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2021/11/02 22:30:14
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Kirchenbücher als historische Quellen: Perspektiven der Landes-, Sozial- und Kulturgesch ichte
Datum 2021/11/08 23:12:47
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Autor 2021/11/08 23:12:47
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[Regionalforum-Saar] Hexen und Aberglauben in den Akten des Stadtarchivs St. Wendel.

Date: 2021/11/05 12:46:21
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Eckige Klammern sind von mir "[" und "]".

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Hexen und Aberglauben in den Akten des Stadtarchivs St. Wendel.

Gestern abend hielt im Mia-Münster-Haus Andrea Recktenwald aus Güdesweiler, die im Stadtarchiv St. Wendel für die Stadtgeschichte zuständig ist, einen interessanten Vortrag über Hexen, Aberglaube, Volksglaube, wie er aus den Beständen des Stadtarchivs ersichtlich ist. Der Vortrag wird demnächst auf den Internetseiten des Archivs zu sehen sein [https://www.sankt-wendel.de/kultur/einrichtungen/stadtarchiv/aus-der-geschichte/?L=1%27%27A].

Frau Recktenwald ging zunächst auf die Begriffe wie „Hexen“ und „Volksglaube“ ein und schilderte, wie ein „typischer“ Hexenprozess vor sich ging. Dann ging sie auf die Belege ein, die es von St. Wendel gibt. Die sind per se recht mager, denn für das Amt St. Wendel ist nicht ein einziger Hexenprozess überliefert (obwohl die Aktenlage des 17. Jahrhunderts im Stadt- wie im Pfarrarchiv sehr gut, sprich: umfangreich, ist).

Es gibt ein paar Hinweise, z.B. in der Bürgermeistereirechnung von 1654: „Die Ausschüsse haben bei Wilhelm Laux, als man Hexenbrennen aufsuchte, für 73 R 18 alb verzehrt.“

Leider steht in der ganzen 550seitigen Akte A72, auf deren Seite 115 dieser Eintrag zu finden ist, über ein Ereignis dieser Art nichts weiter drin.

Ein paar Jahre später heißt es in einer Rechnung, datiert auf den 23. April 1660: „Hanß Wilhelm Clauß legt eine Rechnung über den Verzehr franz. Offiziere vor, die größten teils anerkannt wird [auch wenn’s zum Thema paßt: die französischen Offiziere haben verzehrt, sie wurden nicht …]. Zum Schlusse heißt es: „Mit den Uncosten wegen hiebevorigen hexen Brennens ist dieß mahl nichts geschlossen worden“. [vermutlich A 48, Seite 74].

Max Müller macht daraus auf Seite 609 seines Buches über die Geschichte der Stadt St. Wendel:

„Der Dreißigjährige Krieg aber brachte einen Wust von Aberglauben. Da läuteten die Nächte des Hexenmonats Mai hindurch die Glocken, die die Unholdinnen auf ihren Ritten durch die Lüfte verscheuchen sollten.
Selbst der Pastor Weiler [Pfarrer in St. Wendel während der Reunionszeit 30 Jahre nach dem 30-jährigen Krieg] war von der Nützlichkeit dieser Maßnahme so überzeugt, daß er in seiner Kirchenordnung nur gebot, die Männer und Weiber sollten allemal gesondert und nicht miteinander das Geläute besorgen.

Bald nach dem großen Kriege rauchten auch hier die Scheiterhaufen, auf denen die Hexen ihre Untaten büßen sollten. „Item“ heißt es in der Rechnung des Gerichtsbürgermeisters vom Jahre 1655, „haben die Ausschuß hiebeuorn bey Wilhelm Lauxen alß man hexen brennen soll, verzert 73 Gulden 18 Alb“.

Und 1660 sagt der Stadtschreiber Nikolaus Tholey: „Mit den uncosten wegen hiebevorigen hexenbrennens ist diesmahl nichts geschloßen worden“.“

Fragt sich natürlich, ob dieses „Hexenbrennen“ in St. Wendel stattfand oder sich die schaulustige Gesellschaft nach dem Spektakel auf dem Heimweg von auswärts hier zum Schmause traf und warum das Geld von der Stadt und nicht von den Leuten selbst bezahlt wurde. Wilhelm Laux war ein Gastwirt in St. Wendel, und 73 Gulden sind ne Menge Geld.

