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[Regionalforum-Saar] Die Bundeswehr. Von der Wiederbewaffnung bis zur Zeitenwende

Date: 2025/08/29 09:08:12
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Die Bundeswehr. Von der Wiederbewaffnung bis zur Zeitenwende
Autor(en) Neitzel, Sönke
Reihe C.H.Beck Wissen
Erschienen München 2025: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten 128 S., 2 Karten
Preis € 12,00
ISBN 978-3-406-83051-8

Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von: Jakob Knab, Kaufbeuren

Mit seinem neuen Buch möchte Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam, in die Geschichte der Bundeswehr einführen und ihre Herausforderungen in der Gegenwart analysieren. In drei Kapiteln richtet er seinen Blick zunächst auf den Kalten Krieg, das heißt auf die Gründerjahre 1955 bis 1972 und die Jahre der Konsolidierung 1972 bis 1999, dann auf die Out-of-Area-Einsätze (1991 bis 2023) sowie schließlich auf die jüngere Geschichte der Bundeswehr („Zeitenwende?!“). Er zeigt, dass die im November 1955 gegründete Bundeswehr von Beginn an umstritten war. Während des Kalten Krieges bildete sie den Kern der NATO-Landstreitkräfte. Nach 1990 wurden sowohl Personalstärke wie auch Ausrüstung reduziert; im März 2011 wurde die Allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt. Der Schwerpunkt verlagerte sich hin zu den Auslandseinsätzen. Die russische Invasion der Ukraine vom 24. Februar 2022 markiert eine „Zeitenwende“. Neitzel analysiert die daraus resultierenden neuen Herausforderungen.

Die Lektüre hinterlässt einen ambivalenten Eindruck: Die Einsätze „out-of-area“ sind Neitzels bevorzugtes Gebiet; das Kapitel „Mission Impossible am Hindukusch“ nimmt breiten Raum ein. Neitzels Fazit lautet: „In gewisser Weise ist die Bundeswehr am Hindukusch erwachsen geworden.“ (S. 91) Wenn vom soldatischen Handwerk, von kriegerischer Tüchtigkeit, von militärischer Exzellenz und von Kampfeinsätzen die Rede ist, dann ist Neitzel als Militärhistoriker unübertroffen. Demgegenüber treten in seinen geschichtspolitischen Deutungen verkürzte und verzerrte Perspektiven zutage, wenn es um die Innere Führung, Erinnerungskultur und Traditionspflege in der Bundeswehr geht. Die Problematik tritt beispielsweise zu Tage, wenn Neitzel bemerkt, die Bundeswehr sei „aus dem Nichts“ (S. 17) aufgestellt worden. Indes: In den Kontinuitäten und Brüchen der Geschichte herrscht kein machtpolitisches Vakuum, kein Niemandsland, keine Stunde Null. Unter der Überschrift „Eine Wehrmacht in neuem Gewande?“ spricht Neitzel davon, dass „intensiv auf die Erfahrungen und Vorschriften der Wehrmacht zurückgegriffen“ (S. 35) wurde.

Die Aufarbeitung der Geschichte ist ein Kampf um die Deutungshoheit; dabei sollen Geltungsansprüche und Identitätsinteressen legitimiert werden. Der Begriff „neue Wehrmacht“ wurde in den 1950er-Jahren in vielen Bundestags-Debatten benutzt. Auch bei der Gründungsfeier der Bundeswehr am 20. Januar 1956 in Andernach war von der „neuen Wehrmacht“ die Rede. Am 1. April 1956 wurde die Bezeichnung „Bundeswehr“ verbindlich eingeführt. Monate später, am 21. Juli 1956, trat das Wehrpflichtgesetz in Kraft. Neitzel schiebt beiseite, dass im Volksmund noch etliche Jahre von der „neuen Wehrmacht“ die Rede war. Neitzel zufolge stand General Hans Speidel (1897–1984) dem Kreis der beiden Widerstandskämpfer Henning von Tresckow (1901–1944) und Graf Stauffenberg (1907–1944) nahe. Belege werden nicht angeführt. In seinem Standardwerk „Deutsche Krieger“ (2020) freilich fand Neitzel Oberst Stauffenberg im Kontext des missglückten Attentats vom 20. Juli 1944 nicht der Erwähnung wert.1

Im Blick auf den Personalgutachterausschuss (PGA) meint Neitzel, dass es bei den kriegsgedienten Soldaten der Bundeswehr keine prominenten Täter gegeben habe. Hier wird der vermeintlich traditionswürdige Admiral Johannesson übergangen, der als NS-Gerichtsherr im Endsiegterror vom April 1945 die Todesurteile gegen jene fünf Männer, die Helgoland vor der Bombardierung retten wollten, bestätigte. Bis Dezember 2023 wurde seine Büste in der Aula der Marineschule Mürwik (MSM) auf Augenhöhe mit der Büste des Widerstandskämpfers Alfred Kranzfelder präsentiert. Auch diese soldatischen Persönlichkeiten schlüpften durch das weite Netz des PGA: Walter Gericke, Reinhard Hauschild, Wilhelm Hess, Konrad Knabe, Hans Kroh, Bernhard Rogge und Karl Wilhelm Thilo. Keiner dieser Namen wird bei Neitzel erwähnt. Anfang Mai 1945 bestätigte Rogge ebenfalls als NS-Gerichtsherr Todesurteile gegen drei Matrosen. Bis Ende März 2018 war er für die Bundeswehr traditionswürdig („Admiral-Rogge-Pokal“).

