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Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Der Historische Roman
Datum 2010/09/07 20:35:55
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[Regionalforum-Saar] Der Historische Roman
Autor 2010/09/07 20:35:55
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[Regionalforum-Saar] arbeit im mittelalter

Date: 2010/09/07 20:34:38
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

From:    Sabine von Heusinger <svheus(a)...   08.09.2010
Subject: Sammelrez: Arbeit im Mittelalter
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Postel, Verena: Arbeit und Willensfreiheit im Mittelalter (= VSWG
Beiheft 207). Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2009. ISBN
978-3-515-09393-4; 189 S.; EUR 39,00.

Rijkers, Fabian: Arbeit - ein Weg zum Heil? Vorstellungen und
Bewertungen körperlicher Arbeit in der spätantiken und
frühmittelalterlichen lateinischen Exegese der Schöpfungsgeschichte (=
Beihefte zur Mediaevistik 12) [zugl. Univ.-Diss. Marburg 2007].
Frankfurt: Peter Lang/Frankfurt 2009. ISBN 978-3-631-58173-5; br.; 299
S.; EUR 49,80.


Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Sabine von Heusinger, Seminar für mittelalterliche Geschichte,
Universität Mannheim
E-Mail: <svheus(a)... Themenfeld "Arbeit im Mittelalter" wird seit Jahrzehnten stetig
beackert und nicht nur einschlägige deutsche, sondern auch international
grundlegende Beiträge sind dabei entstanden.[1] In den Quellen wird
"Arbeit" in den Wortfeldern von opus, labor und ars diskutiert. Bisher
wurde in der Forschung das Frühmittelalter recht stiefmütterlich
behandelt - mit den beiden hier vorliegenden Untersuchungen wird diese
Lücke deutlich verringert. Zwei unterschiedlich arrivierte Autoren haben
sich mit der Frage nach "Arbeit im Mittelalter" auseinandergesetzt:
Verena Postel arbeitet seit Jahren zu diesem Thema[2]; Fabian Rijkers
legt hier seine Dissertation vor, die in Marburg am Lehrstuhl Postel
entstanden ist.

Der Aufbau der beiden Arbeiten ist sehr ähnlich gewählt: Jedem
untersuchten Autor wird ein Unterkapitel gewidmet, wobei nur in zwei
Fällen, bei Augustinus und Hrabanus Maurus, dieselben Autoren in beiden
Büchern untersucht werden. Bei Augustinus sind die widersprüchlichen
Einstellungen zur Arbeit, die jede weitere Auseinandersetzung mit diesem
Thema prägten, bereits vorhanden: Einerseits dient Arbeit der positiven
Erfüllung des Schöpfungsauftrags und der Mensch kann damit Anteil am
Erwerb von Heil nehmen. Andererseits kam Arbeit überhaupt nur als
Sündenstrafe in die Welt (und durch den Sündenfall war das ursprüngliche
Heil für immer verdorben) (vgl. Postel S. 9, Rijkers S. 19).

Der Vollständigkeit halber (und im Hinblick auf moderne
"Such"-Funktionen) nenne ich im Folgenden kurz die wichtigsten
untersuchten Autoren und gehe auf den Aufbau der beiden Studien ein:
Nach einer sehr knappen Einleitung untersucht Postel Augustin und
Ambrosius, Cassian von Marseille, Fulgentius von Ruspe und Caesarius von
Arles, Hrabanus Maurus, Lupus von Ferrières, Hinkmar von Reims und
Johannes Scotus Eriugena, Rather von Verona, Petrus Abaelard, Johannes
von Salisbury und als Schlusspunkt Thomas von Aquin; damit deckt sie
einen Zeitraum von der Spätantike bis ins Hochmittelalter ab. Ein kurzer
Ausblick und eine knappe Zusammenfassung runden die Studie ab. Auch
Rijkers beginnt in der Antike, greift aber weit in die griechische und
römische Antike zurück und zieht auch Philon von Alexandria als
jüdisch-hellenistischen Theologen heran. Anschließend untersucht er
Autoren von der Spätantike bis zur Karolingerzeit: Er beginnt mit den
vier sancti doctores Ambrosius, Hieronymus, Augustinus und Gregor dem
Großen; danach folgen Isidor von Sevilla, Eugenius, Julianus und Taio,
der Intexuimus genannte Kommentar, Beda Venerabilis mit Pseudo-Beda,
Wigbod, Alkuin, Claudius von Turin, Hrabanus Maurus, Angelomus von
Luxeuil, Haimo und Remigius von Auxerre sowie die Glossa ordinaria.
Diesem Hauptteil geht eine etwas längere Einleitung voran, am Ende steht
eine kurze Zusammenfassung.

