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2011/10/04 16:41:58
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[Regionalforum-Saar] Der Spanische Erbfolgekrieg
Datum 2011/10/04 16:44:47
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[Regionalforum-Saar] Website des Heimat- und Verkehrsvereins Selbach e.V.
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[Regionalforum-Saar] Der Spanische Erbfolgekrieg
Autor 2011/10/04 16:44:47
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Website des Heimat- und Verkehrsvereins Selbach e.V.

[Regionalforum-Saar] Die Entstehung des Zeitungswesens

Date: 2011/10/04 16:42:55
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Bauer, Volker; Böning, Holger (Hrsg.): Die Entstehung des Zeitungswesens
im 17. Jahrhundert. Ein neues Medium und seine Folgen für das
Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit (= Presse und Geschichte - Neue
Beiträge 54). Bremen: Edition Lumière 2011. ISBN 978-3-934686-82-3;
XVIII, 479 S.; EUR 44,80.

Inhaltsverzeichnis:
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/beitraege/rezbuecher/toc_16632.pdf>

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Thomas Schröder, Institut für Germanistik - Linguistische Medien- und
Kommunikationswissenschaft, Universität Innsbruck
E-Mail: <thomas.schroeder(a)... die Entstehung der Zeitung die Welt verändert hat, steht aus
heutiger Sicht außer Frage. Die Folgen sind aber nicht erst im 18. oder
19. Jahrhundert greifbar. Auch das Kommunikationssystem des 17.
Jahrhunderts hat sich durch die Existenz des neuen Mediums bereits
gravierend gewandelt. Was bedeutete das Aufkommen der Zeitung für die
bereits existierenden Medien und welche Veränderungen wurden durch das
neue Medium angestoßen? Diese Fragen stehen im Zentrum des vorliegenden
Sammelbands, der im Kern die Erträge einer Tagung aus dem Jahre 2009
zusammenfasst.[1] Er steht damit in der Tradition einer presse- und
kulturgeschichtlichen Forschung, wie sie vom Bremer Institut für
Deutsche Presseforschung und von der Herzog August Bibliothek in
Wolfenbüttel seit Langem vertreten wird.

Die Gliederung des Bandes ist einleuchtend und orientiert sich an den
genannten Leitfragen. Um einen Überblick über die Vielfalt der
behandelten Aspekte zu geben, wird der Aufbau des Buches im Folgenden
kurz skizziert und dabei zugleich auf einige ausgewählte Beiträge
aufmerksam gemacht (ohne dass die nicht genannten damit zurückgestuft
werden sollen).

Der erste Teil des Bandes besteht aus sechs Beiträgen, die sich mit dem
Verhältnis der ersten Zeitungen zu ihren Vorgängermedien
auseinandersetzen. Geschriebene Zeitungen, Einzeldrucke und Neue
Zeitungen, Schreibkalender und Meßrelationen werden darin nicht nur als
Vorläufer, sondern auch als Konkurrenten der gedruckten Zeitung, vor
allem aber in ihren vielfältigen Verflechtungen mit der Presse
vorgestellt. Sehr gut deutlich wird das beispielsweise in dem Beitrag
von Daniel Bellingradt. Dieser befasst sich mit den (in der Tat immer
noch viel zu wenig erforschten) Wechselbeziehungen zwischen periodischer
Zeitung und akzidentieller Flugpublizistik und beschreibt diese in den
Begriffen der Intermedialität, Interdependenz und Intertextualität.

Im zweiten Teil des Bandes sind zwei Beiträge zusammengefasst, die sich
in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen auf Fragen des
frühneuzeitlichen Nachrichtenwesens beziehen. Während Martin Welke sich
(noch einmal) mit den Irrwegen der "Aviso"-Forschung beschäftigt, geht
es Susanne Friedrich in ihrem höchst lesenswerten Beitrag um das
wechselseitige Verhältnis von gedruckter Zeitung und Immerwährendem
Reichstag. Sie fragt darin nicht nur (auf der Grundlage einer
quantitativen Inhaltsanalyse) nach der "Sichtbarkeit" des Reichstags in
der Presse, sondern auch nach der Wahrnehmung der Zeitung durch die
Gesandten und liefert damit - in aller "Bescheidenheit" (S. 161) - einen
interessanten Beitrag zur Debatte um die sich wandelnde "Öffentlichkeit"
im 17. Jahrhundert.

