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[Regionalforum-Saar] Kommentar zu "Als Bomben auf T ürkismühle fielen" gestern in der SZ
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Re: [Regionalforum-Saar] Kommentar zu "Als Bomben auf T ürkismühle fielen" gestern in der SZ

Date: 2021/08/24 09:22:16
From: Stefan Reuter via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Hallo, Roland. 

Kurz und gut: Erstklassiger Kommentar!

Vergleichbares ließe sich zu fast allen Berichten in den Medien schreiben/sagen, die sich mit den damaligen Ereignissen befassen.

Leider fast durchgängig verfasst nach der Devise: "Keine Ahnung, aber davon jede Menge!"

Gruß, Stefan 

Roland Geiger via Regionalforum-Saar <

Guten Morgen,

gestern erschien im Regionalteil der Saarbrücker Zeitung ein Artikel über den Bombenangriff auf Türkismühle am 22. Februar 1945.

Der St. Wendeler Redakteur Thorsten Grim hatte den Türkismühler Heimatforscher Helmut Weiler interviewt und aus dessen Aussagen diesen Artikel zusammengebastelt. Ich hatte schon lange befürchtet, daß mich das zunehmende Alter hat ruhiger und gelassener werden lassen, aber das hat sich als unbegründet erwiesen. Ich habe gestern morgen gut zwei Stunden damit verbracht, die nachstehende Email an Herrn Grim zu verfassen.

Den Artikel selbst finden Sie unkommentiert in der nächsten Email, allerdings reduziert um die Fotos.

Roland Geiger

----------------

Guten Morgen, Herr Grim,

ich habe Ihren Artikel über den Bombenangriff aus Türkismühle gelesen. Mir ist klar, daß Sie nur wiedergegeben haben, was Herr Weiler Ihnen erzählt hat. Aber kaum etwas davon, was den Hintergrund des Angriffs betrifft, entspricht der Realität.

Es handelte sich um einen Tagangriff, die Bomber kamen um 15 Uhr. Damit war es nicht die Royal Air Force, die den Angriff flog, sondern die Amerikaner flogen diesen Angriff. Damit ist das schöne Foto der Lancaster, das Sie zeigen, nutzlos, denn sie gehörte zu den Briten.

Ein paar Tage nach dem Angriff - am 26. Februar - überflog die Ninth AirForce (US) in einer Höhe von 24.000 Fuß den Ort und schoß Fotos, um zu klären, welchen Schaden sie zuvor am Bahnhof angerichtet hatte. Woraus sich folgern läßt, daß tatsächlich der Bahnhof das Ziel war. Türkismühle war Verkehrsknotenpunkt, von hier zweigte die Eisenbahnstrecke nach Hermeskeil ab. Legt man diesen Knotenpunkt lahm, können keine Züge passieren, was die Bewegungen des Feindes erheblich einschränkt. Damit handelte es sich hier um einen taktischen Angriff, der der aktuellen Lage geschuldet war.

Die Ninth Air Force besaß keine sog. „schweren Bomber“ (B-17 Flying Fortress und B-24 Liberator), sondern kleinere mittelschwere und maximal zweimotorige, z.B. die B-26 Marauder. Sie war wendiger und für kleinere Ziele, z.B. Türkismühle, viel besser geeignet, als die viel behäbigeren schweren Bomber. Letztere tauchten nur in Pulks auf, was ihre Effizienz steigerte. Marauders flogen allein oder in kleinen Rotten zu drei oder sechs.

Sie beziehen sich auf die Operation Clarion. Darin findet sich in wikipedia:
„Die 9th Air Force war mit 465 Bombern und 1053 Kampfflugzeugen im Einsatz. Sie bombardierten zahlreiche Eisenbahnbrücken und Bahnknoten im Raum
Gießen, Freiburg, Bingen und Köln und zerstörten unter anderem 118 Lokomotiven. Sie verloren im Luftkampf drei Bomber und zwölf Jagdflugzeuge, schossen dagegen 17 deutsche Flugzeuge ab.“

Glauben Sie wirklich, General Spaatz hätte zugelassen, daß in Vorbereitung dieses Angriffes Flugblätter abgeworfen würden, um den Feind am Boden zu warnen? Die Alliierten besaßen die Lufthohheit, aber sie wußten, daß sich am Boden Truppen befanden, die sich wehren würden. Flugblätter hätten die Zivilisten gelesen, die Truppen aber auch. Die Soldaten beider Seiten waren mutig, aber wirklich dumm war keiner von ihnen.

