Eckige Klammern sind von mir "[" und "]".
----------------
Hexen und Aberglauben in den Akten des
Stadtarchivs St.
Wendel.
Gestern abend hielt im Mia-Münster-Haus Andrea Recktenwald aus
Güdesweiler, die
im Stadtarchiv St. Wendel für die Stadtgeschichte zuständig ist,
einen
interessanten Vortrag über Hexen, Aberglaube, Volksglaube, wie er
aus den
Beständen des Stadtarchivs ersichtlich ist. Der Vortrag wird
demnächst auf den
Internetseiten des Archivs zu sehen sein
[https://www.sankt-wendel.de/kultur/einrichtungen/stadtarchiv/aus-der-geschichte/?L=1%27%27A].
Frau Recktenwald ging zunächst auf die Begriffe wie „Hexen“ und
„Volksglaube“
ein und schilderte, wie ein „typischer“ Hexenprozess vor sich
ging. Dann ging
sie auf die Belege ein, die es von St. Wendel gibt. Die sind per
se recht
mager, denn für das Amt St. Wendel ist nicht ein einziger
Hexenprozess
überliefert (obwohl die Aktenlage des 17. Jahrhunderts im Stadt-
wie im
Pfarrarchiv sehr gut, sprich: umfangreich, ist).
Es gibt ein paar Hinweise, z.B. in der Bürgermeistereirechnung von
1654: „Die
Ausschüsse haben bei Wilhelm Laux, als man Hexenbrennen aufsuchte,
für 73 R 18
alb verzehrt.“
Leider steht in der ganzen 550seitigen Akte A72, auf deren Seite
115 dieser
Eintrag zu finden ist, über ein Ereignis dieser Art nichts weiter
drin.
Ein paar Jahre später heißt es in einer Rechnung, datiert auf den
23. April
1660: „Hanß Wilhelm Clauß legt eine Rechnung über den Verzehr
franz. Offiziere
vor, die größten teils anerkannt wird [auch wenn’s zum Thema paßt:
die
französischen Offiziere haben verzehrt, sie wurden nicht …]. Zum
Schlusse heißt
es: „Mit den Uncosten wegen hiebevorigen hexen Brennens
ist dieß mahl
nichts geschlossen worden“. [vermutlich A 48, Seite 74].
Max Müller macht daraus auf Seite 609 seines Buches über die
Geschichte der
Stadt St. Wendel:
„Der Dreißigjährige Krieg aber brachte einen Wust von Aberglauben.
Da läuteten
die Nächte des Hexenmonats Mai hindurch die Glocken, die die
Unholdinnen auf
ihren Ritten durch die Lüfte verscheuchen sollten.
Selbst der Pastor Weiler [Pfarrer in St. Wendel während der
Reunionszeit 30
Jahre nach dem 30-jährigen Krieg] war von der Nützlichkeit dieser
Maßnahme so
überzeugt, daß er in seiner Kirchenordnung nur gebot, die Männer
und Weiber
sollten allemal gesondert und nicht miteinander das Geläute
besorgen.
Bald nach dem großen Kriege rauchten auch hier die Scheiterhaufen,
auf denen
die Hexen ihre Untaten büßen sollten. „Item“ heißt es in der
Rechnung des
Gerichtsbürgermeisters vom Jahre 1655, „haben die Ausschuß
hiebeuorn bey
Wilhelm Lauxen alß man hexen brennen soll, verzert 73 Gulden 18
Alb“.
Und 1660 sagt der Stadtschreiber Nikolaus Tholey: „Mit den
uncosten wegen
hiebevorigen hexenbrennens ist diesmahl nichts geschloßen
worden“.“
Fragt sich natürlich, ob dieses „Hexenbrennen“ in St. Wendel
stattfand oder
sich die schaulustige Gesellschaft nach dem Spektakel auf dem
Heimweg von
auswärts hier zum Schmause traf und warum das Geld von der Stadt
und nicht von
den Leuten selbst bezahlt wurde. Wilhelm Laux war ein Gastwirt in
St. Wendel,
und 73 Gulden sind ne Menge Geld.
Aber wieso finden sich Hinweise nur als Hinweise? Wo sind die
Hauptakten?
