Suche Sortierung nach Monatsdigest


Datum 2025/06/08 19:14:46
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Einladung zur Buchvorstellung "Die Pfalz im Deutschen Kaiserreich", 3. Juli 2025, 19:00 Uhr, Landesarchiv Speyer
2025/06/08 19:14:46
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Einladung zur Buchvorstellung "Die Pfalz im Deutschen Kaiserreich", 3. Juli 2025, 19:00 Uhr, Landesarchiv Speyer
Betreff 2025/06/11 10:43:55
Hans-Joachim Hoffmann via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Führung über den jüdi schen Friedhof Ottweiler
2025/06/14 09:59:54
Joerg Weinkauf via Regionalforum-Saar
Re: [Regionalforum-Saar] Kein großer Respekt vor KI
Autor 2025/06/08 19:14:46
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Einladung zur Buchvorstellung "Die Pfalz im Deutschen Kaiserreich", 3. Juli 2025, 19:00 Uhr, Landesarchiv Speyer

[Regionalforum-Saar] E. V. Steinbacher: Mord in der High Society

Date: 2025/06/01 20:03:29
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

E. V. Steinbacher: Mord in der High Society

Autor Steinbacher, Emanuel V.
Erschienen Göttingen 2022: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten 448 S., 120 Abb.
Preis € 46,00
ISBN 978-3-8353-5213-1

Rezensiert für H-Soz-Kult von Heidi Sack, Stiftung Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf

„Mord in der High Society“ und „Sex, Wahnsinn, Mord“ – Titel und Klappentext des Buches von Emanuel V. Steinbacher lassen bereits vor der Lektüre erahnen, welche Faszination von dem untersuchten Fall für die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen ausgegangen sein muss. Die genannten Ingredienzien machten bereits in der Mediengesellschaft vor gut 100 Jahren eine gute Story aus, ging es doch nicht nur um einen Todesfall und seine Verwicklungen, sondern auch um intime Einblicke in eine ansonsten verschlossene Gesellschaftsschicht.

Steinbacher widmet sich in seiner Studie, bei der es sich um die gekürzte Fassung seiner 2021 an der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereichten Dissertation handelt, dem sogenannten Nesbit-Thaw-White-Skandal. Die Protagonisten: Evelyn Florence Nesbit (geb. 25. Dezember 1885), ein bekanntes Model und Schauspielerin der frühen 1900er-Jahre, ihr Ehemann Henry „Harry“ Kendall Thaw (geb. 12. Februar 1871) und der Star-Architekt Stanford White (geb. 9. November 1853). Thaw hasste White als Verführer und „Verderber“ seiner jetzigen Ehefrau, da dieser Jahre zuvor mit der damals noch minderjährigen Nesbit ein Verhältnis unterhalten und sie angeblich vergewaltigt hatte. Am 25. Juni 1906 erschoss der exzentrische Thaw den Architekten auf dem Dach des vollbesetzten und von ihm konzipierten Madison Square Garden während einer Theateraufführung. Der Prozess gegen Harry Thaw wurde zum ersten „massenmedialen Sensationsprozess des 20. Jahrhunderts“ (S. 222), der Themen wie Sex, Macht, Ruhm, psychische Gesundheit und Gerechtigkeit verhandelte und die Öffentlichkeit über Jahre hinweg faszinierte.

Doch geht es Steinbacher in seinem Buch nicht vorrangig darum, die öffentliche Faszination und Anteilnahme an diesem Fall zu erklären. Vielmehr möchte er am Beispiel dieses Skandals mit gesellschafts-, medien- und geschlechtergeschichtlichen Ansätzen sowie mit Fokus auf die Unterhaltungsindustrie das Phänomen der High Society und seine Genese erklären. Steinbacher verwendet High Society vornehmlich als Analysebegriff, da er im Untersuchungszeitraum noch nicht etabliert und stattdessen von „smart, fashionable oder ultra-fashionable set“ die Rede war (S. 16). Der Autor versteht darunter eine neue, sich am Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert in der US-amerikanischen Gesellschaft herausbildende gesellschaftliche Schicht, die sich von der exklusiven Upper Class abgrenzte und sich parallel zur aufsteigenden Gesellschaftsberichterstattung entwickelte. Mediale Sichtbarkeit und (vermeintlich) private Einblicke waren das zentrale In- und Exklusionskriterium der entstehenden High Society und wurden zu einem „Wechselspiel aus (Selbst-)Ermächtigung und Entmachtung“ (S. 18–19).

