Monatsdigest

[Regionalforum-Saar] M. Clauss: Militärgeschic hte des Mittelalters

Date: 2021/11/02 22:21:51
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

M. Clauss: Militärgeschichte des Mittelalters

Militärgeschichte des Mittelalters.
Autor Martin Clauss
Erschienen München 2020: C.H.Beck
Anzahl Seiten 128 S.
Preis € 9,95
ISBN 978-3-406-75752-5

Inhalt => meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-58854.pdf

Rezensiert für H-Soz-Kult von Marco Krätschmer, Institut für Mittelalterliche Geschichte, Philipps-Universität Marburg

In der deutschsprachigen Mediävistik führten militärhistorische Fragen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges lange Zeit ein stiefmütterliches Dasein. Anders als im anglophonen Raum existierte – abgesehen vom Delbrück’schen Klassiker[1] und wenigen anderen Ausnahmen – keine eigene militärgeschichtliche Forschungstradition in der deutschen Mittelalterforschung. Handbücher und Einführungen sind daher rar. Erst mit jüngeren Diskussionen der Friedens- und Konfliktforschung um die Jahrtausendwende rückte auch der mittelalterliche Krieg wieder stärker ins Interesse der Medävistik, was sich nicht zuletzt in der steigenden Anzahl bereits abgeschlossener und noch in Entstehung befindlicher Qualifikationsarbeiten widerspiegelt. Zugleich hängt dieser Aufschwung auch mit dem kulturanthropologischen und linguistischen Paradigmenwechsel in der Geschichtswissenschaft seit den 1980er und 1990er zusammen: Der jüngeren Kriegsgeschichtsforschung geht es weniger um die traditionellen Kernfragen eines Militärhistorikers, der überwiegend nach Strategien, Taktiken sowie der Bewaffnung, Aufstellung, Aushebung und Stärke der Truppen fragt, um Sieg und Niederlage zu erklären. Sie betrachtet den mittelalterlichen Krieg vor allem unter sozial-, religions- und kulturgeschichtlichen Fragestellungen und untersucht die zeitgenössische Deutung und Wahrnehmung von Krieg und Gewalt.

Mit seinem Band aus der „C.H. Beck Wissen“-Reihe bietet Martin Clauss nun einen bündigen und gut lesbaren Einblick in diese jüngere Ausrichtung der deutschsprachigen Militärgeschichte des Mittelalters. Dabei verknüpft er die ältere und jüngere Tradition miteinander, weist aber den klassischen Ansatz einer „inherent military probability“ (S. 9) zurück, gehe dieser doch von einer allgemein gültigen Logik militärischen Handelns aus und berücksichtige die regionalen und kulturellen Eigenarten nicht ausreichend. Für methodisch sinnvoller hält es Clauss daher, Lücken und Uneindeutigkeiten der Quellen genau zu benennen. In seiner Einleitung geht er auf zwei weitere, grundlegende Problematiken ein, mit denen militärhistorisch forschende Mediävistinnen und Mediävisten konfrontiert werden: Zum einen bestehen zugleich Diskrepanzen wie Parallelen zwischen der zeitgenössischen Idealisierung und den modernen Klischees über den mittelalterlichen Krieg. Zum anderen sind die Quellen zu den klassischen Fragen der Militärgeschichte meist wenig aussagekräftig, weil es den mittelalterlichen, meist kriegsfernen geistlichen Autoren weniger um logistische Maßnahmen, sondern mehr um Heroisierung und die Darstellung kriegerischer Ideale ging. Es ist nun das Anliegen von Martin Clauss einen Überblick zum Kriegswesen im Mittelalter zu geben, der sich in diesen beiden problematischen Spannungsfeldern bewegt. Geographisch umfasst seine Darstellung das lateinische Europa mit einem Fokus auf das „deutsche“ Reich, chronologisch gegliedert von der Merowingerzeit bis zum Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit. Dieses sehr umfangreiche Anliegen ist für ein etwas mehr als 120 Seiten umfassendes Bändchen eine enorme Herausforderung, die – das sei vorweggesagt – Clauss sehr gelungen ist.

