Monatsdigest

[Regionalforum-Saar] 500 Jahre Belagerung der Stadt St. Wendel durch Franz von Sickingen

Date: 2022/11/01 10:10:51
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Morgen,

heute erfahre ich aus dem Info-Blatt des Vereins für Landeskunde, daß Frau Recktenwald vom Stadtarchiv St. Wendel einen weiteren Vortrag halten wird. Von ihr ist zu dem gleichen Thema letztens in der SZ ein Artikel erschienen. Leider kann ich an dem Abend nicht. Vielleicht kann an meiner Stelle am Ende des Vortrags jemand Frau Recktenwald fragen, wo das berühmt-berüchtigte Sickinger Loch genau war, warum Sickingens dabbischer Sohn überhaupt durch ein Loch in der Mauer und nicht einfach durch das obere Tor geritten ist und wer genau wann die Kugel in den Dom "geschossen" hat (ich finde aufs Verrecken den Beleg in der Kirchenrechnung nicht, und selbst im Max Müller stehts nicht drin).

Roland Geiger

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Mittwoch, 16. November 2022, 19.00 Uhr
Wo: St. Wendel

500 Jahre Belagerung der Stadt St. Wendel durch Franz von Sickingen
Der „letzte Ritter“ Franz von Sickingen belagerte im September 1522 die Stadt St. Wendel. Dieser führte eine Fehde gegen den Kurfürsten von Trier, Richard von Greiffenklau zu Vollrads, zu dessen Kurfürstentum auch St. Wendel gehörte.

Der Vortrag beleuchtet den historischen Hintergrund der Fehde, die Person Sickingens und die Stadt St. Wendel zur Zeit der Ereignisse.

Franz von Sickingen sah seine Fehden als Geschäftsmodell. Von ihm aufgestellte Truppen zogen unter seiner Führung gegen eigene Gegner und gegen Bezahlung für andere in kriegerische Auseinandersetzungen. So stand er im Dienst des französischen Königs und deutscher Kaiser und wurde zweimal mit der Reichsacht belegt.

Anmeldung und Auskunft bei:
Kreisstadt St. Wendel
Amt für Kultur, Bildung und Stadtmarketing
Stadtarchiv
Andrea Recktenwald
Am Fruchtmarkt 1
66606 St. Wendel
Tel +49 6851 809-1467
Fax +49 6851 809-2498



Re: [Regionalforum-Saar] 500 Jahre Belagerung der Stadt St. Wendel durch Franz von Sickingen

Date: 2022/11/01 10:28:14
From: Friedrich.Denne(a)t-online.de <Friedrich.Denne(a)t-online.de>

Guten morgen Roland.
Ich war der Meinung, Dir wäre die Veranstaltung bekannt.

Gruß Fritz




Gesendet mit der Telekom Mail App


--- Original-Nachricht ---
Von: Roland Geiger via Regionalforum-Saar
Betreff: [Regionalforum-Saar] 500 Jahre Belagerung der Stadt St. Wendel durch Franz von Sickingen
Datum: 01. November 2022, 10:10
An: Stefan Reuter via Regionalforum-Saar


Guten Morgen,

heute erfahre ich aus dem Info-Blatt des Vereins für Landeskunde, daß Frau Recktenwald vom Stadtarchiv St. Wendel einen weiteren Vortrag halten wird. Von ihr ist zu dem gleichen Thema letztens in der SZ ein Artikel erschienen. Leider kann ich an dem Abend nicht. Vielleicht kann an meiner Stelle am Ende des Vortrags jemand Frau Recktenwald fragen, wo das berühmt-berüchtigte Sickinger Loch genau war, warum Sickingens dabbischer Sohn überhaupt durch ein Loch in der Mauer und nicht einfach durch das obere Tor geritten ist und wer genau wann die Kugel in den Dom "geschossen" hat (ich finde aufs Verrecken den Beleg in der Kirchenrechnung nicht, und selbst im Max Müller stehts nicht drin).

Roland Geiger

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Mittwoch, 16. November 2022, 19.00 Uhr
Wo: St. Wendel

500 Jahre Belagerung der Stadt St. Wendel durch Franz von Sickingen
Der „letzte Ritter“ Franz von Sickingen belagerte im September 1522 die Stadt St. Wendel. Dieser führte eine Fehde gegen den Kurfürsten von Trier, Richard von Greiffenklau zu Vollrads, zu dessen Kurfürstentum auch St. Wendel gehörte.

Der Vortrag beleuchtet den historischen Hintergrund der Fehde, die Person Sickingens und die Stadt St. Wendel zur Zeit der Ereignisse.

Franz von Sickingen sah seine Fehden als Geschäftsmodell. Von ihm aufgestellte Truppen zogen unter seiner Führung gegen eigene Gegner und gegen Bezahlung für andere in kriegerische Auseinandersetzungen. So stand er im Dienst des französischen Königs und deutscher Kaiser und wurde zweimal mit der Reichsacht belegt.

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[Regionalforum-Saar] „Alle Farben haben eine Fu nktion“

Date: 2022/11/04 10:06:54
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Gestern in der Saarbrücker Zeitung:

Kerstin Küster, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Gerhard-Richter-Archiv, berichtete in ihrem Vortrag in der Tholeyer Abteikirche, wie die Entwürfe des Künstlers zu den drei Chorfenstern entstanden sind.

Von Marion Schmidt

Eine bedächtige Stille breitete sich in der Tholeyer Abteikirche aus, als Kerstin Küster vergangenen Freitag mit ihrem Vortrag begann. Kein Räuspern oder Husten war mehr zu hören. Die Besucher hingen vom ersten bis zum letzten Satz an den Lippen der Referentin. Der Kirchenraum war voll besetzt. Ein Beweis für das Interesse der Menschen an den Kirchenfenstern des berühmten Gerhard Richter. Die Kunsthistorikerin aus Dresden zeigte sich beeindruckt: „Ich bin heute in zweifacher Weise überwältigt. Zum einen, dass sie alle so zahlreich zu meinem Vortrag gekommen sind. Aber auch, weil ich die Richter-Fenster zum ersten Mal sehen darf.“ Dabei ist Küster eine ausgewiesene Expertin, wenn es um den Künstler Gerhard Richter geht. An den Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im 2006 gegründeten Gerhard-Richter-Archiv und Ansprechpartnerin für alle Fragen rund um den Künstler.

Der Vortrag der Kunsthistorikerin ging dem Bildfindungsprozess für die Chorfenster in der Abteikirche nach. Dabei wob Küster einen roten Faden durch die verschiedenen Schaffensphasen des Künstlers, gab biografische wie kunsthistorische Erläuterungen. Gerhard Richter, 1932 in Dresden geboren, begann sein Kunstschaffen 1952 mit der Aufnahmeprüfung der Akademie der Bildenden Künste in Dresden. 1961 aus der DDR in den Westen gezogen, setzte er sein Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf fort. Ein im Juli 2000 in der FAZ erschienener Artikel über den „Ersten Blick in das Innere eines Atoms“ mit einem Rasterkraftmikroskop habe ihn derart fasziniert, dass er die mit dem Rasterkraftmikroskop erzeugten Bilder in druckgrafischen Gestaltungen umwandelte.

Der Maler Gerhard Richter sei stets bemüht, sich der Wirklichkeit künstlerisch anzunähern. Er wolle der eingeschränkten Wahrnehmung der Wirklichkeit auf den Grund gehen und diese hinterfragen. „Meine Bilder sind klüger als ich, und die Kunst ist die höchste Form der Hoffnung“, habe Richter einmal gesagt. 1972 bei der Biennale in Venedig war er der erste deutsche Künstler, der allein einen Pavillon mit seinem Werk bespielen durfte. 1973 nahm Gerhard Richter eine Postkarte von Tizians „Verkündigung an Maria“ (entstanden um 1540 in Venedig) als Vorlage für die Schaffung einer Serie von fünf Gemälden. Wesentliches Element der Bilder sei die Unschärfe. Die Unschärfe als Ausdruck der Erkenntnisunabhängigkeit, jenseits der menschlichen Erfahrung. „Als Bildquelle für seine Arbeiten haben ihn stets Massenmedien und Familienalben interessiert“, so die Kunsthistorikerin. So malte er neben den großformatigen abstrakten Gemälden auch Bilder nach fotografischen Vorlagen. „Gerhard Richter malt kein Abbild eines vorhandenen Bildes. Er will kein Foto imitieren, sondern ein Foto machen mit anderen Mitteln“, erläuterte die Kunsthistorikerin.

Küster stellte auch Richters Bildkompositionen in Grau vor. Für den Künstler sei dies das einzig mögliche Bildnis von Gott, die Darstellung als graues monotones Bild, denn er wäre nie fähig gewesen, ein Bild von Gott zu malen. In Richters Bildern male der Zufall mit. Den Aspekt, dass etwas zufällig passiere und der Künstler es wieder strukturiert, fände sich auch in den Tholeyer Kirchenfenstern.

Seit der Gestaltung der Fenster für den Kölner Dom 2005 ist Gerhard Richter nicht mehr aus der internationalen Kunstszene wegzudenken. Die Neugier und Affinität zur Gestaltung von Räumen motivierten ihn, die Fenster für die Abteikirche in Tholey zu schaffen. Freie Hand habe man ihm für sein Schaffen gelassen. Zunächst habe er in seinem Atelier experimentiert.

Küster skizzierte in ihrem Vortrag ausführlich und anschaulich den Werkprozess, der den Kirchenfenstern zugrunde liegt. „Der Darstellung der Kunsthistorikerin zur Entstehung der Fenster konnte ich sehr gut folgen. Jetzt sehe ich die Fenster mit neuen Augen und verstehe das Prinzip dieser beeindruckenden Arbeit“, lobte Bernd Schäfer aus Saarbrücken den Vortrag.

Gerhard Richters Künstlerbuch „Patterns“ sei Ursprung der Chorfenster. Als Vorlage diente ihm das Motiv mit der Nummer 724-4. Dieses abstrakte Bild zerlegte er mehrfach am Computer. Teilte, spiegelte, wiederholte. Für jedes der drei Fenster seien so fünf spiegelbildliche Motive entstanden. Die Farben seien mit Digital- und Siebdruck auf das Glas gebracht worden. „Alle Farben haben eine Funktion. So steht zum Beispiel Rot für das Leiden Christi. Es ist keine Deutung in nur eine Richtung möglich. Die Fenster weisen hoffnungsvoll in die Zukunft“, beendete Küster ihren Vortrag. Das Publikum bedankte sich mit lange anhaltendem, anerkennenden Applaus. Der eine oder andere Besucher nutzte anschließend die Gelegenheit, sich mit der Kunsthistorikerin auszutauschen.

Am nächsten Tag stand Kerstin Küster in den Räumen der Tourismuszentrale den Gästeführern der Gemeinde Tholey Rede und Antwort. Sie teilte mit dem wissbegierigen Team viele kunsthistorische und private Details aus dem Leben Gerhard Richters. Für die Gästeführer war diese immerhin dreistündige Vorlesung in kleiner Runde eine gute Gelegenheit, weitere Informationen über den Künstler zu sammeln, die dann in die touristischen Führungen einfließen können. Die Gästeführer berichteten, oft würden sie mit der Frage konfrontiert, was der Künstler mit dieser abstrakten Fenstergestaltung sagen will? Ganz einfach die Antwort der Kunsthistorikerin: „Fragen sie nach der generellen Einstellung zum Abstrakten. Fragen sie, was die Besucher in den Bildern sehen.“ Gästeführer Hans-Josef Recktenwald wurde auch gleich am nächsten Tag in seiner Führung mit dieser Frage konfrontiert: „Als ich dem Besucher die Frage stellte, was er denn sähe, sprudelte es plötzlich aus ihm heraus, und er entdeckte viele Figuren und Formen.“ Ihn hatte in dem Vortrag besonders die Aussage der Expertin beeindruckt, dass Richter selbst von sich sagte, er hätte ohne Glauben an ein höheres gestaltendes Wesen sein Werk nicht schaffen können. Der gelenkte Zufall habe ihm immer geholfen. „Eine bemerkenswerte Aussage von einem Künstler, vor allem vor dem Hintergrund, dass Richter zu DDR-Zeiten aus der Kirche ausgetreten war, weil er sich nicht in ein religiöses System einordnen lassen wollte.“

https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/st-wendel/tholey/vortrag-ueber-die-richter-fenster-in-der-abteikirche-in-tholey_aid-79307071


[Regionalforum-Saar] tja

Date: 2022/11/04 10:07:56
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

vor drei Jahren in der Saarbrücker Zeitung:

Künstler Gerhard Richter über seine Kirchenfenster in Tholey: „Tja.“

Tholey Der Künstler über seine Fensterentwürfe für die Abteikirche in Tholey und die Kraft des Zufalls contra göttliche Vorsehung.
28. August 2019 um 20:28 Uhr

Von Bertram Müller

Der weltbekannte, in Köln lebende Künstler Gerhard Richter (87) hat für die Abteikirche in Tholey drei Chorfenster entworfen (wir berichteten mehrfach). Richter hat seine Entwürfe dem Tholeyer Kloster unentgeltlich zur Verfügung gestellt, wie er auch vor zwölf Jahren für die Gestaltung des Südfensters im Kölner Dom kein Honorar genommen hatte. Ein Gespräch mit Richter aus der „Rheinischen Post“ über seine Fenster und sein Verhältnis zur Religion.