Aber wieso finden sich Hinweise nur als Hinweise? Wo sind die Hauptakten?

Zum Schluß ging Frau Recktenwald sehr ausführlich auf einen den Zaubererprozeß von 1858 ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, weil das Mikrophon resp. der Lautsprecher ausgefallen war und das zahlreiche Publikum coronamäßig über zwei Ausstellungsräume im Obergeschoß des Mia-Münster-Hauses verteilt war. Von hinten kam immer wieder ein Zwischenruf „bitte lauter“, aber dem konnte die Sprecherin in ihrer sitzenden Position trotz ihres klaren Hochdeutsches nicht nachkommen. So gingen leider viele ihrer Ausführungen verloren, vor allem, als sie bei diesem Prozeß auf den Originaltext des 17. Jahrhunderts zurückgriff. Wenn sie die gerade gelesenen Zeilen in moderner Sprache rekapitulierte und das Publikum direkt ansprach, kam wesentlich mehr durch. Ich saß ziemlich in der Mitte und hörte noch recht viel, auch weil ich einen direkten Blick auf ihr Gesicht hatte. Der Originaltext ist nicht einfach, wie dieses kurze Beispiel mitten aus dem Text zeigen mag: „ist die Zeit herbeykommen, daß die wurtzel gegraben müsse sein, habe er sich mit deß beclagten bey sich gehabten jüngsten Sohns Uff den weg zu der Wurtzel gemacht, seye ihme von Newem einen Haasen mit ein weißem Schwanz negst vor ihme weysen hergelauffen daß er ihme auch wohl ergreiffen könne“. Das ist schon leise schwer zu lesen, geschweige denn laut vorzulesen - ohne Mikrophon und Blickkontakt mehr als eine Herausforderung. Hier wäre es vielleicht sinnvoll gewesen, wenn Frau Recktenwald direkt eine moderne „Übersetzung“ vorgelesen hätte.

Max Müller geht in besagtem Buch auf die Sache gut ein [auch Lohmeyer hat in seinen Sagen der Saar eine kurze Zusammenfassung veröffentlicht]:
„Um dieselbe Zeit spielte hier ein großer Zaubererprozeß gegen die Familie des Schuhmachers Peter, der beim oberen Tore wohnte. Ein Sohn des Schuhmachers hatte mit einem anderen jungen Manne namens Becker in des Herrn Minhams selig beim unteren Tore gelegenen Garten während der Jakobsnacht zwischen 12 und 1 Uhr eine Sprengwurzel gegraben, um Schlösser und Türen öffnen zu können. Mit einem Stücke der Osterkerze versehen hatten die beiden sich aufgemacht. Unterwegs war ihnen ein großer schwarzer Mann mit vier oder fünf Hunden begegnet, einen anderen Mann sahen sie auf der Erde liegen, und vor ihnen her tanzte ein Hase mit weißem Schwanze. Mittels Silbergeldes, denn nur mit Silber durfte das Graben geschehen, hoben sie die Wurzel aus der Erde. Da entstand ein so furchtbarer Sturm, als ob die Bäume aus dem Boden gerissen werden sollten. Ferner erklärte Becker, der Sohn des Schuhmachers habe ihm ein Mittel gegeben, um hieb- und kugelfest zu werden. Das Mittel habe bei einer Frau entnommen werden müssen, die unter 14 Jahren eines Kindes genesen sei. Der Sohn des Schuhmachers wurde zur „künftig wahrnung und anderen zum abschäulichen Exempel acht tag lang in den thoren mit wasser undt Brodt abgespeiset und underhalten“.“

Ein wirklich interessanter Text, der es m.E. verdiente, ganz abgeschrieben, „übersetzt“ und interpretiert zu werden, z.B. in Hinsicht auf die Lokalitäten.

Frau Recktenwald ging weiterhin auf den sog. „Hexenturm“ ein, zu dem Müller schreibt: „Als nämlich 1711 der Schuhmacher Johannes Born wegen Beleidigung des Amtmannes in den Hexenturm gesperrt werden sollte, da war er so voll Furcht, vor diesem schrecklichen Aufenthalte, daß er sich sofort zur Abbitte bereit erklärte.“, welchen Text Frau Recktenwald ebenfalls im Originalton wiedergab.