Die Einteilung der Kapitel zeugt von einer sinnvollen Gewichtung bei der Behandlung der einzelnen Epochen, wobei – dies liegt auch in der Natur der Überlieferung begründet – das 14. und 15. Jahrhundert fünf der elf Kapitel füllen. Im Frühmittelalter liegt der Schwerpunkt auf dem Frankenreich der Merowinger und Karolinger, gefolgt von einem Blick auf das Heerwesen der Ottonen. Im Hochmittelalter werden die klassische Entstehungsgeschichte des Rittertums sowie die damit in Verbindung stehenden Kreuzzüge behandelt, womit folgerichtig Ausblicke in die Levante verbunden sind. Bei seiner eingehenden Betrachtung der Schlachten von Bouvines und Dürnkrut stellt Clauss der Ereignisgeschichte die Darstellungsweise der Quellen gegenüber. Anhand der zeitgenössischen Erzählstrategien über Sieg und Niederlage sowie der Bedeutung von Heldendarstellungen verdeutlicht er den Leserinnen und Lesern die methodischen Herausforderungen der mittelalterlichen Militärgeschichte. Es folgen die Kapitel über das Spätmittelalter: Dort werden klassische Themen wie die steigende Bedeutung der Fußkämpfer und die Einführung von Pulverwaffen ebenso überzeugend behandelt wie der Hundertjährige Krieg und die Türken- und Hussitenkriege. Der Übergang zum stehenden Heer der Neuzeit füllt schließlich das letzte Kapitel, das mit Maximilian I. endet. Ein kurzes Verzeichnis sorgfältig ausgewählter Quellen und Forschungsliteratur sowie ein Orts- und Personenregister runden den Band ab. Zwei Karten im Umschlag bilden einschlägige Orte der europäischen Militärgeschichte des Mittelalters und die Kreuzfahrerstaaten ab. Diese ergänzen das Buch ebenso wie die sinnvoll im Text platzierten Illustrationen.

Die einzelnen Kapitel sind in sich sehr stimmig und gerade deswegen gelungen, weil Clauss die militärische Ereignisgeschichte und die Darstellung epochenspezifischer Rekrutierung, Ausrüstung und Taktik gekonnt miteinander verknüpft. Darüber hinaus vermittelt er lebendig die Andersartigkeit des mittelalterlichen Kriegswesens anhand anschaulicher Quellenbeispiele. So erfahren Leserinnen und Leser z.B. am Ende seines Buches, warum ein von den Karolingern großangelegtes Militärmanöver am im Fluss vorbeischwimmenden Pferdekot scheitern konnte. Und mehr noch: In seine Kapitel bindet Clauss meist die aktuellen Forschungskontroversen zu verschiedenen Aspekten des mittelalterlichen Kriegswesens ein. Dabei diskutiert er diese Kontroversen stets sehr ausgewogen. So greift er etwa die Frage nach dem Einsatz und der Bedeutung von Pferden im frühen und hohen Mittelalter auf, erwähnt die Diskussion über die „battle seeking“ bzw. „battle avoiding strategy“ (S. 84) während des Hundertjährigen Krieges sowie das mittlerweile vieldiskutierte und revidierte Konzept der „military revolution“ für die Entwicklungen in der Neuzeit (S. 109–115). An sich anbietenden Stellen seines kleinen Bandes greift Clauss also viele wichtige Fachdebatten auf, denen man meines Erachtens noch die jüngere Diskussion über Lehen und Vasallität hinzufügen könnte. Das Ergebnis dieser Diskussion hat doch gezeigt, dass das „Lehnswesen“ als wissenschaftliches Erklärungsmodell entschieden an Bedeutung verloren hat. In diesem Zusammenhang ergeben sich sodann auch für die Militärgeschichte des Mittelalters einige Fragen, wie z.B. zur Rekrutierung und Rangordnung.

