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2010/10/04 13:10:06
Jürgen Zimmer
[Regionalforum-Saar] Abkochen
Datum 2010/10/08 22:10:10
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] SZ: 666 Jahre urkundliche Erstnennung des Ortes "Hoof"
2010/10/26 20:46:24
Stephan Friedrich
[Regionalforum-Saar] Heimatkalender Spiesen-Elversberg 2011 erschienen
Betreff 2010/10/29 18:55:37
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Römer und Franken am Rhein
2010/10/03 13:39:22
Rolgeiger
Re: [Regionalforum-Saar] abgekocht
Autor 2010/10/08 22:10:10
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] SZ: 666 Jahre urkundliche Erstnennung des Ortes "Hoof"

[Regionalforum-Saar] J. Oberste: Der Schatz der Nibelungen

Date: 2010/10/05 21:33:23
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

In einer eMail vom 05.10.2010 19:06:39 Westeuropäische Sommerzeit schreibt hsk.mail(a)...
From:    Matthias Hardt <hardt(a)...   06.10.2010
Subject: Rez. MA: J. Oberste: Der Schatz der Nibelungen
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Oberste, Jörg: Der Schatz der Nibelungen. Mythos und Geschichte.
Bergisch Gladbach: Lübbe 2008. ISBN 978-3-7857-2318-0; Gebunden; 304 S.;
EUR 19,95.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Matthias Hardt, Geisteswissenschaftliches Zentrum und Kultur
Ostmitteleuropas Leipzig, GWZO
E-Mail: <hardt(a)... und Stoffgeschichte des Nibelungenliedes faszinieren trotz lang
anhaltender ideologischer Instrumentalisierung im 19. und 20.
Jahrhundert weite Kreise bis zum heutigen Tag. Jörg Oberste, Professor
für mittelalterliche Geschichte an der Universität Regensburg, nimmt die
deutlichen Nibelungen-Anklänge in Tolkiens "Herr der Ringe" zum Anlass,
in einem "Artur und allen kleinen Rittern und Prinzessinnen" gewidmeten
Buch, das auch als Begleitbuch einer Fernsehserie der ARD diente,
"Mythos und Geschichte" im Nibelungenlied darzustellen und dabei den
aktuellen philologischen, historischen und archäologischen
Forschungsstand zu berücksichtigen. Der "Staatsschatz der Nibelungen",
der im Epos des Passauer Dichters aus der Zeit um 1200 die beiden
Hauptteile um "Siegfried und Brünhild" und den "Nibelungenuntergang"
zusammenhält, dient auch Jörg Oberste nur als spektakulärer Titel seines
Buches, denn in dem locker und ohne wissenschaftlichen Apparat
geschriebenen Band wird der Versuch unternommen, die schwer zu
durchschauenden, aus nordischen Mythen, der Geschichte der
Völkerwanderungs- ebenso wie der Stauferzeit entnommenen und weiter
entwickelten Handlungsstränge, ihre Überlieferung hin zum Nibelungenlied
und schließlich dessen Rezeptionsgeschichte bis zur Gegenwart
verständlich zu machen.

Nach einer Einführung (Spurensuche - Der lange Weg der Nibelungen, S.
8-27) stellt Jörg Oberste "Runensteine und Heldenlieder - die ältesten
Spuren der Nibelungen" vor (S. 28-69). Es sind zunächst szenische
Darstellungen auf Runensteinen, Stabkirchen und Grabbeigaben, die
aufgrund späteren Kenntnisstandes als Abbildungen nibelungischen Stoffes
interpretiert werden können. Sie gehen, wie wohl auch die erst im 13.
Jahrhundert aufgezeichneten, aber deutlich älteren Lieder um Atli und
Sigurd in der Lieder-Edda, bis ins 9. Jahrhundert zurück, in die gleiche
Zeit, als auf dem Kontinent mit dem Hildebrandslied und dem lateinischen
Waltharius-Epos und etwas später in England mit dem Beowulf
verschriftlichte Heldendichtung feststellbar ist.

