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2024/03/15 10:39:31
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Wie ein Deutscher Südfrankrei ch (er)lebt
Datum 2024/03/15 11:10:35
Stefan Reuter via Regionalforum-Saar
Re: [Regionalforum-Saar] Wie ein Deutscher Südfrankrei ch (er)lebt
2024/03/27 10:32:55
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Gestern abend in Saarbrücken- Scheidt: Das Grabtuch von Turin
Betreff 2024/03/21 13:13:22
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Hannah Arendt. Die Biografie
2024/03/15 10:39:31
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Wie ein Deutscher Südfrankrei ch (er)lebt
Autor 2024/03/18 17:14:56
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Vortrag "Lauter einfache Leute - über das Leben von Dienstboten, Tagwerkern und Wanderha ndwerkern"

[Regionalforum-Saar] Grewenig gegen Tholey, yter Teil

Date: 2024/03/15 10:44:36
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Heute in der Saarbrücker Zeitung, Saarlandteil

Wegducken löst unsere Zukunftsfragen nicht
Von Meinrad Maria Grewenig

530 große christliche Kirchen bestimmen mit ihrer Architektur die Städte und Gemeinden des Saarlandes und sind deren städtebauliche Fixpunkte. 390 Kirchengebäude sind katholisch und 140 evangelisch. Rechnerisch besitzt jede der 53 eigenständigen Kommunen im Land zehn Gotteshäuser. Hinzu kommen die Synagoge in Saarbrücken, die Moschee in Sulzbach und die Reihe von Kapellen und kirchlichen Versammlungsräumen.

Ihre faszinierenden Innenräume verweisen in eine andere Welt. Die meisten dieser Kirchen entstanden in dem prosperierenden Zeitabschnitt des industriellen Aufbruchs des Saarlandes in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn und nach der Mitte des 20. Jahrhunderts. Das Aussehen dieser Gotteshäuser orientierte sich überwiegend am Erscheinungsbild mittelalterlicher Kirchengebäude.

In den letzten Jahren rückte die Abteikirche Tholey in den Fokus der Öffentlichkeit. Externes großherziges Stiftertum hat dort durch die Generalsanierung Außerordentliches geleistet. Gekrönt wurde das Projekt durch die drei Chorfenster von Gerhard Richter, die mithalfen, die Abtei Tholey ins Zentrum der Weltöffentlichkeit zu katapultieren. Diese besondere Verbindung von vergangener Gedankenwelt mit aktueller zeitgenössischer Kunst eröffnet als Zukunftsprojekt gewaltige Chancen. Würde dieses Unterfangen mit geistlichem Leben erfüllt werden, wäre das ein Königsweg in die Zukunft.

Vor gut 2000 Jahren entstand im Abendland die Vorstellung, dass sich über der täglichen Welt, in der sich viele Götter tummelten, eine einzige überweltliche Instanz des Göttlichen besteht. In Mitteleuropa ereignete sich eine Christianisierung von unvorstellbarem Ausmaß. Der Glaube an den einen Christengott entwickelte sich zur Weltreligion. Man setzte die Koordinaten der Zeit neu und begann mit dem Jahr null.

Es etablierte sich eine Weltordnung, die von Gottes Gnaden abgeleitet war. Es entstanden heilige Räume und heilige Festtage mit heiligen Gefäßen. Heiligmäßige Männer wirkten als Priester, Ordensleute, Bischöfe, Kardinäle und Päpste. Erzbischöfe bestimmten als Kurfürsten die Geschicke des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nahezu 1500 Jahre. Sie wählten den Deutschen Kaiser und verkörperten „Staatsmacht“.

Die Französische Revolution setzte um 1800 mit ihrem Schlachtruf nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit im Schulterschluss mit dem Rationalismus neue Grundlagen und stellte die bestehende Weltordnung radikal auf den Kopf. Kirchen wurden zu Lagerhäusern, Ställen oder Tempeln der Vernunft. Staatsgewalt sollte fortan nicht mehr von der Gnade Gottes abhängig sein, sondern fanden ihre Legitimation in der Demokratie, die vom Volke ausging, und in Regierungen, die von ihm gewählt wurden.