Eine große Stärke seiner gut gegliederten und sorgfältig durchdachten Einführung macht die Ausgewogenheit aus, mit der Clauss umstrittene Sachverhalte und methodische Schwierigkeiten nachvollziehbar behandelt. Mit dieser Ausgewogenheit führt er seinen Leserinnen und Lesern immer wieder offen die Unsicherheiten unseres militärhistorischen Wissens sowie deren Gründe vor Augen und weiß somit die Grenzen und Möglichkeiten der mittelalterlichen Quellen für die traditionelle wie jüngere Militärgeschichte darzustellen. Damit erfüllt er nicht nur grundlegend das, was man sich von einer kurzen Einführung erwartet, nämlich einen sachlich nüchternen Blick auf die Materie, sondern macht darüber hinaus das Spannende an der Militärgeschichtsforschung zum Mittelalter deutlich: Wie vertraut oder fremd uns der mittelalterliche Krieg erscheint, sei, so Clauss, auch immer eng mit heutigen Stereotypen und Assoziationen verbunden, vor allem dann, wenn es um die Frage geht, wie 'ritterlich' die damaligen Akteure handelten. Wie wir also die Lücken unseres Wissens füllen, hänge nicht zuletzt von der Perspektive ab, die wir einnehmen, je nachdem, ob wir die damalige Alterität des mittelalterlichen Krieges betonen oder Parallelen zu unserer eigenen Gegenwart ziehen wollen (S. 118f.). Kurzum: Das anschauliche und konzis informierende Buch von Clauss ist eine zuverlässige Wahl für alle, die sich einen Überblick zum mittelalterlichen Kriegswesen verschaffen möchten.

Anmerkung:
[1] Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, 4 Bände, Berlin 1920–1923.

Zitation

Marco Krätschmer: Rezension zu: , In: H-Soz-Kult, 03.11.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-49925>.




[Regionalforum-Saar] Kirchenbücher als historische Quellen: Perspektiven der Landes-, Sozial- und Kulturgesch ichte

Date: 2021/11/02 22:30:14
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Schade.
Die schöne Zeit der Online-Konferenzen ist wieder vorbei.
Die richtigen Historiker sind wieder unter sich.
Wirklich schade.

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Kirchenbücher als historische Quellen: Perspektiven der Landes-, Sozial- und Kulturgeschichte

Veranstalter Michael Hecht (Halle) / Eva Marie Lehner (Bonn) (Exzellenzcluster "Religion und Politik" an der WWU Münster)

Veranstaltungsort Johannisstr. 4, Raum JO 101 bzw. JO 1 (Podiumsdiskussion)

Gefördert durch Fritz Thyssen Stiftung, 48143 Münster

 

Vom - Bis 18.11.2021 - 19.11.2021

Deadline 11.11.2021

 

Von Michael Hecht, Institut für Landesgeschichte, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt

Die internationale Tagung widmet sich der Bedeutung von Kirchenbüchern als historische Quellengattung. Diskutiert werden soll, welche Perspektiven für aktuelle Fragen der Landes-, Sozial- und Kulturgeschichte zur Frühen Neuzeit und zur Moderne bestehen.

Kirchenbücher als historische Quellen: Perspektiven der Landes-, Sozial- und Kulturgeschichte

Kirchenbücher, d.h. die von Pfarrern verfassten Register der Taufen, Eheschließungen und Begräbnisse, gehören zu den meistgenutzten historischen Quellen. Das kirchliche Verwaltungsschriftgut erfreut sich vor allem bei Laien großer Beliebtheit, die genealogische Interessen verfolgen. In der Geschichtswissenschaft spielen Kirchenbücher hingegen eher selten eine herausgehobene Rolle. Lediglich als Grundlage für quantitative Auswertungen zu bevölkerungsgeschichtlichen Fragestellungen in der Historischen Demografie kommt ihnen traditionell eine größere Bedeutung zu.

