G. Wiechmann: Von der deutschen Flugscheibe zum
Nazi-UFO
Autor Gerhard Wiechmann
Erschienen Paderborn 2022: Ferdinand
Schöningh
Anzahl Seiten XI, 174 S., 34 SW- und 13
Farb-Abb.
Preis € 39,90
ISBN 978-3-506-78742-2
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Rezensiert für H-Soz-Kult von Tilmann
Siebeneichner,
Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
75 Jahre nach ihrer (vorgeblich) ersten Sichtung sind UFOs wieder
oder vielmehr
weiterhin in aller Munde. Während im Zuge der vom
US-Verteidigungsministerium
freigegebenen Akten gegenwärtig vor allem darüber diskutiert wird[1], inwieweit es sich bei den
dort
dokumentierten Beobachtungen tatsächlich um absichtsvoll
gesteuerte,
unidentifizierte Flugobjekte – so die klassische Definition von
UFOs – handeln
könnte oder doch eher um unidentifizierte Luftphänomene – also
etwa auch
physikalisch-meteorologisch bedingte Erscheinungen (UAP =
Unidentified/Unexplained Aerial Phenomenon) –, erhitzte in den
späten
1940er-Jahren eine andere Frage die Gemüter. Wenige Jahre nach dem
Ende des
Zweiten Weltkrieges und in Anbetracht der sich verhärtenden
Blockkonfrontation
wurde seinerzeit intensiv darum gestritten, ob diese „Flugobjekte“
– für die
sich rasch die Bezeichnung „fliegende Untertassen“ etablierte –
außerirdischen
Ursprungs seien oder vielmehr geheime, neuartige Technologien des
Systemrivalen.
Ein besonders obskures Narrativ etablierte sich bald nach den
ersten Berichten
vorgeblicher UFO-Sichtungen in Westeuropa: Die 1947 vom
US-amerikanischen
Piloten Kenneth Arnold und in seiner Folge von vielen anderen
beobachteten
Flugobjekte seien definitiv irdischen Ursprungs; bei ihnen handle
es sich um
Weiterentwicklungen einer Technologie, die von den
Nationalsozialisten noch
während des Krieges erprobt worden sei. Die sogenannte
„Nazi-Flugscheibe“ ist
seitdem ein fester Bestandteil der UFO-Mythologie.
Der Geburt dieses „medialen Phantoms“, wie Gerhard Wiechmann es
nennt, sowie
seinen „Metamorphosen“ während des Kalten Krieges (und danach)
gilt das
Erkenntnisinteresse dieses Buches. Neben dem rund 30-seitigen
Einleitungskapitel und einem knappen, ausblickartigen Schluss
untergliedert es
sich in drei Hauptteile. Wie der Verfasser zu Beginn des zweiten
Kapitels
zeigt, entstand die Legende von den Nazi-Flugscheiben offenbar
ziemlich genau
zur selben Zeit in Italien und Deutschland. Aus nicht näher
erläuterten,
offenbar pragmatischen Gründen konzentriert sich Wiechmann im
Folgenden aber
ausschließlich auf die Geschichte der Nazi-Flugscheibe in
(West-)Deutschland.
Hier geisterten seit den frühen 1950er-Jahren einige Personen mit
zweifelhaften
biographischen Referenzen durch den Blätterwald, die alle für sich
in Anspruch
nahmen, während des Zweiten Weltkrieges in die geheimen
Rüstungsaktivitäten der
Nationalsozialisten involviert gewesen zu sein und in diesem
Kontext
entscheidende Beiträge zur Entwicklung eines kreisrunden
Fluggeräts geleistet
zu haben. Zwar wichen die individuellen Angaben voneinander ab, ob
sich die
Geräte noch im Planungsstadium befanden, bereits flugtauglich
waren oder
einzelne sogar den heranrückenden Sowjets in die Hände fielen. Das
Narrativ
jedoch war geboren: „Fliegende Untertassen existieren“, zitiert
der Verfasser
eine Zeitungsnotiz von 1954, „und ihre ersten Konstrukteure waren
– Deutsche!“
(S. 73).