Wie kam es zum Entwurf der drei Fenster?

RICHTER Als mich aus dem Saarland die Anfrage erreichte, ob ich für das Kloster Tholey drei Kirchenfenster entwerfen könne, war ich damit beschäftigt, ein Buch zu machen: „Patterns“ (Muster), 2012 erschienen. Ich sagte: „Ich bin gerade dabei“ und wählte für Tholey die Motive, die ich vor mir hatte. Was ich allerdings nicht berücksichtigt hatte, war, dass ich von der Umsetzung von Grafik in Glasmalerei nichts verstehe. Da ich nicht wusste, was dabei herauskommen würde, habe ich gesagt: „Das macht Ihr auf Eure eigene Verantwortung.“

Was hat Sie daran gereizt, ausgerechnet für die Tholeyer Abteikirche Entwürfe bereitzustellen?

RICHTER Ich habe das Kloster gar nicht gesehen - bis heute nicht. Ich kenne es nur von Fotos und von Beschreibungen, weiß, dass es das älteste Kloster auf deutschem Boden ist und dass es für viel Geld renoviert wird. Und dann habe ich das  gemacht.

Die Internetseite „St.?Wendeler Land Nachrichten“ berichtete im März  dieses Jahres, Ihre Fenster stellten visualisierte Musik-Harmonien dar, die mit dem estnischen Komponisten Arvo Pärt zusammenhingen. Und angesichts der Tatsache, dass Gott als letztes Mysterium für die Menschen visuell verschlossen sei, sollten die Fenster ausdrücken, „dass Gott höchste Harmonie bedeutet“.

RICHTER Aha. Das wusste ich nicht. Ich habe zwar mal mit Pärt zusammengearbeitet, das hat aber nichts mit den Fenstern zu tun. Man macht offenbar viel Wind, damit das Projekt berühmt wird.

Wenn die Fenster mit Pärt nichts zu tun haben – womit dann?

RICHTER Das weiß ich nicht.

Aber mit Musik haben sie doch wohl zu tun?

RICHTER Ja, aber nicht mehr als alle anderen Bilder von mir.

Die stark farbigen rhythmischen Linien der Entwürfe sind etwas Neues in Ihrem Schaffen.

RICHTER Die sind durch das Buch entstanden, haben sich ergeben, von allein. Sie haben natürlich schon mit Gott zu tun, mit dem Wunsch, im Leben einen Sinn zu erkennen, eine Kirche zu bauen.

Kann man sagen, Sie haben Ihre Fenster zum Ruhme Gottes entworfen – oder ist das zu pathetisch?

RICHTER Zum Ruhme Gottes nicht, aber zum Trost der Betrachter.

Zu Ihrem Fenster im Kölner Dom sagten Sie seinerzeit, es zeige den Zufall als überwältigende Macht, nicht etwa göttliche Vorsehung. Hat sich Ihre Haltung geändert?

RICHTER Das ist schön gesagt. Dazu stehe ich.

Stehen Sie dazu auch im Zusammenhang mit den Fenstern in Tholey?

RICHTER Ja, doch.

Trost klingt nach Glaube, Zufall klingt eher nach Agnostizismus, also nach der Lehre, welche die Existenz des Göttlichen oder Übersinnlichen weder bejaht noch verneint. Wie bringen Sie beides zusammen?

RICHTER Tja.

Vielleicht muss es ja gar nicht zusammenpassen, vielleicht sind es nur zwei Seiten ein und desselben Menschen, vielleicht des Menschen überhaupt?

RICHTER Ja, das kann man durchaus so sagen.

Sie sind als junger Mann aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Wie müsste sich die Kirche ändern, damit Sie wieder eintreten?

RICHTER Ich glaube, das geht gar nicht. Man wird sicherlich etwas anderes finden, um etwas zu glauben. Wir wissen ja nichts, deshalb glauben wir.

Finden Sie Kirche wichtig als moralische Grundlage der Gesellschaft?

RICHTER Ja, noch ist sie der bedeutendste Spender von Heil und Trost.

Ihre Kirchenfenster in Tholey werden wohl im Juni 2020 eingeweiht. Am 4. September sollen einen Tag lang Provisorien zu sehen sein.

RICHTER Die kenne ich nur per Foto. Aber so ungefähr kann ich mir das vorstellen. Der Umgang mit Glas ist kompliziert. Da halte ich mich raus.

Ein Kunstwerk für eine Kirche zu entwerfen ist oft  mit der Vorstellung verbunden, etwas für die Ewigkeit zu erschaffen. War das auch bei Ihnen  so?

RICHTER Auf keinen Fall. Aber etwas Längerfristiges: sehr gern. In den heutigen Museen gibt es ja das Gefühl von Ewigkeit nicht mehr. Das ist alles bunt und munter und so weiter. Da ist eine Kirche ganz gut. Da macht es Freude, dass man etwas schafft, das ein wenig länger hält.

Ihre Kunst wird in Tholey auf Werke einer Künstlerin treffen, deren Fenster sich in den Seitenschiffen befinden. Ihre Fenster sind ungegenständlich, die Fenster der in München lebenden Afghanin Mahbuba Elham Maqsoodi dagegen poppig-figürlich, unmittelbar an Szenen aus der Bibel angelehnt. Stört Sie dieses Zusammentreffen unter einem Dach?

RICHTER Ich kenne diese Bilder nicht. Davon ist mir gar nichts gesagt worden.

Was wünschen Sie sich von den künftigen Besuchern der Abteikirche – wie sollen sie Ihre Glasfenster finden?
 
RICHTER Schön.

https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saar-kultur/kuenstler-gerhard-richter-ueber-seine-kirchenfenster-in-tholey_aid-45434565

[Regionalforum-Saar] „Es hat mich so gereizt, dass ich bedenkenlos Ja gesagt habe"

Date: 2022/11/04 10:10:59
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

auch vor drei Jahren in der Saarbrücker Zeitung:

29. August 2019 u

Von Cathrin Elss-Seringhaus

Von Beginn an war er da, der Zweifel: Passt der gegenständliche, erzählerische Malstil der Münchner Glaskünstlerin Mahbuba Elham Maqsoodi zur „sphärischen“ Kunst von Gerhard Richter (87), eines Künstlers von Weltrang? Drei Fenster von ihm werden die renovierte Tholeyer Abtei ab 2020 zu einer Pilgerstätte der Kunstszene und zu einem touristischen Fünf-Sterne-Ziel machen. Unabhängig davon, ob sie sich mit den insgesamt 34 Maqsoodi-Fenstern in den Seitenschiffen vertragen. Trotzdem wurde just dieser Aspekt kürzlich in einem Beitrag des Saarländischen Rundfunks zur Gretchen- beziehungsweise zur Geschmacksfrage: „Gefällig, opulent, kitschig?“ lautete der Titel. Von einem „Farbenschock“ war die Rede, von „popbunter Figürlichkeit“.

Jetzt, nach einem auch in der SZ veröffentlichten Gerhard-Richter-Interview wird das Ganze zusätzlich zum Stolperstein für die Abtei. Denn deren Sprecher behauptete im besagten SR-Beitrag, Richter kenne die Werke von Maqsoodi, und, wörtlich: „Er kennt auch den konkreten Entwurf und er hat gemeint, es passt wunderbar.“ Nein, das meint Richter nicht. Aber mögliche ästhetische Disharmonien beunruhigen ihn ebenfalls nicht. „Mit mir gibt es keinen Stress“, sagte er der SZ. Auf Nachfrage meldete sich Richter gestern persönlich in der Redaktion und stellte klar, die Maqsoodi-Sache sei „nicht direkt verschwiegen worden. Man sagte, es gebe noch weitere neue Fenster. Das wurde nicht als besonders interessant hingestellt. Es war von mir vielleicht etwas leichtsinnig, direkt zuzusagen. Aber es hat mich so gereizt, dass ich bedenkenlos ‚Ja’ gesagt habe.“ Diese Darstellung deckt sich mit der der Abtei, die der SZ mitteilt, es sei mit Richter „nicht konkret“ über die Gestaltung der weiteren Fenster gesprochen worden. „Gleichzeitig wissen wir aber, dass im Laufe der Produktion der Fenster von Herrn Richter und Frau Maqsoodi mehrere Abstimmungen zu eingesetztem Material und Technik notwendig waren. Daraus haben wir abgeleitet, dass beide Künstler voneinander wissen.“ Die Produktion erfolgt in den Münchner Werkstätten für Mosaik und Glasmalerei Gustav van Treeck. Dort habe man die Umsetzung seiner Muster in Glas „gut hingekriegt“, meint Richter. Das habe er an Proben abgelesen. An Ort und Stelle wird Richter diese Einschätzung nie überprüfen können. Er mutmaßt, er werde seine Tholeyer Fenster nie sehen. Zur Einweihung wäre er gerne gekommen, sagt er. Aber: „Es wird nicht gehen. Ich bin nicht gesund. Ich hatte eine Gehirnblutung, und es geht jeden Tag schlechter.“ Tholey ist keine Ausnahme. Aus seinem Kölner Atelier heißt es, der Künstler nehme grundsätzlich keine Einladungen mehr an und trete nicht mehr öffentlich auf.

Derweil ist die Abtei bemüht, einen anderen Star für die Einweihungs-Festivität im Sommer 2020 zu gewinnen, den estnischen Komponisten Arvo Pärt, der mit Richter bereits Projekte realisierte, noch dieses Jahr „Reich.Richter.Pärt“ im New Yorker Kulturzentrum The Shed. Für seine Tholey-Zusage spielte die Pärt-Verbindung eine untergeordnete Rolle, erklärt Richter. Es sei ihm nicht mehr gegenwärtig, ob ihn Bernhard Leonardy, der ihn wegen der Fenster anrief, auf Pärt ansprach: „Das Ganze ist bei mir nicht so verankert, mein Gedächtnis hat etwas gelitten.“

Der Leiter der Musikfestspiele Saar vertonte vor Jahren einen Photo-Painting-Zyklus von Richter, hielt brieflichen Kontakt, verfolgte die Richter-Pärt-Beziehung. Deshalb will Leonardy, dass Pärts Chormusik „Die drei Hirtenkinder von Fatima“, die der Musiker 2015 für ein Richter-Projekt 2015 in Manchester komponierte, zur Einweihung gespielt wird. Pärt soll die Komposition für Orgel umschreiben. Richter begrüßt das: „Da habe ich Vertrauen. Was Pärt macht, ist in Ordnung.“

Und was meint Richter zu der von der Abtei gern benutzten Formulierung, der Weltrang-Künstler hinterlasse mit den Tholeyer Fenstern ein „Vermächtnis“? Nichts. Dass just diese drei Entwürfe für Tholey zum Zuge kämen, sei „Zufall“. Er habe sie sozusagen spontan aus Material seines Buches „Patterns“ ausgesucht.

https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saar-kultur/der-weltbekannte-gerhard-richter-wird-seine-tholeyer-fenster-nie-sehen_aid-45463911#successLogin

[Regionalforum-Saar] Die Richter-Fenster von Tholey

Date: 2022/11/04 10:15:45
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

auch vor drei Jahren in der Saarbrücker Zeitung:

Die Richter-Fenster von Tholey
Von Cornelius Stiegemann

Aktualisiert am 05.09.2019  –  Lesedauer: 6 MINUTEN
https://www.katholisch.de/artikel/22831-die-richter-fenster-von-tholey

Tholey ? Gerhard Richter gestaltet die Kirchenfenster von Tholey: Damit machte das saarländische Benediktinerkloster deutschlandweit Schlagzeilen. Bruder Wendelinus Naumann erzählt im katholisch.de-Interview warum sie den berühmten Künstler anfragten und vor welchen Herausforderungen die Mönche jetzt stehen.

Vor zwei Wochen wurde bekannt, dass der weltberühmte Künstler Gerhard Richter drei Fenster der Abteikirche von Tholey gestaltet, die seit 2018 restauriert wird. Am Mittwoch wurden die Entwürfe vorgestellt. Der Kunstexperte des Klosters, Bruder Wendelinus Naumann, spricht im katholisch.de-Interview, über Touristenströme, Richters überraschendes Angebot und Mathematik als Annäherung an göttliche Perfektion.

Frage: Bruder Wendelinus Naumann, wie bekommt man eigentlich einen weltberühmten Künstler dazu, drei Kirchenfenster zu gestalten?

Naumann: Ganz banale Antwort: Man muss den Mut haben, eine Bitte an ihn zu richten. Unsere Bitte war mutig und sie fiel auf fruchtbaren Boden.