Die Französische Revolution beendete durch die Gewaltenteilung und die Trennung von Kirche und Staat scheinbar diese über viele Jahrhunderte wirkende Verknüpfung des Heiligen mit der Staatsmacht. Gleichzeitig führte die Industriekulturzeit mit ihrer Explosion von Innovationen in Europa zum größten Wohlstand der Menschheit in der Geschichte.

Dieser epochale Einschnitt beendet nicht die Sehnsucht der Menschen nach dem Heiligen. Durch die Verlagerung in die Welt des Persönlichen tritt das genaue Gegenteil ein – auch im Saarland. Die neue wirtschaftliche Kraft führt zu einem unvorstellbaren Bauboom in der Errichtung sakraler Gebäude und Gotteshäusern und einer Renaissance des christlichen Glaubens. Meist waren bürgerliche Kirchbauvereine ihre Wurzel.

Die Machtfantasien der Kleriker mit ihrer „absoluten Kirchenregierung“ retten sich in den Bistümern und Kirchenprovinzen über die Zeit. Sie werden heute zum Auslöser eines Erosionsprozesses, der den Kirchen das finanzielle und spirituelle Fundament entzieht.

Die Kirchenaustritte haben in Deutschland ein einsames Rekordniveau erreicht. Dieser Absturz hat im Innersten der Glaubensgemeinschaften seinen Ursprung. Kirchenmänner haben bewusst und zum persönlichen Nutzen sexuellen und geistlichen Missbrauch betrieben. Sie zerstörten damit den Markenkern des Heiligen.

Die christlichen Kirchen sind im freien Fall und finden kein Mittel zur Heilung. Statt offen diese menschenverachtenden Zustände zu sanktionieren und die Verursacher zu bestrafen, wurde bis vor kurzem Rettung nur im Leugnen und in der Vertuschung dieser Missstände gesehen.

Die menschliche Sehnsucht nach dem Heiligen oder dem Göttlichen hat den Menschen kollektiv über Jahrhunderte Hoffnung, Zuversicht und Antrieb gegeben. Dieser Drang wurde zum „größten Motor“ der Zukunftsentwicklung unserer Zivilisation. Die Ideale der Französischen Revolution wurden dadurch befördert und fanden in den Verfassungen der modernen Staaten bis hin zum Grundgesetz der Bundesrepublik Verwirklichung.

Der renommierte Religionssoziologe Detlef Pollack hat gezeigt, dass auch in nicht christlich sozialisierten Ländern wie der ehemaligen DDR und Tschechien diese Sehnsucht nach dem Heiligen die Menschen antreibt.

Aktuell steuern Mitteleuropa und die Welt mit unvorstellbarer Konsequenz und Geschwindigkeit auf globale Katastrophen zu. Neue aufbrechende Kriegsherde stellen die internationale Friedensarchitektur infrage. Die Klimakrise zwingt uns zu radikalem Umdenken. Nationalistische Tendenzen und der damit verbundene politische Rechtsruck führen die Vorstellung eines vielgestaltigen Lebens ad absurdum. Unsere Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein.

Wir sind mitten in der gewaltigsten Umbruchphase der Gegenwart. Es ist dringend geboten, dass die Menschheit ihren übergeordneten moralischen Kompass und ihre Sehnsucht nach dem Heiligen neu ausrichten. Ein ikonischer Kulturort wie die „Abtei Tholey“ mit der Weltkunst von Gerhard Richter könnte mit einem professionellen Besucherkonzept, das viele Menschen berührt, dazu sehr Beachtliches beitragen. Den Mönchen erwuchs durch die Runderneuerung ihres Klosters eine Generalverpflichtung. Diese sollten sie annehmen und das versprochene geistliche Zentrum einrichten und betreiben. Sich wegducken, löst unsere Zukunftsfragen nicht.