Kapitel 3 zeigt, wie populäre westdeutsche Medien diese
Sensationsmeldung in
den Folgejahren bis etwa 1970 aufgriffen und so dazu beitrugen,
dass die
„Flugscheibenlegende“ zu einem anerkannten Narrativ avancierte,
das zum Ende
der 1950er-Jahre sogar Einzug in Publikationen des Bundesamtes für
Zivilschutz
oder der Bundeswehr erhielt. Zwar meldeten sich Mitte der
1970er-Jahre einige
kritische Stimmen, die nach Ansicht des Verfassers geeignet
gewesen wären, der
Legende von der Nazi-Flugscheibe jegliche Grundlage zu entziehen.
Ein zu dieser
Zeit einsetzendes neues Interesse an UFOs – befeuert etwa durch
Blockbuster wie
Steven Spielbergs „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ (1977) –
wie auch ein
breites Interesse an angeblichen Nazi-Verschwörungen – wiederum
befeuert durch
populäre Bestseller wie Frederick Forsyths Roman „Die Akte Odessa“
(1972) –
sorgten Wiechmann zufolge jedoch dafür, dass die Legende neuen
Aufwind erhielt
und sich zu verselbstständigen begann.
Kapitel 4 widmet sich dann der Flugscheibenlegende nach dem Ende
des Kalten
Krieges. Im Mittelpunkt steht hier ein Mann namens Andreas Epp
(1914–1997), der
sich bereits in den 1950er-Jahren als Luftfahrtingenieur zu
profilieren suchte
und sich im Zuge dessen als Konstrukteur einer fliegenden
Untertasse, des
„Omega-Diskus“, ausgab. Bemerkenswerterweise begann Hepp aber erst
nach 1990 zu
behaupten, er habe seinerzeit nicht nur Kontakte zu hochrangigen
Nationalsozialisten wie dem Generalluftzeugmeister Ernst Udet
gehabt, sondern
sei auch der eigentliche Urheber des Flugscheibenprinzips, von dem
all die
anderen in den 1950er-Jahren behauptet hatten, es handle sich um
ihre
Erfindung. Epp scheint es Wiechmann zufolge in erster Linie um
persönliche
Geltungssucht und Anerkennung als Luftfahrtingenieur gegangen zu
sein. Nachdem
ihm diese verwehrt geblieben war, halfen ihm jene Nazi-Meriten,
mit denen sich
seine inzwischen allesamt verstorbenen Konkurrenten gebrüstet
hatten, zumindest
dabei, nach 1990 zum einflussreichen „Kronzeugen“ einer eher
obskuren
„Flugscheibenszene“ zu avancieren (S. 130).
Auf diese Szene geht der Verfasser jedoch nur ausblickartig ein.
Sein erklärtes
Ziel ist es hingegen, zu untersuchen, wie ein „populärer Mythos im
Grenzgebiet
zwischen fact und fiction“ zu einer Zeit entstehen konnte, in der
die „Medien
noch völlig analog waren“ (S. X). In sorgfältiger und sicher
mühevoller
Forschungsarbeit hat Wiechmann vermutlich sämtliche Artikel
zusammengetragen,
die zwischen 1950 und 1990 zum Thema „Nazi-Flugscheiben“ in der
westdeutschen
Presse erschienen sind. Besonders hervorzuheben ist, dass die
meisten dieser
Artikel im Verlauf von Wiechmanns Untersuchung auch gezeigt
werden. Viele von
ihnen waren reich bebildert mit futuristischen Zeichnungen,
seltsamen
Konstruktionsplänen und verschwommenen Fotos angeblicher
Nazi-UFOs, die eine
ganz eigene Faszination entfalten. Umso bedauerlicher ist, dass
der Verfasser
sie als reine Illustrationen verwendet, auf die
„generativ“-gestalterischen und
„kommunikativ“-sinnstiftenden Aspekte dieser teils spektakulären,
teils
geheimnisvoll anmutenden Bilder und Ausführungen hingegen nicht
weiter eingeht.[2]
Wie die abschließenden Ausführungen zu einem langjährigen Kritiker
der
Nazi-Flugscheiben-Legende namens Hans Justus Meier nahelegen,
scheint dem
Verfasser auch daran gelegen zu sein, dessen kritischen
Interventionen Gehör zu
verschaffen. Meier hatte bereits in den 1970er-Jahren zur Gruppe
