Johrendt, Jochen: Investiturstreit. Darmstadt
2018. ISBN 978-3-534-15577-4
Zey, Claudia: Der Investiturstreit. München 2017. ISBN 978-3-406-70655-4
Rezensiert für H-Soz-Kult von Philipp N. Spahn,
Max-Planck-Institut für
europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main
Als der Salierherrscher Heinrich IV. und 26 seiner treuen Bischöfe
am 24.
Januar 1076 auf einer Synode zu Worms Papst Gregor VII. die
Gefolgschaft
aufkündigten, entbrannte ein Streit, der erst mit einem am 23.
September 1122
in Worms bekräftigten Kompromiss ein Ende fand. Bezeichnet wird
diese
Auseinandersetzung meist als Investiturstreit, auch wenn der
zentrale
Streitgegenstand nicht die Bischofsinvestitur, sondern das
Verhältnis von geistlicher
und weltlicher Gewalt war. Seitdem das religiöse
Erneuerungsbestreben mit der
Sutriner Synode vom 20. Dezember 1046 päpstliches Programm
geworden war, wurde
dieses Verhältnis verstärkt hinterfragt. Die Folge war ein in
seiner Bedeutung
kaum zu vermessender geistesgeschichtlicher Wandel, der mit
scholastischer
Methode und Kirchenrechtswissenschaft nur unzulänglich beschrieben
ist und der
zeitlich weit über das Wormser Konkordat hinausreicht.
Von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen[1], spiegelt diese Skizze die
vorherrschende
Ansicht über den Investiturstreit innerhalb der deutschsprachigen
Mittelalterforschung. In vielerlei Hinsicht ist ‚Investiturstreit‘
daher ein
irreführender Begriff. Es kann aber, wie Peter von Moos schreibt,
durchaus
geboten sein, „einen etablierten Begriff […] sachlich in Frage
[zu] stellen und
ihn dennoch in einem relativierten Sinn bei[zu]behalten, weil der
Schaden der
Begriffszerstörung für die wissenschaftliche Kommunikation grösser
wäre als der
Nutzen einer richtigen, aber einsamen Umbenennung.“[2] Tatsächlich wurde der
Begriff
Investiturstreit oft problematisiert[3], auch totgesagt[4], lebt in seinem
Begriffsgehalt
relativiert als Epochenbezeichnung aber dennoch weiter. Nicht
zuletzt die
beiden Überblicksdarstellungen, die hier vergleichend zu
besprechen sind,
zeugen davon.
Jochen Johrendt bestimmt den Investiturstreit inhaltlich als eine
epochale
Auseinandersetzung zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt
(„Einleitung“, S.
9–11). Anfangs skizziert er die mittelalterliche Gesellschaft um
1000, im
Zentrum stehen gesellschaftliche Ordnungsmuster, ökonomische und
demografische
Veränderungen sowie religiöse Heterogenität („I. Der historische
Rahmen des
Investiturstreits“, S. 12–20). In den zwei folgenden Abschnitten
sind die
kirchlichen Entwicklungen fokussiert. In einem ersten Schritt
stellt Johrendt
dar, wie es nach dem Vorbild Clunys auf struktureller Ebene zur
Überwindung des
Eigenkirchenwesens, auf religiöser Ebene zu einem neuen
Priesterbild kam.
Beides habe zur Reformforderung nach kirchlicher Freiheit geführt
(„II. Die
kirchliche Entwicklung am Vorabend des Investiturstreits“, S.