Gegenstand des dritten Teils sind Mediengattungen, die im Laufe des 17.
Jahrhunderts neu entstehen. Fünf Beiträge beschäftigen sich hier mit der
Reichspublizistik sowie mit seriellen Chroniken, Zeitungsextrakten und
Zeitungsromanen. Auch wenn der Begriff eines "neuen Mediensystems" in
diesem Zusammenhang vielleicht ein wenig zu viel verspricht,
verdeutlichen die Beiträge in diesem Teil doch sehr schön den Wandel der
Zeitungskommunikation in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
Gemeinsamer Nenner ist das Erschließen neuer Vermarktungsmöglichkeiten,
das gleichzeitig aber auch als Eingehen auf die veränderten Ansprüche
der Rezipienten und Rezipientinnen gesehen werden kann. Besonders
deutlich wird das in dem Beitrag von Esther-Beate Körber, in dem sie die
Entstehung und Bedeutung der Zeitungsextrakte funktional (also im
Hinblick auf die Interessen von Produzenten und Rezipienten) analysiert
und erklärt.

Die Beiträge des vierten Teils stehen unter der Überschrift "Zeitung und
Wissensordnung" und knüpfen damit an die vorher behandelten
Entwicklungen an. So befassen sich die sechs Aufsätze einerseits mit den
gegen Ende des 17. Jahrhunderts neu entstehenden Formen der
(populärwissenschaftlichen) Zeitschrift, des Gelehrtenjournals und des
Zeitungslexikons, andererseits mit Fragen der Wissensordnung und der
Wissensvermittlung in der Zeitung. Einen gemeinsamen Bezugspunkt bildet
dabei die veränderte gesellschaftliche Funktion der Presse, die immer
wieder sichtbar wird - so auch im Beitrag von Astrid Blome, in dem es um
die Bildungsfunktion der kommerziellen Publizistik geht. Anknüpfend an
Kaspar Stieler und die "Zeitungsdebatte" der zweiten Jahrhunderthälfte
zeichnet sie darin nach, wie Zeitungen, Intelligenzblätter und andere
Periodika zu einem anerkannten und selbstverständlichen Bildungsmittel
wurden.

Thema des abschließenden fünften Teils sind die "Kontrolle und
Instrumentalisierung der Zeitung", die an zwei Beispielen untersucht
werden. Wolfgang Duchkowitsch betrachtet die Zeitungskontrolle im Wien
des 17. Jahrhunderts. Anuschka Tischer stellt mit der "Gazette de
France" das Beispiel einer Zeitung vor, die in ihrer
Instrumentalisierung durch die französische Regierung als Gegenmodell
zur kommerziellen Presse gesehen werden kann.

Abgerundet wird der Band durch ein Personenregister, das für das
Auffinden einzelner Informationen sehr hilfreich ist. Schwer zugänglich
ist dagegen die verwendete Literatur, die in den jeweiligen Fußnoten
"versteckt" ist. Alphabetische Literaturverzeichnisse zumindest am Ende
der einzelnen Beiträge würden die Nutzung erheblich erleichtern. Und
auch thematisch könnte man sich natürlich noch die eine oder andere
Ergänzung vorstellen oder wünschen. Aufschlussreich wäre vor allem ein
Blick, der über die Grenzen des Alten Reichs hinausgeht. Bedauerlich ist
zudem (die Anmerkung sei einem Linguisten erlaubt), dass keine Beiträge
enthalten sind, die etwa die Sprache der Medien oder die
Textsortenentwicklung thematisieren.