Zum Schluß ging Frau Recktenwald sehr ausführlich auf einen den
Zaubererprozeß
von 1858 ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie mit großen
Schwierigkeiten zu
kämpfen, weil das Mikrophon resp. der Lautsprecher ausgefallen war
und das
zahlreiche Publikum coronamäßig über zwei Ausstellungsräume im
Obergeschoß des
Mia-Münster-Hauses verteilt war. Von hinten kam immer wieder ein
Zwischenruf
„bitte lauter“, aber dem konnte die Sprecherin in ihrer sitzenden
Position
trotz ihres klaren Hochdeutsches nicht nachkommen. So gingen
leider viele ihrer
Ausführungen verloren, vor allem, als sie bei diesem Prozeß auf
den
Originaltext des 17. Jahrhunderts zurückgriff. Wenn sie die gerade
gelesenen
Zeilen in moderner Sprache rekapitulierte und das Publikum direkt
ansprach, kam
wesentlich mehr durch. Ich saß ziemlich in der Mitte und hörte
noch recht viel,
auch weil ich einen direkten Blick auf ihr Gesicht hatte. Der
Originaltext ist
nicht einfach, wie dieses kurze Beispiel mitten aus dem Text
zeigen mag: „ist
die Zeit herbeykommen, daß die wurtzel gegraben müsse sein, habe
er sich mit
deß beclagten bey sich gehabten jüngsten Sohns Uff den weg zu der
Wurtzel
gemacht, seye ihme von Newem einen Haasen mit ein weißem Schwanz
negst vor ihme
weysen hergelauffen daß er ihme auch wohl ergreiffen könne“. Das
ist schon
leise schwer zu lesen, geschweige denn laut vorzulesen - ohne
Mikrophon und
Blickkontakt mehr als eine Herausforderung. Hier wäre es
vielleicht sinnvoll
gewesen, wenn Frau Recktenwald direkt eine moderne „Übersetzung“
vorgelesen hätte.
Max Müller geht in besagtem Buch auf die Sache gut ein [auch
Lohmeyer hat in
seinen Sagen der Saar eine kurze Zusammenfassung veröffentlicht]:
„Um dieselbe Zeit spielte hier ein großer Zaubererprozeß gegen die
Familie des
Schuhmachers Peter, der beim oberen Tore wohnte. Ein Sohn des
Schuhmachers
hatte mit einem anderen jungen Manne namens Becker in des Herrn
Minhams selig
beim unteren Tore gelegenen Garten während der Jakobsnacht
zwischen 12 und 1
Uhr eine Sprengwurzel gegraben, um Schlösser und Türen öffnen zu
können. Mit
einem Stücke der Osterkerze versehen hatten die beiden sich
aufgemacht.
Unterwegs war ihnen ein großer schwarzer Mann mit vier oder fünf
Hunden
begegnet, einen anderen Mann sahen sie auf der Erde liegen, und
vor ihnen her
tanzte ein Hase mit weißem Schwanze. Mittels Silbergeldes, denn
nur mit Silber
durfte das Graben geschehen, hoben sie die Wurzel aus der Erde. Da
entstand ein
so furchtbarer Sturm, als ob die Bäume aus dem Boden gerissen
werden sollten.
Ferner erklärte Becker, der Sohn des Schuhmachers habe ihm ein
Mittel gegeben,
um hieb- und kugelfest zu werden. Das Mittel habe bei einer Frau
entnommen
werden müssen, die unter 14 Jahren eines Kindes genesen sei. Der
Sohn des
Schuhmachers wurde zur „künftig wahrnung und anderen zum
abschäulichen Exempel
acht tag lang in den thoren mit wasser undt Brodt abgespeiset und
underhalten“.“
Ein wirklich interessanter Text, der es m.E. verdiente, ganz
abgeschrieben,
„übersetzt“ und interpretiert zu werden, z.B. in Hinsicht auf die
Lokalitäten.
Frau Recktenwald ging weiterhin auf den sog. „Hexenturm“ ein, zu
dem Müller
schreibt: „Als nämlich 1711 der Schuhmacher Johannes Born wegen
Beleidigung des
Amtmannes in den Hexenturm gesperrt werden sollte, da war er so
voll Furcht,
vor diesem schrecklichen Aufenthalte, daß er sich sofort zur
Abbitte bereit
erklärte.“, welchen Text Frau Recktenwald ebenfalls im Originalton
wiedergab.
Bei der Fragerunde im Anschluß wurde sie gefragt, wo der Hexenturm
gestanden
hätte. Sie hatte dazu Kellers Plan vom Schloßgelände aus der Mitte
des 18.