Aus diesen "alten maeren" mündlicher, aber eben auch schon schriftlicher
Überlieferung schöpfte der Dichter des "mittelhochdeutsche[n]
Nibelungenlied[es]", das im Kapitel III in der Abfolge seiner 39
Aventiuren inhaltlich vorgestellt wird (S. 70-125). Zwischen Siegfrieds
Ankunft am mittelrheinischen Burgunderhof und dem Untergang der in der
zweiten Hälfte des Epos als Nibelungen bezeichneten Burgunderkönige und
ihres Heeres an der Residenz des Hunnenkönigs Etzel breitet sich das
ganze Spektrum einer Erzählung um persönliche Bindungen und
vasallitische Treue, Betrug, Mord und Rache aus und gipfelt schließlich
in Kriemhilds inzwischen völlig unzeitgemäß gewordener Hortforderung.
Dieses alte Element liedhafter Überlieferung vom Burgundenuntergang ist
für Jörg Oberste dann Anlass, seinem Buchtitel angemessen, im IV.
Kapitel die mythischen und heroischen Traditionen des Nibelungenstoffes
in Völkerwanderungs- und Merowingerzeit, vielleicht sogar in der
Römischen Kaiserzeit auszubreiten (Drachenschätze und Völkerschlachten -
Mythos und Geschichte in der Nibelungensage, S. 126-189).

Der von einer hunnischen Foederatenarmee in römischen Diensten
herbeigeführte Untergang des rheinischen Burgunderreiches in den
430er-Jahren, Attilas Tod an der Seite Ildicos im Jahr 453 und die
Auseinandersetzungen zwischen den merowingischen Teilreichen in der
Mitte und der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts sind der geschichtliche
Nährboden des Epos, daneben aber wohl auch schon Lieder um den Sieg des
Arminius in der Varusschlacht und seine Ermordung im Streit mit den
eigenen Verwandten. Aber nicht nur Heldenlieder und Mythen, die Oberste
etwas allgemein als "Erzählungen aus der Vorzeit einer Gemeinschaft"
definiert, sondern auch zahlreiche Anleihen aus der höfischen Kultur der
Kreuzzüge und der Stauferzeit haben Eingang in die nibelungischen
Dichtungen gefunden wie lokale Umdeutungen und regionale Anpassungen.

Aus diesem Grund befasst sich der Autor im V. Kapitel mit den von den
unterschiedlichen Ausformungen der Dichtung präsentierten Orten der
Handlung (Attila in Soest - Schauplätze und lokale
Nibelungen-Traditionen, S. 190-245). Den westfälischen Ort Soest
präsentiert die norwegische Thidrekssaga aus dem späten 13. Jahrhundert
als Schauplatz des Nibelungenuntergangs, inspiriert wahrscheinlich durch
Erzählungen niederdeutscher hansischer Kaufleute. Man braucht deshalb
nicht wie Heinz Ritter-Schaumburg phantasiereich die Nibelungen
nordwärts ziehen lassen; vielmehr wird daran zu denken sein, dass in die
im nördlichen Deutschland erzählten Versionen des Nibelungenstoffes
örtliche Namen und Verkehrswege Eingang gefunden hatten.
"Regionalisierungen dieser Art sind für mittelalterliche Erzählungen
nicht untypisch, da sie als Identifikationsangebot für die Hörer und
Leser solcher Dichtungen verstanden werden können." (S. 203) Xanten und
Worms gehören in ältere Ebenen der Stoffgeschichte, ohne dass ihr
Zusammenhang mit den Anfängen sicher ist. Die Identifizierung jenes
Tronje, aus dem der Mörder Siegfrieds kam, schwankt zwischen der
Herleitung von fränkischen Troja-Mythen und den Sitzen staufischer
Reichsministerialer. Die zahlreichen Lokalisierungen der Brunnen im
Odenwald, an denen Siegfried ermordet worden sein soll, sind dagegen
erst in den vergangenen beiden Jahrhunderten vorgenommen worden.

Damit ist bereits der Zugang zum letzten Kapitel (Macht der Mythen - die
moderne Suche nach den Nibelungen, S. 246-291) erreicht, in dem der
Umgang mit dem Nibelungenstoff seit der frühen Neuzeit geschildert wird.
Das von einem Regensburger Geistlichen verfasste Kudrun-Epos, ein
"gescheiterter Versuch der Höfisierung" des Nibelungenstoffes (S. 248)
und die Volksbücher der frühen Neuzeit waren wie die nach der
Wiederauffindung der drei bis heute maßgeblichen Handschriften des
Nibelungenliedes im 18. Jahrhundert einsetzenden Bühneninszenierungen,
unter denen Friedrich Hebbel und Richard Wagner besonders hervorgehoben
werden müssen, Bemühungen um die Bewältigung der epischen Erzählung.
Nicht erst durch den Bayreuther Spielbetrieb, von diesem aber ebenso wie
durch Fritz Langs filmische Inszenierung befördert, erhielt die
Nibelungentreue Eingang in die Kriegsrhetorik, die in Hermann Görings
Nibelungenrede vom Januar 1943 mit Bezugnahme auf die in Stalingrad
eingeschlossene 6. Armee und die von Wagners Trauermarsch umrahmte
Rundfunkmeldung vom Tod Adolf Hitlers am 30. April 1945 ihre Höhepunkte
fand. Bayreuth spielte schon 1951 wieder und versucht sich bis heute an
modernen Zugängen zum Ring der Nibelungen.

