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2024/09/02 20:54:13 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] „Chatbots sind kein N ürnberger Trichter“ |
Datum | 2024/09/03 18:19:04 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Tag der offenen Tür,,im K reisarchiv Saarlouis am Sonntag, 6. Oktober 2024 |
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2024/09/04 13:29:06 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Tradition und Innovation im kirchl ichen Recht. Das Bußbuch im Dekret des Bischofs Burchard von Worms Ostfildern |
Betreff | 2024/09/02 20:54:13 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] „Chatbots sind kein N ürnberger Trichter“ |
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2024/09/02 20:54:13 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] „Chatbots sind kein N ürnberger Trichter“ |
Autor | 2024/09/03 18:19:04 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Tag der offenen Tür,,im K reisarchiv Saarlouis am Sonntag, 6. Oktober 2024 |
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Date: 2024/09/02 21:03:41
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
heute in der SZ, Saarland-Teil
Über den Wolken
Von Wolfram Goertz
In der Schule sehen viele das Auswendiglernen als unnützen,
stupiden Akt der Bildungsvermehrung
an. Dabei lernen wir fortwährend auswendig, vor allem Liedtexte.
Funktioniert ja
auch ganz leicht: Meistens ist eine einprägsame Melodie das
Vehikel, das die Worte
mit ins Hirn befördert.
Manchmal sind die Texte auch selbst die Knaller. In den 70ern
wurden hierzulande
viele von Liedern angesprungen, die unverwechselbare neue Gedanken
und Weisheiten
in die Welt brachten. Alles wurde memoriert: dass der Mörder immer
der Gärtner ist.
Dass es keine Maikäfer mehr gibt. Dass jemand Klempner von Beruf
ist und Annabelle
völlig intellektuell. Sogar das widerspenstige Lied vom „Antrag
auf Erteilung eines
Antragsformulars“ ging ins Gedächtnis und blieb dort als
bürokratische Nonsensparade
stecken: Ein verzweifelter Bittsteller benötigt beim Amt einen
bestimmten Wisch,
ein schreckliches Behördenformblatt, ebenso sinnfrei wie
entbehrlich. Wer dessen
Wortlaut aussprechen muss, der bekommt einen Zungenknoten. Aber
mit der Zeit lernte
man – fast ein Wunder –
auch diesen Refrain
auswendig.
Er stammt wie alles hier von Reinhard Mey. Seit Ende der
1960er-Jahre war er der
Orpheus der Liedermacher-Szene, ein musikalisch und textlich
fabelhaft origineller
Integralkünstler. Vor allem lehrte er seine Kollegen die Kunst der
Beherrschung.
Bei aller Volkstümlichkeit blieb er auch beim „Antrag auf
Erteilung“ immer kontrolliert,
wenn er die Kaskade der Verzweiflung des Bürgers bis zu deren
heiterer finaler Verpuffung
vortrug. Während sein Publikum unter den Stühlen lag – bei Mey verstand man jedes Wort
–, blieb der Sänger der Inbegriff der Kühle. Zugleich war
er ein netter,
sympathischer Typ, keine Spur blasiert. Es gab damals
Glaubenskriege, ob Stephan
Sulke euphorisierender war, Konstantin Wecker drastischer, Hannes
Wader politischer,
Wolf Biermann radikaler. Doch an Reinhard Mey kam man nicht
vorbei, er füllte die
Mitte Deutschlands aus, und er tat es mit Bravour. Und selbst wenn
ihm hin und wieder
Allgemeinplätze aufs Reißbrett der Wort- und Themenfindung
gerieten, so war er doch
der Großmeister seiner Kunstform. In etlichen Liedern bewies er
es.
Ein Werk allerdings hat Reinhard Mey für die Unsterblichkeit
komponiert: „Über den
Wolken“. Vor 50 Jahren, im August 1974, kam es zum ersten Mal als
Single heraus,
einen Platz fand es zudem auf einer Langspielplatte unter dem
Titel „Wie vor Jahr
und Tag“. Bald eroberte es die Welt, Mey textete eine französische
Version („Au-dessus
des nuages“) und organisierte eine auf Niederländisch, alle
summten es, grölen ließ
es sich nicht. Es erzeugte Sehnsucht, Wehmut und sogar Andacht,
denn es ging um
ein erhabenes Ziel, das vielen Menschen das wichtigste war und
ist: Freiheit. Und
wer hat diese Freiheit, wenn nicht ein Pilot, der mit einem
Flugzeug die Wolkendecke
durchdringt? Die Toten Hosen fanden Lied und Inhalt so wichtig,
dass sie den Freiheitsgedanken
später in „Unter den Wolken“ aufgriffen.