Jahrhunderts gezeigt. Diesen mit den momentanen Örtlichkeiten
vergleichend,
kamen wir zu dem Schluß, daß er ungefähr dort stand, wo heute das
Mia-Münster-Haus steht, also „hier“. Was die grässlichen Geräusche
erklärt
haben mag, als die Lautsprecheranlage ausfiel.
Nicht mit ihr einverstanden war ich, als sie Fotos der Basilika
zeigte. Dort sah
man den sog. Gänseturm (an der Nordwestecke des Chors) von außen
bzw. die Tür
im Innern. Ihre exakten Maße weiß ich nicht, aber höher als 1,70
ist sie nicht.
Sie besteht aus einem umlaufenden, ein paar Zentimeter dicken
Türholz in
blassem Grün, das im Innenbereich eine Kreuzform mit vier
Kleeblattbögen
bildet. Die vier Füllungen sind rot gestrichen. Am linken
Flügelende des
Kreuzes sieht man halb verdeckt durch den Türrahmen ein Pentagramm
(Sternfünfeck) mit nach oben gerichteter Spitze. Am Türholz in der
Mitte - dem
Stamm des Kreuzes - sieht man zwei Kreise mit jeweils sechs
Speichen oder sechs
Dreiecken, einen am Kreuzungspunkt in der Mitte, einen zweiten am
oberen
Flügelende des Kreuzes. Am rechten Flügelende des Kreuzes sieht
man einen vierten
Kreis mit 24 Speichen, der seitlich ebenfalls vom Türrahmen
verdeckt wird.
Frau Recktenwald bezog sich auschließlich auf das Pentagramm
links, das sie als
Hexenabwehr-Zeichen oder Drudenfuß bezeichnete. Die drei anderen
Kreise ließ
sie unbeachtet. In der Fragerunde am Schluß stellte ich diese
Ansicht in Frage
und bezog mich dabei auf einen Hinweis, der mir aus dem Buch
„Cusanus - ein
Pythagoreer und Vorläufer des Galilei“ (Seite 39) des verstorbenen
Werner
Martin, dessen Steckenpferd Nikolaus von Cues und sein Wirken in
St. Wendel
war, in Erinnerung hatte. Martin fand die Annahme, das Pentagramm
als Hexenabwehr-Zeichen
oder Drudenfuß zu bezeichnen, als „unbedacht, weil ein
wirkungsvolles Hexenabwehr-Zeichen,
richtig bedacht, außen an der Tür stehen müsse, denn es erweist
sich als
geradezu widersinnig, Hexen von innerhalb der Kirche nach draußen
abwehren zu
wollen.“
Im Endeffekt wissen wir nicht, was diese Zeichen bedeuten, wer sie
angebracht
hat und ob diese Tür überhaupt dort als Erstverwendung angebracht
wurde (Hinweis
von Anneliese Schumacher). Werner Martins Überlegungen beruhen auf
Interpretationen, wenn auch sinnvollen. Sinnvoll wäre es meiner
Ansicht nach
gewesen, das Zeichen zu zeigen und darauf hinzuweisen, was es
gewesen sein
könnte, weil man das Pentagramm so und so deuten könne, aber auch
auf die
anderen Möglichkeiten hinzuweisen, die genauso richtig oder falsch
sein können.
Nichts genaues weiß man hier nicht.
Insgesamt hat mir der Vortrag gut gefallen. Die Referentin hat
sich gut
vorbereitet und die vorhandenen Quellen ausgeschöpft. Als die
Technik
aussetzte, ist sie nicht in Panik verfallen (ich wäre da tierisch
zappelig
geworden und hätte geflucht wie ein Rohrspatz), sondern hat das
beste draus gemacht,
was im Rahmen ihrer Möglichkeiten lag. Ich bin gespannt auf
weitere Vorträge.
Roland Geiger
PS: Im Pfarrarchiv gibt es auch keine Belege zu Hexenverbrennungen
im Amt St.
Wendel, allerdings über die Hinrichtung zweier Zauberer im
Neunkirchen. Bestand
B2: Georg Wilhelm v. Soetern beschwert sich bei kurfürstlichem
Statthalter und den
Räten, daß man von ihm forderte, um Geleit zu ersuchen, als er
zwei Zauberer,
die er zu Neunkirchen verbrennen lassen wollte, aus dem Gewahrsam
des Schlosses
Lemburgh abholen ließ; 1589.