Frage: Wie hat sich Gerhard Richter mit dem Raum beschäftigt, in dem sein Werk eine so wichtige Rolle spielen soll?

Naumann: Richter hat uns offiziell nie besucht. Der Musiker Bernhard Leonardy, der Kontakt zu ihm hatte, hat unseren Brief an ihn weitergeleitet. Darin haben wir ihm mitgeteilt, dass unsere Abteikirche saniert wird und dass wir uns freuen würden, wenn er trotz seines hohen Alters ein Fenster gestalten könnte. Uns wurde daraufhin kein "Nein" – womit ich gerechnet hatte – übermittelt, sondern im Gegenteil: Wir wurden über das Büro gebeten, Richter die Maße der Fenster und die weiteren baulichen Details zukommen zu lassen. Daraufhin kam das überraschende Angebot Richters, die drei Hauptchorfenster zu gestalten.

Frage: Der Vorschlag kam von Richter?

Naumann: Richtig. Wir haben uns natürlich gesagt, ein bedeutender Künstler muss auch an einer bedeutenden Stelle platziert werden, aber wir hatten ursprünglich die Sakramentskapelle im nördlichen Seitenschiff im Blick. Der Hauptchor war zwar auch erwähnt, aber das erschien uns sehr unwahrscheinlich, weil die Fläche ja viel größer ist als die der Fenster im Seitenschiff.

Frage: Warum braucht die Abteikirche denn überhaupt neue Fenster?

Naumann: Die letzte umfassende Sanierung hat in den 1960er Jahren stattgefunden und es war bekannt, dass es einen großen Sanierungsstau gab. Im Rahmen einer Erfassung der Schäden ging es dann auch um die Fenster: Durch Glaskorrosion ließen sie nur noch einen Bruchteil des Tageslichts hindurch, was zu einer immensen Verdunkelung des Innenraums führte. Damals meinten wir noch, die Fenster nicht in Gänze erneuern zu müssen. Eine eingehende Untersuchung ergab dann aber ein massives und vielfältiges Schadensbild. Die Frage war dann: Machen wir die Fenster technisch perfekt nach dem alten Entwurf nach oder nutzen wir die Chance auch einen neuen Inhalt hineinzugeben?

Frage: Warum haben Sie sich für neue Gestaltung entschieden?

Naumann: Weil wir gemerkt haben, dass die alten Fenster, die ja sehr symbolisch waren, heute kaum noch verstanden werden.

Abt Mauritius Choriol (r.) und Bruder Wendelinus Naumann (l.) präsentieren am 04.09.2019 erstmals die Entwürfe des weltberühmten Künstlers Gerhard Richter für die drei Hauptchorfenster der Abteikirche von Tholey.

Frage: Wie sahen die alten Fenster aus?

Naumann: Die Fenster unten bestanden aus verschiedenen Darstellungen mit den Themen Gottes Gegenwart und Unmittelbarkeit in Abstraktionen. Sie wurden von Bonifatius Köck entworfen, einem Mönch aus unserer Abtei. Man muss jedoch gutes katechetisches Wissen haben, um die Bilder deuten zu können. Ein Bild zeigte etwa den Auszug aus Ägypten. Die Türpfosten waren mit den roten Bahnen des Lämmerblutes bestrichen, auch Mond und Nacht wurden abstrakt abgebildet. Da werden alle möglichen Assoziationen gestartet, bloß die spirituelle Bedeutung ist für viele Betrachter so gut wie nicht mehr gegeben.

Frage: Heute braucht man Fenster, die ganz einfach zu verstehen sind?

Naumann: Die verstehbar sind, die berühren und zum Nachdenken anregen, die aber nicht banal sind. Nach einigen Beratungen im Konvent haben wir international ausgeschrieben und einen Wettbewerb gestartet, den die Münchner Glaskünstlerin Mahbuba Elham Maqsoodi gewonnen hat. Maqsoodi arbeitet figürlich. Das passt zur Heilsgeschichte und zu Heiligenlegenden, weil das Bezug zur Gegenständlichkeit hat, weil das in der Welt gespielt hat. Aber wir haben uns schwergetan mit Darstellungen, die das eigentliche Mysterium anbelangen. Gottvater als alter, bärtiger Mann, das kann man nicht bringen. Aus katholischer Sicht ist uns die göttliche Schau – die beata visionis – schließlich erst nach dem Tod möglich.

Frage: Deshalb Richters abstrakte Kunst?

Naumann: Die Hauptfenster, die Richter gestaltet, sind ja der Hintergrund vor dem die Eucharistie stattfindet. Richter geht es um Symmetrien, die immer wieder gebrochen werden. Wir Mönche finden das sehr interessant, weil die Symmetrien angewandte Mathematik sind. Und Mathematik ist eine Form, Wahrheit oder Perfektion zu beschreiben. Genauso die starke Farbigkeit der Fenster: Das an sich unsichtbare Licht wird – nach der Farbenlehre – durch ein Prisma in verschiedene Farben zerlegt und alle Farben zusammen ergeben wieder ein neutrales Licht. Das sind für uns Metaphern, mit denen man aus religiöser Sicht der Beschreibung von Vollkommenheit sehr nahekommt.

Frage: Inwiefern sind Richters abstrakte Fenster jetzt sprachfähiger als die von Bonifatius Köck?

Naumann: Das ist eben der scharfe Kontrast zu den bildlichen Fenstern. Man wird sich ja fragen: Was ist das? Aufgrund ihrer Symmetrie werden sie faszinieren, ohne dass sie sich direkt erschließen. Das letzte Mysterium des Glaubens wird in diesen Fenstern widergespiegelt. Wir haben in den Psalmen, die wir als Mönche sehr oft lesen, eine Stelle an der es heißt: Gott, der in undurchdringlichem Lichte wohnt. Und wir können nur versuchen, uns etwa über diese Physik der Farben und der Mathematik der göttlichen Perfektion anzunähern. Das haben Kirche und Kirchenräume über Jahrhunderte getan. Mit Malerei, Bildhauerei, Architektur, Musik geben sie den Menschen einen Vorgeschmack.

Frage: Und Richter ist dafür der Richtige?

Naumann: Richter ist zwar aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Er hat sich aber selbst als "Suchenden" bezeichnet und findet gut, dass es Räume und Gebäude gibt, die Menschen Trost spenden. Auch wir wollen mit unserer Kirche die Menschen wieder ansprechen. In der heutigen grellen und lauten Welt müssen wir uns deshalb überlegen, wie man Signale setzt, die zum Nachdenken führen. Wir sind hier zwar im ländlichen Raum und haben keinen so starken Rückgang an Gläubigen wie in den Städten, aber ich finde die Frage der Suchenden hochinteressant. Viele Leute bezeichnen sich heute so. Und die große Herausforderung für uns als Kirche ist die Frage, wie wir mit diesen Menschen umgehen.

Frage: Ab Juni 2020 ist die Kirche für die suchenden Menschen wieder geöffnet. Aber kommen dann die Kunst-Suchenden oder die Glauben-Suchenden?

Naumann: Wir fragen uns selbst, ob das noch das Publikum sein wird, das wir kannten. Was macht das Label "Richter-Fenster"? Da gibt es mehrere Aspekte, die man beachten muss, auch problematische. Wie wird man die Besucheranfragen bearbeiten, reichen die Parkplätze, wo können die Menschen zur Toilette gehen? Was bedeutet all das für unser monastisches Leben? Wir brauchen ja eine gewisse Abgeschiedenheit. Wir sind aber auch nicht blind. Wir wissen was Richters Werk in der ehemaligen Dominikanerkirche in Münster für Besucherströme ausgelöst hat. Wir sehen es jedoch auch als Chance. Wir können die Begegnung nutzen, um unsere Botschaft mitzuteilen.

Frage: Aus Kunstfans sollen Gläubige werden?

Naumann: Ich glaube, man braucht gar nicht so stark zwischen Gläubigen, Suchenden und Kunstfans zu unterscheiden. Da gibt es Schnittmengen. Wenn jemand ein gefestigtes atheistisches Weltbild hat, aber Richter toll findet, glaube ich nicht, dass wir ihn als Kloster im Normalfall erreichen könnten. Die Illusion mache ich mir nicht. Wenn er jetzt aber wegen der Richter-Fenster in unsere Kirche kommt, kann er neben der Kunst zumindest auch etwas von dem mitbekommen, was wir für wichtig erachten.

[Die beiden letzten Antworten finde ich klasse, vor allem den letzten Satz. Wenn ich in St. Wendel Kirchenführungen mache, gehts mir nicht darum, irgendwen von der katholischen Religion zu überzeugen. Wichtig ist, daß er oder sie nach dem Rausgehen eine Idee davon hat, wie die Kirche funktioniert und warum. gr]



[Regionalforum-Saar] unverhofft

Date: 2022/11/06 19:25:45
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Abend,
in unserer Familie bin ich nicht wirklich der richtige Ansprechpartner, wenn es um Emotionen und so’n Zeug geht. Zwar bin ich als Mann nicht per Definition ein Trampel, aber das mit den Emotionen ist doch eher mehr die Sache meiner Ehefrau Anne. Deshalb nehme ich die Magazine, die sie so liest, und lege sie in ihre Ecke des Tischs im Esszimmer. Nein, ich lese so was nicht, schon gar nicht, wenn solche Aufforderungen wie „Nimm dir Zeit für dich“ draufsteht.
Vor einigen Jahren kam die Reiseautorin und Jakobswegwandererin Beate Steger zu einem Vortrag nach St. Wendel, und als sie anfing, für das Magazin „Der Pilger“ zu arbeiten, war ein Abonnement dieser Zeitschrift obligatorisch.
Nun ist das so, daß ich gern was zu lesen habe, wenn ich mich am Tisch sitze, einen Kaffee trinke und die Tageszeitung durch habe, aber in der Tasse noch was drin ist. Gegenüber liegt der „Pilger“, auf dem Titelbild eine junge Frau, die aus einer Thermoskanne ihren Kaffee oder Tee schlürft. Darüber das Motto „Magazin für die Reise durchs Leben“ und ganz rechts mein absolutes Nou-Gou „Kolumne Anselm Grün“.
Schaudernd will ich mich abwenden, als mein Blick auf einen Titel ganz unten links fällt: „Wo komme ich her? Die Geschichte meiner Familie.“ Was mich neugierig macht.
Schon im Vorwort steigt die Chefredakteurin ins Thema „Genealogie“ ein, ohne es beim Namen zu nennen. Auf Seite 12 ist ein Foto mit Fußspuren im Schnee oder Sand, nein, eher doch Schnee. Und ab Seite 13 kommt der Artikel „Die Lücken schließen“ von Nikola Hollmann. „Jede Familie hat eine Geschichte zu erzählen, von Liebe und Hoffnung, von Dramen und Herausforderungen. Immer mehr Menschen tauchen in die Geschichte ihrer Vorfahren ein. Sie erfahren dabei mehr über ihre Ahnen und über sich selber.“ Schöne Einleitung, macht Lust auf mehr.
Die Autorin Dorothee Haentjes-Holländer aus Bonn schreibt über ihren Vater Paul Haentjes und seine Kriegserlebnisse und über ihren Urgroßvater Anton Sauerwald (1866-1935) und plaudert aus dem Nähkästchen über ihre Motive und die Hintergründe ihrer Forschung.
Dann wechselt der Artikel zur Familie Schott aus Duisburg, bestehend aus der Oma (89), ihrer Tochter (55) und deren Tochter (16). Und weil letztere neugierig ist, entsteht ein Kontakt zu Anja Klein, die vor Jahren ihr Hobby zum Beruf gemacht - Moment mal, Anja Klein, kenne ich die nicht? - hat, einen Blog www.welt-der-vorfahren.de unterhält und einen internationalen Online-Kongress ins Leben gerufen hat - ja, kenne ich sicher, und zwar seit der Rootstech 2019 in London und spätestens seit Genealogica 1 und 2, hallo, Anja!
Beide Autorinnen gehen im weiteren Artikel auf ihre Beweggründe stärker ein mit teilweise starken Aussagen: „Es befriedigt meine intellektuelle Neugier, bereitet mir tiefe Emotionen, ich begebe mich auf Zeitreise, beschäftige mich mit Weltgeschichte und erlebe immer wieder, wie eng alles miteinander verbunden ist“, sagt Anja Klein. Haentjes-Holländer nennt es „einen Sog“: „Ich hatte noch nie ein Thema, bei dem ich so bei mir war.“
Mein Kaffee ist kalt geworden und schmeckt bitter, als ich ihn trinke. Aber das „Opfer“ hat sich gelohnt.

