Digitale Ausstellung: Landäuser im Wandel.
Hrsg. v. Ewald Frie / Dr. Daniel Menning
URL https://www.dithodesign.de/landhauser-im-wandel
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexandra Schäfer-Griebel, Universität Leipzig
Die digitale Ausstellung „Landhäuser im Wandel“ präsentiert für
ein breiteres
Publikum das Programm des Forschungsprojekts „Landhäuser im
Wandel“, das seit
2018 an der Universität Tübingen angesiedelt ist. Das
Forschungsprojekt unter
Leitung von Ewald Frie und Daniel Menning nimmt Landhäuser zum
Ausgangspunkt
einer mikrohistorischen Untersuchung des Spannungsfelds von
Landschaft,
Gesellschaft und materieller Kultur, was interregional – aber
nicht
vergleichend – für Württemberg, Brandenburg und das Rheinland
betrachtet wird.
Ein besonderer Fokus liegt auf Landhäusern als Orten, an denen
politische,
gesellschaftliche, ökonomische und technische Veränderungen über
einen Zeitraum
von rund 200 Jahren hinweg jenseits urbaner und industrieller
Zentren
ausgehandelt und vollzogen wurden. In den vier Teilprojekten des
Forschungsprojekts
werden in unterschiedlicher Weise die Agrargeschichte deutscher
Tradition, die
englische Country-House-Forschung und Akteur-Netzwerk-Theorien, in
denen die agency
von Menschen und Dingen besondere Beachtung erhält, miteinander
verbunden.[1]
Die Genese der digitalen Ausstellung und ihr Ort innerhalb des
gesamten
Forschungsprojekts wird von den Verantwortlichen
bedauerlicherweise nicht
kommentiert. Im Videobeitrag „Über das Projekt“ von Daniel Menning
wird als
Ausstellungskonzept eine sprachlich und konzeptionell vereinfachte
Fassung des
Konzepts des Forschungsprojekts formuliert. Die digitale
Ausstellung wendet
sich an ein breites geschichtsinteressiertes Publikum, das die
Landhäuser
bisher bloß als Kulissen von Historienfilmen oder
Wochenendausflügen kennt.
Menning formuliert als zentrales Anliegen, dass Entscheidungen
über aktuelle
bzw. künftige Möglichkeiten der Bewahrung, Nutzung und
Finanzierung von
Landhäusern die neuen Erkenntnisse zu den Landhäusern einbeziehen
und diese
Entscheidungen von einer breiteren Bevölkerung nachvollzogen und
geteilt werden
können. Eine solche gegenwarts- und zukunftsorientierte
Perspektive ist für die
Country House-Forschung charakteristisch, die nicht nur
disziplinenübergreifend
(u. a. Geschichte, Kunstgeschichte, Archäologie), sondern auch in
engem
Austausch mit Kuratoren und Denkmalpflegern arbeitet.[2]
Auf der Startseite erhalten die Nutzer zunächst eine kurze
Erläuterung des
Begriffs „Landhäuser“, die den Verbreitungsgrad, die Bauweise,
regional
variierende Bezeichnungen und heutige Nutzungen einbezieht. Um das
Landhaus zu
entdecken, können die Nutzer/innen auf einem ansprechend
gestalteten,
abstrahierten Grundriss unterschiedliche Räume auswählen.
Alternativ kann der
Zugang über die Themen Herrschen, Wirtschaften, Arbeiten erfolgen,
die als drei
unscheinbare Buttons an der linken Seite anwählbar sind, oder über
ein
Dropdown-Menü auf der rechten Seite, das eine Liste der Räume
bereitstellt. Die
Umsetzung bevorzugt durch Farbwahl und Positionierung auf dem
Bildschirm klar
die Navigation über den abstrahierten Grundriss.
