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2012/01/22 19:02:19
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[Regionalforum-Saar] Geld als Medium in der Antike
Datum 2012/01/24 23:08:10
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[Regionalforum-Saar] Vinland - Die Entdeckungsfahrten der Wikinger
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[Regionalforum-Saar] heute im Fernsehen - aber zu unmöglicher Zeit
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[Regionalforum-Saar] Geld als Medium in der Antike
Autor 2012/01/24 23:08:10
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Vinland - Die Entdeckungsfahrten der Wikinger

[Regionalforum-Saar] Historische Sachverhalte in Karten darstellen

Date: 2012/01/22 19:04:03
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

ANR-DFG Forschungsgruppe "Euroscientia"; Historisches Institut,
Universität Köln; in Zusammenarbeit mit dem Cologne Center for
eHumanities
25.11.2011-26.11.2011, Köln

Bericht von:
Manuel Manhard/Markus Kohle, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen
Neuzeit, Universität Augsburg
E-Mail: <manuel.manhard(a)... <markus.kohle(a)... Sachverhalte in Karten darzustellen, ist an sich gängige
Praxis. Durch die Fortschritte der computergestützten Kartographie
wurden deren Möglichkeiten in den letzten Jahren entscheidend
bereichert. Gleichzeitig stehen die Geschichtswissenschaften vor der
Herausforderung, sich digitale Arbeitsweisen zunutze zu machen, um
komplexere Raumkonzeptionen, wie sie im Gefolge des spatial turn ins
Zentrum historischen Interesses gerückt sind, erfassen und darstellen zu
können. Eben dieser Herausforderung möchte sich die von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft und der Agence nationale de la recherche
geförderte Forschergruppe "Euroscientia" stellen. Für ihr Projekt, das
die Zirkulation von "staatsbezogenem" Wissen in ihren geographischen,
sozialen und zeitlichen Dimensionen (ca. 1750-1850) erforscht[1], ist
die dynamische Darstellung komplexer historischer Prozesse von
besonderer Relevanz.

Zur Vorbereitung organisierte die deutsch-französische Forschergruppe
einen zweitägigen Workshop in Köln - für das technisch anspruchsvolle
Vorhaben ein nicht allein wegen seiner zentralen Lage sehr passender
Tagungsort. Schließlich sind an der dortigen Philosophischen Fakultät
deutschlandweit die meisten Lehrstühle für Digital Humanities
angesiedelt und arbeiten inzwischen zusammen im Rahmen des Cologne
Center for eHumanities (CCeH), einem der beiden Gastgeber der Tagung.
Dort wurde mit internationalen Gästen in englischer und französischer
Sprache über die kartographische Umsetzung des "Euroscientia"-Projekts
diskutiert: Experten aus dem Bereich der Digital Humanities wiesen auf
grundsätzliche Möglichkeiten und Schwierigkeiten eines solchen
Unterfangens hin, und Leiter, Entwickler beziehungsweise Koordinatoren
anderer - bereits fortgeschrittener oder abgeschlossener -
kartographisch arbeitender Projekte aus den Geschichtswissenschaften
brachten zusätzlich praktische Erfahrungen ein.

Die Erwartungen der Forschergruppe an die computergestützte Kartographie
skizzierten eingangs die beiden Projektleiter JAKOB VOGEL (Paris) und
CHRISTINE LEBEAU (Paris). Neben den klassischen Bestandteilen
geographischer Karten (wie Landschaftsformen und politischen Grenzen),
stünden für "Euroscientia" besonders Elemente sozialer Räume im Fokus:
die Vernetzung von Personen und Institutionen, die räumliche Verteilung
und Konzentration von Wissensbeständen und die Dynamik von
Wissensräumen. Um diese Phänomene in ihren räumlichen und zeitlichen
Zusammenhängen sichtbar zu machen, sei beabsichtigt, die im Rahmen der
Teilprojekte erhobenen Daten mittels automatisierter, benutzerseitig
kombinierbarer Auswertungsmodi in relationale Graphiken und thematische
Karten umzusetzen. Dafür wolle die internationale Forschergruppe mit
einer zunächst internen Online-Datenbank arbeiten. Langfristig plane sie
jedoch, deren Auswertung auch externen Interessenten anzubieten.