Obwohl die beiden Bücher sehr ähnlich aufgebaut und strukturiert sind,
so haben sie doch unterschiedliche Herangehensweisen: Verena Postel geht
von der "zeitlos aktuellen" Frage nach der Willensfreiheit aus (S. 7);
diese soll für "die mittelalterliche Diskussion um die Willensfreiheit
in ihrem engen Zusammenhang mit der Bewertung von Arbeit aufgezeigt
werden. [...] Arbeit wurde geradezu als Betätigungsfeld des freien
Willens verstanden und gewann so eine zentrale Bedeutung für die
Selbstverwirklichung des Menschen, die in einer christlich geprägten und
theokratisch verfassten Gesellschaft nur als Heilsweg zu Gott verstanden
werden konnte." (S. 8) Rijkers hingegen konzentriert sich ausschließlich
auf die zahlreich überlieferten Genesiskommentare, wobei "nur das aus
den Kommentaren in Betracht gezogen wird, was sich mit der
Schöpfungsgeschichte beschäftigt [...], dabei sollen nicht nur einzelne
besonders aussagekräftige Stellen ausgewählt werden, sondern alle
Stellen, die sich mit dem Aspekt Arbeit befassen" (S. 11f.).

Verena Postel kann überzeugend zeigen, dass Arbeit im Mittelalter
"durchgehend auch als gottgefällige Bestätigung der Willensfreiheit des
Menschen gesehen" werden konnte (S. 171), und weist damit auf einen
Aspekt in den Überlegungen zum Arbeitsbegriff hin, der bisher übersehen
wurde. Neben die bekannten Funktionen von Arbeit als Mittel der Askese
und zur Erfüllung des Schöpfungsauftrags, aber auch als Voraussetzung
für Autarkie und Ausübung von caritas stellt sie nun den Aspekt der
Willensfreiheit. Sie kann zeigen, dass Hrabanus Maurus Arbeit als
"Bestandteil religiöser Bewährung im Diesseits, [als] Betätigungsfeld
des freien Willens" verstand (S. 84), und zwar unabhängig davon, ob es
sich um geistige oder körperliche Arbeit handelt. Das Verdienst
Abaelards war es fast zweihundert Jahre später, dem menschlichen
Handeln, zu dem auch die Arbeit zählt, ein höheres Maß an
Selbstverantwortung in der Ausübung der Willensfreiheit zuzuschreiben.
Postel betont: "Abaelards Deutung des Begriffs labor als menschliche
Bemühung um eine rationale Lebensführung, die sich am Willen Gottes
ausrichtet und für das Heil unabdingbar ist, weist der menschlichen
Betätigung im Diesseits eine erhebliche Dignität zu." (S. 119) Ihr
gelingt es zudem, die gängige Meinung zu widerlegen, John Lock sei der
Stammvater der Arbeitswerttheorie: Überzeugend kann sie Thomas von Aquin
diesen Ehrenplatz zuweisen (S. 149-162).