21–35). Es folgt
die Skizze eines Wandels, ausgehend vom Papst als römischem
Bischof, der aus
dem städtischen Adel kam und in erster Linie Partikularinteressen
verfolgte,
hin zum Reformpapst, der sich als Bischof der gesamten Kirche
verstand und
deshalb mit universalem Anspruch auftrat („III. Das Papsttum von
der Mitte des
11. Jahrhunderts bis zu Gregor VII.“, S. 36–62). Sodann lässt
Johrendt einen
Perspektivwechsel folgen und schildert die Ereignisse aus
salischer Sicht,
beginnend mit Heinrichs III. Weg zur Kaiserkrone und dem
historischen
Wendepunkt in Sutri. Enden die krisengeplagten ersten
Herrschaftsjahre
Heinrichs IV. in der Gliederung 1073, so schließt der Abschnitt
mit einem
Ausgriff auf den Sieg des Salierherrschers über die Sachsen an der
Unstrut 1075
(„IV. Geistliche und weltliche Gewalt im Reich am Vorabend des
Investiturstreits“, S. 63–89). Die Auseinandersetzung zwischen
Gregor VII. und
Heinrich IV. unterteilt Johrendt, Tilman Struve folgend[5], in drei Phasen. Das
Wormser Konkordat
lasse sich aber nicht ausschließlich ereignisgeschichtlich
herleiten, sondern
habe auch der ideellen Unterscheidung von spiritualia und
temporalia bedurft
(„V. Der Konfliktverlauf im Reich“, S. 90–121). Ein Vergleich mit
Frankreich,
England und Unteritalien erhellt, weshalb die Auseinandersetzung
der Päpste mit
den Salierherrschern Heinrich IV. und Heinrich V. eine größere
Intensität
erlangte, als das für die Konflikte mit den anderen Herrschern
gilt („VI. Der
Konfliktverlauf im europäischen Vergleich“, S. 122–139). Mit einem
Ausblick auf
die geistesgeschichtlichen und politischen Folgen des
Investiturstreits kommt
die inhaltliche Darstellung zu einem Ende („VII. Ergebnisse und
Folgen des
Investiturstreits“, S. 140–157). Eine kommentierte
„Auswahlbibliographie“ (S. 158–164)
und ein „Personen- und Ortsregister“ (S. 165-168) beschließen den
Band.
Johrendt hat einen Überblick vorgelegt, der sowohl dem
ambitionierten
Oberstufenschüler als auch dem Proseminaristen nicht nur eine
erste Berührung
mit dem Gegenstand erlaubt, sondern aufgrund der sorgfältig
getroffenen und
klug kommentierten Literaturauswahl auch einen guten Ansatzpunkt
zur
eigenständigen Weiterarbeit bietet. Sauer auf stoßen einzig
begriffliche
Unschärfen. Betont Johrendt, dass die Gegenpäpste erst in der
Rückschau zu
solchen wurden (S. 78, 105, 150, 152), so hätte es bei den
„Nachfolgestaaten
des Karolingerreiches“ (S. 16) zumindest eines Nebensatzes über
die
Forschungskontroversen zur frühmittelalterlichen Staatlichkeit
bedurft. Unklar
bleibt auch, was die frühmittelalterliche „Amtskirche“ (S. 23f.)
sein soll und
woran sich ‚geltendes‘ Kirchenrecht (S. 24, 145) in dieser Zeit
festmachen
lässt. Wird der fortgeschrittene Student das einzuordnen wissen,
so dürfte es
beim zu erwartenden Leserkreis zu unschönen Assoziationen mit dem
modernen
Verfassungsstaat, der körperschaftlich verfassten Kirche sowie den
Kirchenrechtskodifikationen des 20. Jahrhunderts kommen.
Als grundsätzlichen Konflikt zwischen geistlicher und weltlicher
Gewalt
versteht auch Claudia Zey den Investiturstreit („Einführung“, S.
7–9), dessen
frühmittelalterlichen Vorbedingungen sie vier Abschnitte widmet.
Ausführungen
zum frühmittelalterlichen Herrscherbild sowie dem Zusammenwirken
von Herrschern
und Bischöfen/Äbten innerhalb des Herrschaftsverbandes („1. Die
christlichen
Herrscher und die Kirchen im früheren Mittelalter“, S. 9-16) folgt
eine
Einführung in Leos I. plenitudo potestatis- und Gelasius‘ I.
Zweigewaltenlehre.