MANFRED THALLER (Köln), der Sprecher des gastgebenden CCeH, skizzierte
im ersten Beitrag Entwicklungen im Bereich der computergestützten
Kartographie für die historische Wissenschaft und stellte verschiedene
Anwendungsgebiete von Geoinformationssystemen (GIS) vor. Dabei schickte
er einige kritische Überlegungen zur technischen Umsetzung und
Finanzierbarkeit voraus. Thallers Vortrag und die anschließende
Diskussion verdeutlichten unter anderem die Tragweite pragmatischer
Fragen (etwa nach der Kompatibilität verwendeter historischer Karten mit
modernen Systemen oder dem möglichen Zugriff auf bestehende Daten) für
die Nutzung und Produktion historischer Karten innerhalb des Projekts.

Als praktisches Beispiel eines bereits weit fortgeschrittenen Projekts
wurde "Mapping the Republic of Letters"[2] von NICOLE COLEMAN (Stanford,
USA) vorgestellt. Das Projekt verfolge das Ziel, große Datenmengen zu
intellektuellen Netzwerken übersichtlich darzustellen. Dabei habe sich
die Projektgruppe früh von der Idee eines GIS verabschiedet. Stattdessen
seien verschiedene Formen abstrakterer Darstellungen erprobt worden, die
die Daten nicht mehr in geographische Zusammenhänge einbänden, sondern
in Kontexte, die jeweils konkreten Erkenntnisinteressen geschuldet
seien. Über benutzerdefinierte Parameter könnten dynamische
Darstellungen generiert werden, die es erlaubten, die vielfältigen
Korrespondenzbeziehungen innerhalb der République des lettres graphisch
zu verdeutlichen.

Grundsätzliche Überlegungen zur Infrastruktur kooperativer
Forschungsprojekte wurden von STÉPHANE LAMASSÉ, BENJAMIN DERUELLE und
JULIEN ALERINI (alle drei Paris) eingebracht. Angesichts zahlreicher, in
bereits abgeschlossenen historischen Forschungsprojekten erstellter
Datensets, die sich bald nach Fertigstellung als lückenhaft, ungenau und
damit für weitere Forschungen unbrauchbar erweisen[3], schlugen sie ein
Historical Information System (HIS) vor, das den Arbeitsprozess der
beteiligten Historiker/innen von der Quelle zur Interpretation unter
Zuhilfenahme eines Metamodells mitverfolge und dokumentiere.[4] Es
ermögliche anderen Forschern, vorgefundene Daten zu übernehmen, zu
ergänzen bzw. zu korrigieren und mit alternativen Ansätzen zu
bearbeiten. Eine derartige Forschungsinfrastruktur erlaube es, die
"Spuren" des Arbeitsprozesses der beteiligten Historiker/innen von der
Auswahl der ausgewerteten Quellen über die Normalisierung der Daten bis
hin zu ihrer Auswertung zurückzuverfolgen. Auf diese Weise könne der
Verlust relevanter Informationen minimiert werden.

Der zweite Tag diente vorrangig der internen Diskussion über die Nutzung
von Datenbanken und historischer Kartographie in der
"Euroscientia"-Forschergruppe. Einführend dazu stellte MARTIN STUBER
(Bern) zwei von ihm bearbeitete Forschungsprojekte zu Albrecht von
Haller[5] und der Oeconomischen Gesellschaft Bern[6] vor. Beide Projekte
basierten auf einer Kerndatenbank mit Informationen zum
Korrespondenznetz Hallers (derzeit etwa 17.000 Briefe von 1.200
Korrespondenten umfassend). Durch Verknüpfungen mit weiteren Datenbanken
- beispielsweise zu Institutionen, Gelehrtenpublikationen oder
untersuchten Nutzpflanzen - werde die Datenbankstruktur laufend
erweitert. Der Zugriff über das Internet erlaube Forschern mit
verbundenen Interessen, ihre eigenen Untersuchungen an das Projekt
anzuschließen. Auf diese Weise könne die Datenbank zum beiderseitigen
Vorteil genutzt und erweitert werden.