Dabei halten Kirchenbücher zu sehr viel mehr Themen Auskünfte bereit. Sie geben Einblicke in historische Lebenswelten, Sinndeutungen, Erinnerungskulturen und Verwaltungspraktiken. Die in den letzten Jahren enorm vorangetriebene Digitalisierung historischer Kirchenbuchbestände eröffnet zudem neue Möglichkeit für der Nutzung.

Vor diesem Hintergrund widmet sich die Tagung der Bedeutung von Kirchenbüchern als historische Quellengattung. Diskutiert werden soll, welche Perspektiven für aktuelle Fragen der historischen Forschung zur Frühen Neuzeit und zur Moderne bestehen. Dabei werden wir sowohl einen grundsätzlichen Blick auf Charakteristika und Forschungspotenziale von Kirchenbüchern werfen als auch anhand exemplarischer Sondierungen ausleuchten, wie sie für konkrete Themenbereiche produktiv gemacht werden können.

Die Tagung findet am Exzellenzcluster "Religion und Politik" an der WWU Münster statt und wird gefördert durch die Fritz Thyssen Stiftung.

Programm

Donnerstag, 18.11.21

09.00-09.15 Uhr
Michael Hecht, Halle / Eva Marie Lehner, Bonn: Begrüßung

Sektion I: Schreibpraktiken zwischen Verwaltung und Gedächtnis

09.15-10.00 Uhr
Ulf Wendler, Chur: Der Pastor und die Pest - die Kirchenbücher des Philipp Julius Toppius (1649-1727)

10.00-10.45 Uhr
Max-Quentin Bischoff, Antwerpen: Die Totenbücher von Schwäbisch Hall: zwischen kirchlicher Verwaltung und persönlichem Gedenken

10.45-11.15 Uhr Kaffeepause

Sektion II: Militärkirchenbücher als Sonderform

11.15-12.00 Uhr
Mathis Leibetseder, Berlin: Garnison - Regiment - Waisenhaus. Potsdamer Militärkirchenbücher als Quellen zur Konfessionsgeschichte Brandenburg-Preußens im 18. Jahrhundert

12.00-12.45 Uhr
Maik Schmerbauch, Berlin: Die Bedeutung der katholischen Militärkirchenbücher für die neuere Kirchengeschichte

12.45-14.00 Uhr Mittagspause

Sektion III: Devianz und Unehelichkeit

14.00-14.45 Uhr
Ronny Steinicke, Dresden: Die Ordnung des Text-Raumes. Semiose von Momenten sexueller Devianz in frühneuzeitlichen Kirchenbüchern

14.45-15.30 Uhr
Markus Walz, Leipzig: "Mantelkinder": Vorehelich gezeugte Erstgeburten im konfessionellen Vergleich

15.30-16.00 Uhr Kaffeepause

Sektion IV: Kirchenbücher und die Dynamiken der Sattelzeit

16.00-16.45 Uhr
Elias Knapp, Innsbruck: Kirchenbücher als Quellen für die Auswirkungen von Teuerungen: Beispiele aus der Stadt Salzburg, ca. 1770-1850

16.45-17.30 Uhr
Gabi Wüthrich, Zürich: Vom Seidenbandweber zum Mechaniker: Berufe in Kirchenbüchern als Zeugen der Frühindustrialisierung

18.00–19.30 Uhr
Öffentliches Podiumsgespräch mit Diskussion: Kirchenbücher und Digitalisierung: Stand - Potentiale - Perspektiven

Teilnehmende:
Mechthild Black-Veldtrup, Erste Vorsitzende der Historischen Kommission für Westfalen
Katrin Moeller, Leiterin des Historischen Datenzentrums Sachsen-Anhalt, Halle (Saale)
Herbert W. Wurster, Bistumsarchivar a.D. in Passau und Pionier der Digitalisierung des katholischen Kirchenbuchwesens
Jan Keupp, Mittelalterhistoriker und Vorstand des Center for Digital Humanities an der Universität Münster

