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2011/10/18 18:21:02
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Opfern ein Gesicht geben - Stolpersteine in Thalfang
Datum 2011/10/21 09:05:54
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[Regionalforum-Saar] Bilder der Kohle
2011/10/04 16:42:55
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[Regionalforum-Saar] Die Entstehung des Zeitungswesens
Betreff 2011/10/13 23:21:20
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[Regionalforum-Saar] Die Totenbildchensammlung
2011/10/18 18:21:02
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[Regionalforum-Saar] Opfern ein Gesicht geben - Stolpersteine in Thalfang
Autor 2011/10/21 09:05:54
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Bilder der Kohle

[Regionalforum-Saar] Die Kamera als Waffe.

Date: 2011/10/19 22:44:57
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Rother, Rainer; Prokasky, Judith (Hrsg.): Die Kamera als Waffe.
Propagandabilder des Zweiten Weltkrieges. München: Edition Text + Kritik
im Richard Boorberg Verlag 2010. ISBN 978-3-86916-067-2; 326 S.; EUR
27,00.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Daniel Mühlenfeld, Institut für Geschichtswissenschaft,
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
E-Mail: <daniel(a)... vorliegende Sammelband geht zurück auf ein Symposium gleichen
Titels, das die Deutsche Kinemathek gemeinsam mit dem Bundesarchiv und
der Stiftung Topographie des Terrors im September 2009 organisiert
hatte.[1] Der Hauptschwerpunkt liegt auf der Arbeit der deutschen
Propaganda-Kompanien (PK) und deren filmischem wie fotografischem
Ausstoß. Nach einer konzisen thematischen Einführung von Daniel Uziel[2]
stehen in sieben Beiträgen zunächst "Ästhetik und Technik" der
Bildproduktion im Blickpunkt, ehe sich im Weiteren jeweils zwei Beiträge
den Aspekten "Fremd- und Feindbilder", "Selbstbild und Idolisierung"
sowie "Propaganda für das Ausland" widmen. Den deutschen Fall
kontrastieren die folgenden vier Beiträge, die sich mit dem Phänomen der
Kriegspropaganda in den USA, der UdSSR und Großbritannien
auseinandersetzen. Den Abschluss des Bandes bilden drei Aufsätze über
das mediale beziehungsweise rezeptive Nachleben der Propagandabilder und
-filme bis in die Gegenwart hinein.

Im ersten Abschnitt skizziert zunächst Rainer Rother die
ästhetisch-bildsprachliche Genese des Mediums "Kriegswochenschau". Sie
sollte durch die Suggestion unmittelbarer Teilhabe am Geschehen die
Verbundenheit zwischen Soldaten und Zivilisten zum Ausdruck bringen. Die
schon zeitgenössisch vielbeschworene Idee von der Wochenschau als
"Brücke zwischen Front und Heimat" sei, so Rother, ein Reflex auf die
vom nationalsozialistischen (NS-) Regime für wahr genommene
"Dolchstoßlegende"[3] gewesen (S. 44). In der Bildsprache habe die
Wochenschau insbesondere in der frühen Kriegsphase deutliche Anleihen
bei Leni Riefenstahls "Triumph des Willens" genommen (S. 43). Dass die
Wochenschau damit gleichsam künstlerischer Ausdruck
nationalsozialistischen Schauens auf die Welt gewesen sei, ist indessen
keine wirklich neue Erkenntnis (S. 40f.). Filmhistorisch eher aufmerken
lässt hingegen der Hinweis, dass die Untermalung eines Luftangriffes mit
Richard Wagners "Ritt der Walküren" erstmalig 1940 in einer deutschen
Kriegswochenschau erfolgte (S. 45).

Ralf Forster schildert in seinem Beitrag den "Weg der PK-Berichte [...]
von der Front in die Kinos": Nur sechs Prozent aller PK-Aufnahmen fanden
letztlich überhaupt Eingang in eine Wochenschau (S. 59). Dabei weist er
unter anderem darauf hin, dass durch das nachträgliche Einsprechen des
Kommentars gewissermaßen eine Entfremdung von Kameramann und
Filmmaterial stattfinde. - Letzterem werde mit der sprachlichen Rahmung
eine ganz eigene Lesart zugewiesen (S. 54f.). Diesen
konstruktivistischen Konnex stellt auch Hans-Peter Fuhrmann heraus, wenn
er der Frage nach dem Spannungsverhältnis von Realitätsreproduktion und
medialer Inszenierung vermittels nachträglicher Bild-Ton-Komposition
nachgeht. Demgegenüber untersucht Matthias Struch, inwieweit sich anhand
des filmischen Rohmaterials der persönliche Stil von Kameraleuten
erkennen lässt.

