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2022/11/06 19:25:45 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] unverhofft |
Datum | 2022/11/10 20:25:16 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Erstürmung einer mittelalterl ichen Stadt |
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2022/11/04 10:15:45 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Die Richter-Fenster von Tholey |
Betreff | 2022/11/10 20:25:16 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Erstürmung einer mittelalterl ichen Stadt |
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2022/11/06 19:25:45 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] unverhofft |
Autor | 2022/11/10 20:25:16 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Erstürmung einer mittelalterl ichen Stadt |
Date: 2022/11/07 18:00:26
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Durch Schönheit zur Freiheit. Die Welt von
Weimar-Jena um
1800
Autor(en) Schmidt, Georg
Erschienen München 2022: C.H.
Beck Verlag
Anzahl Seiten 384 S.
Preis € 29,95
ISBN 978-3-406-78556-6
Rezensiert für H-Soz-Kult von Wolfgang Burgdorf, Historisches
Seminar,
Ludwig-Maximilians-Universität München
1776 riefen die Sklavenhalter Virginias immer lauter nach Freiheit
von der
Tyrannei des englischen Königs. Auf ihre Freiheit, Sklaven zu
halten, wollten
sie jedoch nicht verzichten. 1787 begrüßt der zügellose Edelmann
Don Giovanni
die neu ankommenden Ballgäste: „Hoch leb' die Freiheit hier!“
Donna Anna, Donna
Elvira, Don Ottavio und Leporello antworten: „Hoch leb' die
Freiheit“. Don
Giovanni meint damit, Sex mit jeder haben zu können, egal ob
verheiratet oder
sehr jung, auch um den Preis eines Mordes. Die Hinzukommenden
meinen jedoch die
Freiheit vor sexuellen Übergriffen, Vergewaltigung und tödlicher
Gewalt.
Unreglementierte Freiheit schien auch den Weimarer Klassikern
bedenklich. „Wenn
sich die Völker selbst befrein; / Da kann die Wohlfahrt nicht
gedeihn“ dichtete
Schiller 1799 im „Lied von der Glocke“. Der Freiheitsdiskurs der
Weimarer
Klassiker und Jenaer Romantiker ist das Thema der neuen
Publikation von Georg
Schmidt. Sie schildert, was sich zwischen der Ankunft Wielands
1772 und dem
Tode Goethes 1832 in Weimar vorfiel vor dem Hintergrund der
Ereignisse in
Deutschland und Europa. Wobei Prolog und Epilog, „Freiheit und
Schönheit“ und
der „Geist von Weimar“ die Darstellung rahmen. Im Mittelpunkt
stehen die
begnadeten Schriftsteller, welche die Regentin Anna Amalia und ihr
Sohn Herzog
Carl August an ihren Weimarer Hof und an die Universität Jena
zogen. Das Ziel
der Klassiker war letztlich ein humanitäres Weltbürgertum, zu
bewirken durch
die „ästhetische Erziehung des Menschen“. Den Widerspruch zwischen
Populismus
als stete Gefahr der Demokratie und der Kunst formulierte Goethe
1822: Die
Nation wurde „irregemacht durch Menschen, mit denen ich nicht
rechten will. Sie
stellen sich der Masse gleich, um sie zu beherrschen; sie
begünstigen das
Gemeine, als ihnen selbst gemäß, und alles Höhere ward als
anmaßend verworfen“.[1] Dieses Anbiedern
skrupelloser Politiker
oder auch Kulturunternehmer an die gemeine Masse ist ein sich
radikalisierender
reziproker Prozess.
Georg Schmidt, seit 1993 Professor für Geschichte der Frühen
Neuzeit in Jena,
ist ein Experte für die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges und
des
frühneuzeitlichen Reiches. Von ihm stammt das teilweise auf einem
verbreiteten
Quellenbegriff zurückgehende, vieldiskutierte
analytisch-deskriptive Theorem
des komplementären Reichsstaats. Es beschreibt, dass
Reichskonstitution und
Nation für die Zeitgenossen aufeinander bezogen waren. Das Reich
wird als ein
komplexes, teils föderales, teils hierarchisches,
multikonfessionelles
Mehrebenengemeinwesen gezeichnet. Zudem war Schmidt von Juli 1998
als
Teilprojektleiter und Vorstandsmitglied und von Juli 2006 bis Juni
2007
Sprecher des SFB 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“. Dies
war einer der
erfolgreichsten Sonderforschungsbereiche, weil er zeitlich und
räumlich klar
umrissen war und somit für die Teilnehmenden viele Synergieeffekte
ermöglichte,
was SFBs, die nur durch wage Oberbegriffe definiert sind, nicht
leisten.