Freitag, 19.11.21

Sektion V: Kirchenbücher im Fokus der Emotionengeschichte und der jüdischen Geschichte

09.00-09.45 Uhr
Claudia Jarzebowski, Bonn: Der Krieg im Kirchenbuch. Emotionenhistorische Perspektiven auf das 17. Jahrhundert

09.45-10.30 Uhr
Johannes Czakai, Jerusalem: Juden und jüdische Konvertiten in frühneuzeitlichen Kirchenbüchern. Probleme und Perspektiven der Forschung

10.30-11.00 Uhr Kaffeepause

Sektion V: Kirchenbücher im Fokus der Musikgeschichte und der Theologie

11.00-11.45 Uhr
Andrea Zedler, Bayreuth: Kirchenbücher als Quellen der Musikforschung

11.45-12.30 Uhr
Werner Schrüfer / Susanne Wanninger, Regensburg: Kirchenbücher als Quelle zur klerikalen Dienstauffassung und Arbeitsorganisation in "bevölkerungsreichen" Pfarreien im Bistum Regensburg im Umfeld der Säkularisation

12.30-13.00 Uhr
Abschlussdiskussion und Ende der Tagung

Kontakt
Da die Zahl der Teilnehmenden platzbedingt begrenzt ist, bitten wir um verbindliche Anmeldung bis 11.11.2021 an: kirchenbuch(a)uni-muenster.de

Es gelten die 3G-Regeln, Nachweise werden kontrolliert.

Zitation
Kirchenbücher als historische Quellen: Perspektiven der Landes-, Sozial- und Kulturgeschichte. In: H-Soz-Kult, 02.11.2021, <www.hsozkult.de/event/id/event-113873>.

[Regionalforum-Saar] Hexen und Aberglauben in den Akten des Stadtarchivs St. Wendel.

Date: 2021/11/05 12:46:21
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Eckige Klammern sind von mir "[" und "]".

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Hexen und Aberglauben in den Akten des Stadtarchivs St. Wendel.

Gestern abend hielt im Mia-Münster-Haus Andrea Recktenwald aus Güdesweiler, die im Stadtarchiv St. Wendel für die Stadtgeschichte zuständig ist, einen interessanten Vortrag über Hexen, Aberglaube, Volksglaube, wie er aus den Beständen des Stadtarchivs ersichtlich ist. Der Vortrag wird demnächst auf den Internetseiten des Archivs zu sehen sein [https://www.sankt-wendel.de/kultur/einrichtungen/stadtarchiv/aus-der-geschichte/?L=1%27%27A].

Frau Recktenwald ging zunächst auf die Begriffe wie „Hexen“ und „Volksglaube“ ein und schilderte, wie ein „typischer“ Hexenprozess vor sich ging. Dann ging sie auf die Belege ein, die es von St. Wendel gibt. Die sind per se recht mager, denn für das Amt St. Wendel ist nicht ein einziger Hexenprozess überliefert (obwohl die Aktenlage des 17. Jahrhunderts im Stadt- wie im Pfarrarchiv sehr gut, sprich: umfangreich, ist).

Es gibt ein paar Hinweise, z.B. in der Bürgermeistereirechnung von 1654: „Die Ausschüsse haben bei Wilhelm Laux, als man Hexenbrennen aufsuchte, für 73 R 18 alb verzehrt.“

Leider steht in der ganzen 550seitigen Akte A72, auf deren Seite 115 dieser Eintrag zu finden ist, über ein Ereignis dieser Art nichts weiter drin.

Ein paar Jahre später heißt es in einer Rechnung, datiert auf den 23. April 1660: „Hanß Wilhelm Clauß legt eine Rechnung über den Verzehr franz. Offiziere vor, die größten teils anerkannt wird [auch wenn’s zum Thema paßt: die französischen Offiziere haben verzehrt, sie wurden nicht …]. Zum Schlusse heißt es: „Mit den Uncosten wegen hiebevorigen hexen Brennens ist dieß mahl nichts geschlossen worden“. [vermutlich A 48, Seite 74].