Der von Dirk Alt, Karl Stamm und Alexander Zöller verfasste Beitrag über
den Kameramann Hans Bastanier versucht sich an der Auswertung dessen
nachgelassenen Werkes. Leider krankt der Text daran, dass die Autoren
hinsichtlich der Lesart der von Bastanier nachgelassenen Filme zwar eine
vorderhand plausible Interpretation entwickeln, jedoch letztlich nicht
über Mutmaßungen hinauskommen. Etwa wenn sie im Duktus der
Tatsachenbehauptung Aussageabsichten von Filmsequenzen Bastaniers
ausführen, ohne dass Einzelheiten über die konkreten
Entstehungszusammenhänge und Verwendungszwecke des Materials vorlägen.
Dies trifft besonders dort zu, wo Fotomaterial genutzt wird, das einen
Kameramann in Wehrmachtsuniform zeigt, bei dem es sich "wohl [um]
Bastanier" (S. 91) handele. Hier gleitet die Argumentation vollends ins
Spekulative ab.

Auffällig ist, dass sich einige Beiträge inhaltlich zum Teil diametral
widersprechen, ohne dass dies seitens der Herausgeber etwa in der
Einleitung erläuternd kommentiert würde. So argumentiert Dirk Alt in
seinem Text über den propagandistischen Wert von Farbfilmen, die
deutsche Farbfilmarbeit habe etwa der der USA um Jahre hinterhergehinkt
(S. 101f.). Demgegenüber stellt David Culbert in seinem
komparatistischen Blick auf die US-Wochenschauen gleich an den Anfang
den Befund: "Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die deutschen den
amerikanischen Wochenschauen im Zweiten Weltkrieg visuell überlegen
waren." (S. 229) Zugleich verweist Culbert auf die oft vorgebrachte
Behauptung, Joseph Goebbels habe letztlich alle Wochenschauen persönlich
begutachtet (S. 230). Dagegen hatte Roel Vande Winkel in seinem Text
über die Auslandswochenschauen der Universum Film AG (Ufa) gerade mit
dieser Legende aufgeräumt: Er verwies darauf, dass diese Auffassung in
keiner Weise belegbar sei (S. 209). In solchen Fällen wünschte sich der
Leser eine klärende Einordnung.

Eine grundsätzliche Schwierigkeit mehrerer Beiträge des Bandes besteht
indessen in der unreflektierten Handhabung des "Propaganda"-Begriffes.
Der analytische Gewinn seiner nach wie vor anhaltenden Verwendung in der
Forschung ist faktisch mehr als bescheiden.[4] Vielmehr ist sein
unüberlegter Gebrauch eher geeignet, Erkenntnispotenziale zu schmälern.
So etwa, wenn Karl Prümm nach den Kriterien fragt, anhand derer ein Film
wie zum Beispiel "Feldzug in Polen" zu bewerten sei. Als mögliche
Aspekte nennt er unter anderem die "Effektivität der Propaganda" sowie
den "Einsatz der Suggestion" und der "Mittel der Überwältigung" (S. 117)
- um dann anhand von fünf Gesichtspunkten eine Einordnung des Films
vorzunehmen. Dabei verwischt die Trennung von Intention und
tatsächlicher Wirkung zusehends beziehungsweise wird kurzerhand in eins
gesetzt: "Eine nicht zu unterschätzende Propagandafunktion des Filmes
besteht in der Einschüchterung und Abschreckung potenzieller
Kriegsgegner. Zu diesem Zweck wurde der Film beispielsweise im Frühjahr
in den skandinavischen Ländern gezeigt und verfehlte sicherlich seine
Wirkung nicht." (S. 122) Indem Prümm hier Intention und Wirkung des
Films gleichsetzt, redet er letztlich dem vom NS konstruierten
Selbstbild von der allmächtigen Propaganda das Wort.

Dass der "Propaganda"-Begriff nicht nur im Zusammenhang mit der
Erforschung des Nationalsozialismus wenig hilfreich ist, belegt indessen
der vergleichende Blick, den Brian Winston auf die britische
Kriegspropaganda wirft. Denn, so der Autor, Propaganda in einer
Gesellschaft zu betreiben, die aus ihren libertären Traditionen heraus
Propaganda eigentlich ablehne, habe nur deshalb im Ansatz funktioniert,
weil die Briten ein vergleichsweise subtiles Vorgehen an den Tag gelegt
hätten (S. 256). Zu einem solchen Befund kann nur gelangen, wer
Propaganda im alltagssprachlichen Sinne gebraucht. Vollzieht man jedoch
eine funktionale Abstraktion und spricht bewusst nicht von Propaganda,
sondern von staatlicher Kommunikationspolitik, dann kommt man kaum
umhin, den Gebrauch von Propaganda als konstitutiv für letztlich alle
neuzeitlich-modernen Staatswesen anzusehen.[5]

