im sechsten respektive siebten Kapitel untersucht Balint das
Resettlement der
DPs nach Australien bzw. deren verzweifelte Versuche, Familie
und Freunde zu
finden, von denen sie entweder während des Krieges oder durch
das
Resettlement-Programm getrennt wurden. Wie Balint betont, war
auch die Aufnahme
von DPs von der australischen Regierung durch einen ökonomischen
Imperativ
bestimmt, der vor allem auf körperliche und psychische
Unversehrtheit, also
„Tüchtigkeit“ oder „Fitness“ im weiteren Sinne als
Zulassungsvoraussetzung
abzielte. Australien war damit nicht allein; bei den meisten
Ländern, die durch
das Resettlement-Programm der IRO Menschen aufnahmen, spielte
das Interesse an
Arbeitskräften eine erhebliche Rolle – zum Nachteil all jener,
die als nicht
oder wenig arbeitsfähig eingestuft wurden. In ihrem Buch hat
Balint gerade sie
in den Vordergrund gerückt. Ihr Ansatz einer Geschichte „von
unten“, als
Versuch, den Flüchtlingen und DPs eine Stimme zu geben, speist
sich, wie sie im
Fazit selbst darlegt, aus einem gegenwartsbezogenen humanitären
Impetus. Mit
Empathie vermeidet die Autorin eine Degradierung von
historischen Individuen zu
reinen Anschauungsobjekten größerer geopolitischer und
ideologischer
Zusammenhänge.
Durch das Erzählen – oder auch Erfinden, wie Balint deutlich
macht – ihrer
Biographien wurden DPs zu historischen Subjekten mit Handlungs-
und
Verhandlungsmacht über das eigene Leben oder Schicksal. Analog
zu dem von Dan
Diner als kollektive Subjektwerdung beschriebenen Effekt des
Harrison-Berichts,
der im August 1945 jüdische DPs als nationales Kollektiv
definierte, vollzog
sich hier eine individuelle Subjektwerdung.[4] In den von Balint
aufgeführten Fällen
geschah dies aber nicht von außen (wie beim Harrison-Bericht),
sondern im teils
kooperativen, oft auch antagonistischen Dialog zwischen der IRO,
vertreten
durch den Eligibility Officer, und den einzelnen DPs. Dieser
Prozess war eng
verknüpft mit der Einführung von Interviews als Instrument der
Berechtigungskontrolle von Flüchtlingen und erwies sich als so
folgenreich wie
ambivalent. Einerseits boten die Interviews die Möglichkeit,
selbst zu Wort zu
kommen, vom Objekt der Politik zum Subjekt der eigenen
Geschichte zu werden.
Den adressierten Institutionen erlaubten sie eine
Einzelfallbetrachtung sowie
die Möglichkeit, individuellen Schicksalen gerecht zu werden.
Andererseits
wurde damit aber auch der Grundstein für eine Flüchtlingspolitik
und Fluchtkontrolle
gelegt, die eine individuelle Beweislast etablierte, die
persönliche
Glaubwürdigkeit zur höchsten Währung machte und Lebenswege
erklärungsbedürftig
werden ließ. Das Verdienst von Ruth Balints Buch besteht nicht
zuletzt darin,
historisch fundiert auf die Fallstricke dieser Entwicklung
hinzuweisen.
Anmerkungen:
[1] Als deutschsprachigen
Überblick siehe
zuletzt Nikolaus Hagen u.a. (Hrsg.), Displaced Persons-Forschung
in Deutschland
und Österreich. Eine Bestandsaufnahme zu Beginn des 21.
Jahrhunderts, Berlin
2022.
[2] Peter Gatrell,
Introduction: World Wars and
Population Displacement in Europe in the Twentieth Century, in:
Contemporary
European History 16 (2007), S. 415–426, hier S. 426.
[3] Sheila Fitzpatrick, The
Motherland Calls:
“Soft” Repatriation of Soviet Citizens from Europe, 1945–1953,
in: Journal of
Modern History 90 (2018), S. 323–350.
[4] Dan Diner, Elemente der
Subjektwerdung.
Jüdische DPs in historischem Kontext, in: Fritz Bauer Institut
(Hrsg.),
Überlebt und unterwegs. Jüdische Displaced Persons im
Nachkriegsdeutschland,
Frankfurt am Main 1997, S. 229–248.
Zitation
Sebastian Musch: Rezension
zu: Balint, Ruth: Destination Elsewhere. Displaced Persons and
Their Quest to
Leave Postwar Europe. Ithaca 2021: ISBN 978-1-5017-6021-1, , In: H-Soz-Kult,
12.07.2022, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-98893>.