derjenigen
gezählt, die diesen modernen Mythos zu widerlegen suchten, war
jedoch von der
damaligen „UFO-Welle“ übertönt worden. Knapp 50 Jahre später hat
Wiechmann eine
Reihe von Luftfahrt-Experten konsultiert, die Meiers publizierte
Einlassungen
mit ihrer fachlichen Autorität beglaubigen. Verwendet Wiechmann
also auch
beträchtliche Mühen darauf, den modernen Mythos von der
Nazi-Flugscheibe ein
für alle Mal zu entkräften, fragt er leider nicht danach, warum
dieser sich
innerhalb von knapp einem Jahrzehnt derart breit in der
westdeutschen
Gesellschaft etablieren konnte und nach dem Ende des Kalten
Krieges ein
spektakuläres Comeback in rechtsradikalen Kreisen des
wiedervereinigten
Deutschlands erfuhr.[3]
Diese Begrenzung des Blicks ist schade, da Wiechmanns höchst
interessante
Befunde eine Reihe spannender Fragen aufwerfen: Was sagt die
Tatsache, dass
selbst einflussreiche westdeutsche Leitmedien wie die „Welt“ oder
das ZDF die
Legende von der Nazi-Flugscheibe unkritisch reproduzierten, wie
der Verfasser
zurecht bemerkt, über die bundesrepublikanische
Vergangenheitspolitik der
1950er- und 1960er-Jahre aus? Wie verbreitet war der Glaube an
Nazi-„Wunderwaffen“ vor und nach 1945, wenn sich der Mythos von
der
Nazi-Flugscheibe derart rasch und reibungslos etablieren konnte,
wie der Autor
es beschreibt? Was bedeutet wiederum ein offenbar weitverbreiteter
Glaube an
die vermeintlichen Fähigkeiten nationalsozialistischer
Luftfahrtingenieure und
-konstrukteure für die (Re-)Konstituierung westdeutscher
Astrokultur nach 1945?
Und was besagt die Tatsache, dass erste Artikel zur angeblichen
Nazi-Flugscheibe nicht nur in Deutschland, sondern zeitgleich auch
in Italien
und Frankreich erschienen, über die Wahrnehmung Deutschlands und
seiner
jüngeren Vergangenheit im europäischen Ausland – zu einer Zeit, in
der ehedem
für das NS-Regime tätige Ingenieure und Konstrukteure wie Kurt
Tank (1898–1983)
oder Eugen Sänger (1905–1964) an kontroversen Rüstungsprogrammen
in Südamerika
beziehungsweise im Nahen Osten beteiligt waren?[4] Das sind wichtige, bislang
aber erst
wenig erforschte Fragen der Zeitgeschichte. Wer immer sich ihrer
annimmt, wird
an Gerhard Wiechmanns Buch nicht vorbeikommen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu etwa den
SPIEGEL-Titel vom
26.06.2021: „Sind wir noch allein? Die UFO-Akten des Pentagon und
die Suche
nach Leben im All“.
[2] Zum medialen Charakter von
Bildern vgl.
Gerhard Paul, Visual History, Version: 3.0, in:
Docupedia-Zeitgeschichte,
13.03.2014, http://docupedia.de/zg/paul_visual_history_v3_de_2014
(15.06.2022).
[3] Zum modernen Mythos vgl. etwa
Karl Hepfer,
Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft,
Bielefeld
2015, S. 119–122.
[4] Vgl. dazu u.a. Argentina: Old
Hands, New
Directions, in: TIME, 23.10.1950,
https://content.time.com/time/subscriber/article/0,33009,813605,00.html
(15.06.2022); SPIEGEL-Titel vom 08.05.1963: „Deutsche Raketen für
Nasser“,
darin: Naher Osten. Rüstung. 36, 135 und 333, in: SPIEGEL,
08.05.1963, S.
56–71, zu Sänger S. 62,
https://www.spiegel.de/politik/36-135-und-333-a-1806d3d9-0002-0001-0000-000045151898?context=issue
(15.06.2022).
Zitation
Tilmann Siebeneichner: Rezension zu: Wiechmann, Gerhard: Von der
deutschen
Flugscheibe zum Nazi-UFO. Metamorphosen eines medialen Phantoms
1950–2020. Paderborn
2022: ISBN 978-3-506-78742-2, , In: H-Soz-Kult,
24.06.2022, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-114995>.