Ähnlich problematisch ist eine Argumentation im Beitrag Edgar Lerschs,
der eine Analyse der bundesrepublikanischen Fernsehdokumentation "Das
Dritte Reich" aus den Jahren 1960/61 vornimmt. Lersch konstatiert: "Aus
heutiger Sicht lassen die Gesamtkonzeption und die Aussagen des
Kommentars beträchtliche historiographische und interpretatorische
Schieflagen erkennen." (S. 288) Dies ist allerdings eine banale
Tatsache, die nur dann einer Erwähnung bedarf, wenn man die untersuchte
Fernsehdokumentation nicht als das betrachtet, was sie einzig und allein
ist: eine mediale Selbstauskunft hinsichtlich des Verhältnisses der
frühen bundesrepublikanischen Gesellschaft zur eigenen NS-Vergangenheit.
Ob vom heutigen Stand der Zeitgeschichtsforschung aus betrachtet das
Phänomen NS darin hinsichtlich Deutung und Gewichtung korrekt gewürdigt
wurde, ist nicht die Frage. Vielmehr geht es um das aus den so benannten
"Schieflagen" rekonstruierbare Geschichtsbild der späteren
Adenauer-Jahre.

Anregend zu lesen sind indessen die letzten beiden Beiträge von Judith
Keilbach und Klaus Kreimeier. Keilbach setzt sich in ihrem Beitrag mit
dem Aspekt auseinander, wie die Ausschlachtung von NS-Fotografien und
-Filmen zur Illustration gegenwärtiger Fernsehdokumentationen zu einer
unterschwelligen ästhetischen Reproduktion der NS-Ideologie geraten kann
- übrigens ohne dass der zuletzt sattsam diskutierte Name des Leiters
des Ressorts Zeitgeschichte beim ZDF einmal fiele.[6] Kreimeier spürt
der Frage nach, ob das Ziel, Krieg medial möglichst unmittelbar erlebbar
zu machen, um die Verbundenheit von "Front und Heimat" zu festigen,
angesichts immer ausgefeilter Medientechnik tatsächlich zu erreichen
ist. Faktisch bleibt aber auch angesichts realistischster Grafiken in
modernen Computerspielen ein intransponibler Erfahrungsrest. Dies gelte
nicht zuletzt auch deswegen, weil schließlich auch die medialen
Inszenierungen von Krieg einem kollektiven kulturellen Gedächtnis davon
entsprängen, wie ein Krieg auszusehen habe, um als Krieg gelten zu
können. So gesehen bleibt jedoch jede mediale Darstellung von Krieg
schon aufgrund des allen Medienmachern unhintergehbar immanenten
"heimlichen Drehbuches" (Kreimeier) nicht mehr als eine sich selbst
erfüllende Prophezeiung.

Allen einzelnen Beiträgen eigenen Unzulänglichkeiten zum Trotz vermag
der vorliegende Band eine ganze Reihe Anregungen für weitere Forschungen
zu geben - und sei es nur, die beständige Reflektionsbedürftigkeit der
Mediengeschichte insbesondere des NS nochmals eindrücklich vor Augen zu
führen.

Anmerkungen:
[1] Vgl. Judith Prokasky: Tagungsbericht 'Die Kamera als Waffe'-
Propagandabilder des Zweiten Weltkrieges. 24.09.2009-26.09.2009, Berlin,
in: H-Soz-u-Kult, 30.10.2009,
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2825>
(08.09.2011); Caroline Rothauge und Martin Lüthe: Tagungsbericht
Theorien des Populären. 08.01.2010-09.01.2010, Paderborn, in:
H-Soz-u-Kult, 18.02.2010,
<hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3001>
(10.03.2011).
[2] Daniel Uziel, The Propaganda Warriors. The Wehrmacht and the
Consolidation of the German Home Front, Frankfurt am Main 2008.
[3] Boris Barth, Dolchstoßlegenden und politische Desintegration. Das
Trauma der deutschen Niederlage im ersten Weltkrieg 1914-1933 (Schriften
des Bundesarchivs, Bd. 61), Düsseldorf 2003; vgl. die Rezension von
Patrick Krassnitzer. In: H-Soz-u-Kult, 14.05.2004,
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-2-105>
(08.09.2011).
[4] Vgl. meinen Forschungsbericht: Daniel Mühlenfeld, Was heißt und zu
welchem Ende studiert man NS-Propaganda? Neuere Forschungen zur
Geschichte von Medien, Kommunikation und Kultur während des 'Dritten
Reiches', in: Archiv für Sozialgeschichte 49 (2009), S. 527-559.
[5] Wolfgang Reinhard, Die Geschichte der Staatsgewalt. Eine
vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur
Gegenwart, München 1999, S. 308; vgl. die Rezension von Martin Kirsch.
In: H-Soz-u-Kult, 06.09.2000,
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=491>
(08.09.2011).
[6] Wulf Kansteiner, Die Radikalisierung des deutschen Gedächtnisses im
Zeitalter seiner kommerziellen Reproduktion: Hitler und das "Dritte
Reich" in den Fernsehdokumentationen von Guido Knopp, in: Zeitschrift
für Geschichtswissenschaft 51 (2003), S. 626-648.


Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Christoph Classen <classen(a)... zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4-050>

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