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2015/02/11 15:09:15
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Kaiser und Kalifen. Karl de r Große und die Mächte am Mittelmeer um 800
Datum 2015/02/13 21:33:22
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Die Küste der Freiheit
2015/02/27 23:41:35
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[Regionalforum-Saar] Ottweilers Erbe
Betreff 2015/02/09 21:05:10
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[Regionalforum-Saar] Rez. ZG: B. Unfried: Vergangenes Unrecht
2015/02/11 15:09:15
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Kaiser und Kalifen. Karl de r Große und die Mächte am Mittelmeer um 800
Autor 2015/02/13 21:33:22
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Die Küste der Freiheit

[Regionalforum-Saar] Rez. MA: R. Schmitz-Esser: Der Leichnam im Mittelalter

Date: 2015/02/11 15:09:50
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Schmitz-Esser, Romedio: Der Leichnam im Mittelalter. Einbalsamierung,
Verbrennung und die kulturelle Konstruktion des toten Körpers (=
Mittelalter-Forschungen 48). Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag 2014. ISBN
978-3-7995-4367-5; geb.; 783 S., XV; EUR 82,00.

Inhaltsverzeichnis:
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/beitraege/rezbuecher/toc_23178.pdf>

Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Jörg Rogge, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
E-Mail: <rogge(a)... Münchener Habilitationsschrift will eine Forschungslücke füllen und
zeigen, wie der menschliche Leichnam im Früh- und Hochmittelalter sozial
und kulturell manipuliert wurde. Schmitz-Esser strebt dabei eine
"Gesamtschau" (S. 16) der physischen Präsenz der Toten an, in der er
Forschungen der Medizingeschichte, der Religions- und
Liturgiegeschichte, der Realienkunde, der Rechtsgeschichte, der
Archäologie und Paläoanthropologie zusammenführt und diese mit eigenen
Forschungen und neuen Interpretationen bekannter Beispiele noch
erweitert. Für ihn ist die physische Existenz der Toten mehr als nur der
Gegenstand von makabren Anekdoten; indem er den gesellschaftlichen
Umgang mit dem Leichnam im jeweiligen Kontext untersucht, eröffnen sich
kulturhistorische Erklärungsmöglichkeiten. Ihn interessiert nicht so
sehr, was tatsächlich geschehen ist, sondern wie der Umgang mit dem
Leichnam in der historischen Überlieferung dargestellt wird. So ist es
konsequent, dass er eine Analyse der in den Quellen imaginierten
Inszenierungen der Leichname (in zehn Kapiteln) anbietet.

Diese zehn Kapitel sind so angeordnet, dass sie den ausdauernden Leser
von der Bestattung der ganzen Leiche bis hin zum Umgang mit
Leichenteilen (Herz, Kopf, Hand) führen. Die einzelnen Kapitel sind
jedoch auch sehr gut separat benutzbar; und weil jedes Kapitel mit einer
Zusammenfassung endet, kann man sich schnell über die darin von
Schmitz-Esser erarbeiteten Ergebnisse orientieren. Man kann sich über
die Bestattungen ebenso informieren wie über Leichenschändungen und den
Umgang mit exkommunizierten Toten, liest über heilige Leichname,
erfährt, wie sie als Legitimationsmittel beziehungsweise als Arznei und
Wundermittel eingesetzt wurden oder welchen rechtlichen Status eine
Leiche hatte. In diesen Kapiteln bietet Schmitz-Esser gute
Zusammenfassungen der jeweils einschlägigen Forschung an und aufgrund
seines geradezu enzyklopädischen Ansatzes gelingt es ihm dabei,
weiterführende Beobachtungen zu machen. Die Präsenz der toten Körper in
der visuellen Kultur des späten Mittelalters ist nach Schmitz-Esser
keine Konsequenz der Pesterfahrung, sondern beruht auf einer schon
früher einsetzenden, gesteigerten Aufmerksamkeit für den Leichnam (S.
114). Im Hinblick auf die um 1300 zumal in England zunehmende
Zerstückelung der Leichen von als Hochverrätern hingerichteten Männern
gibt er zu bedenken, ob sich diese Praxis nicht in die "Ausweitung der
Körperstrafen und insbesondere der Verbrennungsstrafe für Häretiker im
12. und 13. Jahrhundert" einordnen lässt (S. 549).