Fabian Rijkers legt bereits mit seiner Eingrenzung auf die
Genesiskommentare einen Schwerpunkt auf körperliche Arbeit und schließt
mit diesem methodischen Ansatz grundlegende Beiträge der gewählten
Autoren, zum Beispiel De opere monachorum von Augustinus, von seiner
weiteren Untersuchung aus (vgl. S. 91f.). Die facettenreichen
Ergebnisse, die er im Folgenden erzielt, rechtfertigen jedoch das
gewählte Vorgehen. Insgesamt kann Rijkers vier Themenfelder
identifizieren, die in Verlauf der Studie eingehender untersucht werden:
Herrschaft und Arbeit, Arbeit im Paradies, Arbeit als Strafe, Arbeit und
Ruhe. Sein Ziel ist es nicht, "eine wortgeschichtliche, sondern [...]
eine geistes- bzw. mentalitätsgeschichtliche Arbeit" vorzulegen (S. 24).
Seine Untersuchung zeigt, dass das Thema "körperliche Arbeit" bei den
untersuchten Autoren in der Spätantike und den folgenden Jahrhunderten
immer mehr in den Hintergrund geriet. Eine Wende trat mit Beda ein, der
den heilswirksamen Charakter von Arbeit betonte, denn "die Mühen im
Leben [sind] der Weg, zum einen am Göttlichen teilzuhaben und zum
anderen in den Himmel zu kommen, wo der Mensch die ewige Ruhe findet"
(S. 193). Für die Karolingerzeit kann Rijkers (vor allem anhand der
Glossa ordinaria) die These von Jacques Le Goff modifizieren, es habe
eine "Renaissance" von körperlicher Arbeit stattgefunden.[3] Vielmehr
bleibt das Urteil der untersuchten Autoren zu Arbeit ambivalent, auch
wenn sich eine "Tendenz zum Positiven" feststellen lässt (S. 268).

Bei beiden Bänden muss leider bemängelt werden, dass der
Forschungsüberblick äußerst mager ausgefallen ist; dieser muss
keineswegs "klassisch" im Einleitungsteil geboten werden, aber die
Nennung und Einordnung der wichtigsten Vorarbeiten zum Thema "Arbeit"
hilft jedem Leser und jeder Leserin, die sich nicht tagtäglich damit
beschäftigen. Die chronologische Aneinanderreihung von einem Autor an
den nächsten in jeweils einem neuen Unterkapitel ist bei der Lektüre
recht ermüdend; bei Rijkers werden zudem immer wieder viel zu viele
wörtliche Zitate aus der Sekundärliteratur aufgelistet (zum Beispiel S.
26f., 90f., 159, 197f.). Beide Bücher bieten nur äußerst knapp gehaltene
Einleitungs- und Schlussteile, die eine weitergehende Einordnung des so
reichhaltig Gebotenen vermissen lassen. Hier wären übergeordnete
Fragestellungen und umfangreichere Vergleiche wünschenswert gewesen.
Insgesamt ist es aber beiden Studien gelungen, bisher fehlende
Grundlagen zur Diskussion von "Arbeit" vor allem zur Spätantike und zum
Frühmittelalter bereitzustellen. Fabian Rijkers greift dabei weit in die
heidnische Antike zurück und kann Argumentationsstränge zu "Arbeit"
aufzeigen, die über die vermeintliche Epochengrenze von Antike und
Frühmittelalter reichen. Verena Postel ist es zu verdanken, den
Forschungsstand zum Hochmittelalter, vor allem zu Petrus Abaelard und
Thomas von Aquin, weiter vorangetrieben und differenziert zu haben.
Trotz ihrer unterschiedlichen Schwerpunkte haben beide Bücher wichtige
Beiträge zur Arbeitsproblematik im Mittelalter geleistet, die in
zukünftigen Studien berücksichtigt werden müssen.

Anmerkungen:
[1] Vgl. z.B. den anregenden Überblicksartikel von Hans-Werner Goetz,
"Wahrnehmung" der Arbeit als Erkenntnisobjekt der
Geschichtswissenschaft, in: Verena Postel (Hrsg.), Arbeit im
Mittelalter. Vorstellungen und Wirklichkeiten, Berlin 2005, S. 21-33.
[2] Verena Epp, Herrschaft und Eigentum bei Wilhelm von Ockham und John
Locke, in: Mittellateinisches Jahrbuch 34 (1999), S. 63-75; Verena
Postel, Conditoris imago: Vom Bilde menschlicher Arbeit im frühen
Mittelalter, in: Saeculum 55 (2004) S. 1-18; dies. (Hrsg.), Arbeit im
Mittelalter. Vorstellungen und Wirklichkeiten, Berlin 2005; der
Sammelband wurde u.a. rezensiert von Uta Kleine in:
<http://www.sehepunkte.de/2007/03/8436.html> (03.08.2010).
[3] Jacques Le Goff, Travail, techniques et artisans dans les systèmes
de valeur du haut Moyen Age (Ve-Xe siècles), in: ders, Pour un autre
Moyen Âge, Paris 1977, S. 108-130.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Harald Müller <mueller(a)... zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-3-142>

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