Im letzten Beitrag präsentierte ANDREAS KUNZ (Mainz) eine Auswahl der
kartographischen Projekte des Instituts für Europäische Geschichte in
Mainz[7], wobei die aus der Verwendung konkreter Daten und Dateiformate
resultierenden Möglichkeiten - teils aber auch deren Grenzen -
ersichtlich wurden. So gewährleiste die Verknüpfung mit GIS-Daten
insbesondere projektübergreifende Kompatibilität, ermöglicht also etwa
den Austausch und Export von Daten beziehungsweise das Einblenden
externer, ebenfalls georeferenzierter Elemente. Vektorisierte
historische Grenzen oder Verkehrsnetze, deren Entwicklung teils in
Jahresschritten in einer Reihe von Karten nachverfolgt werden kann,
erlauben die präzise Rekonstruktion historischer Verhältnisse in
Abhängigkeit von Raum und Zeit. In geographische Räume eingebettete
Diagramme erleichtern es außerdem, sozialhistorische Informationen in
ihren geographischen Zusammenhängen zu sehen. Gewisse Probleme bereite
dennoch die Abbildung der komplexen sozio-politischen Verhältnisse
vormoderner Gesellschaften: auch wenn die technischen Möglichkeiten der
kartographischen Darstellung beispielsweise der Territorien im Heiligen
Römischen Reich seit 1648 noch nicht ausgereizt seien, bleibe die
Recherche und Eingabe der Daten bei entsprechender Präzision sehr
zeitintensive Handarbeit. Dabei stellt sich stets die grundsätzliche
Frage, ob die Vielschichtigkeit vormoderner Herrschaftsverhältnisse in
einzelnen Karten überhaupt angemessen darstellbar ist.

Insgesamt ließ die Tagung zahlreiche Perspektiven für die
kartographische Umsetzung von Projekten wie "Euroscientia" erkennen.
Problematisiert wurden aber mit Blick auf die Vormoderne gerade die
Präzision und der Gegenwartsbezug bestehender GIS. Auch wenn
(weitgehend) vereinheitlichte Geodaten zur Verfügung stehen, beziehen
diese sich doch zunächst nur auf Orte in aktuellen Räumen und sind nur
sehr eingeschränkt auf historische Zustände übertragbar bzw. für sie
aussagekräftig. So haben die politischen Grenzen in Europa um 1800
mehrfach gravierende Veränderungen erfahren. Die Ausdehnung von Städten
hat sich in der Regel massiv verändert, doch auch Flussläufe und
Küstenlinien blieben keineswegs konstant. Die exakten Relationen
innerhalb historischer Räume umfassend und über eine längere Zeitspanne
hinweg zu rekonstruieren, bedeutet bei genauerer Betrachtung stets einen
immensen Forschungsaufwand.

An diese Feststellungen schlossen sich weitere Überlegungen zur
Kartographie als Analysewerkzeug in den historischen Wissenschaften an.
Zweifellos können in einem bestehenden Informationssystem schnell und
flexibel rechnerische Auswertungen durchgeführt und graphische Outputs
generiert werden. Wenn diese aber nicht nur zu Illustrationszwecken,
sondern auch für historische Analysen herangezogen werden sollen, müssen
wesentlich höhere Anforderungen an die zugrundeliegenden Daten in puncto
Vollständigkeit und Präzision gestellt werden. Um ein Beispiel zu
nennen: die geographische Distanz zweier Städte lässt sich mit modernen
Methoden ohne weiteres ermitteln und darstellen. Für die historische
Forschung nützt diese Information jedoch nur wenig, solange unklar
bleibt, welche Verkehrswege und Hindernisse sich zwischen den beiden
Städten im konkreten Untersuchungszeitraum befanden.

