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2025/08/27 11:04:12 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] gestern und morgen - Goethe im Saarland und in der Pfalz |
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2025/08/07 09:43:16 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Der Geistkirch-Verlag will Au ßergewöhnliches aus der Region aufs Tableau bringen . Mitinhaber Florian Brunner erklärt, warum. |
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2025/08/27 11:04:12 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] gestern und morgen - Goethe im Saarland und in der Pfalz |
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Date: 2025/08/29 09:08:12
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Die Bundeswehr. Von der Wiederbewaffnung bis
zur Zeitenwende
Autor(en) Neitzel, Sönke
Reihe C.H.Beck Wissen
Erschienen München 2025: C.H.
Beck Verlag
Anzahl Seiten 128 S., 2 Karten
Preis € 12,00
ISBN 978-3-406-83051-8
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische
Friedens- und
Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von: Jakob Knab, Kaufbeuren
Mit seinem neuen Buch möchte Sönke Neitzel, Professor für
Militärgeschichte und
Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam, in die
Geschichte der
Bundeswehr einführen und ihre Herausforderungen in der Gegenwart
analysieren.
In drei Kapiteln richtet er seinen Blick zunächst auf den Kalten
Krieg, das
heißt auf die Gründerjahre 1955 bis 1972 und die Jahre der
Konsolidierung 1972
bis 1999, dann auf die Out-of-Area-Einsätze (1991 bis 2023) sowie
schließlich
auf die jüngere Geschichte der Bundeswehr („Zeitenwende?!“). Er
zeigt, dass die
im November 1955 gegründete Bundeswehr von Beginn an umstritten
war. Während
des Kalten Krieges bildete sie den Kern der NATO-Landstreitkräfte.
Nach 1990
wurden sowohl Personalstärke wie auch Ausrüstung reduziert; im
März 2011 wurde
die Allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt. Der Schwerpunkt verlagerte
sich hin zu
den Auslandseinsätzen. Die russische Invasion der Ukraine vom 24.
Februar 2022
markiert eine „Zeitenwende“. Neitzel analysiert die daraus
resultierenden neuen
Herausforderungen.
Die Lektüre hinterlässt einen ambivalenten Eindruck: Die Einsätze
„out-of-area“
sind Neitzels bevorzugtes Gebiet; das Kapitel „Mission Impossible
am
Hindukusch“ nimmt breiten Raum ein. Neitzels Fazit lautet: „In
gewisser Weise
ist die Bundeswehr am Hindukusch erwachsen geworden.“ (S. 91) Wenn
vom
soldatischen Handwerk, von kriegerischer Tüchtigkeit, von
militärischer
Exzellenz und von Kampfeinsätzen die Rede ist, dann ist Neitzel
als
Militärhistoriker unübertroffen. Demgegenüber treten in seinen
geschichtspolitischen Deutungen verkürzte und verzerrte
Perspektiven zutage,
wenn es um die Innere Führung, Erinnerungskultur und
Traditionspflege in der
Bundeswehr geht. Die Problematik tritt beispielsweise zu Tage,
wenn Neitzel
bemerkt, die Bundeswehr sei „aus dem Nichts“ (S. 17) aufgestellt
worden. Indes:
In den Kontinuitäten und Brüchen der Geschichte herrscht kein
machtpolitisches
Vakuum, kein Niemandsland, keine Stunde Null. Unter der
Überschrift „Eine
Wehrmacht in neuem Gewande?“ spricht Neitzel davon, dass „intensiv
auf die
Erfahrungen und Vorschriften der Wehrmacht zurückgegriffen“ (S.
35) wurde.
Die Aufarbeitung der Geschichte ist ein Kampf um die
Deutungshoheit; dabei
sollen Geltungsansprüche und Identitätsinteressen legitimiert
werden. Der
Begriff „neue Wehrmacht“ wurde in den 1950er-Jahren in vielen
Bundestags-Debatten benutzt. Auch bei der Gründungsfeier der
Bundeswehr am 20.
Januar 1956 in Andernach war von der „neuen Wehrmacht“ die Rede.
Am 1. April
1956 wurde die Bezeichnung „Bundeswehr“ verbindlich eingeführt.
