gestern in der SZ, Regionalteil St. Wendel:
Als Bomben auf Türkismühle fielen
[Großes Foto: Am 22. Februar 1945 erfolgte der folgenreichste von
insgesamt 51
Luftangriffen auf Türkismühle. Das Foto zeigt einen viermotorigen
britischen
Bomber vom Typ Lancaster im Anflug auf Hamburg im Zweiten
Weltkrieg.]
Türkismühle Am Bahnhof Türkismühle eröffnete im Sommer ein
Döner-Imbiss. Aber
das Grundstück, auf dem er steht, hat eine tragische Geschichte:
Hier suchten
im Februar 1945 zahlreiche Menschen im Keller eines Hotels Schutz
vor den
Bomben, die die Alliierten über Türkismühle abwarfen – vergeblich.
Von Thorsten
Grim, Redakteur Lokalredaktion St. Wendel
Mit der Ardennenoffensive im Winter 1944/45 hatte Hitler im Westen
alles auf
eine Karte gesetzt – und verloren. Wenngleich die Wehrmacht damit
den Angriff
der West-Alliierten auf das Deutsche Reich nach Einschätzung der
Historiker der
Bundeszentrale für Politische Bildung um etwa sechs Wochen
verzögert hatte.
Dennoch war mit dem Scheitern der Großoffensive der von den Nazis
noch immer
beschworene Endsieg endgültig in unerreichbare Ferne gerückt.
Unaufhaltsam
wanderte die West-Front in östliche Richtung.
Dabei helfen, den Widerstand der Deutschen zu brechen, sollte die
Operation
Clarion. So lautete der Code-Name der größten und weiträumigsten
anglo-amerikanischen Luftangriffskampagne im Zweiten Weltkrieg.
Innerhalb von
48 Stunden wollten die Alliierten am 22. und 23. Februar 1945 der
Infrastruktur
im Reich einen tödlichen Schlag versetzen. Auch das Dörfchen
Türkismühle hatten
die Angreifer als Ziel für ihre Bomberpiloten auserkoren.
Seine Entstehung verdankt der Ort einer günstigen Verkehrslage.
Und genau die
sollten ihm und zahlreichen Menschen am 22. Februar ’45 zum
Verhängnis werden.
Allerdings fielen die Bomben auf den Bahnknotenpunkt nicht aus
heiterem Himmel.
Es war bewölkt. Und: „Der Angriff war angekündigt worden“,
erinnert sich Helmut
Weiler. Der Türkismühler ist pensionierter Gymnasiallehrer und
passionierter
Heimatforscher. Zahlreiche Schriften hat Weiler zur Geschichte
seines
Heimatortes und des Hochwaldes verfasst. Auch mit dem Bombardement
Ende Februar
1945 hat er sich befasst. „Die Alliierten hatten über dem Dorf
Flugblätter
abgeworfen. Darauf stand: Türkismühle im Loch – wir kriegen Dich
doch“,
berichtet der Heimatforscher, der damals noch ein kleiner Junge
war.
76 Jahre später sitzen wir am Tisch des Esszimmers in seinem
Wohnhaus, das im
Gebiet auf dem Eber steht. „Hier, wo wir jetzt sitzen, waren
damals jede Menge
Luftabwehrgeschütze stationiert“, berichtet Weiler. „Wenn man in
diese
Richtung weiter geht“, er zeigt aus dem Fenster in westliche
Richtung, „würde
man eine Absturzstelle finden. Da wurde eine viermotorige Maschine
der Amis
abgeschossen.“
Anlass für Weiler, sich noch einmal mit jenem Schicksalstag wenige
Monate vor
Kriegsende zu beschäftigen, war jüngst die Neueröffnung des
Türkismühler
City-Grills in der Saarbrücker Straße. Denn der steht genau auf
jenem Platz, wo
damals zahlreiche Menschen ihr Leben verloren.
Die Bomber mit ihrer todbringenden Luftfracht kamen nachmittags
gegen 15 Uhr
aus Richtung Nohfelden durch das Nahetal geflogen. Tief brummten
die Motoren
der Propellermaschinen, Sirenen hatten Fliegeralarm geheult. Bis
1944 war
Türkismühle fast vollständig von Luftangriffen verschont
geblieben. Doch mit
dem Näherrücken der Front war das florierende Dörfchen immer
stärker ins Visier
der Bomberstaffeln gerückt. Schließlich war hier ein wichtiger
Verkehrsknotenpunkt – gerade auch für die Wehrmacht. 51 Angriffe
aus der Luft
sollten in der Folge bis Kriegsende über Türkismühle niedergehen.