Max Müller macht daraus auf Seite 609 seines Buches über die Geschichte der Stadt St. Wendel:

„Der Dreißigjährige Krieg aber brachte einen Wust von Aberglauben. Da läuteten die Nächte des Hexenmonats Mai hindurch die Glocken, die die Unholdinnen auf ihren Ritten durch die Lüfte verscheuchen sollten.
Selbst der Pastor Weiler [Pfarrer in St. Wendel während der Reunionszeit 30 Jahre nach dem 30-jährigen Krieg] war von der Nützlichkeit dieser Maßnahme so überzeugt, daß er in seiner Kirchenordnung nur gebot, die Männer und Weiber sollten allemal gesondert und nicht miteinander das Geläute besorgen.

Bald nach dem großen Kriege rauchten auch hier die Scheiterhaufen, auf denen die Hexen ihre Untaten büßen sollten. „Item“ heißt es in der Rechnung des Gerichtsbürgermeisters vom Jahre 1655, „haben die Ausschuß hiebeuorn bey Wilhelm Lauxen alß man hexen brennen soll, verzert 73 Gulden 18 Alb“.

Und 1660 sagt der Stadtschreiber Nikolaus Tholey: „Mit den uncosten wegen hiebevorigen hexenbrennens ist diesmahl nichts geschloßen worden“.“

Fragt sich natürlich, ob dieses „Hexenbrennen“ in St. Wendel stattfand oder sich die schaulustige Gesellschaft nach dem Spektakel auf dem Heimweg von auswärts hier zum Schmause traf und warum das Geld von der Stadt und nicht von den Leuten selbst bezahlt wurde. Wilhelm Laux war ein Gastwirt in St. Wendel, und 73 Gulden sind ne Menge Geld.

Aber wieso finden sich Hinweise nur als Hinweise? Wo sind die Hauptakten?

Zum Schluß ging Frau Recktenwald sehr ausführlich auf einen den Zaubererprozeß von 1858 ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, weil das Mikrophon resp. der Lautsprecher ausgefallen war und das zahlreiche Publikum coronamäßig über zwei Ausstellungsräume im Obergeschoß des Mia-Münster-Hauses verteilt war. Von hinten kam immer wieder ein Zwischenruf „bitte lauter“, aber dem konnte die Sprecherin in ihrer sitzenden Position trotz ihres klaren Hochdeutsches nicht nachkommen. So gingen leider viele ihrer Ausführungen verloren, vor allem, als sie bei diesem Prozeß auf den Originaltext des 17. Jahrhunderts zurückgriff. Wenn sie die gerade gelesenen Zeilen in moderner Sprache rekapitulierte und das Publikum direkt ansprach, kam wesentlich mehr durch. Ich saß ziemlich in der Mitte und hörte noch recht viel, auch weil ich einen direkten Blick auf ihr Gesicht hatte. Der Originaltext ist nicht einfach, wie dieses kurze Beispiel mitten aus dem Text zeigen mag: „ist die Zeit herbeykommen, daß die wurtzel gegraben müsse sein, habe er sich mit deß beclagten bey sich gehabten jüngsten Sohns Uff den weg zu der Wurtzel gemacht, seye ihme von Newem einen Haasen mit ein weißem Schwanz negst vor ihme weysen hergelauffen daß er ihme auch wohl ergreiffen könne“. Das ist schon leise schwer zu lesen, geschweige denn laut vorzulesen - ohne Mikrophon und Blickkontakt mehr als eine Herausforderung. Hier wäre es vielleicht sinnvoll gewesen, wenn Frau Recktenwald direkt eine moderne „Übersetzung“ vorgelesen hätte.