Diese seien auf ideeller, das patrimonium Petri auf materieller
Ebene das Fundament
des päpstlichen Führungsanspruches („2. Das Papsttum im früheren
Mittelalter“,
S. 16–22). Personelle und strukturelle Komponenten der
monastischen Erneuerung
hätten der Kirchenreform den Weg bereitet („3. Die Anfänge der
Kloster- und
Kirchenreform“, S. 22–29). Mit einem kurzen Abschnitt zu den
unterschiedlichen
Bedeutungsgehalten des Investiturbegriffs, zum Ablauf einer
Investitur sowie
zum Symbolgehalt der Insignien („4. Die Investitur von Bistümern
und Klöstern
im früheren Mittelalter“, S. 29–33) verlässt Zey das
Frühmittelalter. Eine
Melange aus Ereignis- und Geistesgeschichte schließt sich an. Die
Ereignisse
sind chronologisch geschildert, aber wiederholt ist vergleichend
auf andere
europäische Herrschaften und in die Texte geblickt, die den Streit
argumentativ
begleiteten. Von Heinrichs III. Romzug führt Zey den Leser über
das aktiv
werdende Papsttum („5. Die Einheit von Kaiser- und Papsttum unter
Heinrich
III.“, S. 34–40) und das allmähliche Auseinanderdriften von
geistlicher und
weltlicher Gewalt („6. Das Zerbrechen der Einheit“, S. 41–50) hin
zum Ausbruch
des offenen Konflikts 1076 bis zum Tod Gregors VII. 1085. Zey
tendiert zu einem
ersten Investiturverbot 1075, das an der Eskalation des Konflikts
zwischen
Gregor VII. und Heinrich IV. aber keinen Anteil habe („7. Der
Ausbruch des
Konflikts zwischen Gregor VII. und Heinrich IV.“, S. 50–77). Das
Pontifikat
Urbans II. sei für das Papst-Kaiser-Verhältnis besonders deshalb
wichtig, weil
dieser erstmals eine Führungsrolle innerhalb der gesamten
Christenheit einnahm,
als er 1095 zur bewaffneten Pilgerfahrt aufrief („8. Die
Fortsetzung des
Konflikts an der Wende zum 12. Jahrhundert“, S. 77–84). Die
Investiturfrage sei
erst in der Auseinandersetzung zwischen Heinrich V. und Paschalis
II. zum
Hauptstreitpunkt avanciert („9. Der Investiturstreit zwischen
Paschalis II. und
Heinrich V.“, S. 85–99). Der Investiturstreit endet für Zey 1123,
als auf dem
I. Lateranum die Verhandlungsergebnisse von 1122 hingenommen
wurden („10. Die
Lösung des Investiturstreits im Wormser Konkordat“, S. 100–111).
Der erreichte
Frieden sei zwar nur von kurzer Dauer gewesen, die Folgen des
Investiturstreits
für die Geschichte Europas aber seien vielfältig („Schluss und
Ausblick“, S.
112–118). Dem Band ist eine Auswahlbibliographie (S. 119–121) und
eine
Zeittafel (S. 122–125) beigegeben, erschließen lässt er sich
mittels eines
Orts-, Personen- und Sachregisters (S. 125–128).
Zey führt, sprachlich überaus ansprechend, äußerst kenntnis- sowie
detailreich
und dabei doch sehr konzis in die historischen Rahmenbedingungen
des
Investiturstreits ein und durch seine Geschichte hindurch. Nichts
als
Beckmesserei wäre es da, darauf hinzuweisen, dass es entgegen des
hartnäckig
sich haltenden Gerüchts nicht Petrus Damiani (S. 59), sondern
Gottschalk von
Aachen war, der zuerst die zwei Schwerter aus dem Lukasevangelium
(22,38) auf
die beiden Gewalten hindeutete[6], und dass Zey verschweigt,
dass an
Sigeberts von Gembloux Autorschaft des Investiturtraktats von 1109
(S. 91, 95)
erhebliche Zweifel geäußert wurden.[7] Denn aufs Ganze gesehen
ist Zeys Lesebuch
nicht nur ausgesprochen informativ, und das auf engstem Raum. Es
ist auch
außerordentlich vergnüglich, sie auf ihrer Reise durch die Zeiten
nachdenkend
zu begleiten.
Sind die beiden Bände vom Zuschnitt her von vornherein
unterschiedlich
ausgestaltet, zeigt sich vergleichend, dass die beiden Schüler
Rudolf
Schieffers den Gegenstand auch vom Zugriff her durchaus
unterschiedlich
behandelt haben. Während Johrendt sich stärker an der
Ereignisgeschichte sowie
ihren Protagonisten anlehnt und erst in einem letzten Abschnitt
die
geistesgeschichtlichen Folgen des Konflikts ausführlicher
thematisiert, gibt
Zey in ihrer Erzählung über weite Strecken der Geistesgeschichte
den Vorzug.