Monate später,
am 21. Juli 1956, trat das Wehrpflichtgesetz in Kraft. Neitzel
schiebt
beiseite, dass im Volksmund noch etliche Jahre von der „neuen
Wehrmacht“ die
Rede war. Neitzel zufolge stand General Hans Speidel (1897–1984)
dem Kreis der
beiden Widerstandskämpfer Henning von Tresckow (1901–1944) und
Graf
Stauffenberg (1907–1944) nahe. Belege werden nicht angeführt. In
seinem
Standardwerk „Deutsche Krieger“ (2020) freilich fand Neitzel
Oberst
Stauffenberg im Kontext des missglückten Attentats vom 20. Juli
1944 nicht der
Erwähnung wert.1
Im Blick auf den Personalgutachterausschuss (PGA) meint Neitzel,
dass es bei
den kriegsgedienten Soldaten der Bundeswehr keine prominenten
Täter gegeben
habe. Hier wird der vermeintlich traditionswürdige Admiral
Johannesson
übergangen, der als NS-Gerichtsherr im Endsiegterror vom April
1945 die
Todesurteile gegen jene fünf Männer, die Helgoland vor der
Bombardierung retten
wollten, bestätigte. Bis Dezember 2023 wurde seine Büste in der
Aula der
Marineschule Mürwik (MSM) auf Augenhöhe mit der Büste des
Widerstandskämpfers
Alfred Kranzfelder präsentiert. Auch diese soldatischen
Persönlichkeiten
schlüpften durch das weite Netz des PGA: Walter Gericke, Reinhard
Hauschild,
Wilhelm Hess, Konrad Knabe, Hans Kroh, Bernhard Rogge und Karl
Wilhelm Thilo.
Keiner dieser Namen wird bei Neitzel erwähnt. Anfang Mai 1945
bestätigte Rogge
ebenfalls als NS-Gerichtsherr Todesurteile gegen drei Matrosen.
Bis Ende März
2018 war er für die Bundeswehr traditionswürdig
(„Admiral-Rogge-Pokal“).
Wenn Neitzel vom Elitedenken in der Fallschirmjägertruppe und von
den alten
Wehrmachttraditionen spricht, dann sollte die Leserschaft auch
darüber ins Bild
gesetzt werden, dass im Standort Altenstadt die drei Generäle Kurt
Student,
Bruno Bräuer und Richard Heidrich öffentlich geehrt wurden. Das
Todesurteil
gegen Bräuer war am 20. Mai 1947 in Athen vollstreckt worden. Erst
nach
Anstößen aus der Zivilgesellschaft wurden die drei Benennungen
nach Student,
Bräuer und Heidrich im Oktober 1998 getilgt.
Die Benennung von Kasernen nach militärischen Vorbildern ist der
eigentliche
Prüfstein für die Traditionspflege in der Bundeswehr. Laut Neitzel
entbrannte
der Streit um die Traditionspflege an den Liegenschaften in Füssen
(Dietl-Kaserne) und Mittenwald (Kübler-Kaserne). Richtig ist:
Dieser
öffentliche Meinungskampf begann im Februar 1988; es ging allein
um die
Generaloberst-Dietl-Kaserne. Mit der Taktik des hinhaltenden
Abwehrkampfes
sollte Dietl von der Bonner Hardthöhe über die Runden gerettet
werden. Was
Neitzel nicht erwähnt: Minister Franz Josef Strauß (CSU) hatte den
Antrag der
Gebirgsjäger abgelehnt, die Kaserne in Füssen nach Dietl zu
benennen; denn als
ehemaliger Offizier für wehrgeistige Führung wusste er um Dietls
truppendienstliche Verantwortung für die Feldstraflager. Die
„Aktion
Namensgebung“ (u. a. Dietl, Kübler, Lent) fand erst 1965 unter
Minister Kai-Uwe
von Hassel (CDU) statt. Zu Recht erfährt der Leser, dass an
Küblers
Kriegsverbrechen all die Jahrzehnte keine Zweifel bestanden. Bei
Neitzel bleibt
außen vor: Erst als man in der Zivilgesellschaft auf das Buch von
Friedrich
Andrae „Auch gegen Frauen und Kinder“ stieß, gab dies den finalen
Anstoß zur
Umbenennung der Kübler-Kaserne in Mittenwald.2
Das „Aufrollen der Traditionsfrage“ fand laut Neitzel erst in den
1990er-Jahren
statt. Aber schon ab Frühjahr 1988 wurden beim damaligen
Militärgeschichtlichen
Forschungsamt (MGFA) Freiburg Kurzstudien zu allen Traditionsnamen
in Auftrag
gegeben. Die Ergebnisse blieben als Herrschaftswissen unter
Verschluss. Daher
richtete die Fraktion der Grünen ein Jahr später eine Anfrage an
die
Bundesregierung. Es ging allgemein um die „Haltung der Bundeswehr
zu
Traditionen der Wehrmacht und des Nationalsozialismus“ sowie
explizit um die
MGFA-Studie zu Dietl.