In dem Kapitel "Der lebende Leichnam" setzt sich Schmitz-Esser kritisch
mit der Vorstellung auseinander, im Mittelalter habe die Angst vor
lebenden Leichnamen, Wiedergängern und Vampiren zu den Überzeugungen
breiter Bevölkerungsschichten gehört. Zum Beleg für diese Annahme wird
in der Forschung häufig auf das Überleben von heidnischen oder
germanischen Traditionen verwiesen, die man anhand der Maßnahmen zur
Verhinderung des Wiederganges (Steine auf dem Leichnam beziehungsweise
Sarg, Abtrennen der Beine, Enthauptung, Pfählen, Annageln oder
Verbrennen) belegen zu können meint. Auf der Grundlage archäologischer
Forschungsergebnisse relativiert Schmitz-Esser diese Annahmen. Er
besteht zu Recht darauf, an den wenigen Einzelfunden keine
Gesamtinterpretation über die Furcht vor den Toten im Mittelalter
aufzuhängen, denn "oftmals bieten sich andere, plausiblere Begründungen
für die Befunde an" (S. 454). Auch für eine zentrale schriftliche Quelle
in diesem Zusammenhang, nämlich die Erzählungen des Wilhelm von Newburgh
(Ende des 12. Jahrhunderts) über vier Wiedergänger, von denen sich einer
als Blutsauger betätigt hatte, schlägt der Autor eine Neubewertung vor.
Diese Erzählungen berichten von einem genuin hochmittelalterlichen
Phänomen, nämlich der "Vorstellung von der negativen Wirksamkeit der
Toten" (S. 457). Das sei die korrespondierende Vorstellung zu der Idee
von der Realpräsenz der Heiligen in den Reliquien. "So wie die Leichen
der Heiligen durch ihren Duft heilen, so verdirbt der Gestank der bösen
Leichen die Lebenden" (S. 458).

Das längste Kapitel dieses Buches behandelt die "Einbalsamierung und
Leichenerhaltung". Ausgehend von antiken und biblischen Methoden der
Leichenkonservierung arbeitet sich Schmitz-Esser durch Belege und
Literatur, um eine Entwicklungsgeschichte der einschlägigen Praktiken
bis in das späte Mittelalter zu schreiben. Hierzu gehörte das
Einbalsamieren (samt der dazu verwendeten Mittel wie Wachs, Leinen,
Quecksilber, Gips, Kalk), das Kochen der Leichen (1299 von Papst Bonifaz
VIII. verboten), die Leichenwaschung und die Leichensektion; im 14.
Jahrhundert sei eine Professionalisierung der Einbalsamierung zu
beobachten. Schließlich benennt er vier Gründe für die kurz- oder auch
langfristige Konservierung von Leichen. Es ging zunächst um die
kurzfristige Verhinderung des Verfalls des Leichnams, im Hochmittelalter
wurde die Einbalsamierung zu einem sozialen Privileg. Drittens spielten
religiöse Gründe eine Rolle und schließlich betont Schmitz-Esser, dass
der Leichnam nicht nur für das Jenseits, sondern auch für das Diesseits
eine wichtige Bedeutung hatte (S. 304f.).

Den Forschungsstand zu seinem Thema, dem Umgang mit der menschlichen
Leiche, verortet Schmitz-Esser in seiner Einleitung "zwischen populärem
Hype und historischem Desinteresse" (S. 12). Die damit gekennzeichnete
Forschungslücke kann er aufgrund seiner enormen Überlieferungs- und
Literaturkenntnis sowie seiner Fähigkeit, diese Kenntnisse mithilfe
kulturwissenschaftlicher Methoden zu strukturieren und zu reflektieren,
weitgehend schließen. Darüber hinaus bieten seine kritischen Wertungen
der bisherigen Forschung und Neuinterpretationen bekannter Quellen
Ansätze für weitere Spezialforschungen zum Umgang mit und zur
Konstruktion des Leichnams im Mittelalter.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Florian Eßer <esser(a)...