Die unterschiedlichen Zugänge sind erfreulich, war der
Investiturstreit doch weder
nur ein politisches Kräftemessen im Ringen um Befugnisse, noch nur
eine
Neuordnung der Welt auf gedanklicher Ebene, sondern beides
gleichermaßen. Die
beiden Darstellungen ergänzen sich damit gut, auch wenn die
ideellen Folgen der
umfassenden Neuordnung alles in allem etwas zu kurz kommen. Denn
die epochale
und europäische Bedeutung des Investiturstreits zeigt sich weniger
in der
Auseinandersetzung zwischen Päpsten und Salierherrschern, als
vielmehr in den
entstehenden intellektuellen Zentren, die territoriale Grenzen
überschreitend
die politischen Geschehnisse schriftstellerisch begleiteten. Erst
im
argumentativen Schlagabtausch entfaltete sich das produktive
Potential, das zur
Verwissenschaftlichung von Theologie und Recht führen und Europa
somit einen rationalen
Geist einhauchen sollte. Ob man diese unvergleichliche Zäsur in
der
europäischen Geschichte dann Investiturstreit oder Reform,
vielleicht auch
Renaissance oder überschwänglich Revolution nennen möchte, das
steht
unterdessen auf einem anderen Blatt.
Anmerkungen:
[1] Vgl. etwa Reinhardt Butz,
Art.
„Investiturstreit“, in: Albrecht Cordes / Heiner Lück / Dieter
Werkmüller
(Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 2, 2.
Aufl., Berlin
2012, Sp. 1290–1296, hier insbes. Sp. 1290.
[2] Peter von Moos, Das
argumentative Exemplum
und die "wächserne Nase" der Autorität im Mittelalter, in: W. J.
Aerts / M. Gosman (Hrsg.), Exemplum et Similitudo. Alexander the
Great and
Other Heroes as Points of Reference in Medieval Literature
(Mediaevalia
Groningana 8), Groningen 1988, S. 55–84, hier S. 55 (erneut
abgedruckt in: Gert
Melville (Hrsg.), Peter von Moos. Rhetorik, Kommunikation und
Medialität.
Gesammelte Studien zum Mittelalter 2 (Geschichte. Forschung und
Wissenschaft
15), Berlin 2006, S. 45–67, hier S. 45).
[3] Vgl. insbes. Rudolf
Schieffer, Die
Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deutschen
König (Schriften
der Monumenta Germaniae Historica 28), Stuttgart 1981, hier S. 1–6
und S.
204–207.
[4] Vgl. Bernhard Jussen, ‚Reich‘
– ‚Staat‘ –
‚Kirche‘? Worüber verhandelten die Päpste mit den fränkischen
Herrschern?, in:
Norbert Zimmermann u.a. (Hrsg.), Die Päpste und Rom zwischen
Spätantike und
Mittelalter. Formen päpstlicher Machtentfaltung (Die Päpste 3 /
Publikationen
der Reiss-Engelhorn-Museen 76), Regensburg 2017, S. 271–286, hier
S. 271f.
[5] Vgl. Tilman Struve, Gregor
VII. und Heinrich
IV. Stationen einer Auseinandersetzung, in: Studi Gregoriani 14
(1991), S.
29–60 (unter dem Titel "Gregor VII. Das Aufeinandertreffen der
Exponenten
von kirchlichem Reformgedanken und theokratischem Königtum" erneut
abgedruckt in: Ders., Salierzeit im Wandel. Zur Geschichte
Heinrichs IV. und
des Investiturstreites, Köln / Weimar / Wien 2006, S. 96–116).
[6] Das Problem ausführlich
aufgearbeitet hat
Horst Fuhrmann, „Der wahre Kaiser ist der Papst“. Von der
irdischen Gewalt im
Mittelalter, in: Hans Bungert (Hrsg.), Das antike Rom in Europa.
Die Kaiserzeit
und ihre Nachwirkungen. Vortragsreihe der Universität Regensburg
(Schriftenreihe der Universität Regensburg 12), Regensburg 1985,
S. 99–121,
hier S. 119f., Anm. 23 (erneut abgedruckt in: Martina Hartmann
(Hrsg.), Horst
Fuhrmann. Papst Gregor VII. und das Zeitalter der Reform.
Annäherungen an eine
europäische Wende. Ausgewählte Aufsätze (Monumenta Germaniae
Historica.
Schriften 72), Wiesbaden 2016, S. 127–148, hier S. 142, Anm. 23).
[7] Vgl. u. a. Johannes Fried,
Rezension zu:
Beumann, Jutta, Sigebert von Gembloux und der Traktat de
investitura
episcoporum (Vorträge und Forschungen Sonderband 20), Sigmaringen
1976, in:
Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte.
Kanonistische Abteilung
64 (1978), S. 368–371.
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