Wenngleich dieser Workshop in erster Linie dazu diente, die
kartographische Umsetzung des "Euroscientia"-Projekts vorzubereiten,
lassen sich - dank der durchwegs pragmatischen Konfrontation mit
konkreten Problemen - einige Aussagen über das Potential von Karten für
die historische Forschung allgemein formulieren. Besonders historische
Kartographieprojekte erfordern ausgiebige Reflexionen darüber, welche
Daten für ihre Ziele vonnöten und ermittelbar sind, bevor die technische
Aufbereitung in Angriff genommen werden kann. Sollten Daten nicht in
ausreichendem Maß erhoben werden können, um auf ihrer Grundlage
computergestützte Analysen durchzuführen, stellt die bewusste Abwendung
von exakten geographischen Informationen durchaus eine Option dar.
Schließlich kommt abstrahierenden, vorrangig relationalen, dynamisch
generierten Graphiken die Rolle eines wichtigen Zwischenschritts zu: Mit
ihrer Hilfe können komplexe Zusammenhänge sinnfällig gemacht werden, um
sie anschließend im Detail zu untersuchen. Falls hingegen die Analyse
der kartographischen Informationen selbst beabsichtigt und angesichts
der vorhandenen Datenmenge gerechtfertigt ist, stellt die
computergestützte Kartographie eine unschätzbare Hilfe dar. Mit
veränderlichen Parametern erlaubt sie, eine manuell nicht zu
bewältigende Zahl gleichförmiger Operationen durchzuführen. Die Erhebung
und methodisch saubere digitale Umsetzung der zugrundeliegenden,
möglichst umfassenden Daten bleibt freilich eine Herausforderung, die
den beteiligten Historiker/innen keine noch so ausgefeilte Software
abnehmen kann.

Konferenzübersicht:

Jakob Vogel, Paris/Manfred Thaller, Köln: Welcome

Christine Lebeau, Paris/Jakob Vogel, Paris: Introduction

Manfred Thaller, Köln: Mapping the Past for the Future: Trends in
computer supported historical and cultural cartography

Nicole Coleman, Stanford, USA: Mapping the Republic of Letters:
Visualizing Early Modern Intellectual Networks

Stéphane Lamassé/Benjamin Deruelle/Julien Alerini, Paris: Comprendre les
traces : usage et perspective d'un système d'information historique

Martin Stuber, Bern: Presentation of the database project on Albrecht
von Haller and the economical society of Bern. Some reflections on the
cooperation with "Euroscientia"

Andreas Kunz, Mainz: Cartographic projects at the Institute of European
History Mainz

Discussion of the cartographical- and database project "Euroscientia"

Anmerkungen:
[1] Inhaltlich wurde eine Auswahl der "Euroscientia"-Teilprojekte
bereits Mitte September auf einer Tagung in Augsburg vorgestellt. Siehe
Birgit Näther: Tagungsbericht Grenzen und 'Kontaktzonen' -
Rekonfigurationen von Wissensräumen zwischen Frankreich und den
deutschen Ländern 1700-1850. 15.09.2011-16.09.2011, Augsburg, in:
H-Soz-u-Kult, 29.10.2011,
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3869>
(21.12.2011).
[2] Mapping the Republic of Letters. Exploring Correspondence and
Intellectual Community in the Early Modern Period (1500-1800),
<https://republicofletters.stanford.edu/> (21.12.2011).
[3] Vgl. zu analogen Problemen in den Sozialwissenschaften Charles C.
Ragin, Fuzzy-Set Social Science, Chicago 2000.
[4] Die Idee baut auf dem in der Wirtschaftsinformatik bereits
etablierten Konzept des Data-Warehouse auf, welches die Aufnahme von und
Data-Mining in einer Sammlung ungleichförmiger Datenpakete erlaubt.
[5] Haller 300. 1708-2008, <http://www.haller300.ch/home.html>
(02.01.2012).
[6] Nützliche Wissenschaft, Naturaneignung und Politik. Die Oekonomische
Gesellschaft Bern im europäischen Kontext (1750-1850),
<http://www.oeg.hist.unibe.ch/4/startseite.html> (02.01.2012).
[7] Laufende Projekte sind unter anderem: IEG-Maps - Server für digitale
historische Karten am Institut für Europäische Geschichte Mainz,
<http://www.ieg-maps.uni-mainz.de/> (21.12.2011); HGIS Germany -
Historisch-geographisches Informationssystem der Staaten Deutschlands
und Mitteleuropas seit 1820, <http://www.hgis-germany.de/> (21.12.2011);
The Atlas on European Infrastructures, Mainz, Germany/Eindhoven,
Netherlands, URL: <http://www.atlas-infra.eu/> (21.12.2011).