Hiervon profitiert Schmidts jüngste Publikation.
Gegliedert ist das Opus in sechs große Kapitel: „I. Weimar – die
Voraussetzungen“, „II. Sachsen-Weimar-Eisenach – Regieren und
Dilettieren“.
Hier wird die 6000 Seelen umfassende Ackerbürger- und
Residenzstadt
geschildert, in deren Mitte seit 1774 die Brandruine des Schlosses
stand.
Weimar war überschuldet und die Bewohner sahen das zunehmende
Geniewesen eher
kritisch. Kosteten die Schöngeister doch Geld, während der Nutzen
zunächst nicht
absehbar war. Ein zeitgenössischer Reiseschriftsteller urteilte
knapp: „Der Ort
ist tot“ (S. 60). In der Tat verstarben 43 Prozent der
Neugeborenen im ersten
Lebensjahrzehnt (S. 62). Aber dennoch etablierte sich am
Witwensitz Anna
Amalias ein Musenhof. Das III. Kapitel behandelt das Geistesleben
in dem
ungefähr 4000 Einwohner und ca. 350 Studenten, zunächst
überwiegend aus der
näheren Umgebung, umfassende Jena. Hier geht es um zukunftweisende
Universitätsreformen bzw. Goethes Neuausrichtungen, Bertuchs
Wirtschaftsimperium
und das Wirken Schillers. „Im Schatten der Französischen
Revolution und der
Koalitionskriege machte Weimar-Jena als Literatur-,
Wissenschafts-, Bildungs-
und Medizinzentrum Furore“ (S. 111). Das lag auch an der langen
Friedenszeit in
der sogenannten „norddeutschen Neutralität“ während Europa vom
Krieg verheert
wurde. Die Studenten konnten sich einiges erlauben, denn die Stadt
lebte von
ihnen. Goethe, die Regierung und der Herzog meinten: „Die Angst
vor der
Revolution durfte nicht dazu führen, dass die Gegenmaßnahmen das
bewirkten, was
sie eigentlich verhindern sollten“ (S. 146). Fichte jedoch musste
gehen.
„Die Doppelstadt – das Ereignis Weimar-Jena“ ist das IV. Kapitel
überschrieben.
„Die Hoffnung war, dass Künste, Literatur und Wissenschaften mit
ihrem Anspruch
des Wahren, Guten und Schönen die Impulse setzen konnten, die zu
Harmonie und
Frieden führten“ (S. 167). Man erwartete also von der neuen
Kunstreligion, an
der griechischen Klassik orientiert, was die christlichen
Religionen nicht geleistet
hatten. Goethes „Freundschaftspakt mit Schiller war der Sprung auf
ein höheres
Level; er machte aus dem Weimarer Musenidyll das Ereignis
Weimar-Jena“ (S.
171). Der Frieden führte zur Ansiedlung französischer Emigranten
und
Engländern. „Die Romantiker lehnten die liberalen Vorstellungen
von
Individualität, kritischer Vernunft und Menschenrechten nicht ab,
wollten
jedoch den Staat in Einklang mit der organischen Natur bringen und
Despotismus
durch plurale Herrschaftsformen ausschließen“ (S. 207).