Wer den Artikel ganz lesen will: Der Pilger, Winter 2022, Verlag Peregrinus GmbH

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] Durch Schönheit zur Freiheit . Die Welt von Weimar-Jena um 1800

Date: 2022/11/07 18:00:26
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Durch Schönheit zur Freiheit. Die Welt von Weimar-Jena um 1800

Autor(en)   Schmidt, Georg
Erschienen München 2022: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten     384 S.
Preis € 29,95
ISBN 978-3-406-78556-6

Rezensiert für H-Soz-Kult von Wolfgang Burgdorf, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

1776 riefen die Sklavenhalter Virginias immer lauter nach Freiheit von der Tyrannei des englischen Königs. Auf ihre Freiheit, Sklaven zu halten, wollten sie jedoch nicht verzichten. 1787 begrüßt der zügellose Edelmann Don Giovanni die neu ankommenden Ballgäste: „Hoch leb' die Freiheit hier!“ Donna Anna, Donna Elvira, Don Ottavio und Leporello antworten: „Hoch leb' die Freiheit“. Don Giovanni meint damit, Sex mit jeder haben zu können, egal ob verheiratet oder sehr jung, auch um den Preis eines Mordes. Die Hinzukommenden meinen jedoch die Freiheit vor sexuellen Übergriffen, Vergewaltigung und tödlicher Gewalt.

Unreglementierte Freiheit schien auch den Weimarer Klassikern bedenklich. „Wenn sich die Völker selbst befrein; / Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn“ dichtete Schiller 1799 im „Lied von der Glocke“. Der Freiheitsdiskurs der Weimarer Klassiker und Jenaer Romantiker ist das Thema der neuen Publikation von Georg Schmidt. Sie schildert, was sich zwischen der Ankunft Wielands 1772 und dem Tode Goethes 1832 in Weimar vorfiel vor dem Hintergrund der Ereignisse in Deutschland und Europa. Wobei Prolog und Epilog, „Freiheit und Schönheit“ und der „Geist von Weimar“ die Darstellung rahmen. Im Mittelpunkt stehen die begnadeten Schriftsteller, welche die Regentin Anna Amalia und ihr Sohn Herzog Carl August an ihren Weimarer Hof und an die Universität Jena zogen. Das Ziel der Klassiker war letztlich ein humanitäres Weltbürgertum, zu bewirken durch die „ästhetische Erziehung des Menschen“. Den Widerspruch zwischen Populismus als stete Gefahr der Demokratie und der Kunst formulierte Goethe 1822: Die Nation wurde „irregemacht durch Menschen, mit denen ich nicht rechten will. Sie stellen sich der Masse gleich, um sie zu beherrschen; sie begünstigen das Gemeine, als ihnen selbst gemäß, und alles Höhere ward als anmaßend verworfen“.[1] Dieses Anbiedern skrupelloser Politiker oder auch Kulturunternehmer an die gemeine Masse ist ein sich radikalisierender reziproker Prozess.

Georg Schmidt, seit 1993 Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit in Jena, ist ein Experte für die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges und des frühneuzeitlichen Reiches. Von ihm stammt das teilweise auf einem verbreiteten Quellenbegriff zurückgehende, vieldiskutierte analytisch-deskriptive Theorem des komplementären Reichsstaats. Es beschreibt, dass Reichskonstitution und Nation für die Zeitgenossen aufeinander bezogen waren. Das Reich wird als ein komplexes, teils föderales, teils hierarchisches, multikonfessionelles Mehrebenengemeinwesen gezeichnet. Zudem war Schmidt von Juli 1998 als Teilprojektleiter und Vorstandsmitglied und von Juli 2006 bis Juni 2007 Sprecher des SFB 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“. Dies war einer der erfolgreichsten Sonderforschungsbereiche, weil er zeitlich und räumlich klar umrissen war und somit für die Teilnehmenden viele Synergieeffekte ermöglichte, was SFBs, die nur durch wage Oberbegriffe definiert sind, nicht leisten. Hiervon profitiert Schmidts jüngste Publikation.

Gegliedert ist das Opus in sechs große Kapitel: „I. Weimar – die Voraussetzungen“, „II. Sachsen-Weimar-Eisenach – Regieren und Dilettieren“. Hier wird die 6000 Seelen umfassende Ackerbürger- und Residenzstadt geschildert, in deren Mitte seit 1774 die Brandruine des Schlosses stand. Weimar war überschuldet und die Bewohner sahen das zunehmende Geniewesen eher kritisch. Kosteten die Schöngeister doch Geld, während der Nutzen zunächst nicht absehbar war. Ein zeitgenössischer Reiseschriftsteller urteilte knapp: „Der Ort ist tot“ (S. 60). In der Tat verstarben 43 Prozent der Neugeborenen im ersten Lebensjahrzehnt (S. 62). Aber dennoch etablierte sich am Witwensitz Anna Amalias ein Musenhof. Das III. Kapitel behandelt das Geistesleben in dem ungefähr 4000 Einwohner und ca. 350 Studenten, zunächst überwiegend aus der näheren Umgebung, umfassende Jena. Hier geht es um zukunftweisende Universitätsreformen bzw. Goethes Neuausrichtungen, Bertuchs Wirtschaftsimperium und das Wirken Schillers. „Im Schatten der Französischen Revolution und der Koalitionskriege machte Weimar-Jena als Literatur-, Wissenschafts-, Bildungs- und Medizinzentrum Furore“ (S. 111). Das lag auch an der langen Friedenszeit in der sogenannten „norddeutschen Neutralität“ während Europa vom Krieg verheert wurde. Die Studenten konnten sich einiges erlauben, denn die Stadt lebte von ihnen. Goethe, die Regierung und der Herzog meinten: „Die Angst vor der Revolution durfte nicht dazu führen, dass die Gegenmaßnahmen das bewirkten, was sie eigentlich verhindern sollten“ (S. 146). Fichte jedoch musste gehen.

„Die Doppelstadt – das Ereignis Weimar-Jena“ ist das IV. Kapitel überschrieben. „Die Hoffnung war, dass Künste, Literatur und Wissenschaften mit ihrem Anspruch des Wahren, Guten und Schönen die Impulse setzen konnten, die zu Harmonie und Frieden führten“ (S. 167). Man erwartete also von der neuen Kunstreligion, an der griechischen Klassik orientiert, was die christlichen Religionen nicht geleistet hatten. Goethes „Freundschaftspakt mit Schiller war der Sprung auf ein höheres Level; er machte aus dem Weimarer Musenidyll das Ereignis Weimar-Jena“ (S. 171). Der Frieden führte zur Ansiedlung französischer Emigranten und Engländern. „Die Romantiker lehnten die liberalen Vorstellungen von Individualität, kritischer Vernunft und Menschenrechten nicht ab, wollten jedoch den Staat in Einklang mit der organischen Natur bringen und Despotismus durch plurale Herrschaftsformen ausschließen“ (S. 207).

Das V. Kapitel „Neue Konstellationen – alte Illusionen“ behandelt die politischen Umgestaltungen in Deutschland. Besonders in Schillers später „Deutsche Größe“ benannten Gedichtfragment wird deutlich, es ging nicht um die Errichtung eines Machtstaats, sondern um die Vision geistig-kultureller Herrschaft (S. 230) und damit um eine universelle Mission. Diese Vision teilten Klassiker und Romantiker. Für Madame de Staël galt Weimar 1803 als „capitale littéraire de l´Allemagne“ (S. 238). Doch mit Herders und Schillers Tod im Dezember 1803 und Mai 1805 beginnt die „Klassikdämmerung“. Sie wurde beschleunigt durch die Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806. Es folgen Goethes Vorstellung von der deutschen Nation, Rheinbund und Befreiungskriege sowie Goethes politisches Vermächtnis.

Das letzte Kapitel behandelt die „Arbeiten am Mythos“, Großherzogtum und Pressefreiheit, das Wartburgfest als Fanal, das Weimarer Monument. Es ließe sich auch von der Musealisierung des Mythos sprechen. Abschließend wird die Reichsoption in Faust II behandelt. Der Mythos der Politikferne der Klassiker ist geschichtsklitternd. Goethe arbeitete als Minister im Zentrum von Regierung und Verwaltung des Herzogtums; zeitweise war er auch für Finanzen, Militär, Straßenbau und Bergbau zuständig, zudem für Kultur und Wissenschaftspolitik als Theaterleiter und Zuständiger für Bibliotheken, Sammlungen und die Jenaer Universität. Herder war als Superintendent und Hofprediger für die Staatskirche und das Elementarschulwesen verantwortlich, Wieland war Prinzenerzieher und wichtiger Kulturunternehmer, Schiller, wie Hegel und Fichte zeitweilig Professor in Jena, war ihnen eng verbunden. Sie waren nicht fern der Politik, sondern bildeten mit ihr Zentrum. Sie wussten wie mühselig Regierungshandeln, Interessenausgleich und wie arg begrenzt Handlungsspielräume waren.

Georg Schmidts Fazit schließt Goethe und Schiller an: „Freiheit ist ein wichtiges Gut, benötigt aber Regeln, um nicht durch bloße Egoismen die Gesellschaft zu entzweien“ (S. 273). Eine uneingeschränkte Freiheit, wie sie Don Giovanni forderte, zerstört das humane Zusammenleben. Das von Schmidt behandelte Freiheitsproblem ist noch immer hochaktuell. Darauf hat jüngst der Jurist und Schriftsteller Georg M. Oswald verwiesen.[2]

„Der Weltbürger war frei von ständischen, religiösen oder kulturellen Vorurteilen, stand über der Tagespolitik und lebte der Vernunft und Humanität verpflichtet – ein Individuum, das im Idealfall nirgends ein Fremder war“ (S. 38). Durch einige Äußerungen der Klassiker mitveranlasst und durch die gescheiterte Revolution von 1848 verstärkt, kultivierte das deutsche Bildungsbürgertum im 19. und 20. Jahrhundert seine Politikferne. Die Vorstellung einer „geistig-kulturellen Überlegenheit“ mutierte zum „millionenfach todbringenden Rassismus“ (S. 295). Die Aufgabe des klassischen Ziels des humanen Weltbürgertums, das nationalen Patriotismus nicht ausschloss, ermöglichte die Kulturkatastrophe des Nazismus.

Die Darstellung zeichnet sich durch die gelungene Synthese bewundernswerter geschichtlicher Kenntnisse und inhaltlicher Vertrautheit mit den Werken der Klassiker aus. Das verleiht diesem großen Werk Georg Schmidts einen betörenden Charme.

Anmerkungen:
[1] Goethes Werke, Bd. VIII, München 1981, S. 522.
[2] Georg M. Oswald, Ein großes Versprechen, in: Ders. (Hrsg.), Das Grundgesetz. Ein literarischer Kommentar, München 2022, S. 9–14, hier S. 11.

Zitation

Wolfgang Burgdorf: Rezension zu: Schmidt, Georg: Durch Schönheit zur Freiheit. Die Welt von Weimar-Jena um 1800. München 2022: ISBN 978-3-406-78556-6, , In: H-Soz-Kult, 08.11.2022, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-117096>.





[Regionalforum-Saar] Erstürmung einer mittelalterl ichen Stadt

Date: 2022/11/10 20:25:16
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Heute morgen auf Burglichtenberg hat mich Andreas Rauch auf diesen uralten Film aufmerksam gemacht.

Alter Puppentrickfilm der Gebrüder Diehl aus Gräfelfing bei München von 1943. Ein Stummfilm, der die Erstürmung einer mittelalterlichen Stadt um das Jahr 1350 zeigt. Die Verteidiger wenden alle möglichen Maßnahmen an, um dies zu verhindern, werden letztendlich doch besiegt. Viele jenseits der 30 werden diesen Film noch aus dem Schulunterricht kennen.

=> https://www.youtube.com/watch?v=bfXjr5giD7Q

Roland

[Regionalforum-Saar] Fürstliche Korrespondenzen de s 19. und 20. Jahrhunderts

Date: 2022/11/16 23:37:07
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

[Wem der nachfolgende Text zu lang erscheint, mag recht haben. Den verweise ich besonders auf die Besprechung des interessanten Beitrages von Oliver Auge]

Organisatoren Hessisches Landesarchiv, Abteilung Staatsarchiv Darmstadt; Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt
Förderer Kulturstiftung des Hauses Hessen
Ort Darmstadt
Vom - Bis 01.09.2022 - 02.09.2022
Von Ulrike Marlow, Anpassungsstrategien der späten mitteleuropäischen Monarchie am preußischen Beispiel 1786-1918, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Briefe enthalten persönliche Mitteilungen, so ist zumindest unser heutiges Alltagsverständnis vom Schriftstück Brief. In der Tagung ging es um die Fragen, welche inhaltlichen und äußeren Merkmale Briefwechsel zwischen Dynastiemitgliedern kennzeichnen und wie die in den Archiven sowohl in erschlossenem als auch in unerschlossenem Zustand liegenden Korrespondenzen für die Forschung fruchtbar genutzt werden können.