Neitzel übt Kritik an der öffentlichen Debatte, wo die
Traditionsarbeit zumeist
auf Verfassungspatriotismus reduziert wurde. Kein Wort verliert er
über jene
sinnstiftenden Benennungen nach Feldwebel Anton Schmid
(Blankenburg im Harz),
der Ikone des Rettungswiderstandes, nach Hans Scholl
(Sanitätsakademie
München), dem politischen Kopf der Weißen Rose, oder nach dem
aufrechten
Sanitätsfeldwebel Christoph Probst (Hochbrück bei München).
Eine aufschlussreiche Lektüre für die kundigen Leser, die einen
hermeneutischen
Schlüssel zur Hand haben, verspricht jener Abschnitt, wo Neitzel
über die
„Leerstelle“ im gültigen Traditionserlass (März 2018) und auch
über die
„Ergänzenden Hinweise“ vom Juli 2024, die einen Monat später
wieder
zurückgezogen wurden, räsoniert (S. 73). Dabei übergeht er
geflissentlich, dass
jene verunglückten „Ergänzenden Hinweise“ von Neitzel selbst
berlinisch salopp
„belatschert“ wurden. Denn die Kernaussage der gültigen
Richtlinien zum
Traditionsverständnis lautet im Sinne der Inneren Führung: „Die
Bundeswehr ist
freiheitlichen und demokratischen Zielsetzungen verpflichtet. Für
sie kann nur
ein soldatisches Selbstverständnis mit Wertebindung, das sich
nicht allein auf
professionelles Können im Gefecht reduziert, sinn- und
traditionsstiftend
sein.“3 Mit Blick auf die
„Kriegstüchtigkeit der
Bundeswehr“ (S. 72) formuliert Neitzel seine geschichtspolitische
Zielsetzung
so: „Wie sehen denn nun die passenden Vorbilder für einen
Panzerkommandanten
oder einen Grenadier aus, dessen Aufgabe im Ernstfall ist, in
Litauen für das
westliche Bündnis zu kämpfen, zu töten und notfalls zu sterben?“
(S. 72)
Das Fazit lautet: Neitzel nutzt diese kurze Geschichte der
Bundeswehr, um in
mitunter pamphlethafter Art seine Forderungen an die Bundeswehr zu
artikulieren. Uneingeschränkte Zustimmung verdient Neitzel
allerdings, wenn er
festhält: „Tradition galt und gilt als ein Thema, an dem man sich
nur die
Finger verbrennt.“ (S. 72)
Anmerkungen:
1 Siehe Eckart Conze, Rezension
zu: Sönke
Neitzel, Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik –
eine
Militärgeschichte, Berlin 2020, in: H-Soz-Kult, 05.05.2021, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-95530
(05.08.2025).
2 Friedrich Andrae, Auch gegen
Frauen und
Kinder. Der Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die
Zivilbevölkerung in Italien
1943–1945, München 1995.
3 Bundesministerium der
Verteidigung, Die
Tradition der Bundeswehr. Richtlinien zum Traditionsverständnis
und zur
Traditionspflege, S. 6, https://www.bmvg.de/resource/blob/23234/6a93123be919584d48e16c45a5d52c10/20180328-die-tradition-der-bundeswehr-data.pdf
(05.08.2025).
Zitation
Jakob Knab, Rezension zu: Neitzel, Sönke: Die Bundeswehr. Von der
Wiederbewaffnung bis zur Zeitenwende. München 2025 , ISBN
978-3-406-83051-8,
in: H-Soz-Kult, 28.08.2025, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-153674.