Das V. Kapitel „Neue Konstellationen – alte Illusionen“ behandelt
die
politischen Umgestaltungen in Deutschland. Besonders in Schillers
später
„Deutsche Größe“ benannten Gedichtfragment wird deutlich, es ging
nicht um die
Errichtung eines Machtstaats, sondern um die Vision
geistig-kultureller
Herrschaft (S. 230) und damit um eine universelle Mission. Diese
Vision teilten
Klassiker und Romantiker. Für Madame de Staël galt Weimar 1803 als
„capitale
littéraire de l´Allemagne“ (S. 238). Doch mit Herders und
Schillers Tod im
Dezember 1803 und Mai 1805 beginnt die „Klassikdämmerung“. Sie
wurde
beschleunigt durch die Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt am
14. Oktober
1806. Es folgen Goethes Vorstellung von der deutschen Nation,
Rheinbund und
Befreiungskriege sowie Goethes politisches Vermächtnis.
Das letzte Kapitel behandelt die „Arbeiten am Mythos“,
Großherzogtum und
Pressefreiheit, das Wartburgfest als Fanal, das Weimarer Monument.
Es ließe
sich auch von der Musealisierung des Mythos sprechen. Abschließend
wird die
Reichsoption in Faust II behandelt. Der Mythos der Politikferne
der Klassiker
ist geschichtsklitternd. Goethe arbeitete als Minister im Zentrum
von Regierung
und Verwaltung des Herzogtums; zeitweise war er auch für Finanzen,
Militär,
Straßenbau und Bergbau zuständig, zudem für Kultur und
Wissenschaftspolitik als
Theaterleiter und Zuständiger für Bibliotheken, Sammlungen und die
Jenaer
Universität. Herder war als Superintendent und Hofprediger für die
Staatskirche
und das Elementarschulwesen verantwortlich, Wieland war
Prinzenerzieher und
wichtiger Kulturunternehmer, Schiller, wie Hegel und Fichte
zeitweilig
Professor in Jena, war ihnen eng verbunden. Sie waren nicht fern
der Politik,
sondern bildeten mit ihr Zentrum. Sie wussten wie mühselig
Regierungshandeln,
Interessenausgleich und wie arg begrenzt Handlungsspielräume
waren.
Georg Schmidts Fazit schließt Goethe und Schiller an: „Freiheit
ist ein
wichtiges Gut, benötigt aber Regeln, um nicht durch bloße Egoismen
die
Gesellschaft zu entzweien“ (S. 273). Eine uneingeschränkte
Freiheit, wie sie
Don Giovanni forderte, zerstört das humane Zusammenleben. Das von
Schmidt
behandelte Freiheitsproblem ist noch immer hochaktuell. Darauf hat
jüngst der
Jurist und Schriftsteller Georg M. Oswald verwiesen.[2]
„Der Weltbürger war frei von ständischen, religiösen oder
kulturellen
Vorurteilen, stand über der Tagespolitik und lebte der Vernunft
und Humanität
verpflichtet – ein Individuum, das im Idealfall nirgends ein
Fremder war“ (S.
38). Durch einige Äußerungen der Klassiker mitveranlasst und durch
die
gescheiterte Revolution von 1848 verstärkt, kultivierte das
deutsche
Bildungsbürgertum im 19. und 20. Jahrhundert seine Politikferne.
Die
Vorstellung einer „geistig-kulturellen Überlegenheit“ mutierte zum
„millionenfach todbringenden Rassismus“ (S. 295). Die Aufgabe des
klassischen
Ziels des humanen Weltbürgertums, das nationalen Patriotismus
nicht ausschloss,
ermöglichte die Kulturkatastrophe des Nazismus.
Die Darstellung zeichnet sich durch die gelungene Synthese
bewundernswerter
geschichtlicher Kenntnisse und inhaltlicher Vertrautheit mit den
Werken der
Klassiker aus. Das verleiht diesem großen Werk Georg Schmidts
einen betörenden
Charme.
Anmerkungen:
[1] Goethes Werke, Bd. VIII,
München 1981, S.
522.
[2] Georg M. Oswald, Ein großes
Versprechen, in:
Ders. (Hrsg.), Das Grundgesetz. Ein literarischer Kommentar,
München 2022, S.
9–14, hier S. 11.
Zitation
Wolfgang Burgdorf: Rezension zu: Schmidt, Georg: Durch Schönheit
zur Freiheit.
Die Welt von Weimar-Jena um 1800. München 2022: ISBN 978-3-406-78556-6, , In: H-Soz-Kult,
08.11.2022, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-117096>.