Am Ende seiner Darstellung heißt es bei Jörg Oberste: "Auf den Spuren
der Nibelungen lässt sich die Geschichte von Jahrhunderten aufspüren,
die Hoffnungen und Ängste von Menschen, die verbindende und
zerstörerische Kraft von Mythen, die Chancen und Grenzen der
Wissenschaften, die verschlungenen Wege durch das schattenhafte Gestern
und durch das vielschichtige Heute" (S. 291). Dies zu zeigen, ist dem
Autor wirklich gelungen, denn das Buch enthält weit mehr, als der
lediglich auf den Nibelungenschatz bezogene Titel andeutet. Nahezu alle
Aspekte der Nibelungen-Forschung sind in dem populärwissenschaftlich
geschriebenen Band angesprochen worden. Ob Jörg Oberstes lockere Art zu
schreiben jedoch den schwierigen Stoff wirklich den oft vielleicht noch
jugendlichen Lesern näher zu bringen vermag, darf mindestens bezweifelt
werden. Auf jeden Fall geht dieser Stil auf Kosten der Qualität. Da ist
von "hunnischen Verdrängungskämpfen gegen germanische Völker" (S. 236)
die Rede, wo solche Gentes in eine reiternomadische Herrschaft
integriert wurden, oder dem angeblich im Auftrag Friedrich Barbarossas
vom Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg aus Mailand nach Köln
entführten Dreikönigsschrein, "wo er bis heute eine wesentliche
Attraktionen des Kölner Doms ist" (S. 220), was eben nur die Reliquien
betrifft, nicht aber den Schrein, der erst in Köln angefertigt wurde.

Die archäologischen Kenntnisse von Jörg Oberste sind überhaupt bisweilen
grenzwertig. Das Pektorale aus dem Grabfund im mittelrheinischen
Wolfsheim mit der inschriftlichen Nennung des sassanidischen Königs
Ardaschir ist für ihn Zeugnis eines "Fernhandel[s] mit Luxuswaren" (S.
170), obwohl hier eher an persönliche Beziehungen und Gabentausch auf
verschiedenen Ebenen und unbekannten Wegen zu denken ist, vielleicht
auch an jene tatsächlich iranischsprachigen Alanen, die wenige Seiten
später von Oberste jedoch als "germanisch" charakterisiert werden (S.
173). Die angebliche Münze der Königin Brunichildis, die auf den Seiten
178f. abgebildet wird, ist ein in Worms geschlagener Triens des
Münzmeisters Dodo, dessen Beziehung zu der merowingischen Königin jedoch
höchst spekulativ ist. Reich ausgestattete Gräber, zum Beispiel solche
mit goldbeschlagenen Reflexbögen aus dem hunnischen Bereich, sind für
Jörg Oberste häufig "Adelsgräber", obwohl anhand der Grabbeigaben nur in
den seltensten Fällen etwas über die Rechtsstellung der Bestatteten
ausgesagt werden kann (S. 174).

Während solche Aussagen mit Oberstes geringem Kenntnisstand der
aktuellen Fachdiskussion erklärt werden können, sind weitere Fehler
einfach nur ärgerlich: so soll Ammianus Marcellinus der erste gewesen
sein, der behauptete, Attila sei von Ildico ermordet worden (S. 176),
obwohl der spätantike Historiograph schon im Jahr 395, der Hunnenkönig
aber erst 453 starb. Theoderich der Große soll wie Aetius Geisel am
Hunnenhof gewesen sein (ebd.), obwohl er erst nach der Schlacht am Nedao
im Jahr 454 wohl in Pannonien das Licht der Welt erblickte. Tatsächlich
war der spätere König der Ostgoten in jungen Jahren Geisel am Kaiserhof
in Byzanz. Auch bei den Abbildungen ist Oberste eine Panne passiert: auf
S. 235 wird nicht, wie der Bildtext angibt, die arpadische Königsburg
Gran gezeigt, sondern der in anderem Zusammenhang erwähnte
niederösterreichische Aggstein.

Das Buch, dem trotz dieser Mängel eine zahlreiche Leserschaft zu
wünschen ist, enthält insgesamt 115 Abbildungen sowie fünf Karten und
wird durch eine Zeittafel (S. 292f.), ein viel zu kurzes
Literaturverzeichnis (S. 294-296) und ein ausführliches Register (S.
297-303) abgeschlossen.


Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Wolfgang Eric Wagner <wolfgang-eric.wagner(a)... zur Zitation dieses Beitrages
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