ROUVEN PONS (Darmstadt) staunte in seinen einführenden Worten darüber, dass fürstliche Briefe in den archivkundlichen Betrachtungen, wo sämtliche in Archiven befindliche Schriftstücke klassifiziert und definiert werden, bisher nur sehr oberflächlich und knapp betrachtet wurden[1]. Das kann sich Pons einerseits nur mithilfe der lange nachwirkenden These vom Niedergang des Adels im 19. Jahrhundert erklären und andererseits mit der Schwierigkeit der Aktenkunde, fürstliche Briefe als amtliches und damit archivwürdiges Gut zu klassifizieren. Nach einer Erinnerung an eine kleine Blüte von Editionen fürstlicher Briefe aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts[2] forderte er dazu auf, diese Korrespondenzen heute mit geeigneten Handwerkszeug auszuwerten und dabei die Digital Humanities zu Hilfe zu nehmen. Ziel sollte es sein, Formen von fürstlicher Korrespondenz, übliche Grundstrukturen sowie häufige Inhalte herauszuarbeiten.

ANDREAS FAHRMEIR (Frankfurt am Main) rief den Brief als traditionelles Medium bzw. Ort der Selbstinszenierung und Reflexion in Erinnerung, aber auch als eine aufschlussreiche Quelle bei der Beantwortung der Frage nach der Entwicklung von Monarchien im 19. Jahrhundert zu Medienmonarchien.

Die Vorträge der ersten Sektion vermaßen die historische Dimension von fürstlicher Korrespondenz. Die Forschungsinteressen der neuen Monarchiegeschichte liegen besonders auf Verfassungen, Öffentlichkeit und Medien sowie auf der Kommunikation, resümierte FRANK-LORENZ MÜLLER (St. Andrews). Er plädierte dafür, dass die Monarchiegeschichte die aktive Rolle der Monarchen und ihrer engen Umgebung wieder mehr in Betracht nehmen solle, wofür sich die Analyse von Egodokumenten wie Briefen eigne. Müller sah es kritisch, dass (konstitutionelle) Monarchen des 19. Jahrhunderts in der neuen Monarchiegeschichte zu sehr als „Grüßonkel“ interpretiert würden und einflussnehmende Monarchen wie Kaiser Wilhelm II. oder König Ludwig II. von Bayern dann vielleicht zu vorschnell als anachronistisch klassifiziert werden. Der fürstliche Brief sei vor allem ein Gebrauchsgegenstand zwischen Absender:in und Empfänger:in gewesen und dürfte wesentlich zur Neustiftung einer Identifikation als eigene soziale Gruppe gedient haben, die einem hohen Anpassungsdruck ausgesetzt war, wie das Silke Marburg gezeigt hat[3].

Oliver Auge (Kiel) warf einen Blick auf die Praxis des Briefschreibens im Mittelalter und den dazugehörigen Forschungsstand. Damit gab er eine Vergleichsfolie für die folgenden Vorträge, die allesamt Briefe des 19. Jahrhunderts untersuchten. Auge erinnerte daran, dass das alte Postulat der Blütezeit des Briefeschreibens im 18. und 19. Jahrhundert die Kommunikationsrevolution des Mittelalters vernachlässige. Um 1500 kam es zu einer neuen Briefform: der Empfänger wurde als Außenadresse genannt, Textbereiche wurden stärker gegliedert, die Position der Unterschrift spiegelte die soziale Hierarchie wieder. Sprache, Schrift, Schriftträger (beschriebenes Material) und Bote wirkten sich in ihrem Zusammenspiel auf die Bedeutung der Nachricht aus. Eigenhändige Briefe stellten noch eine Ausnahme dar, es wurde vielmehr Schreibern oder Hofdamen diktiert, und empfangene Briefe wurden laut vorgelesen. Eigenhändige Briefe galten daher als besonders wertschätzend gegenüber dem Empfangenden. Das „Du“ breitete sich im 16. Jahrhundert als Novum zwischen ranggleichen männlichen, eigenhändigen Briefschreibern aus. Zuvor wurden nur Rangniedere geduzt, wie die Ehefrauen. Zudem sei festgestellt worden, dass bis zum 16. Jahrhundert vor allem Frauen Briefe verfasst und genutzt hatten und erst im 16. Jahrhundert in einem ähnlichen Maße Briefe von Männern hinzukamen. Der seit den 2000er Jahren etablierte Begriff der Familien- und Freundschaftsbriefe, der auf Claudia Nolte zurückgeht, verwirft den problematischen Begriff des Privatbriefes für das Mittelalter. Inhaltliche Merkmale der Familien- und Freundschaftsbriefe sind u.a. der Austausch über Verwandte, Freunde aber auch Feinde sowie Mitteilungen und Wünsche zur Gesundheit.

In der zweiten Sektion wurden Versand und Transport, formale Eigenschaften sowie Selbstinszenierung in fürstlicher Korrespondenz beleuchtet. KLAUS BEYRER (Karlsruhe) bot einen rasanten Überblick über die Entwicklung des Postversands im 19. Jahrhundert. Das Briefaufkommen hatte sich zwischen 1800 (200 zugestellte Briefe pro Tag in Berlin) und 1900 (800 Briefe pro Tag) erheblich gesteigert. Tendenziell kam es im 19. Jahrhundert zu einer Verstaatlichung des Postwesens. Verwaltungsstrukturen, Nutzung der Dampfeisenbahn für schnelleren Versand und Bemühungen um übersichtlichere Tarife begleiteten diesen Prozess, aber auch die Briefzensur in der Ära Metternichs. Für fürstliche Korrespondenz galt im 19. Jahrhundert Portofreiheit, die für Landesfürsten, Hofstaaten, Minister sowie manche Beamte galt und sich auf Vereine ausdehnte. Gestiegene Einnahmeverluste seitens der Post führten 1870 zu einer Begrenzung der Portofreiheit im Norddeutschen Bund auf die Monarchen, ihre Ehefrauen und Witwen. Die technischen Entwicklungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts (Briefmarke, Briefkästen) trugen zur Zunahme von Postsendungen bei. Dennoch bestand bei den Nutzenden ein Misstrauen in die Zuverlässigkeit der Post. Davon zeugen fortlaufende Nummerierungen in den Briefen oder die Angabe, welche Briefe erhalten und beantwortet wurden, sowie weiterhin der Rückgriff auf eigene Boten.

KARSTEN UHDE (Marburg) brachte die Sicht eines Archivars auf die Form von fürstlichen Briefen ein. Grundsätzlich sei die Definition und Merkmalszuweisung zu fürstlichen Briefen schwierig, weil es keine Terminologie für privates Schriftgut gebe und die polare Gliederung von Archiven in privates und dienstliches Schriftgut bei fürstlicher Korrespondenz ein Dilemma aufwerfe. Anhand von aktenkundlichen Klassifizierungen können fürstliche Briefe entweder der Kategorie der amtlichen Fürstenschreiben oder der Kategorie der Privatkorrespondenz zugewiesen werden. Unter amtlichen Fürstenschreiben werden Schreiben zwischen Ranggleichen verstanden, die keine privat-dienstlichen Inhalte aufweisen. Zu ihnen zählen Kanzleischreiben, Handschreiben und Notifikationsschreiben als Kanzlei-, Hand- oder Privatbriefschreiben aus Anlass von dynastischen Ereignissen (Geburt, Taufe, Hochzeit, Tod). Reine Privatbriefe zeichnen sich durch die vertrauliche Anrede mit „Du“ aus und sind im 19. Jahrhundert eigenhändig – eine genauere Unterscheidung sei gegenwärtig terminologisch und formal nicht möglich.

Briefe dienen zur Konstruktion einer sozialen Rolle, und der Adressat bzw. die Adressatin fungiert oft als Co-Autor:in des Briefs. Diese Form von Selbstinszenierung zeigte ROUVEN PONS (Darmstadt) anhand der Korrespondenz und Lebensgeschichte von Erzherzog Stephan (1817–1867). Stephan, aus der ungarischen Seitenlinie der Habsburger, war 1843 Landeschef von Böhmen und seit 1847 Palatin von Ungarn. Er musste im Zuge der 1848er Revolution das Amt als Palatin niederlegen und lebte in Schaumburg im Exil, wo er von den Habsburgern gemieden wurde und an Renommee verlor. Erst 1858 wurde er von Wien wieder sukzessive in die Habsburgerdynastie eingebunden. Diese Zurücksetzung, so Pons, schmerzte Erzherzog Stephan, und er versuchte sich selbst zu rehabilitieren. Äußerungen in seinen Briefen, sie würden von Beamten der Habsburgermonarchie mitgelesen, verweisen auf Stephans Aufbegehren gegen seinen Status. Stephan hatte nicht nur den Adressaten, sondern auch mögliche Mitleser bei seinen Mitteilungen im Blick, und er war gewiss, dass seine Briefe ins Hausarchiv kommen würden. Daher seien seine Briefe nicht als vertrauliche Mitteilungen zu verstehen, sondern vielmehr als öffentliche Mitteilungen. Die sehr auffällige regelmäßige Handschrift von Erzherzog Stephan versinnbildlicht seine glatte Oberfläche und spreche für den Aufbau einer äußeren Fassade, mit der er sich selbst über die hinterlassenen Briefe ein Denkmal als unschuldig Verbannter setzen wollte.

Die dritte Sektion bot zwei Berichte, wie Korrespondenzen von Frauen – einmal von einer Adligen und einmal von einer Monarchengattin – archivalisch erschlossen oder auch digitalisiert verfügbar und somit für die historische Forschung nutzbar gemacht werden können. GUDRUN GERSMANN (Köln) hat mit ihrem Projektteam 11.000 Briefe von Constance de Salm (1767–1845) digitalisiert, mit Metadaten erschlossen und online verfügbar gemacht[4]. Die Eheschließung mit Joseph zu Salm-Reifferscheid-Dyck 1802 führte für Constance de Salm dazu, dass sie fortan die eine Jahreshälfte in Paris lebte und die andere im Schloss Dyck am Niederrhein. Es entwickelte sich also ein Briefwechsel zwischen den Pariser Intellektuellenkreisen, denen Constance angehörte, und dem niederrheinischen Adelssitz. Gersmann skizzierte künftige Forschungsperspektiven, die sich aus diesem umfangreichen Material ergeben: Die Funktionsweise von Netzwerken und Patronage sei in diesem Konvolut nachvollziehbar, ebenso wie die Bemühungen von Constance de Salm, ihr Selbstbild für die Nachwelt zu prägen und um die Anerkennung von weiblicher Autorenschaft zu kämpfen.

KATJA DEINHARDT (Weimar) berichtete wie sie den mit 60 laufenden Metern umfangreichsten Nachlass von Maria Pawlowna (1786–1859) im Großherzoglichen Hausarchiv, das zum Hauptstaatsarchiv Weimar gehört, erschließt und welche Herausforderungen das birgt. Im Teilbestand „Korrespondenzen“ befinden sich, wie es die Betitelung vermuten lassen würde, keineswegs nur Briefwechsel. Darin werden zahlreiche Bittschriften an Maria Pawlowna als Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach verzeichnet, aber auch Begleitschreiben (Widmungen, Gedichte), 225 Konvolute von Berichten und schließlich Briefwechsel. Deinhardt betonte die Unsortiertheit des Nachlasses und fragte sich, warum die darin befindlichen Akten im 19. Jahrhundert als Korrespondenz abgelegt wurden. Denn nur ein kleiner Teil entspreche der Briefdefinition von Irmtraut Schmid, wonach Briefe von persönlichem Austausch zwischen zwei Personen zeugen[5]. Die eigentlichen Korrespondenzen zeigen, wie sich Maria Pawlowna über persönliche Briefnetzwerke ausgiebig über das Geschehen und die Gesundheit an anderen Höfen informierte – so wie das später ihre Tochter Kaiserin Augusta auch tat.

Wilhelmine von Baden, Großherzogin von Hessen und bei Rhein (1788–1836) korrespondierte nicht nur mit ihren Geschwistern, Nichten und Neffen, sondern auch mit vertrauten Hofchargen aus ihrem Hofstaat. Die dabei nachvollziehbaren Patronagebeziehungen zeichnete LUPOLD VON LEHSTEN (Bensheim) nach. So war die Hofdame Karoline von Freystedt für Wilhelmine die wichtigste Informantin zum Leben am Karlsruher Hof geworden, nachdem ihre Mutter Amalie von Baden (1754–1832) verstorben war. Lehsten konnte aus den Briefen von Wilhelmine mit ihrem Umfeld und den Karrierestationen mancher ihrer Hofchargen Patronagebeziehungen verdeutlichen, etwa wenn Hofchargen mit Nachkommen aus den morganatischen Linien der Häuser Baden und Wittelsbach verheiratet wurden.