Flugblätter dienten dazu, den Feind zu demotivieren und zum Aufgeben zu bringen; ihr Zweck war, die Gefahr von der anderen Seite zu verringern. Ein Text wie „Türkismühle im Loch - wir kriegen Dich doch“ ist eine Provokation, eine Verhöhnung, nicht eine Aufforderung zur Aufgabe. Dazu kommt: wer soll diese Flugblätter abgeworfen haben? Es mußte eine zweimotorige Maschine sein, aus deren Bombenschacht die Blätter abgeworfen wurden. Sie mußte den Raum über Türkismühle unbeschadet erreichen (also mindestens drei oder mehr Flugzeuge), tief runter gehen (von normaler Höhe bei 8 km auf mindestens 500 Meter), damit die Blätter auch wirklich in Türkismühle landen, und sie mußte die ganze Strecke wieder zurückfliegen. Der ganze Aufwand, um dem Feind zu sagen, für welch einen Idioten man ihn hält. Dazu muß man schon wirklich bescheuert sein.

Nach dem Angriff kamen lt. Weiler die Jäger in Form amerikanischer P-38 Lightnings, um die Leute am Boden davon abzuhalten, die Verschütteten zu bergen. Wie soll ich das schreiben? Wissen Sie, wie ein Pilot in einem Jäger zielt? Mit seiner ganzen Maschine, denn die Maschinengewehre sind fest in der Tragfläche eingebaut und zielen auf einen Punkt, der in einer gewissen Entfernung genau vor der Flugzeugnase in Flugrichtung liegt. D.h. bei einem Vorbeiflug kann der Pilot zwar feuern, aber er trifft nichts, weil das Ziel dann neben ihm liegt. Er muß also ein ganzes Stück wegfliegen, drehen, seine Nase auf das Ziel ausrichten und darauf losfliegen. Ein ganzes Stück davor schießt er und dreht gleich wieder ab, denn er kommt mit ein paar hundert Stundenkilometern an. Dreht er nicht rechtzeitig ab, fliegt er in den Boden.

Der Begriff „Dachrutscher“ scheint ein lokaler Begriff zu sein. Ich hörte ihn in den 90ern zum ersten Mal. Er bezeichnet einen feindlichen Jäger, der spätabends sehr tief über die Dächer der Häuser geflogen sein soll, daher der Name. Welcher Nationalität er war, wußte niemand, und gesehen hat ihn wohl auch niemand. Die Flugzeuge, die Herr Weiler meint, die P-38 Lightning, wurde in der Regel als Eskorte für Bomber eingesetzt (suchen Sie doch mal nach dem Gedicht „Lightnings in the Sky“), aber auch als Jagdbomber, d.h. unter den Tragflächen hingen leichte Bomben. „Jabo“ für Jagdbomber ist dann auch der Begriff, den die Leute hierzulande den einzel oder in Rotte fliegenden einsitzigen und einmotorigen Jagdflugzeugen der Amerikaner gaben, die so gut wie jedes sich anbietende Bodenziel angriffen, wiederum taktisch, um potentielle Gegner auf dem Boden auszuschalten. Um festzustellen, wie sich aus einem schnellfliegenden Flugzeug aus ein paar hundert Metern Höhe der Unterschied zwischen Zivilisten und Soldaten ausmachen läßt, empfehle ich Ihnen einen Flug in Marpingen in einem zweisitzigen Tiefdecker. Schauen Sie aus dem Fenster, und identifizieren Sie Personen und Tiere.

Herr Weiler gibt an, es seien etwa 50 Personen bei dem Angriff umgekommen. Ein bißchen später sagt er, die letzten Opfer seien nach 1,5 Jahren gefunden worden. D.h. es dürfte einfach sein, die Zahl und Namen der Toten ermitteln. Oder ist das zuviel Mühe und paßt nicht in sein Feindbild?

Zu dem Einsatz der Amerikaner über Türkismühle am 22. Februar 1945 gibt es sicher einen Einsatzbericht, der im amerikanischen Nationalarchiv in College Park, Maryland, liegt. Dort muß man heutzutage nicht mal hinfahren. Aber drum bemühen muß man sich schon.

Die Erinnerung spielt uns Streiche, vor allem an Erlebnisse, die wir als junge Menschen hatten. Wir interpretierten sie mit den intellektuellen Möglichkeiten, die wir damals hatten. Im Laufe der Jahre erinnern wir uns dann nicht mehr an die Erlebnisse, sondern an diese Interpretationen und das, was uns andere darüber erzählten.

Ich sprach in den 1990ern mit einem Augenzeugen aus Eisen, der mir von einem Flugzeugabsturz berichtete. Dort drüben, wies er mit der Hand, kam das Flugzeug her und brannte. Hier drüben ist einer ausgestiegen, und dort hinter den Häusern ist es abgestürzt. Ich nahm seine Aussage als Grundlage und fand heraus, daß er von drei Ereignissen sprach, die zu unterschiedlichen Zeiten binnen zweier Jahre stattgefunden hatten.

Augenzeugenberichte sind tolle Grundlagen, aber sie müssen analysiert werden. Sonst kann das furchtbar in die Hose gehen.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

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