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2022/12/05 09:01:58 Roland Geiger via Regionalforum-Saar Re: [Regionalforum-Saar] „Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler“ |
Datum | 2022/12/07 22:38:06 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] „Cuno von Pfullingen – Ein Tholeyer Heiliger“ |
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2022/12/04 22:48:50 Stephan Molitor via Regionalforum-Saar Re: [Regionalforum-Saar] „Wochenblatt für d ie Kreise St. Wendel und Ottweiler“ |
Betreff | 2022/12/17 15:26:05 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Der Ausundeinwanderer |
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2022/12/05 09:01:58 Roland Geiger via Regionalforum-Saar Re: [Regionalforum-Saar] „Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler“ |
Autor | 2022/12/07 22:38:06 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] „Cuno von Pfullingen – Ein Tholeyer Heiliger“ |
Date: 2022/12/06 18:42:00
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
B. Lahusen: „Der Dienstbetrieb ist nicht
gestört“
Autor Benjamin Lahusen,
Erschienen München 2022: C.H.
Beck Verlag
Anzahl Seiten 384 S.
Preis € 34,00
ISBN 978-3-406-79026-3
Inhalt meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-76298.pdf
Rezensiert für H-Soz-Kult von Annette Weinke, Historisches
Institut,
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Spätestens seit dem Historikerstreit 1986/87 rückte das
schillernde Konzept der
„Normalität“ auch hierzulande in den Blickpunkt
gesellschaftsgeschichtlicher
Debatten über eine Historisierung der Geschichte und
Nachgeschichte des
Nationalsozialismus. Einen wichtigen Anstoß dafür lieferte Detlev
J.K. Peukerts
Aufsatz Alltag und Barbarei, ein inzwischen kanonisch gewordener
Text von 1987,
der die Alltagserfahrungen von Normalität im „Dritten Reich“ und
die
Kontinuitäten deutscher Normalitätsdiskurse nach 1945 zu
interpretieren
versuchte.[1] In der Rechtsgeschichte
wurde der Begriff
erstmals Anfang der 1990er-Jahre aufgegriffen. So konnte ein Team
um den
Berliner Strafrechtler Klaus Marxen am Beispiel von Urteilen des
Volksgerichtshofs zeigen, dass die Verschränkung von Terror und
Normalität
nicht nur bis zum Schluss ein konstitutives Merkmal juristischer
Darstellungs-
und Argumentationstechniken blieb, sondern dass damit für die
beteiligten
Juristen auch stark selbstentlastende Effekte verbunden waren.[2]
Benjamin Lahusens Studie zur Normalität der ordentlichen
Gerichtsbarkeit im
„Dritten Reich“ und während der alliierten Besatzungszeit, die
überarbeitete
Fassung seiner juristischen Habilitationsschrift, knüpft an diese
frühen
Arbeiten an, wählt jedoch einen anderen methodischen Zugang und
thematischen
Fokus. Statt danach zu fragen, wie die Weimarer Justiz eigentlich
den Sprung in
das Zeitalter von Ernst Fraenkels „Doppelstaat“ schaffte,
betrachtet Lahusen
die Entwicklungen zwischen 1943 und 1948. Ausgangspunkt der
Untersuchung ist
das Spannungsverhältnis zwischen dem Justitium, so der Fachbegriff
für den
erzwungenen „Stillstand der Rechtspflege“, und den vielfältigen
Bemühungen der
Justiz zur Aufrechterhaltung eines scheinbar „normalen“
Geschäftsbetriebs im
Schatten der Gewalt. Vermessen wird also einerseits eine zeitliche
und
politisch-geografische Zone, die für große Teile des deutschen
Juristenstands
eine Phase des Umbruchs und der (Selbst-)Verwandlung darstellte.
Andererseits
soll unter dem Stichwort „Von Stalingrad zur Währungsreform“[3] ein älteres Paradigma der
NS-Forschung
und der Sonderwegs-Debatten für eine Zeitgeschichte des Rechts
fruchtbar
gemacht werden. Dabei geht der Autor von der
diskussionsbedürftigen These aus,
die auch juristisch vorangetriebene Entrechtung großer
Bevölkerungsgruppen sei
während der letzten beiden Kriegsjahre bereits abgeschlossen
gewesen (S. 33),
während das Entstehen neuer, teilweise antagonistischer
Ordnungssysteme erst
ansatzweise ausgebildet war. Als Grundlage der Untersuchung dienen
vor allem
Gerichtsakten, die Lahusen in Deutschland, Polen, Belgien, Israel
und den
Niederlanden ausgewertet hat.