In der vierten Sektion standen die Briefwechsel von Monarchen und Monarchengattinnen aus Mexiko und Preußen sowie die intellektuelle Korrespondenz einer Adligen mit einem Dichter im Fokus. Zugleich zeigten Thomas Just und Christine Klössel den Umgang ihrer Archive mit überlieferten fürstlichen Korrespondenzen auf. THOMAS JUST (Wien) berichtete aus dem Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv, wo das Archiv von Kaiser Maximilian von Mexiko (1832–1867) verwahrt und gerade neu erschlossen wird. Maximilian war der jüngere Bruder von Kaiser Franz Joseph und hatte aus innerem Geltungsdrang 1864 die mexikanische Kaiserwürde angenommen. Das Mexiko-Projekt stand von Anfang an unter ungünstigen Vorzeichen und endete für Maximilian am 19. Juni 1867 mit seiner Erschießung in Querétaro. Sein Archiv gelangte 1868 von Schloss Miramar bei Triest, das er sich als Oberbefehlshaber der österreichischen Kriegsmarine hatte erbauen lassen, nach Wien ins Haus-, Hof- und Staatsarchiv. Dieses Archiv gliedert sich in zwei Teile: das mexikanische Archiv mit 58 Kartons und den Teil Miramar. Insgesamt befinde sich dieses Konglomerat in keinem guten Ordnungszustand und sei derzeit nur über alte Findmittel zugänglich, welche die Kriegsverluste des Zweiten Weltkriegs nur unzureichend wiedergeben. Die größte Herausforderung stellt dabei die erstrebenswerte tiefere inhaltliche Erschließung des Materials unter Beachtung der unterschiedlichen Ansprüche der Nutzer dar, erläuterte Just. Die Korrespondenz von Maximilian mit seiner Ehefrau Charlotte von Belgien verwahrt das Harry Ransom Center in Texas[6].

CHRISTINE KLÖSSEL (Eichenzell) beschrieb die Aufbewahrung der Korrespondenz des preußischen Kronprinzenpaares Friedrich (III.) Wilhelm (1831–1888) und Victoria von Großbritannien (1840–1901) im Archiv des Hauses Hessen. Das Ehepaar stand sich sehr nahe und schrieb sich bei räumlicher Trennung täglich, sodass ungefähr 3.500 Briefe überliefert sind. Diese Briefe wurden bereits seit 1858, also noch im Jahr der Eheschließung, in Alben aus rotem Maroquinleder eingebunden, die mit einem Schloss geschützt waren. Als Kaiserinwitwe sammelte Victoria auf ihrem Witwensitz Schloss Friedrichshof ihre Schriftstücke, darunter auch jene Korrespondenz, die sie an ihre Tochter Margarethe Landgräfin von Hessen (1872–1954) vererbte. Victoria beabsichtigte mit diesem Erbgang eine Entschädigung des kurfürstlich hessischen Hauses, das 1866 von Preußen entmachtet worden war.

Die 22.086 Briefe umfassende Korrespondenz von Kaiserin Augusta (1811–1890), die sie mit insgesamt 489 Briefpartnerinnen und Briefpartnern führte, untersucht SUSANNE BAUER (Trier). In Augustas Korrespondenz mit Fürstinnen und Fürsten falle die Verwandtschaft auf sowie eine Ebenbürtigkeit, die mit Silke Marburgs Begriff „Verwandtschaftlichkeit“ gut zu beschreiben sei. Verwandtschaftlichkeit sowie tatsächliche Verwandtschaft nutzte Augusta bei der beständigen Kontaktpflege. Inhaltlich interessant sind bei den Briefen familiäre Nachrichten, bei denen kaum zwischen privatem und politischem Bezug zu trennen sei. Augustas Korrespondenzen waren in ein größeres Briefnetzwerk eingebunden und stellten keine rein bilaterale Kommunikation dar. Ihre Briefe boten Augusta und ihren Briefpartnerinnen und -partnern die Möglichkeit, sich inoffiziell und vertraut gezielt zu informieren und abzustimmen. Damit gelang es Augusta einerseits, eine eigene politische Agenda zu verfolgen, andererseits bot sich ihr in diesem Kommunikationsnetzwerk überhaupt die Möglichkeit, Macht auszuüben, die sie aufgrund ihres weiblichen Geschlechts rein formal in der preußischen Monarchie nicht besaß.

Die 461 Briefe zwischen Marie von Thurn und Taxis (1855–1934) und Rainer Maria Rilke (1875–1926) verdeutlichen nicht nur die menschliche Beziehung zwischen den Korrespondierenden, sondern können zum Entstehungsprozess literarischer Werke beitragen, wie CHIARA CONTERNO (Bologna) zeigte. In ihren Briefen unterhielten sich Rilke und seine Gönnerin nicht nur über den Entstehungsprozess seiner Werke oder über ihre jeweiligen Lektüren, sondern Marie von Thurn und Taxis diskutierte mit Rilke auch ihre Übersetzungen seiner Gedichte ins Italienische. In dem Briefwechsel der beiden liegen verschriftliche Denkprozesse vor, die mit literarischem Schaffen einhergehen. Diskutiert wurde, wie gleichberechtigt dieser „Arbeitsbriefwechsel“ war, da sich die beiden in Geschlecht, Alter und Sozialstatus unterschieden: Rilke wollte als jüngerer Mann mit seinen kritischen und scharfen Leseerfahrungen die ältere Frau Marie von Thurn und Taxis als Mentor bei ihrer Lektüre leiten.

Schlaglichter auf Themen und Formen fürstlicher Korrespondenz nach dem Ende der deutschen Monarchien 1918 warfen die letzten beiden Vorträge der fünften Sektion. Der letzte bayerische Kronprinz Rupprecht (1869–1955) hatte im Ersten Weltkrieg die 6. Armee an der Westfront befehligt und war ab 1916 überzeugt, dass dieser Krieg für Deutschland nicht zu gewinnen war, was ihn in Konflikt mit Falkenhayn und Hindenburg brachte. GERHARD IMMLER (München) rekonstruierte anhand des Briefwechsels zwischen Rupprecht und seinem ehemaligen Generalstabschef, wie er nach 1918 die deutsche Kriegsniederlage bewertete. Paul von Hindenburg erhob in seinen 1920 erschienen Memoiren Vorwürfe gegen Rupprecht und das von ihm befehligte Armeekommando,[7] die in den Militärfachzeitschriften in den 1920er Jahren diskutiert wurden. Öffentlich hielt sich Rupprecht mit seiner Sicht der Dinge auf die Kriegsniederlage zurück, thematisierte dies und seine Selbstverortung jedoch in seinen Briefen der 1920er und 1930er Jahre. Es gab auch Überlegungen, diesen Briefwechsel Rupprechts bzw. seine Ansichten zur Vorkriegspolitik und zum Ersten Weltkrieg zu veröffentlichen.

RAINER MAASS (Darmstadt) stellte eine interessante briefliche Kommunikationsform der Großherzogin Eleonore von Hessen (1871–1937) vor. Mit ihren Schwestern unterhielt sie nach 1918 sogenannte Sammelbriefe, die – ähnlich einer heutigen Rundmail, aber eben nicht zeitgleich – nacheinander von der einen zur nächsten gingen. Ein derartiger Brief brauchte anderthalb bis zwei Monate, ehe er alle Teilnehmerinnen des Briefzirkels erreicht hatte und bei der ursprünglichen Absenderin zurück war. Eleonore heftete ihre eigenen Briefe in Mappen ab. Maaß stellte diese Briefe als eine reiche Quelle für die Handlungsfelder des hessischen Großherzogspaares nach ihrer Absetzung 1918 dar, wobei er insbesondere die Versuche herausstellte, stärkeren kulturellen und politischen Einfluss im Volksstaat Hessen zu gewinnen.

Viele Vorträge der Tagung versuchten, zu einer genaueren archivkundlichen Klassifizierung fürstlicher Briefen im 19. und 20. Jahrhundert zu kommen, indem empirisch beobachtete formale und inhaltliche Merkmale sowie Nutzungszwecke dieser Korrespondenzen zusammengetragen wurden. Es erstaunte, von archivarisch unerschlossenen und damit unerforschten fürstlichen Korrespondenzen zu hören, die nicht nur von Prinzen und Prinzessinnen aus der zweiten Reihe stammen. Zugleich wurden Ansätze und Ideen zur Auswertung dieser reichhaltigen Quelle angesprochen, die erwartungsfroh in die künftige Monarchieforschung zum 19. Jahrhundert blicken lassen.

Konferenzübersicht:

Grußworte
Rouven Pons (Darmstadt), Andreas Fahrmeir (Frankfurt am Main), Donatus Landgraf von Hessen

Sektion 1: Die historische Dimension fürstlicher Korrespondenz

Frank Lorenz Müller (St. Andrews): Fürstliche Korrespondenz: Blick durch das Schlüsselloch oder seriöse Historiographie?

Oliver Auge (Kiel): Wenn Fürsten Briefe schreiben. Zur fürstlichen Korrespondenz im Mittelalter und ihrer Erforschung

Sektion 2: Was ist und wie funktioniert fürstliche Korrespondenz?

Klaus Beyrer (Karlsruhe): Briefe und ihre Übermittlungstechnik im langen 19. Jahrhundert

Karsten Uhde (Marburg): Formen fürstlicher Korrespondenz im 19. Jahrhundert

Rouven Pons (Darmstadt): Briefe wie Opium? Verschleierung und Selbstoffenbarung in den Briefen des Erzherzogs Stephan

Sektion 3: Fürstliche Korrespondenz im Vormärz

Gudrun Gersmann (Köln): Zwischen Paris und Rheinland. Die Korrespondenz der Constance de Salm

Katja Deinhardt (Weimar): Russische Großfürstin und Weimarer Großherzogin: Der Briefwechsel Maria Pawlownas von Sachsen-Weimar-Eisenach

Lupold von Lehsten (Bensheim): Politik der Korrespondenz? Das Beispiel der Großherzogin Wilhelmine von Hessen

Sektion 4: Fürstliche Korrespondenz im Zeitalter der Nationalstaaten

Thomas Just (Wien): Die Korrespondenz des Kaisers Maximilian von Mexiko

Susanne Bauer (Trier): Eine große Familie? Der europäische Briefwechsel der Kaiserin Augusta

Christine Klössel (Eichenzell): Die Korrespondenz Kaiser Friedrichs III. mit seiner Frau Victoria

Chiara Conterno (Bologna): Briefe als Laboratorien des Denkens. Die Korrespondenz der Prinzessin Marie von Thurn und Taxis mit Rainer Maria Rilke

Sektion 5: Fürstliche Korrespondenz nach 1918

Gerhard Immler (München): Die Korrespondenz des Kronprinzen Rupprecht von Bayern zur Aufarbeitung des Ersten Weltkriegs

Rainer Maaß (Darmstadt): Handlungsspielräume nach der Revolution. Die Sammelbriefe der Großherzogin Eleonore von Hessen 1919–1937

Anmerkungen:
[1] Vgl. Heinrich Otto Meisner, Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918, Göttingen 1969; Michael Hochedlinger, Aktenkunde. Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit, Wien 2009, S. 45–46; Irmtraut Schmid, Was ist ein Brief? Zur Begriffsbestimmung des Terminus „Brief“ als Bezeichnung einer quellenkundlichen Gattung, in: Editio. Internationales Jahrbuch für Editionswissenschaft, Bd. 2 (1988), S. 1–7.
[2] Vgl. Johann Georg Herzog zu Sachsen (Hrsg), Briefwechsel zwischen König Johann von Sachsen und den Königen Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. von Preußen, Leipzig 1911; Franz Schnürer (Hrsg.), Briefe Kaiser Franz Josephs I. an seine Mutter 1838–1872, München 1930.
[3] Silke Marburg, Europäischer Hochadel. König Johann von Sachsen (1801–1873) und die Binnenkommunikation einer Sozialformation, Berlin 2008.
[4]https://constance-de-salm.de/ (Aufruf am 11.10.2022).
[5] Vgl. Schmid, Was ist ein Brief, S. 5.
[6]https://hrc.contentdm.oclc.org/digital/collection/p15878coll71 (Aufruf am 11.10.2022).
[7] Paul von Hindenburg, Aus meinem Leben, Leipzig 1920.

Zitation

Tagungsbericht: Fürstliche Korrespondenzen des 19. und 20. Jahrhunderts, In: H-Soz-Kult, 17.11.2022, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-131269>.


[Regionalforum-Saar] '

Date: 2022/11/17 08:29:55
From: Hans Schmitt <hans(a)hans-schmitt.de>


Von meinem iPad gesendet

[Regionalforum-Saar] konsulatsmatrikel-und-passregister

Date: 2022/11/18 10:43:30
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Morgen,

eben stieß ich auf einen interessanten Artikel zum Thema „Auswanderung“, vor allem im 20. Jahrhundert.

Hier ein Auszug:

„Benötigt eine Person deutscher Staatsangehörigkeit im Ausland einen neuen Ausweis, weil der alte vielleicht abgelaufen oder verloren gegangen ist, kann sie nicht zum Bürgeramt ihrer Heimatstadt gehen, sie muss dazu die Hilfe einer deutschen Auslandsvertretung in Anspruch nehmen. Wem jemals auf Mallorca der Pass gestohlen wurde, weiß was das bedeutet. Über die Ausstellung dieses Reisepapiers wird ein Registereintrag gefertigt. Heute in einer Datenbank, früher in einem Registerband. Leuchtet ein Passregister also noch leicht ein, so ist die Existenz von Matrikeln alles andere als geläufig.“

Zu finden auf der Website „Politisches Archiv“ des „Auswärtigen Amtes“.
=> https://archiv.diplo.de/arc-de/das-politische-archiv/das-besondere-dokument/konsulatsmatrikel-und-passregister/2450648

Sehr empfehlenswert.