Steinbacher gliedert seine Arbeit in drei chronologisch aufeinander aufbauende Teile. Der erste widmet sich der Zeit zwischen 1894 und 1906 und zeichnet neben allgemeinen Ausführungen zur im Entstehen begriffenen High Society ausführlich und so auch mit gewissen Längen die unterschiedlichen Aufstiegswege der beiden Protagonisten Nesbit und Thaw in diese elitäre Gesellschaft nach. Beide stammten aus unterschiedlichen Milieus: Während dem aus der Upper Class kommenden Thaw dies mit rauschenden, opulenten Partys, Restaurantbesuchen und sozialen Netzwerken gelang, profitierte die aus bescheideneren Verhältnissen stammende Nesbit davon, dass für Frauen körperliche Schönheit in der Frühphase der High Society noch ein entscheidendes Zugangskriterium war. Sie wurde als Fotomodell, Werbegesicht und Schauspielerin Mitglied der elitären Gesellschaft. Steinbacher arbeitet überzeugend heraus, in welchem Maß die beiden den Vorstellungen von der frühen High Society entsprachen und diese gleichzeitig selbst mitprägten.

Der zweite und größte Teil der Studie beschäftigt sich mit dem nach den beiden Eheleuten benannten Skandal und den Prozessen gegen Thaw zwischen Juni 1906 und April 1908. Das erste Verfahren um das von der Presse ausgerufene „crime of the century“ (S. 443) geriet zum ersten „massenmedialen Sensationsprozess des 20. Jahrhunderts“ (S. 222). Es hatte Auswirkungen auf Formen medialer Berichterstattung und High Society als Medienphänomen gleichermaßen: Auch wenn Steinbacher dies nicht als methodischen Ansatz seiner Studie benennt, so trägt insbesondere der zweite Teil durchaus Züge einer mikrogeschichtlichen Untersuchung und einer Kulturgeschichte des Gerichtssaals. Minutiös zeichnet der Autor die Rollen der Eheleute im Prozess vom 21. Januar bis zum 12. April 1907 und ihre Deutung(en) in der Presse nach.

Im Zentrum der Berichterstattung stand jedoch nicht der Angeklagte, sondern seine Frau Evelyn Nesbit. Sie deckte mit ihrer Aussage die zeitgenössische Doppelmoral der Oberschicht auf, die von Frauen sexuelle Keuschheit erwartete, während sie Männern sexuelle Freiheiten einräumte. Die intensive mediale Aufmerksamkeit verschob die Grenzen des „Sagbaren“ dahingehend, dass Sexualität öffentlich thematisierbar wurde und sich die Grenzziehungen des Privaten neu justierten. Wie bei späteren Fällen in Deutschland, etwa der „Steglitzer Schülertragödie“ 1927/1928, war es weniger die zugrundeliegende Straftat, die die Öffentlichkeit vorrangig interessierte, sondern die im Gerichtsverfahren behandelten gesellschaftlichen Fragen. Die Presse hatte Nesbits Sexualleben schon vor dem Skandal thematisiert. Dieses Wissen nutzte Staatsanwalt William T. Jerome in seinem Kreuzverhör, sodass Nesbit gleichsam zur eigentlichen Angeklagten wurde, und zwar weniger justiziell als moralisch. Steinbacher kann hieran medienhistorisch sehr gut deutlich machen, wie insbesondere der erste Prozess gegen Thaw das Genre der Gerichtsberichterstattung neu definierte: als öffentliche Arena der Aushandlung von Normen und Werten.

Der dritte und letzte Teil widmet sich schließlich den „Möglichkeiten und Grenzen der High Society-Mitgliedschaft“ anhand des „Nachspiels“ des Skandals in der Zeit zwischen 1908 und 1915/1922. Die beiden Protagonisten verloren nach den Prozessen – gewollt oder ungewollt und trotz ihres professionellen Umgangs mit der Presse – zunehmend ihre mediale Sichtbarkeit. Nesbit war zeitweise im Unterhaltungsgeschäft und als „Influencerin“ in Sachen Kleidung und Make-Up tätig, erlitt dann jedoch private Krisen. Thaw wurde nach seiner Verurteilung und Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung, aus der er später flüchtete, durch einige unvorteilhafte öffentliche Auftritte endgültig zur persona non grata.