Der damals beidseitige Trennungsbahnhof lag und liegt an der
Nahetalbahn und
war Endpunkt der Hochwaldbahn nach Trier sowie der Westrichbahn
nach
Kusel. „Gerade in den letzten Kriegsmonaten und -wochen ging durch
den
Bahnhof viel Kriegsgerät durch“, weiß Weiler und berichtet von
einer alten
Militärrampe im Wald, „die es noch immer gibt“. Über diese konnte
Großgerät auf die Schiene gebracht oder von dort heruntergeholt
werden. „Es gibt sogar Zeitzeugen, die mir erzählt haben, dass
hier einige
V2 verladen wurden.“ Die Abkürzung V2 steht für Vergeltungswaffe
zwei, die
weltweit erste funktionsfähige Großrakete mit
Flüssigkeitstriebwerk. Die
ballistische Artillerie-Rakete kam im Zweiten Weltkrieg ab 1944 in
großer Zahl
zum Einsatz.
Als sich die Bomber am 22. Februar 1945 dem Ort näherten, hielt
gerade ein
Passagierzug in Türkismühle. Da Fliegeralarm gegeben war, rannten
die Menschen
aus Zug und Bahnhof und suchten Schutz in dem vermeintlich
sicheren Keller des
unweit gelegenen Hotels Zwetsch. Das war in den 1870er-Jahren als
Hotel zur
Post erbaut worden.
Ungeachtet der Flugabwehrgeschütze auf der Anhöhe, wo heute Weiler
wohnt,
drangen die Bomber vor. Dann waren die Flieger über dem Dorf,
öffneten die
Klappen an den Bäuchen ihrer fliegenden Festungen und luden ihre
tödliche
Fracht ab. Gewaltige Explosionen erschütterten den Bahnhof und die
umliegenden
Gebäude. Die Gleisanlage wurde nachhaltig zerstört, ebenso unter
anderem das
Bahnhofsgebäude, das Gasthaus Schulz sowie das Geschäftshaus Anton
Meier. Auch
das Hotel Zwetsch wurde getroffen. Dessen Keller galt zwar als
bombensicher,
wurde aber dennoch zur Todesfalle.
„Man schätzt, dass etwa 50 Menschen in dem Keller Schutz suchten
und
verschüttet wurden. In dem Keller lagerte Koks, der sich durch den
Bombenangriff wohl entzündete. Das Feuer entzog der Luft den
Sauerstoff und die
Menschen erstickten“, berichtet Weiler. „Neben den beiden
Hotelbesitzerinnen
Philippine und Ida Zwetsch sowie ihrer Schwester Luise fanden
weitere Personen
aus Türkismühle, den Nachbarorten sowie die Fahrgäste des gerade
angekommenen
Zuges und zudem fünf Wehrmachtsangehörige, (. . .), den Tod.“
Während der Lösch- und Rettungsarbeiten griffen immer wieder
amerikanische
Kampfflugzeuge die Rettungskräfte an. „Wir haben die Flugzeuge nur
Dachrutscher
genannt, weil sie immer so tief über die Dächer der Häuser
geflogen kamen“,
sagt der Heimatforscher. Die Dachrutscher waren Jäger der Firma
Lockheed mit
der Bezeichnung P-38 Lightning. Jedenfalls machten diese Angriffe
die Bergung
der Opfer aus den Schuttmassen tagsüber schwierig bis nahezu
unmöglich. Die in
den folgenden Nächten geborgenen Opfer setzte man – ebenfalls
nachts – auf dem
Friedhof in Nohfelden bei, da ein solcher in Türkismühle selbst
zur damaligen
Zeit noch nicht angelegt war. „Die letzten Opfer konnten aber erst
gut
eineinhalb Jahre später völlig skelettiert geborgen werden“, hat
Weiler
recherchiert.
Das Grundstück des ehemaligen Hotels Zwetsch blieb in der
Folgezeit unbebaut.
Bis jetzt. 76 Jahre nach der Zerstörung des ehemaligen Hotels zur
Post sei mit
dem repräsentativen Neubau ein würdiger Nachfolger gefunden
worden, „der wie
das Vorgängergebäude zu einer Institution werden kann“. Jedenfalls
wünscht
Weiler das der Familie Kartal Vakkas, die den Citiy-Grill
betreibt.
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