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] „Vorgestern in St. Wende l“ - alt und neu

Date: 2022/11/20 18:36:52
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Abend,

am nächsten Samstag, 26. November, um 14 Uhr stelle ich im Obergeschoß der Buchhandlung Klein meinen neuen Kalender „Vorgestern in St. Wendel“ vor. Das geschieht in Form einer Powerpoint-Präsentation. Ich zeige die Kalenderfotos und versuche, die modernen Entsprechnungen dazuzuschalten. Ist gar nicht so einfach und geht natürlich nicht wirklich bei den Luftbildern. Außerdem werde ich einzelne Abschnitte der Fotos vergrößern - die werden zwar dann etwas unscharf, aber da kommen Details zum Vorschein, auf die man sonst wohl nicht achten würde.

Der Eintritt ist frei.

Herzlichen Dank.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

--------------------

Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de

Attachment: Vorgestern in St. Wendel.pdf
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[Regionalforum-Saar] Hexen im Heiligen Reich: Die Hexenverfolgung in geistlichen Territorien

Date: 2022/11/22 11:24:32
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Morgen,

im September mußte ich abwägen - eine Woche auf einem Segelschiff auf der Ostsee um Rügen herum oder an einem Seminar über Hexenverfolgung teilnehmen.

Die Segeltour war pure Erholung und hat viel Spaß gemacht, obwohl - das Seminar …

Roland Geiger


Hexen im Heiligen Reich: Die Hexenverfolgung in geistlichen Territorien

 
Organisatoren
Wolfgang Behringer, Lehrstuhl für Frühe Neuzeit, Universität des Saarlandes, Saarbrücken;
Gerd Schwerhoff, Geschichte der Frühen Neuzeit, Technische Universität Dresden;
Rita Voltmer, Geschichtliche Landeskunde, Universität Trier;
Johannes Kuber, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart

88250 Weingarten
Vom - Bis 14.09.2022 - 17.09.2022

Von Eva Stempelova, Historisches Seminar, Universität Zürich

Die Germania Sacra spielte gemäß dem aktuellen Forschungskonsens bei den Hexenverfolgungen im Heiligen Römischen Reich eine bedeutsame Rolle. Die bestimmenden Faktoren sind jedoch, wie WOLFGANG BEHRINGER (Saarbrücken) in der Tagungseinführung erläuterte, nicht hinlänglich erforscht. Ebenso wenig der Umstand, dass für einzelne geistliche Territorien keine intensiven Prozesswellen nachweisbar sind, was nicht ausschließlich auf Quellenverluste zurückzuführen ist. Erklärungsansätze auf diese Leitfragen zu erarbeiten, war Zielsetzung der zwölften internationalen Tagung des Arbeitskreises Interdisziplinäre Hexenforschung (AKIH).

Die erste Sektion „Allgemeine Rahmenbedingungen“ leitete GERD SCHWERHOFF (Dresden) mit einer Übersicht zur Typologie geistlicher Staaten ein, die im Wesentlichen eine Eigenheit des Heiligen Römischen Reiches waren. Der geistliche Fürst hatte ein Doppelamt als princeps et episcopus inne und verfügte aufgrund der Reichsunmittelbarkeit seiner Landesherrschaft über weitgehende Souveränität, die sich auch auf den Justizbereich erstreckte. Die geistlichen Gebiete machten lediglich etwa 15 Prozent des Alten Reiches aus, doch gerade auf diese entfallen rund 40 Prozent aller belegten Hexerei- und Zaubereiprozesse. Hier fanden auch die Früh- und Spätphasen der Hexenverfolgungen statt. Daraus ergab sich die Frage, welche Merkmale die Verfolgungen begünstigen konnten und ob es sich im Vergleich zu weltlichen Territorien um Sondermerkmale handelte. In Anlehnung an das politikwissenschaftliche Konzept der fragilen bzw. scheiternden und gescheiterten Staaten (fragile/failed states) verwies WOLFGANG BEHRINGER (Saarbrücken) auf Defizite kirchlicher Staatlichkeit als mögliche relevante Faktoren. Diese unterteilte er in die verknüpften Ebenen der Structure und Agency. Zur ersteren zählt etwa der Wahlcharakter des geistlichen Fürstenamtes, da sich beispielsweise Konflikte zwischen dem Kirchenfürsten und den ihn erwählenden Landständen (Dom- oder Stiftskapiteln) ergaben. Zur Agency die weitgehend konfessionell motivierten Reformbestrebungen des Landesherrn. Letztlich seien die beiden Ebenen hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkung gegeneinander abzuwägen. In ihrem öffentlichen Abendvortrag erörterte RITA VOLTMER (Trier) die Genese des „Hexenbischof“-Stereotyps in unterschiedlichen konfessionellen Diskursen und dessen Popularisierung in heutigen Medien. Die Behauptung, katholische Fürstbischöfe initiierten Massenverfolgungen vermeintlicher Hexen, findet sich in kontroverstheologischen Schriften ab dem 16. Jahrhundert. Hauptsächlich lutherische Theologen (z. B. Georg Nigrinus), doch auch einzelne katholische Kritiker (Adam Tanner) waren an der Verbreitung des Narrativs beteiligt. Es wurde vermittels frühneuzeitlicher Medien, insbesondere protestantischer Flugblätter, reichsweit rezipiert. Später trug aufklärerische Literatur zur Perpetuierung des Stereotyps bei (Christian Thomasius). Die plakative Bezeichnung „Hexenbischof“, zunächst im frühen 19. Jahrhundert belegt, wird in der heutigen Mediensprache synonym zu „Hexenbrenner“ verwendet und ostentativ für eine unterstellte Hauptverantwortung der katholischen Kirche an Massenhinrichtungen Unschuldiger.

Am zweiten Konferenztag begann die Sektion „Inquisition und Seelsorge“ GEORG MODESTIN (Freiburg im Üechtland) mit dem Vortrag zu einem Epizentrum früher Hexenverfolgungen, das im Wesentlichen der heutigen Westschweiz entspricht, wobei die Fürstbistümer Lausanne, Sitten und Genf im Fokus waren. Hier urteilte über das Hexereidelikt seit dem frühen 15. Jahrhundert zunächst ein geistliches Gericht, dem ein dominikanischer Inquisitor und je ein Vertreter des Ortsbischofs sowie des Herzogs von Savoyen (Vogt) beiwohnten. Im Falle eines Schuldspruchs folgte ein weiterer Prozess vor einem weltlichen Gericht, präsidiert durch den savoyisch-herzoglichen Vogt, das für die Strafzumessung zuständig war. Vor dem Hintergrund interferierender Gerichtsbarkeits-Ansprüche kam es wiederholt zu Konflikten zwischen den geistlichen und weltlichen Autoritäten. Nach Auflösung der Dominikanerinquisition im frühen 16. Jahrhundert übernahm die weltliche Justiz die Prozessabwicklung. Aus vergleichender Perspektive beleuchtete IRIS GAREIS (Frankfurt am Main) die Jurisdiktion in den spanischen Königreichen (Aragon und Kastilien) sowie Überseegebieten. In der Rechtspraxis wurde zwischen brujería "Hexerei" unterschieden, deren Hauptbestandteil das Maleficium war, und hechicería "Zauberei", besonders Glücks- und Liebeszauber, Krankenheilung oder Schatzsuche. Delikte der letzteren Kategorie wurden grundsätzlich milder geahndet. Die Inquisition (die Spanische Inquisition sowie die apostolische Inquisition Aragons) und die geistlichen Gerichte führten überwiegend Prozesse wegen Zauberei und nahmen zur Hexerei eine kritische Stellung. Die geistliche Obrigkeit versuchte gar, den populären Hexenglauben einzudämmen: So wandten sich einzelne Bischöfe an die Priester mit einer Bitte, die Bevölkerung in Predigten über die natürlichen Ursachen für Unwetter aufzuklären. Dennoch brach immer wieder Hexenpanik aus und die Verdächtigten wurden in erster Linie vor weltlichen Gerichten, teils zu Hunderten, exekutiert. Aus Jahresberichten (Litterae annuae) erschloss FRANK SOBIECH (Würzburg) die Tätigkeit des Jesuitenordens als Kerkerseelsorger und Prediger in den Hochstiften Würzburg und Paderborn im 16. bzw. 17. Jahrhundert. Bei der Seelsorge, welche die Constitutio Criminalis Carolina (1532) maßgeblich regelte, war es den Jesuiten nicht gestattet, in das Prozessgeschehen einzugreifen. Somit war auch Fürsprache für Hexerei-Angeklagte untersagt, dennoch kam es zu Ausnahmefällen. Andererseits predigten die Mitglieder der Societas über das dämonologische Hexereidelikt. Welche Auswirkungen dies haben konnte, wurde im Plenum ausgiebig diskutiert.

In der Sektion über „Geistliche Kurfürstentümer“, die zu Gebieten mit den Höchstzahlen der Prozessopfer gehören, analysierte PETER ARNOLD HEUSER (Bonn) die Justizpraxis in Kurköln. Hier fiel die Hexenverfolgung größtenteils mit der Regierung der bayerischen Wittelsbacher-Linie zusammen (reg. 1583-1763), die sich ihre Herrschaft durch eine Quasi-Sekundogenitur sicherte (ein jüngerer Bruder des bayerischen Herzogs wurde Kurfürst von Köln). Die Verfolgung intensivierte sich unter Erzbischof Ferdinand von Bayern (reg. 1612-1650), der 1607 Die kurkölnische Hexenprozessordnung erließ. Die Urteilsfällung erfolgte indessen dezentral, durch die obrigkeitlich legitimierten Lokalgerichte. Heuser betonte abschließend die Bedeutung Kölns als eines Zentrums des europäischen Buchdrucks, welcher zur Verbreitung der Hexenlehre wesentlich beitrug. An sein Promotionsthema anknüpfend, erörterte JOHANNES DILLINGER (Oxford) die politische Bedeutung der Hexenverfolgungen im Kurfürstentum Trier. Die Kurtrierer Herrschaftspraxis war kommunalistisch geprägt: Die Zentralregierung berief Landtagsversammlungen, wo Abgeordnete der Stadt- und Dorfgemeinden Mitsprache an der Regierung hatten. Die weitreichende Selbstverwaltung äußerte sich auch darin, dass von den dörflichen Kommunen gewählte und finanzierte Hexenausschüsse die Prozesse organisierten. Diese waren jedoch nicht nur kostenaufwendig, durch die eigenständige Anstellung von Beamten (Rechtsanwälten, Schreibern) schien eine alternative Institutionen- und Staatsbildung voranzugehen. Hinzu kam, dass Mitglieder der stadttrierischen Elite, Gefolgsmänner des Kurfürsten, als Hexenmeister verurteilt wurden (z. B. Dietrich Flade). 1652 veranlasste Kurfürst Karl Kaspar von der Leyen die Beendung der Verfolgung, da sie inzwischen die Form eines radikalisierten Kommunalismus angenommen hatte und somit einer Aberration der Kooperation zwischen Staat und Gemeinde.

Zum Thema „Klosterterritorien“ leistete BIRGIT KATA (Kempten) einen Beitrag über die benediktinische Fürstabtei Kempten. In diesem ostschwäbischen Südteil des Reiches scheint es verhältnismäßig wenige Hexereiverfahren gegeben zu haben. Insgesamt sind zehn Prozesse mit Todesurteil zwischen 1618 und 1755 dokumentiert. Hingegen kam es in benachbarten Landesbezirken, besonders in dem südöstlich angrenzenden Fürstbistum Augsburg, seit dem 16. Jahrhundert zu intensiven Verfolgungen, teils angeregt durch den Oberallgäuer „Hexenfinder“ Chonrad Stoeckhlin, worüber Wolfgang Behringer eine mikrohistorische Studie verfasst hat. Diese Diskrepanz ist gemäß Kata auf eine ablehnende Stellungnahme der Fürstäbte zurückzuführen, auf die der Quellenbefund hindeutet. Die Medien zeichnen indes ein anderes Bild: Der Prozess gegen Anna Maria Schwegelin (1775) wird weiterhin als die letzte Hexenhinrichtung auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands inszeniert, obschon Wolfgang Petz nachgewiesen hat, dass das von Fürstabt Honorius Roth von Schreckenstein handsignierte Todesurteil nicht vollstreckt wurde.