Max Müller geht in besagtem Buch auf die Sache gut ein [auch Lohmeyer hat in seinen Sagen der Saar eine kurze Zusammenfassung veröffentlicht]:
„Um dieselbe Zeit spielte hier ein großer Zaubererprozeß gegen die Familie des Schuhmachers Peter, der beim oberen Tore wohnte. Ein Sohn des Schuhmachers hatte mit einem anderen jungen Manne namens Becker in des Herrn Minhams selig beim unteren Tore gelegenen Garten während der Jakobsnacht zwischen 12 und 1 Uhr eine Sprengwurzel gegraben, um Schlösser und Türen öffnen zu können. Mit einem Stücke der Osterkerze versehen hatten die beiden sich aufgemacht. Unterwegs war ihnen ein großer schwarzer Mann mit vier oder fünf Hunden begegnet, einen anderen Mann sahen sie auf der Erde liegen, und vor ihnen her tanzte ein Hase mit weißem Schwanze. Mittels Silbergeldes, denn nur mit Silber durfte das Graben geschehen, hoben sie die Wurzel aus der Erde. Da entstand ein so furchtbarer Sturm, als ob die Bäume aus dem Boden gerissen werden sollten. Ferner erklärte Becker, der Sohn des Schuhmachers habe ihm ein Mittel gegeben, um hieb- und kugelfest zu werden. Das Mittel habe bei einer Frau entnommen werden müssen, die unter 14 Jahren eines Kindes genesen sei. Der Sohn des Schuhmachers wurde zur „künftig wahrnung und anderen zum abschäulichen Exempel acht tag lang in den thoren mit wasser undt Brodt abgespeiset und underhalten“.“

Ein wirklich interessanter Text, der es m.E. verdiente, ganz abgeschrieben, „übersetzt“ und interpretiert zu werden, z.B. in Hinsicht auf die Lokalitäten.

Frau Recktenwald ging weiterhin auf den sog. „Hexenturm“ ein, zu dem Müller schreibt: „Als nämlich 1711 der Schuhmacher Johannes Born wegen Beleidigung des Amtmannes in den Hexenturm gesperrt werden sollte, da war er so voll Furcht, vor diesem schrecklichen Aufenthalte, daß er sich sofort zur Abbitte bereit erklärte.“, welchen Text Frau Recktenwald ebenfalls im Originalton wiedergab.

Bei der Fragerunde im Anschluß wurde sie gefragt, wo der Hexenturm gestanden hätte. Sie hatte dazu Kellers Plan vom Schloßgelände aus der Mitte des 18. Jahrhunderts gezeigt. Diesen mit den momentanen Örtlichkeiten vergleichend, kamen wir zu dem Schluß, daß er ungefähr dort stand, wo heute das Mia-Münster-Haus steht, also „hier“. Was die grässlichen Geräusche erklärt haben mag, als die Lautsprecheranlage ausfiel.

Nicht mit ihr einverstanden war ich, als sie Fotos der Basilika zeigte. Dort sah man den sog. Gänseturm (an der Nordwestecke des Chors) von außen bzw. die Tür im Innern. Ihre exakten Maße weiß ich nicht, aber höher als 1,70 ist sie nicht. Sie besteht aus einem umlaufenden, ein paar Zentimeter dicken Türholz in blassem Grün, das im Innenbereich eine Kreuzform mit vier Kleeblattbögen bildet. Die vier Füllungen sind rot gestrichen. Am linken Flügelende des Kreuzes sieht man halb verdeckt durch den Türrahmen ein Pentagramm (Sternfünfeck) mit nach oben gerichteter Spitze. Am Türholz in der Mitte - dem Stamm des Kreuzes - sieht man zwei Kreise mit jeweils sechs Speichen oder sechs Dreiecken, einen am Kreuzungspunkt in der Mitte, einen zweiten am oberen Flügelende des Kreuzes. Am rechten Flügelende des Kreuzes sieht man einen vierten Kreis mit 24 Speichen, der seitlich ebenfalls vom Türrahmen verdeckt wird.