Bei der Fragerunde im Anschluß wurde sie gefragt, wo der Hexenturm gestanden hätte. Sie hatte dazu Kellers Plan vom Schloßgelände aus der Mitte des 18. Jahrhunderts gezeigt. Diesen mit den momentanen Örtlichkeiten vergleichend, kamen wir zu dem Schluß, daß er ungefähr dort stand, wo heute das Mia-Münster-Haus steht, also „hier“. Was die grässlichen Geräusche erklärt haben mag, als die Lautsprecheranlage ausfiel.

Nicht mit ihr einverstanden war ich, als sie Fotos der Basilika zeigte. Dort sah man den sog. Gänseturm (an der Nordwestecke des Chors) von außen bzw. die Tür im Innern. Ihre exakten Maße weiß ich nicht, aber höher als 1,70 ist sie nicht. Sie besteht aus einem umlaufenden, ein paar Zentimeter dicken Türholz in blassem Grün, das im Innenbereich eine Kreuzform mit vier Kleeblattbögen bildet. Die vier Füllungen sind rot gestrichen. Am linken Flügelende des Kreuzes sieht man halb verdeckt durch den Türrahmen ein Pentagramm (Sternfünfeck) mit nach oben gerichteter Spitze. Am Türholz in der Mitte - dem Stamm des Kreuzes - sieht man zwei Kreise mit jeweils sechs Speichen oder sechs Dreiecken, einen am Kreuzungspunkt in der Mitte, einen zweiten am oberen Flügelende des Kreuzes. Am rechten Flügelende des Kreuzes sieht man einen vierten Kreis mit 24 Speichen, der seitlich ebenfalls vom Türrahmen verdeckt wird.

Frau Recktenwald bezog sich auschließlich auf das Pentagramm links, das sie als Hexenabwehr-Zeichen oder Drudenfuß bezeichnete. Die drei anderen Kreise ließ sie unbeachtet. In der Fragerunde am Schluß stellte ich diese Ansicht in Frage und bezog mich dabei auf einen Hinweis, der mir aus dem Buch „Cusanus - ein Pythagoreer und Vorläufer des Galilei“ (Seite 39) des verstorbenen Werner Martin, dessen Steckenpferd Nikolaus von Cues und sein Wirken in St. Wendel war, in Erinnerung hatte. Martin fand die Annahme, das Pentagramm als Hexenabwehr-Zeichen oder Drudenfuß zu bezeichnen, als „unbedacht, weil ein wirkungsvolles Hexenabwehr-Zeichen, richtig bedacht, außen an der Tür stehen müsse, denn es erweist sich als geradezu widersinnig, Hexen von innerhalb der Kirche nach draußen abwehren zu wollen.“

Im Endeffekt wissen wir nicht, was diese Zeichen bedeuten, wer sie angebracht hat und ob diese Tür überhaupt dort als Erstverwendung angebracht wurde (Hinweis von Anneliese Schumacher). Werner Martins Überlegungen beruhen auf Interpretationen, wenn auch sinnvollen. Sinnvoll wäre es meiner Ansicht nach gewesen, das Zeichen zu zeigen und darauf hinzuweisen, was es gewesen sein könnte, weil man das Pentagramm so und so deuten könne, aber auch auf die anderen Möglichkeiten hinzuweisen, die genauso richtig oder falsch sein können. Nichts genaues weiß man hier nicht.

Insgesamt hat mir der Vortrag gut gefallen. Die Referentin hat sich gut vorbereitet und die vorhandenen Quellen ausgeschöpft. Als die Technik aussetzte, ist sie nicht in Panik verfallen (ich wäre da tierisch zappelig geworden und hätte geflucht wie ein Rohrspatz), sondern hat das beste draus gemacht, was im Rahmen ihrer Möglichkeiten lag. Ich bin gespannt auf weitere Vorträge.

Roland Geiger

PS: Im Pfarrarchiv gibt es auch keine Belege zu Hexenverbrennungen im Amt St. Wendel, allerdings über die Hinrichtung zweier Zauberer im Neunkirchen. Bestand B2: Georg Wilhelm v. Soetern beschwert sich bei kurfürstlichem Statthalter und den Räten, daß man von ihm forderte, um Geleit zu ersuchen, als er zwei Zauberer, die er zu Neunkirchen verbrennen lassen wollte, aus dem Gewahrsam des Schlosses Lemburgh abholen ließ; 1589.