Zu Beginn des dritten Konferenztages wurden „Fränkische Hochstifte“, eine weitere verfolgungsintensive Gegend, in Augenschein genommen. ROBERT MEIER (Marburg) referierte über die Hexenprozesse im Fürstbistum Würzburg, deren Beginn mit dem Episkopat Julius Echters von Mespelbrunn (reg. 1573-1617) zusammenfällt. Unter der Prämisse, in den fränkischen Reichsstiften wurden die Verfahren nach dem top-down Schema initiiert, wies die frühere Forschung dem Fürstbischof die Einleitung der Prozesse zu. Meier machte auf seinen bedeutenden Quellenfund aufmerksam, der auf ein bottom-up Muster hindeutet: Suppliken bezüglich Hexereiverdächtigungen aus den Remlinger Gemeinden, die Echter urschriftlich an das zuständige Zentgericht in Remlingen weiterleitete. Für die Zent (Gerichtsbezirk) Gerolzhofen mit den höchsten Verurteilungsquoten des Hochstiftes bis 1618 betonte Meier die Initiative des Zentgrafen Valentin Hausherr und plädierte für eine Entlabelung Echters als Hexenverfolger. Im ähnlichen Sinne verwies JONATHAN DURRANT (Pontypridd) auf die Relativität eines Zusammenwirkens von konfessionell geprägter Verfolgungsinitiative und Justizgewalt. Als Beispiel nannte er die Massenverfolgungen in dem fränkischen Hochstift Eichstätt, die zur Amtszeit Fürstbischofs Johann Christoph von Westerstetten (reg. 1612-1637), eines strebsamen Gegenreformators, kulminierten. Zum Vergleich zog Durrant die größte bekannte Ermittlung gegen vermeintliche Hexen auf englischem Boden heran, die sich im elisabethanischen England (1582) in der Küstenstadt St Osyth zutrug, im Osten der Grafschaft Essex. Zwei der vierzehn Verdächtigten, Ursley Kempe und Elizabeth Bennet, legten vor dem städtischen Magistratsangestellten Brian Darcey ein Geständnis ab, nachdem er ihnen Nachsicht zusicherte. Aufgrund dieser Selbstbezichtigungen wurden beide durch das zuständige Gericht in Chelmsford zur Todesstrafe verurteilt, die anderen freigesprochen. Durrant merkte an, es hätte womöglich mehr Verurteilungen (oder eine weiterreichende Hexenermittlung) gegeben, hätte Darcey ein höheres Justizamt ausgeübt.

Wie USCHI BENDER-WITTMANN (Minden) nahelegte, zählte unter „Rheinisch-westfälische Hochstifte“ mit hohen Prozessraten wohl auch Minden, das mit dem Westfälischen Frieden 1648 ein Fürstentum wurde. Von den rund 240 dokumentierten Verfahren datieren lediglich acht vor die Säkularisierung und in die Amtszeit eines Mindener Administrators, Herzog Christians des Älteren von Braunschweig-Lüneburg (reg. 1599-1630). Allerdings ist die Quellenlage für das Hochstift prekär. Dass in der östlich angrenzenden Grafschaft Schaumburg und im Mindener Fürstbistum zeitgleich Prozesse nachweisbar sind (1604-1607), wertet Bender-Wittmann als ein Indiz auf überterritoriale Verfolgungswellen und darauf, dass die Prozesszahlen weiter nach oben zu korrigieren sind. SARAH MASIAK (Detmold) präsentierte die Ergebnisse ihres unlängst publizierten Dissertationsprojekts zur Hexenverfolgung und sozialer Stigmatisierung in der Gemeinde Fürstenberg im Hochstift Paderborn. Mit kriminalsoziologischem und sozialpsychologischem Forschungsansatz erschloss sie die Lebensumstände der sogenannten „Teufelskinder“ (deüffelskinder), Angehöriger von Familien, deren einzelne Mitglieder im Laufe des 17. Jahrhunderts generationsübergreifend der Hexerei verdächtigt und verurteilt wurden. Aus Gerichtsakten arbeitete Masiak die Ausgrenzungspraktiken der Ortsgemeinschaft heraus sowie die Verteidigungsstrategien der Betroffenen. Grundsätzlich sollte kein sozialer Kontakt mit den „Hexenfamilien“ gepflegt werden, die sich wiederum durch Heiratsbündnisse zusammenschlossen.

Im Themenfeld „Außerdeutsche geistliche Territorien“ untersuchte HANSJÖRG RABANSER (Innsbruck) das Hochstift Brixen an der Ostgrenze der Grafschaft Tirol. Anhand des bislang gesichteten Quellenmaterials ist für keines der beiden Bezirke auf obrigkeitlich angeordnete Hexenermittlungen zu schließen. Bekanntlich hat Georg II. Golser Heinrich Kramers Bemühungen, 1485 in Innsbruck eine Hexeninquisition zu veranstalten, ein schnelles Ende bereitet. Indessen wurden mehrere der Hexerei Denunzierte nach Brixen überstellt, verfügte doch das Stadtgericht über Hochgerichtsbarkeit (so etwa 1573 zwölf Personen aus dem südlich liegenden Val di Fassa). Die Letztentscheidung oblag jedoch stets dem Bischof bzw. seinem Hofrat. PETR KREUZ (Prag) stellte einen außergewöhnlichen Fall vor: Als das schlesische Fürstentum Neisse unter Karl Ferdinand Wasa, Erzbischof von Breslau, intensive Prozesswellen erschütterten, wurden 1651 in der Stadt Zuckmantel (heute Zlaté Hory in Tschechien) zwei Frauen festgenommen: Maria Anna Tittel und ihre Mutter. Erstere bezichtigte im peinlichen Verhör ihre in Prag wohnhafte Schwester Ursula Kupferschmiedin der dämonischen Hexerei. Diese wurde im Folgejahr auf Befehl Kaiser Ferdinands III. durch das Prager Appellationsgericht zwei Mal verhört, ehe sie in Haft verstarb.

Der letzte Konferenztag wurde mit der Sektion „Komparative Ansätze“ beschlossen. ROLF SCHULTE (Ahrensburg) zeigte am Beispiel protestantischer Hochstifte, welche Dynamiken Hexenverfolgungen antreiben oder eindämmen konnten. Für Bremen erließ Fürsterzbischof Johann Friedrich von Schleswig-Holstein-Gottorf 1603 das Edikt in Zauberei-Sachen, welches die Beweisführung abmilderte. Während des Dreißigjährigen Krieges, nachdem sich Johann Friedrich nach Lübeck zurückziehen musste, begannen die lokalen Gerichte auf der Ostseeinsel Fehmarn, einem Periphergebiet seiner Herrschaft, autonom zu verurteilen. Für das Hochstift Verden sind die meisten Verfahren in der gleichnamigen Stadt zu verzeichnen, die der bischöflichen Gerichtsbarkeit gegenüber Autonomität beanspruchte, da sie jener des Domkapitels und des städtischen Rates unterstand. Ab 1642 trug Heinrich Rimphoff als Superintendent zum Anstieg der Prozesszahlen in der Stadt bei. WALTRAUD MAIERHOFER (Iowa City) analysierte die Darstellung eines Kinderhexenprozesses im zweiten Teil des historischen Romans Die Vogelmacherin von Eveline Hasler. Die Geschichte, welche die Autorin im freiweltlichen Damenstift Buchau am Federsee verortet, basiert auf Gerichtsakten, den zufolge 1662 an der 15-jährigen Maria Lehnerin und ihrem 13-jährigen Bruder Isau Lehner wegen vermeintlicher Hexerei das Todesurteil vollstreckt wurde. Maierhofer stellte abschließend die Frage nach der Sinnhaftigkeit historischen Erzählens, woraus sich eine kontroverse Diskussion ergab. Einerseits kann dies eine Art der Geschichtsvermittlung an ein größeres Lesepublikum sein. Andererseits verschwimmen oft die Grenzen zwischen Faktizität und Fiktion, was zu einer verzerrten Geschichtswahrnehmung führen kann.

Die erkenntnisreiche Tagung gewährte gehaltvolle Einblicke auch in wenig erforschte Territorien der Germania Sacra und zeigte viele begünstigende Faktoren der Hexenverfolgungen auf. Der Einfluss der bischöflichen Zentralregierung, den die frühere Forschung nachdrücklich betonte, wurde zwar relativiert, aber nicht negiert. Hervorgehoben wurde die oft konfliktbeladene Dynamik zwischen geistlichen und weltlichen Obrigkeiten, Kirchenfürsten und Landständen, Zentralstaat und Gemeinde oder Stadt- und Dorfkommune. Inwieweit es Sonderfaktoren gab, kann erst ein Vergleich zwischen geistlichen und weltlichen Verfolgungsregionen offenlegen. Weiterführende Forschungen sollten zudem eingehender die Infrastruktur geistlicher, auch kleinräumiger Gebiete wie Klosterherrschaften untersuchen.

Konferenzübersicht:

Johannes Kuber (Stuttgart): Begrüßung

Wolfgang Behringer (Saarbrücken): Einführung

Sektion 1: Allgemeine Rahmenbedingungen

Gerd Schwerhoff (Dresden): Geistliche Territorien im Alten Reich: Ein struktureller Überblick

Wolfgang Behringer (Saarbrücken): Failed States? Frühmoderne Staatlichkeit in der Germania Sacra

Rita Voltmer (Trier): Die Tyrannei der Hexenbischöfe: Zum Ursprung eines populären Narrativs

Sektion 2: Inquisition und Seelsorge

Georg Modestin (Freiburg im Üechtland): Hexenverfolgung in den geistlichen Herrschaften der nachmaligen Westschweiz

Iris Gareis (Frankfurt am Main): Hexenverfolgung im spanischen Weltreich: Zur Rolle der Inquisition im Vergleich mit der geistlichen und weltlichen Justiz

Frank Sobiech (Würzburg): Jesuiten im Einsatz: Kerkerseelsorge in geistlichen Territorien

Sektion 3: Geistliche Kurfürstentümer

Peter Arnold Heuser (Bonn): Hexenjustiz im Kurfürstentum Köln: Konjunkturen, Strukturen und Akteure

Johannes Dillinger (Oxford): Hexenverfolgungen im Kurfürstentum Trier

Sektion 4: Klosterterritorien

Birgit Kata (Kempten): Die Hexenprozesse in der Fürstabtei Kempten

Sektion 5: Fränkische Hochstifte

Robert Meier (Marburg): Hexenverfolgung im Hochstift Würzburg

Jonathan Durrant (Pontypridd): The Eichstätt Witch Persecutions in Comparative Perspective

Sektion 6: Rheinisch-westfälische Hochstifte

Uschi Bender-Wittmann (Minden): Whodunit? Hexenverfolgungen im Fürstbistum (und Fürstentum) Minden: Ein Problemaufriss

Sarah Masiak (Detmold): Teufelskinder: Hexenverfolgung und gesellschaftliche Stigmatisierung im Hochstift Paderborn (1601-1703)

Sektion 7: Außerdeutsche geistliche Territorien

Hansjörg Rabanser (Innsbruck): Hexenverfolgungspraxis im Hochstift Brixen

Petr Kreuz (Prag): Der Widerhall der Hexenprozesse im Fürstentum Neisse 1651-1652 in Prag und Ostböhmen

Sektion 8: Komparative Ansätze

Rolf Schulte (Ahrensburg): Protestantische Fürstbischöfe und die Hexen: Hexenverfolgungen in geistlichen Territorien im Norden des Reichs

Waltraud Maierhofer (Iowa City): Eveline Haslers Gestaltung eines Hexenprozesses im weltlichen Damenstift Buchau im Roman „Die Vogelmacherin“

Schlussdiskussion

Zitation

Tagungsbericht: Hexen im Heiligen Reich: Die Hexenverfolgung in geistlichen Territorien, In: H-Soz-Kult, 22.11.2022, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-131413>.





[Regionalforum-Saar] Zoom-Vortrag "Tiroler Auswanderer ins Saarland"

Date: 2022/11/27 00:03:03
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Abend,

für alle, die ein Interesse an Tiroler Einwanderern ins Saarland haben, findet am nächsten Mittwoch, 30. November, online ein Vortrag zu genau diesem Thema statt:

30. November 2022
Tiroler Auswanderer ins Saarland
Vortragende: Anke Michels

Veranstalter ist „Familia Austria“, die Österreichische Gesellschaft für Genealogie und Geschichte.

Die Teilnahme an dem Zoom-Meeting ist kostenlos und nicht an eine Mitgliedschaft bei Familia Austria gebunden.

Allerdings muß man sich vorher anmelden. Das geschieht über diesen Link:
https://us06web.zoom.us/meeting/register/tZAkfuCvqj4jGdC8OBSlnnmGISq4nFsElhKm

Einlaß: ab 17.40 Uhr
Beginn: 18.00 Uhr

Der Vortrag ist einer von mehreren, über die Sie sich auf dieser Website informieren können:

https://www.familia-austria.at/index.php/termine/1772-einladung-zum-3-virtuellen-jahreskurs-2022-2023-bei-familia-austria-vortraege-schulungen-analyseabende-und-forschertreffen

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger
Arbeitsgemeinschaft für Saarländische Familienkunde (ASF)