Wie die jüngere Forschung zur Geschichte des Luftkriegs in
Deutschland gezeigt
hat, brachten die Bombardierungen einen spezifischen Modus der
staatlichen und
kommunalen Krisenbewältigung hervor, der auf verstärkte
Selbstmobilisierung und
Identifikation mit einer imaginierten „Heimatfront“ zielte. An
diesem Prozess
war auch die Justiz in entscheidender Weise beteiligt. So
schildert das erste
Kapitel unter der Überschrift „Die Freuden der Pflicht:
Dienstbetrieb im
Endkampf“, wie sich deutsche Gerichte in der letzten Kriegsphase
zu Instanzen
eines „volksgemeinschaftlichen“ Überlebenswillens aufschwangen. Um
den
Rechtspflegebetrieb trotz nicht nachlassender alliierter Angriffe
aufrechterhalten zu können, wichen die Behörden größerer und
mittelgroßer
Städte auf provisorische Ersatzquartiere aus. Teilweise geschah
dies mehrfach
in kurzen Zeitabständen. Dabei wetteiferten die
Gerichtspräsidenten förmlich
darum, das eigene Organisationstalent bei der Bewältigung der
zahllosen
kriegsbedingten Herausforderungen gegenüber dem
Reichsjustizministerium
herauszustellen. So vermeldete der Berliner Generalstaatsanwalt
nach schweren
Luftangriffen stolz, man habe, „noch in den Rauchschwaden“
stehend, in den
wenigen verbliebenen Räumen Strafverhandlungen durchgeführt (S.
62). Auch als
am 13. Februar 1945 das Dresdner Justizgebäude dem Erdboden
gleichgemacht wurde,
führte dies nicht etwa zur Einstellung des Justizbetriebs. Noch
Ende April,
also wenige Tage vor der Kapitulation, verhandelte das Amtsgericht
in einer
Mietsache. Strittig war, ob der Vermieter eines Mehrfamilienhauses
in seinem
Garten weiterhin Staudenpflanzen und einen Goldfischteich dulden
müsse (S. 70).
Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels steht „Neustadt am
Wassersturz“, eine
fiktive Gemeinde in der südwestdeutschen Provinz. Anhand von
Personalakten und
zusammengetragenen Fallgeschichten aus dem Zivil- und Strafrecht
entwirft der
Autor das Panorama einer Allerweltsjustiz und ihrer oftmals
skurrilen
Auswüchse. Danach blieb trotz „totalem Krieg“ im Grunde alles beim
Alten: Statt
heroischer Pflichterfüllung dominierten eine gewisse Behäbigkeit,
fehlende juristische
Finesse und Pragmatismus, während sich die ideologische
Selbstmobilisierung der
„Volksgemeinschaft“ in einer geradezu obsessiven Streitlust über
die Kehrwoche
erschöpfte (S. 93). In starkem Kontrast dazu steht das folgende
Kapitel, das
sich unter der Überschrift „Die Parzellierung des Todes“ mit den
Grundbuchakten
der ehemals polnischen Stadt Auschwitz befasst. Hier zeichnet
Lahusen
einfühlsam und mit detaillierter Aktenkenntnis nach, wie sich
Eigentumsfragen
seit Baubeginn eines von der IG Farben geplanten Werks zur
Herstellung
synthetischen Kautschuks zu einem Standortfaktor ersten Ranges und
einem
Politikum entwickelten. Angesichts von Investitionen, die
zweistellige
Millionenbeträge erreichten, betrachtete die Firmenleitung die
fehlende grundbuchmäßige
Erfassung der Grundstücke als rechtlich untragbaren Zustand (S.
129). Erst Ende
1943 eilte Reichsjustizminister Thierack dem bedrängten
Chemiegiganten zur
Hilfe, indem er das „rechtlose Interregnum“ kurzerhand durch die
Aufteilung des
Stadtgebiets in zwei Grundbuchbezirke beendete (S. 130).
Das vierte Kapitel ist dem scheinbar „normalen“ Lebensweg des
„Bilderbuchjuristen“ Hans Keutgen gewidmet (1912–1999), der gegen
Kriegsende
als letzter Richter des Sondergerichts Aachen amtierte. Wie viele
andere
belastete Juristen wurde er schon kurz nach dem Zusammenbruch
reaktiviert.