Dabei startet das Lied ungewöhnlich technisch – mit einer
Windangabe und einer navigatorischen
Positionsbestimmung: „Wind Nord-Ost, Startbahn null-drei“. Das
erinnert an große
Romane, die ebenfalls mit Wind, Wetter und Luftdruck beginnen,
etwa Robert Musils
„Der Mann ohne Eigenschaften“ oder „Zwillingssterne“ von Michel
Tournier. Doch während
sich dort die Welt in ihren klimatischen Phänomenen abbildet, ist
die erste Zeile
von Meys Lied der Anker, der die Fantasie für wenige Sekunden an
einen Ort bindet:
den Flughafen. Dort startet „sie“, die ungenannte, aber von allen
Hörern geahnte
Maschine, sie lärmt, ihre Motoren sind unüberhörbar, „wie ein
Pfeil zieht sie vorbei“.
Und auf allen Flughäfen der Welt ist das Faszinosum das gleiche –
der Moment, da
„sie abhebt und sie schwebt, der Sonne entgegen“.
Erde und Anziehungskraft, Metaphysik und Luftgewinn – das sind die
Pole dieses Lieds,
die einander magnetisch bedingen. Ohne „nassen Asphalt“ und Regen,
der „wie ein
Schleier staubt“, gibt es keine wahrnehmbare Beschleunigung, ohne
Flughöhe keine
spätere Landung. In diesen sich öffnenden, doch recht konstanten
Raum dringt der
Hörer vor, und die Musik verschafft ihm dabei eine sehr simple,
doch wirkungsvolle
Stütze.
Die Harmonien wiederholen sich nämlich immerzu, in allen Strophen
und im Refrain:
G-Dur, a-Moll, D-Dur, G-Dur. Das ist eine typische Kadenz: Tonika,
Subdominante
(hier vertreten durch die parallele Molltonart), Dominante,
Tonika. Erst in der
vorletzten Zeile kommt die Tonart, auf die wir die ganze Zeit
schon warten: C-Dur,
und zwar bei „würde was uns groß und wichtig erscheint“. Man nimmt
Platz in dieser
Tonart wie in einem First-Class-Sessel, doch muss man gleich
wieder zurück in die
harmonische Holzklasse. Dort hat man die rechte Demut, um in den
Genuss der Freiheit
zu kommen – vor allem,
wenn der Flieger endlich
am Gate des Zielflughafens andockt und die Passagiere aussteigen
dürfen.
Mey hat sich den Traum des Fliegens selbst erfüllt. Der 1942 in
Berlin geborene
Künstler war ein typisches Tegel-Kind: am Rand dieses Flughafens
im Norden Berlins
stehen und den Maschinen zuschauen. Schon damals, bei seinen
Besuchen am Zaun, hatte
er ein Gefühl von Fernweh. Er träumte davon, selbst ein Flugzeug
zu steuern. Im
beengten Berliner Luftraum während des Kalten Kriegs war eine
Flugausbildung jedoch
unmöglich. Auf einer Konzertreise lernte er einen Piloten aus
Norddeutschland kennen,
der ihm den Flugplatz Wilhelmshaven-Mariensiel nahebrachte. Dort
ließ Mey fliegerische
Taten folgen. Wie es heißt, hat er während der Ausbildungszeit
auch am Flugplatz
gewohnt. Diese Impressionen flossen in sein Lied ein. Er blieb
lebenslang beim kleinen
Fluggerät; das größte, das er selbst flog, war eine zweimotorige
Cessna 340A mit
sechs Sitzen.
