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2015/02/06 21:14:28
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Männer in der Nacht
Datum 2015/02/09 21:08:47
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Konf: Heilige und geheiligte Dinge. Formen und Funktionen -
2015/02/11 15:09:50
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[Regionalforum-Saar] Rez. MA: R. Schmitz-Esser: Der Leichnam im Mittelalter
Betreff 2015/02/01 19:38:43
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[Regionalforum-Saar] Ritterspektakel
2015/02/06 21:14:28
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Männer in der Nacht
Autor 2015/02/09 21:08:47
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Konf: Heilige und geheiligte Dinge. Formen und Funktionen -

[Regionalforum-Saar] Rez. ZG: B. Unfried: Vergangenes Unrecht

Date: 2015/02/09 21:05:10
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Unfried, Berthold: Vergangenes Unrecht. Entschädigung und Restitution in
einer globalen Perspektive. Göttingen: Wallstein Verlag 2014. ISBN
978-3-8353-1531-0; 541 S.; EUR 46,00.

Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Michael Heinlein, Institut für Soziologie,
Ludwig-Maximilians-Universität München
E-Mail: <michael.heinlein(a)... weiter sich der Zweite Weltkrieg und der Holocaust im Zeitverlauf
entfernen, desto näher scheinen diese schrecklichen Ereignisse uns zu
rücken: Diese für die mit Fragen der kollektiven Erinnerung befassten
Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften nicht neue Einsicht[1]
trifft auch dort zu, wo es um die materielle Entschädigung und
Wiedergutmachung von Eigentum geht, das im "Dritten Reich" seinen
rechtmäßigen Besitzern entzogen wurde. In den 1990er-Jahren fand eine
Reihe von Entschädigungs- und Restitutionsprozessen statt, die,
ausgehend von der Restitution nationalsozialistischen Unrechts, den
gesamten Globus erfasste; sie machte unterschiedliche Dimensionen und
Formen historischen Unrechts sichtbar. Diese Beobachtung stellt den
Ausgangspunkt der umfassenden Studie des österreichischen
Zeithistorikers Berthold Unfried dar, der von 1999 bis 2003 als Mitglied
der österreichischen Historikerkommission unmittelbar mit Fragen der
Entschädigung und Restitution jüdischen Vermögens befasst war. Bereits
im Vorwort des Buches wird deutlich, dass es nicht allein die
wissenschaftliche Neugier ist, die den Autor umtreibt, sondern auch die
Chance, aus der Arbeit des Historikers heraus zur Herstellung von
Gerechtigkeit beizutragen. Selbst wenn Unfried letzteres mittlerweile
kritisch sieht, macht diese Gemengelage den besonderen, zum Teil
provokativen Reiz des Buches aus.

Der Band ist in dreizehn Kapitel unterteilt, die einzelne Puzzlestücke
der globalen "Entschädigungskonjunktur" (S. 15) um die Jahrtausendwende
präsentieren - vom Autor etwas umständlich
"Millenniumsentschädigungsbewegung" getauft (S. 30). Unfried setzt sich
sowohl mit den der globalen Entschädigungskonjunktur zugrunde liegenden
Diskursen, Argumentationsstrukturen und Legitimationsmustern auseinander
als auch mit den institutionellen Strukturen und Akteuren, die dabei
eine zentrale Rolle spielen. Besonderes Augenmerk legt der Autor auf die
Differenz der Millenniumsentschädigung zur unmittelbaren
Nachkriegsentschädigung. In jedem Kapitel werden die wesentlichen
Unterschiede thematisch konzentriert herausgearbeitet und diskutiert.
Bei der Fallauswahl rückt Unfried - verständlicherweise - Österreich
sowie Frankreich und die Schweiz in den Vordergrund; alle drei Länder
wurden insbesondere von US-amerikanischer Seite für ihre mangelnde
Aufarbeitung vergangenen Unrechts kritisiert. Im Verlauf des Buches
kommen jedoch auch immer wieder andere Beispiele zur Sprache, die die
globale Dimension der Entschädigungsbewegung um die Jahrtausendwende
sowie die dort wirkenden Mechanismen und Strukturen illustrieren sollen.
Dass der Autor damit nicht jedem Einzelfall gerecht werden kann, liegt
auf der Hand.

Das Wechselspiel von eigenem Engagement und wissenschaftlicher
Distanziertheit zeigt sich insbesondere dort, wo Unfried die
erinnerungspolitischen Voraussetzungen der aktuellen
Entschädigungsprozesse diskutiert - er analysiert die Rolle der
Historikerinnen und Historiker, die von staatlicher oder privater Seite
mit der "Aufarbeitung" vergangenen Unrechts betraut worden sind. Bei der
späten Entschädigungswelle handelt es sich für Unfried nicht um eine
simple Fortsetzung der Restitutionsbemühungen, die unmittelbar nach dem
Ende des Zweiten Weltkriegs stattgefunden haben. Vielmehr habe sich
insbesondere durch den Zusammenbruch des sowjetischen Herrschaftssystems
die "Geopolitik der 'Erinnerung'" (S. 268) dahingehend verändert, dass
die US-amerikanische Deutung bzw. Erinnerung des Holocaust zur
Referenzfolie der Vergangenheits- und Gedächtnispolitik europäischer
Nationalstaaten geworden sei. In diesem Zusammenhang zeichnet Unfried
nach, welche Folgen dies für die Selektivität des nationalstaatlich
gerahmten, auf eigenen Traditionen beruhenden österreichischen und
französischen Erinnerns hat und welche neuen Erwartungen an politische
und institutionelle Akteure herangetragen werden. Mit der Verschiebung
des Gedächtnisrahmens weg vom Nationalen und hin zum Globalen ändern
sich die institutionellen Bedingungen des Entschädigungsdiskurses sowie
damit auch die Interessen und Konstellationen der beteiligten Akteure.
Die auf den ersten Blick unscheinbare Frage, wer wen wofür entschädigt,
wird dadurch zu einem hochbrisanten Politikum, das sich einfachen
Lösungen und Antworten entzieht. Unfried gelingt es, diese Spannung
aufrechtzuerhalten, wenn er die Interessen und Praktiken derjenigen
Akteure beschreibt, die sich nicht nur in einem ebenso unübersichtlichen
wie rechtlich, politisch und moralisch schwierigen Feld zurechtzufinden
suchen, sondern dieses durch ihr Tun immer auch verändern und neu
gestalten.