Obwohl nachweislich an Todesurteilen beteiligt, ließ die britische
Militärregierung den kriegsversehrten 33-Jährigen bereits im
August 1945 erneut
als Richter zu. In den 1950er-Jahren überstand er die
DDR-Braunbuchkampagne
unbeschadet, und die 1965 erhobene Strafanzeige eines
NS-Verfolgten wurde vom
Oberlandesgericht Köln ohne weitere Ermittlungen eingestellt. Und
als ob dies
nicht schon genug gewesen wäre, erhielt der frühere Sonderrichter
kurz nach
Kriegsende für eine zeitweilige Abordnung nach Bautzen und
Umgebung eine
Trennungsentschädigung von knapp 1.000 Reichsmark ausgezahlt. In
den
1970er-Jahren folgte dann ein entsprechend angepasstes Ruhegehalt
– letzteres
ein später Dank des bundesdeutschen Wohlfahrtsstaats für seine
Beamten. Das
fünfte Kapitel betrachtet die Rückzugsbewegungen der deutschen
Justiz während
der letzten Kriegsphase. Im Fokus stehen hier insbesondere die
Vergegenständlichung des Rechts sowie der Umgang mit Akten,
Gerichtsinventaren
und Büroutensilien. So verfügte das Reichsjustizministerium
angesichts der
herannahenden Frontlinien, die Akten unter allen Umständen für die
juristische
Nachwelt zu erhalten. Eine weitere Maßnahme war die Einrichtung
von Ad-hoc-Sondergerichten,
die für auf der Flucht verübte Plünderungen zuständig waren.
Im sechsten Kapitel stellt Lahusen dann nochmals klar, dass von
einem Justitium
oder einer „Stunde Null“ in Bezug auf die deutsche Justiz nicht
die Rede sein
könne. Ungeachtet der Potsdamer Beschlüsse habe sich der
Wiederaufbau der
Rechtspflege am Ende als „eine Art Wettlauf“ zwischen Ost und West
vollzogen
(S. 237). Beiden Seiten sei es in erster Linie darum gegangen, die
Funktionstüchtigkeit der Gerichte so rasch wie möglich
wiederherzustellen. Das
siebte und letzte Kapitel ist schließlich der Frage gewidmet, wie
die
Transformation der Kriegs- in eine Friedensnormalität gelang. Den
Mittelpunkt
der Untersuchung bildet das sogenannte Kriegsverfahrensrecht,
dessen
Vorschriften während des Zweiten Weltkriegs dafür gesorgt hatten,
große
Bereiche der Rechtsordnung auf den Modus der Heimatfront
umzustellen. Da es die
alliierten Siegermächte den deutschen Spruchkörpern zunächst
strikt untersagt
hatten, auch nur implizite Erklärungen zur Fortdauer oder zum Ende
des Kriegs
abzugeben, suchten sich diese mit rhetorischen Ausweichformeln zu
behelfen.
Erst als sich im Juli 1952 Bundestag und Bundesrat nach
langwierigen Beratungen
auf das sogenannte Zuständigkeitsergänzungsgesetz geeinigt hatten,
wurde es den
Gerichten ermöglicht, die de facto eingetretene Beendigung des
Kriegszustands
juristisch in den Griff zu bekommen, ohne damit alliierte
Vorbehaltsrechte
herauszufordern.
Es war das Interesse an diesem unscheinbaren, 2006 fast
vergessenen Gesetz, das
den Autor ursprünglich dazu bewog, sich näher mit den
normalisierenden
Funktionen der ordentlichen Justiz und deren Rolle in der
Übergangsphase von
Krieg und Frieden zu beschäftigen. Auch wenn nicht alle Befunde
der Studie
überraschen, bekräftigt sie grundsätzlich den Wert
alltagsgeschichtlicher,
mikrohistorischer und epochenübergreifender Perspektiven auf den
Nationalsozialismus und dessen Nachleben, wie sie sich seit
einigen Jahren in
der Forschung immer mehr durchgesetzt haben. Zudem wirft das Buch
ein Licht auf
die verqueren Binnenlogiken und Selbstrechtfertigungsstrategien
eines
Justizsystems, das inmitten allgemeiner Agonie und Auflösung an
den bewährten
Formeln Autorität, Berechenbarkeit und Stabilität festzuhalten
suchte.