Nutzer/innen können sich durch Dienstbotenzimmer, Stall,
Schlafzimmer, Küche,
Große Halle, Scheune, Park, Toilette und Dachboden klicken. Auf
jeder
Unterseite zu einem Raum steht den Nutzern/innen eine
deutschsprachige und
englischsprachige Fassung sowie eine deutsche Fassung in leichter
Sprache zur
Verfügung, zwischen denen sich leicht wechseln lässt. In jedem
Raum lässt sich
zudem ein Hintergrundgeräusch zuschalten (z. B. Schritte, Atmen),
dessen
Mehrwert sich jedoch nicht recht erschließt. Die jeweiligen
Unterseiten sind
übersichtlich nach dem gleichen Schema aufgebaut: Nach einigen
hinleitenden
Worten folgen zunächst drei Beiträge zu den Zeitschnitten
1780–1830, 1880–1930
und 1945–1990. Dies entspricht zeitlichen Schwerpunktsetzungen
innerhalb der
Teilprojekte des Tübinger Forschungsprojekts und spiegelt zugleich
wichtige
historische Einschnitte wider: Strukturwandel um 1800;
Industrialisierung,
Urbanisierung und Mechanisierung der Agrarwirtschaft um 1900;
„Geschichtsboom“
ab Mitte der 1960er-Jahre.[3] Nach diesen Zeitschnitten
folgen auf
jeder Unterseite drei unterschiedliche Perspektiven auf den
jeweiligen
Themenbereich und ein knappes Fazit. Nutzer/innen müssen hier
recht
konventionell von oben nach unten durch die Inhalte scrollen.
Bei den Beiträgen zu den drei Zeitschnitten wechseln sich kurze,
informative
Text- und Videobeiträge ab, die durch Quellenauszüge ergänzt
werden. Diese
Beiträge sind unterschiedlich dicht, binden aber insgesamt sehr
gelungen
zahlreiche Forschungsstränge und aktuellere Debatten ein. Im Raum
Schlafzimmer,
Zeitschnitt 1780–1830, werden z. B. in dem sehr guten Videobeitrag
von Anne
Sophie Overkamp Intimität, das Näheverhältnis von Herrschaft und
ihren nächsten
Bediensteten erklärt und dabei auch explizit auf Leerstellen der
Forschung
(Sexualität und Privatheit) verwiesen. Ebenso werden in dem
Beitrag
Verwandtschaftsbeziehungen und Versorgung der nachgeborenen Kinder
adeliger
Familien, Fragen von Status und Abgrenzung sowie Heiratspolitik
angesprochen.
Stellenweise thematisieren die Beiträge auch explizit, mit welchen
verbreiteten
Vorstellungen aufgeräumt werden soll: Christoph Schlemmer
erläutert, dass der
Rückgriff auf die Zugkraft von Pferden nach dem Aufkommen der
dampfbetriebenen
Ackergeräte nicht unbedingt eine Fortschrittsfeindlichkeit der
Besitzer der
Landhäuser ausdrücke, sondern zuvorderst eine Frage
Kosten-Nutzen-abwägenden
Wirtschaftens sei (Videobeitrag Raum Stall, Zeitschnitt
1880–1930). Allgemeine
Informationen werden durch Bezüge auf einzelne Landhäuser aus den
drei
regionalen Untersuchungsräumen ergänzt, so dass hier konkrete
Erkenntnisse aus
dem Forschungsprojekt einfließen.
Die Quellenauszüge führen den Nutzern/innen anschaulich die große
Bandbreite an
Quellenmaterial für Forschungen zum Landhaus vor Augen, das von
Rechnungsbüchern über Fotografien, Zeitungsauszügen, Mobiliar und
Ahnenporträts
bis hin zu Wirtschaftsverträgen reicht. Die Art der Einbindung ist
genauso
vielfältig und abwechslungsreich wie die dargebotenen
Quellenauszüge selbst.
Teilweise können sich Nutzer/innen die Quellen interaktiv
erschließen, indem
sie z. B. durch eine Glückwunschadresse (Raum Große Halle)
blättern oder auf
einem Grundriss sich Vorher-Nachher-Zustände von Umbauarbeiten
(Raum Toilette)
anzeigen lassen. Darüber hinaus werden die Nutzer/innen auch zur
Beschäftigung
mit Landhäusern, ihren Bewohnern und dem dortigen Leben
aufgefordert, die über
die unmittelbare Nutzung der digitalen Ausstellung hinausgeht wie
z. B. beim
Nachkochen eines Rezepts (Raum Küche). Teilweise stehen die
Quellenauszüge aber
auch (nur) illustrativ neben den Textbeiträgen. Gerade hier hätte
sich die
Rezensentin gewünscht, dass einem breiteren Publikum
Zusatzinformationen zur
Quellengattung (Was sind z. B. Wirtschaftsverträge?) oder auch zur
Einordnung
des konkreten Quellenauszugs als Hilfestellung mitgegeben werden,
die z. B.