Mey war ein Perfektionist, das hatte für sein Publikum sein Gutes:
Es bekam den
Künstler stets mit dem Instrument zu hören, das er glänzend
beherrschte – seine
Gitarre. Zwar hat man seine Lieder bereits
in allen möglichen Versionen gehört, sogar einmal mit neuem Text
in der „Sesamstraße“,
im hinreißenden Terzett mit Ernie und Bert. Doch mit Gitarre und
unplugged, wie
man heute sagt, war Mey ganz bei sich. Die Saiten des Instruments
waren das Trampolin,
das federte und Luftsprünge auslöste, es pickte den Rhythmus in
den Klang und gab
den Künstler als reisenden, mobilen Gesellen zu erkennen, der sich
auch schnell
wieder vom Acker machen konnte, wenn es ihm zu ungemütlich wurde.
Tatsächlich ist
gerade Meys Gitarre das ikonische Instrument der Freiheit – leicht zu stimmen, relativ
wenig verwüstlich
und gut zu transportieren. Vor allem in einer Cessna 340A.
Der Freiheitsgedanke, den es äußert, hat dem Lied eine
beispiellose Karriere beschert.
Filmregisseur Christian Petzold nannte es „das einzige gute
deutsche Volkslied“,
tatsächlich gehört es in eine Reihe mit „Die Gedanken sind frei“.
Auch in der DDR
wurde „Über den Wolken“ aufmerksam und inbrünstig gehört, nicht
wenige dort stellten
sich vor, selbst die Freiheit zu suchen und zu fliehen, und
setzten es mit Helfern
um. Manche starben dabei. Und wurden zu jenem abstürzenden Ikarus,
den Mey selbst
besungen hatte.
Überhaupt ist sein Lied „Ikarus“ gleichsam der Zwilling von „Über
den Wolken“, vor
allem, weil es fast genauer erklärt, warum Mey die
Flugleidenschaft umtrieb und
er so gern abhob: „Vielleicht, um über alle Grenzen zu geh’n /
Vielleicht, um über
den Horizont hinaus zu seh’n / Und vielleicht, um wie Ikarus / Aus
Gefangenschaft
zu flieh’n.“ Dieses „Ikarus“ ist ein nicht minder ergreifendes,
womöglich sogar
das stärkere Lied, dabei hat es nicht einmal einen
Wikipedia-Eintrag. Sein musikalischer
Höhepunkt im Refrain ist der höchste Ton des Lieds, natürlich auf
dem Wort „Ikarus“.
In solchen Details war Mey ein Artist alter Schule.
Dabei hat auch „Über den Wolken“ etliche Pointen, die schönste ist
das Reimpaar
der letzten Strophe. Dort heißt es: „Dann ist alles still, ich
geh, / Regen durchdringt
meine Jacke. / Irgendjemand kocht Kaffee / In der
Luftaufsichtsbaracke.“ Für diese
kleine lautmalerische Sensation allein, kombiniert mit einer
Wortneuschöpfung, muss
man dieses Lied lieben. Und die Baracke von Wilhelmshaven gibt es
noch heute. Am
Jade-Weser-Airport, wie der Flugplatz heute heißt, sind alle stolz
darauf. Jetzt
hat die dortige Motorfluggruppe den Winzlingsbau in Beschlag
genommen.
Als Flieger musste einer wie Mey natürlich die Physik der
Atmosphäre beherrschen.
Sein Lied „Weil ich ein Meteorologe bin“ packte das Thema
allerdings von der ironischen
Seite an. Er wusste nur zu gut, dass sich das Wetter alle paar
Stunden ändern kann.
Für die französische Version von „Über den Wolken“ drehte er dann
auch den Beginn:
„Vent sud-ouest, piste vingt-trois“ (also: Wind Süd-West,
Startbahn zwo-drei). Hauptsache,
die Motoren gehen an, die Luft flirrt – und
kleine und große Jungs stehen am Zaun und murmeln die letzte
Zeile: „Ich wär gern
mitgeflogen.“
INFO
Noten im Internet
Jubiläumsbuch „Über den Wolken. Eine Liebeserklärung an Reinhard
Mey“ heißt ein
flammneues, entzückendes Buch von Oliver Wurm und Thilo
Komma-Pöllath, das auch
die fliegerischen Anfänge von Mey in Wilhelmshaven schildert. Es
hat 100 Seiten,
kostet zwölf Euro und ist zu beziehen über: www.fussballgold.de
Noten Mey hat alle Lieder mit Noten und Harmonien ins Internet
gestellt: reinhard-mey.de/noten