Steinbacher gelingt es in seiner Studie durchgängig überzeugend, die Ambivalenz der angestrebten Medienpräsenz für (potentielle) High-Society-Mitglieder herauszuarbeiten. So verselbständigte sich etwa bereits die Berichterstattung über die Anbahnung einer Beziehung zwischen Nesbit und Thaw, gleichzeitig war sie eine zentrale Währung im Streben nach gesellschaftlichem Status. So hatte Nesbit der Presseaufmerksamkeit zwar ihre Zugehörigkeit zur High Society zu verdanken, versuchte später aber zunehmend, den Journalisten zu entgehen.

Beeindruckend und für den methodischen Ansatz einer „erweiterten Mediengeschichte“ (S. 32) unumgänglich ist die breite Quellenbasis der Studie: Steinbacher hat nicht weniger als 93 Tageszeitungen seriell ausgewertet, dazu Beiträge aus 69 Zeitschriften sowie eine große Zahl an Archiven und gedruckten Quellen und eine Fülle an wissenschaftlicher Literatur – das Literaturverzeichnis umfasst allein 34 Seiten. Darüber hinaus wurden Filmbeiträge, Fotos und „Merchandise“-Artikel als Quellen in die Analyse einbezogen. Ein großer Mehrwert für die Lektüre sind die als Ergänzung im Internet bereitgestellten Quellen wie (Farb-)Fotografien und Filmbeiträge, die über im Buch abgedruckte QR-Codes zu erreichen sind.

Leider erliegt Steinbacher in Teilen seiner Studie selbst jener Gefahr, vor der er treffend warnt: „Historische Skandalanalysen bergen das Risiko, sich in den Details zu verlieren.“ (S. 144) Deutlich wird dies etwa an dem oftmals wenig analytischen, rein illustrativen Einsatz der zahlreichen Zitate. Auch scheint Steinbacher manchmal zu nah an seine Protagonisten gerückt – so detailliert schildert er Aussehen, Verhaltensweisen, Reiseziele usw. (so zum Beispiel auf den Seiten 80 ff.). Mitunter verleitet diese Nähe zu Schlüssen, die eine kritische Distanz vermissen lassen – etwa, wenn Steinbacher ohne weitere Ausführungen oder Belege ausführt, dass mit dem Ende der Medienpräsenz von Nesbit und Thaw auch die frühe High Society ende (S. 432). Hier und in anderen Fällen bekommt man durchaus den Eindruck, als habe Steinbacher die Protagonisten des Skandals „verabsolutiert“ und in ihnen nicht mehr die Fallstudie, sondern die Prototypen oder alleinigen Repräsentanten der High Society gesehen. An anderer Stelle wird der in aller Öffentlichkeit begangene Mord an White sehr weitreichend als typischer Teil eines „modernen städtischen Leben[s]“ gedeutet (S. 286). Auf der anderen Seite gelingt es Steinbacher immer wieder plausibel, Interdependenzen zwischen Medienakteuren und High Society, zwischen den beiden Protagonisten, ihrem Verhalten, ihrer (Medien-)Rezeption und ihrer Zugehörigkeit zur High Society herauszuarbeiten. Der zweite und umfangreichste Teil der Studie ist zweifellos der überzeugendste. Schwächen des ersten Teils und der Einleitung, wie etwa die wortgleiche Wiederholung von Thesen und formale Mängel, sind hier kaum mehr zu finden.

Insgesamt kann „Mord in der High Society“ als eine Bereicherung für die Kulturgeschichte des Gerichtssaals und mikrogeschichtlich angelegte Skandalanalysen gelten. Das Buch ermöglicht breite Einblicke in medien- und gesellschaftsgeschichtliche Neuerungen der Jahrhundertwende in den USA, die sich wenige Jahre später in Sensationsprozessen in Europa zeigen sollten. Insofern weist Steinbachers analytisch fundierte Studie deutlich über eine bloße Untersuchung des Nesbit-Thaw-White-Skandals hinaus.

Zitation
Heidi Sack, Rezension zu: Steinbacher, Emanuel V.: Mord in der High Society. Gesellschaft, Medien und Skandal in New York um 1900. Göttingen 2022 , ISBN 978-3-8353-5213-1, in: H-Soz-Kult, 02.06.2025, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-118693.