über ein Mouseover ein- und ausgeblendet werden könnten. Anhand
der
unterschiedlichen Quellenauszüge ließe sich auch auf die Bedeutung
der
materiellen Perspektive verweisen – gerade weil materielle Kultur
einen
wesentlichen Schwerpunkt des Forschungsprojekts darstellt.
Scrollt man durch die Beiträge zu den drei Zeitschnitten weiter
nach unten
bietet jede Unterseite drei verschiedene Perspektiven von
Bewohnern der Landhäuser
unterschiedlicher Stellung und zu unterschiedlichen Zeitpunkten,
die spannende
Einblicke in den konkreten Alltag geben. Auch hier wären aus Sicht
der
Rezensentin zusätzliche Angaben hilfreich, nämlich eine
Quellenangabe, Hinweise
zum Dienstort der Personen oder auch eine Einordnung für die
Nutzer/innen, wie
nah sich die Aussagen an den Quellen bewegen (Paraphrase,
Kompilation oder lose
Anlehnung). Solche zusätzlichen Informationen würden die
Nutzbarkeit der
digitalen Ausstellung für die Lehre sehr fördern.
Wer sich wissenschaftlich mit „Landhäuser im Wandel“ befassen
will, erhält auf
einer Unterseite eine kleine Literaturliste als Starthilfe, die
sowohl
Publikationen aus dem Forschungsprojekt aufnimmt, als auch
deutsch- und
englischsprachige Titel zu verschiedenen Aspekten aufgreift.
Weiterführende
Links führen zu schwedischen und dänischen Webseiten, die der
Country-house-Forschung gewidmet sind. Scrollt man auf den
Unterseiten zu den
Räumen weiter, folgt nach den Perspektiven ein knappes
informatives Fazit zum
Wandel der einzelnen Räume im Landhaus und ihren Funktionen. Zudem
werden die
Nutzer/innen aufgefordert vor dem Hintergrund des neu erworbenen
oder
vertieften Wissens, selbst Position zu beziehen. Hier vermischen
sich auf
gelungene Weise Information und Unterhaltung.
Ein größeres Manko der ansprechenden Webseite stellen
browserbedingte
Anzeigefehler dar: Auf mehreren Unterseiten zu einzelnen Räumen
bricht bei
Nutzung von Firefox und Microsoft Edge der Text mitten im Satz ab,
während die
Anzeige mit Chrome bestens funktioniert. Ein Hinweis auf der
Startseite zur
Kompatibilität der Webseite mit entsprechenden Browsern wäre ein
wichtiger,
notwendiger Hinweis.
Insgesamt bietet die digitale Ausstellung „Landhäuser im Wandel“ –
trotz der
angesprochenen Einschränkungen – eine einfach und intuitiv
navigierbare, in
medialer Hinsicht ansprechende optische Umsetzung sowie
abwechslungsreiche
Präsentation. Inhaltlich überzeugt die digitale Ausstellung, indem
das Programm
des Forschungsprojekts „Landhäuser im Wandel“ zielgruppenadäquat
dargestellt
wird und es gelingt, verschiedene Forschungsfelder, -ansätze und
aktuellere
Debatten einem breiteren geschichtsinteressierten Publikum zu
vermitteln.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Ewald Frie u. a.,
Landhäuser im Wandel.
Gesellschaftliche Transformation in deutschen Regionen, 18.–20.
Jahrhundert, https://uni-tuebingen.de/fakultaeten/philosophische-fakultaet/fachbereiche/geschichtswissenschaft/seminareinstitute/neuere-geschichte/personen/lehrstuhl-frie/landhaeuser-im-wandel/#c599899
(02.12.2021).
[2] Vgl. exemplarisch Danish
Research Centre for
Manorial Studies: European Network for Country House and Estate
Research, https://encounter.network/
(02.12.2021).
[3] Frie u. a., Landhäuser.
Zitation
Alexandra Schäfer-Griebel: Rezension zu: Digitale Ausstellung:
Landäuser im
Wandel, in: H-Soz-Kult, 18.12.2021, <www.hsozkult.de/webreview/id/rezwww-209>.
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