Wenn Neitzel vom Elitedenken in der Fallschirmjägertruppe und von den alten Wehrmachttraditionen spricht, dann sollte die Leserschaft auch darüber ins Bild gesetzt werden, dass im Standort Altenstadt die drei Generäle Kurt Student, Bruno Bräuer und Richard Heidrich öffentlich geehrt wurden. Das Todesurteil gegen Bräuer war am 20. Mai 1947 in Athen vollstreckt worden. Erst nach Anstößen aus der Zivilgesellschaft wurden die drei Benennungen nach Student, Bräuer und Heidrich im Oktober 1998 getilgt.

Die Benennung von Kasernen nach militärischen Vorbildern ist der eigentliche Prüfstein für die Traditionspflege in der Bundeswehr. Laut Neitzel entbrannte der Streit um die Traditionspflege an den Liegenschaften in Füssen (Dietl-Kaserne) und Mittenwald (Kübler-Kaserne). Richtig ist: Dieser öffentliche Meinungskampf begann im Februar 1988; es ging allein um die Generaloberst-Dietl-Kaserne. Mit der Taktik des hinhaltenden Abwehrkampfes sollte Dietl von der Bonner Hardthöhe über die Runden gerettet werden. Was Neitzel nicht erwähnt: Minister Franz Josef Strauß (CSU) hatte den Antrag der Gebirgsjäger abgelehnt, die Kaserne in Füssen nach Dietl zu benennen; denn als ehemaliger Offizier für wehrgeistige Führung wusste er um Dietls truppendienstliche Verantwortung für die Feldstraflager. Die „Aktion Namensgebung“ (u. a. Dietl, Kübler, Lent) fand erst 1965 unter Minister Kai-Uwe von Hassel (CDU) statt. Zu Recht erfährt der Leser, dass an Küblers Kriegsverbrechen all die Jahrzehnte keine Zweifel bestanden. Bei Neitzel bleibt außen vor: Erst als man in der Zivilgesellschaft auf das Buch von Friedrich Andrae „Auch gegen Frauen und Kinder“ stieß, gab dies den finalen Anstoß zur Umbenennung der Kübler-Kaserne in Mittenwald.2

Das „Aufrollen der Traditionsfrage“ fand laut Neitzel erst in den 1990er-Jahren statt. Aber schon ab Frühjahr 1988 wurden beim damaligen Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) Freiburg Kurzstudien zu allen Traditionsnamen in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse blieben als Herrschaftswissen unter Verschluss. Daher richtete die Fraktion der Grünen ein Jahr später eine Anfrage an die Bundesregierung. Es ging allgemein um die „Haltung der Bundeswehr zu Traditionen der Wehrmacht und des Nationalsozialismus“ sowie explizit um die MGFA-Studie zu Dietl.

Neitzel übt Kritik an der öffentlichen Debatte, wo die Traditionsarbeit zumeist auf Verfassungspatriotismus reduziert wurde. Kein Wort verliert er über jene sinnstiftenden Benennungen nach Feldwebel Anton Schmid (Blankenburg im Harz), der Ikone des Rettungswiderstandes, nach Hans Scholl (Sanitätsakademie München), dem politischen Kopf der Weißen Rose, oder nach dem aufrechten Sanitätsfeldwebel Christoph Probst (Hochbrück bei München).

Eine aufschlussreiche Lektüre für die kundigen Leser, die einen hermeneutischen Schlüssel zur Hand haben, verspricht jener Abschnitt, wo Neitzel über die „Leerstelle“ im gültigen Traditionserlass (März 2018) und auch über die „Ergänzenden Hinweise“ vom Juli 2024, die einen Monat später wieder zurückgezogen wurden, räsoniert (S. 73). Dabei übergeht er geflissentlich, dass jene verunglückten „Ergänzenden Hinweise“ von Neitzel selbst berlinisch salopp „belatschert“ wurden. Denn die Kernaussage der gültigen Richtlinien zum Traditionsverständnis lautet im Sinne der Inneren Führung: „Die Bundeswehr ist freiheitlichen und demokratischen Zielsetzungen verpflichtet. Für sie kann nur ein soldatisches Selbstverständnis mit Wertebindung, das sich nicht allein auf professionelles Können im Gefecht reduziert, sinn- und traditionsstiftend sein.“3 Mit Blick auf die „Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr“ (S. 72) formuliert Neitzel seine geschichtspolitische Zielsetzung so: „Wie sehen denn nun die passenden Vorbilder für einen Panzerkommandanten oder einen Grenadier aus, dessen Aufgabe im Ernstfall ist, in Litauen für das westliche Bündnis zu kämpfen, zu töten und notfalls zu sterben?“ (S. 72)

Das Fazit lautet: Neitzel nutzt diese kurze Geschichte der Bundeswehr, um in mitunter pamphlethafter Art seine Forderungen an die Bundeswehr zu artikulieren. Uneingeschränkte Zustimmung verdient Neitzel allerdings, wenn er festhält: „Tradition galt und gilt als ein Thema, an dem man sich nur die Finger verbrennt.“ (S. 72)

Anmerkungen:

1 Siehe Eckart Conze, Rezension zu: Sönke Neitzel, Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte, Berlin 2020, in: H-Soz-Kult, 05.05.2021, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-95530 (05.08.2025).

2 Friedrich Andrae, Auch gegen Frauen und Kinder. Der Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung in Italien 1943–1945, München 1995.

3 Bundesministerium der Verteidigung, Die Tradition der Bundeswehr. Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege, S. 6, https://www.bmvg.de/resource/blob/23234/6a93123be919584d48e16c45a5d52c10/20180328-die-tradition-der-bundeswehr-data.pdf (05.08.2025).

Zitation

Jakob Knab, Rezension zu: Neitzel, Sönke: Die Bundeswehr. Von der Wiederbewaffnung bis zur Zeitenwende. München 2025 , ISBN 978-3-406-83051-8, in: H-Soz-Kult, 28.08.2025, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-153674.