Angesichts der Tatsache, dass dies in packender, höchst
anschaulicher Weise
geschieht, war der erste Platz auf der Sachbuch-Bestenliste vom
September 2022
völlig berechtigt.[4]
Auf der anderen Seite gibt die Publikation Anlass, noch einmal
intensiver über
den epistemischen Nutzen des Normalitäts-Konzepts und dessen
Grenzen nachzudenken.
Abgesehen davon, dass es sich um eine Erzählung „von oben“
handelt, die zum
Teil standardisierte Selbstbilder und Selbstmythologisierungen der
deutschen
Justizeliten reproduziert[5], verbleibt die
Untersuchung fast
ausschließlich in einem nationalgeschichtlichen Rahmen. Zu fragen
wäre daher,
ob und wie sich das gezeichnete Bild einer vermeintlich
selbstgenügsamen,
Stabilität suggerierenden Justiz verändert hätte, hätte sich der
Autor dafür
entschieden, den Einfluss deutscher Rechtspolitik und
Rechtsprechung in den
besetzten Ländern sowie die Interaktion mit nichtjuristischen
deutschen und ausländischen
Akteuren stärker zu berücksichtigen. Zu vermuten ist auch, dass
eine
intensivere Beschäftigung mit den alliierten Reformdiskussionen
zum deutschen
Rechtswesen und mit vergleichbaren Bestrebungen gegenüber Japan zu
einer
differenzierteren Bewertung geführt hätte.[6] Und schließlich lädt
Benjamin Lahusens
anregende Studie auch dazu ein, sich in Anlehnung an
konzeptionelle
Diskussionen, die unter anderem von Michael Wildt und Bernhard
Gotto
vorangetrieben wurden, kritisch mit der analytischen Tragfähigkeit
von
„Normalität“ als Transformationsbegriff und dynamischem Konzept
auseinanderzusetzen. Denn nur so lässt sich verstehen, warum
Justiz und
Verwaltung sogar nach den ordnungspolitischen Umbrüchen an dem
Normalitätsdiskurs festhielten, obwohl sich die ihm zugrunde
liegenden Werte
und Bezugspunkte doch grundlegend und irreversibel verändert
hatten.
Anmerkungen:
[1] Detlev J.K. Peukert, Alltag
und Barbarei.
Zur Normalität des Dritten Reiches, in: Dan Diner (Hrsg.), Ist der
Nationalsozialismus Geschichte? Zu Historisierung und
Historikerstreit,
Frankfurt am Main 1987, S. 51–61.
[2] Klaus Marxen, Einführung, in:
ders. / Holger
Schlüter, Terror und „Normalität“. Urteile des
nationalsozialistischen
Volksgerichtshofs 1934–1945, Düsseldorf 2004, S. 1–7.
[3] Martin Broszat /
Klaus-Dietmar Henke / Hans
Woller (Hrsg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur
Sozialgeschichte des Umbruchs
in Deutschland, München 1988, 3. Aufl. 1990.
[4] Siehe https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article240708627/Sachbuecher-des-Monats-WELT-Bestenliste-fuer-September-2022.html
(22.11.2022).
[5] Die sich hartnäckig haltende
Opferlegende
vom „großen Sterben am Reichsgericht“ (August Schäfer, Deutsche
Richterzeitung
1957), die Lahusen übernimmt (S. 236), kann inzwischen als
widerlegt gelten.
Aus internen Korrespondenzen des BGH-Richters Walther Uppenkamp,
Anfang der
1950er-Jahre Sprecher einer Vereinigung ehemaliger
Reichsgerichtsräte, geht
hervor, dass diese Gruppe immerhin an die 70 Personen umfasste;
diese
Information verdanke ich Prof. Dr. Michael Kißener (Mainz),
Ko-Leiter eines
Forschungsprojekts zur Geschichte des Bundesgerichtshofs.
[6] Vgl. dazu R.W. Kostal, Laying
Down the Law.
The American Legal Revolutions in Occupied Germany and Japan,
Cambridge, Mass.
2019.
Zitation
Annette Weinke: Rezension zu: Lahusen, Benjamin: „Der
Dienstbetrieb ist nicht
gestört“. Die Deutschen und ihre Justiz 1943–1948. München 2022: ISBN 978-3-406-79026-3, , In: H-Soz-Kult,
07.12.2022, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-118136>.