Alles in allem bietet der Sammelband mit seinen verschiedenartigen
Beiträgen, die das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven und mit
differenten methodischen Zugriffen angehen, einen informativen und
facettenreichen Überblick über die höchst lebendige Medienlandschaft des
17. und des beginnenden 18. Jahrhunderts. Davon können unterschiedliche
Zielgruppen profitieren.

Wer sich für die Geschichte der Frühen Neuzeit interessiert und die
Forschung zu den Medien dieser Zeit schon länger verfolgt, findet in den
Beiträgen eine Fülle von interessanten neuen Informationen. Vor allem
die häufig sehr quellennahen Studien zu einzelnen Mediengattungen,
Medienprodukten oder Protagonisten bieten vielfältige neue
Forschungsergebnisse, die das Gesamtbild in vielen Aspekten erweitern
und differenzieren. Wer in der Geschichte des 17. Jahrhunderts weniger
bewandert ist und sich etwa aus medienwissenschaftlicher Perspektive für
die Entwicklung der Presse in dieser Frühphase interessiert, gewinnt ein
sehr buntes Bild von der Vielfalt des "Medienverbunds" und seinem Wandel
in dieser Zeit. Für diese Zielgruppe bietet der Sammelband einerseits
einen guten Zugang zum Stand der aktuellen Forschung, andererseits die
Möglichkeit, viele überraschende Entdeckungen zu machen.

Weniger zufrieden werden alle sein, die einen (stärker theoretisch
ausgerichteten) Beitrag zu den größeren Zusammenhängen der
mediengeschichtlichen Entwicklung erhoffen. Das ist schade, weil gerade
die Entstehung und Etablierung des neuen Mediums Zeitung im 17.
Jahrhundert auch paradigmatisch höchst interessant und lehrreich ist -
gerade in einer Zeit, in der das Internet ganz ähnliche Prozesse
anstößt. Mit dem Begriff der "Zeitungsöffentlichkeit", der in der
Formulierung des Tagungsziels noch im Mittelpunkt stand, war eine solche
verbindende Kategorie zur Diskussion gestellt. Dass dieses Ziel verfehlt
wurde, ist in Jorun Poetterings Rezension zur Tagung schon bedauert
worden[2]; es war auch Anlass, den Titel für die vorliegende Publikation
bescheidener zu formulieren (S. xvii).

Andererseits ist es gerade die sachorientierte und quellennahe
Ausrichtung der meisten Beiträge, die die besondere Qualität der hier
vorgestellten Art von Forschung ausmacht. Dass sie sich gegenüber großen
und damit häufig auch "zeitgeistigen" Interpretationskategorien
Zurückhaltung auferlegt, muss in diesem Sinn kein Fehler sein, solange
auf der Ebene der historischen Fakten noch so viele Fragen offen sind.

Anmerkungen:
[1] Die Tagung hatte den Titel "Zeitungsöffentlichkeit im 17.
Jahrhundert - ein neues Medium und seine Folgen" und fand vom 06.10. bis
08.10.2009 in Wolfenbüttel statt. Veranstalter waren die Herzog August
Bibliothek Wolfenbüttel, das Institut für Deutsche Presseforschung an
der Universität Bremen und die Gesellschaft für Deutsche Presseforschung
zu Bremen e.V. Vgl. den Tagungsbericht Zeitungsöffentlichkeit im 17.
Jahrhundert - ein neues Medium und seine Folgen. 06.10.2009-08.10.2009,
Wolfenbüttel, in: H-Soz-u-Kult, 06.11.2009,
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2838>
(03.08.2011).
[2] Tagungsbericht Zeitungsöffentlichkeit im 17. Jahrhundert - ein neues
Medium und seine Folgen. 06.10.2009-08.10.2009, Wolfenbüttel, in:
H-Soz-u-Kult, 06.11.2009,
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2838>
(03.08.2011).

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Christoph Classen <classen(a)...