Seine eigene Profession - die Geschichtswissenschaft - nimmt Unfried von
der kritischen Analyse nicht aus; das Gegenteil ist der Fall. Anhand
verschiedener Beispiele arbeitet er heraus, welche Rollen
Historikerinnen und Historiker im Spannungsfeld von wissenschaftlich
begründeten, einer geschichtlichen Wahrheit verpflichteten Ansprüchen
und privaten materiellen Interessen einnehmen. Nicht selten erweisen
sich öffentlichkeitswirksame Historiker als "Erinnerungsvirtuosen,
Erinnerungsmanager und Erinnerungsunternehmer" (S. 299), die als
Experten für Restitutions- und Entschädigungsfragen bisweilen auch "als
Anwälte und Richter" (S. 315) auftreten. Der Leserin und dem Leser
bleibt dabei nicht verborgen, dass Unfried mit dem Gebaren seiner
Kolleginnen und Kollegen nicht immer einverstanden ist. Gleichwohl
lassen sich die Beobachtungen des Autors als Hinweis darauf lesen, dass
in der Entschädigungswelle um die Jahrtausendwende nicht nur kollektive
Täter- und Opferidentitäten auf neue Weise verhandelt, sondern den von
dieser Welle erfassten Akteuren auch vielfältige, zum Teil
widersprüchliche Positionierungen und Standpunkte eröffnet werden. Dazu
gehört eben auch, dass sich in historiographisch gerahmten Erinnerungen
die partikularen Interessen spezifischer Expertenkulturen widerspiegeln
- etwa "Moralexperten" (S. 285) oder Hüter der "Volksbildung" (S. 288).

Mit dem Regierungswechsel in den Vereinigten Staaten (vom Demokraten
Bill Clinton zum Republikaner George W. Bush) und den Anschlägen vom 11.
September 2001 ebbte die Entschädigungskonjunktur ab, wobei derartige
Forderungen und Debatten keineswegs völlig endeten. Was bleibt zurück?
Unfrieds Fazit fällt ebenso zwiespältig wie streitbar aus. Als
fortwirkendes Ergebnis sieht er nicht die Herstellung von Gerechtigkeit,
sondern die Überformung national spezifischer und gewachsener
Vergangenheitsbezüge durch globalisierte Erinnerungen: "Vormals
eigenständige und relativ neutrale Staaten wie Frankreich oder
Österreich haben eine Version des erinnerungspolitischen
transatlantischen Holocaust-Bezugs angenommen." (S. 506, "Holocaust" im
Original kursiv) Was als Grundbedingung dafür gesehen werden kann, dass
es überhaupt zu einer Aufarbeitung vergangenen Unrechts in diesen
Ländern gekommen ist, interpretiert Unfried als Preisgabe und Verlust
von erinnerungspolitischer Autonomie und staatlicher Neutralität. Mit
Blick auf die beiden genannten Länder erscheint ein solches Fazit
diskutabel. Zumindest wäre zu überlegen, welchen Verlauf die jeweiligen
Entschädigungsdebatten in Frankreich und Österreich ohne normativen
Druck von außen genommen hätten. Ob sich die zitierte These über die
beiden Länder hinaus verallgemeinern lässt, wäre allerdings gesondert zu
prüfen.

Berthold Unfried hat eine ebenso detailreiche wie voluminöse Studie
vorgelegt, die nicht verleugnet, dass sie jenseits der
wissenschaftlichen Objektivität einen engagierten subjektiven Standpunkt
vertritt. Das ist erfrischend, eröffnet Räume zum Widerspruch und
verleiht dem Werk einen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann.
Gleichwohl ist nicht immer klar, wo dieser subjektive Standpunkt
angesiedelt ist; mehr Transparenz hätte der Arbeit gut getan. Ein
solcher Einwand ändert aber nichts daran, dass Unfried ein Buch
geschrieben hat, an der die geschichts- und sozialwissenschaftliche
Auseinandersetzung mit Entschädigung, Restitution und globaler
Holocaust-Erinnerung nicht vorbeisehen kann.

Anmerkung:
[1] Vgl. etwa Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandel des
kulturellen Gedächtnisses, München 1999, rezensiert von Brigitte Meier,
in: H-Soz-Kult, 20.04.2000,
<http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-235>
(18.01.2015), und Norbert Frei, 1945 und wir. Das Dritte Reich im
Bewußtsein der Deutschen, München 2005, rezensiert von Konrad H.
Jarausch, in: H-Soz-Kult, 13.04.2005,
<http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-6009>
(18.01.2015).

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Jan-Holger Kirsch <kirsch(a)...