Frau Recktenwald bezog sich auschließlich auf das Pentagramm links, das sie als Hexenabwehr-Zeichen oder Drudenfuß bezeichnete. Die drei anderen Kreise ließ sie unbeachtet. In der Fragerunde am Schluß stellte ich diese Ansicht in Frage und bezog mich dabei auf einen Hinweis, der mir aus dem Buch „Cusanus - ein Pythagoreer und Vorläufer des Galilei“ (Seite 39) des verstorbenen Werner Martin, dessen Steckenpferd Nikolaus von Cues und sein Wirken in St. Wendel war, in Erinnerung hatte. Martin fand die Annahme, das Pentagramm als Hexenabwehr-Zeichen oder Drudenfuß zu bezeichnen, als „unbedacht, weil ein wirkungsvolles Hexenabwehr-Zeichen, richtig bedacht, außen an der Tür stehen müsse, denn es erweist sich als geradezu widersinnig, Hexen von innerhalb der Kirche nach draußen abwehren zu wollen.“

Im Endeffekt wissen wir nicht, was diese Zeichen bedeuten, wer sie angebracht hat und ob diese Tür überhaupt dort als Erstverwendung angebracht wurde (Hinweis von Anneliese Schumacher). Werner Martins Überlegungen beruhen auf Interpretationen, wenn auch sinnvollen. Sinnvoll wäre es meiner Ansicht nach gewesen, das Zeichen zu zeigen und darauf hinzuweisen, was es gewesen sein könnte, weil man das Pentagramm so und so deuten könne, aber auch auf die anderen Möglichkeiten hinzuweisen, die genauso richtig oder falsch sein können. Nichts genaues weiß man hier nicht.

Insgesamt hat mir der Vortrag gut gefallen. Die Referentin hat sich gut vorbereitet und die vorhandenen Quellen ausgeschöpft. Als die Technik aussetzte, ist sie nicht in Panik verfallen (ich wäre da tierisch zappelig geworden und hätte geflucht wie ein Rohrspatz), sondern hat das beste draus gemacht, was im Rahmen ihrer Möglichkeiten lag. Ich bin gespannt auf weitere Vorträge.

Roland Geiger

PS: Im Pfarrarchiv gibt es auch keine Belege zu Hexenverbrennungen im Amt St. Wendel, allerdings über die Hinrichtung zweier Zauberer im Neunkirchen. Bestand B2: Georg Wilhelm v. Soetern beschwert sich bei kurfürstlichem Statthalter und den Räten, daß man von ihm forderte, um Geleit zu ersuchen, als er zwei Zauberer, die er zu Neunkirchen verbrennen lassen wollte, aus dem Gewahrsam des Schlosses Lemburgh abholen ließ; 1589.


[Regionalforum-Saar] Schwarze Katze, Freitag der 13 ., Amulette… Was ist Aberglaube?

Date: 2021/11/08 23:12:47
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Vortrag am Dienstag, 16. November, um 19.30 Uhr im Cusanushaus St. Wendel (Am Fruchtmarkt).

Schwarze Katze, Freitag der 13., Amulette… Was ist Aberglaube?

Im Rahmen der Gespräche im Pfarrgarten war es der Wunsch vieler Besucher, auch im laufenden Jahr ähnliche Vorträge anzubieten. Mit obigem Vortrag kommt die Pfarrei St. Wendelin diesem Wunsch nach.

Bringen Scherben Glück oder eine schwarze Katze Unglück? Die alte Vorstellung, dass man sich mit geheimnisvollen Mittel oder einfachen Ritualen vor Unglück schützen kann, ist weit verbreitet. Auch wenn man weiß, dass solche Vorstellungen aus Sicht der Wissenschaften irrational sind.

Was ist eigentlich Aberglaube? Was hat es mit diesen Vorstellungen, Glück und Erfolg auf einfachem Weg erreichen zu können, auf sich?

Und wie unterscheiden sie sich vom christlichen Glauben? Wie sieht es mit Aberglaube in der kath. Kirche aus?

Um diese Fragen geht es bei einer Veranstaltung mit Matthias Neff, dem Referenten für Weltanschauungsfragen und Sekten des Bistums Trier.


[Regionalforum-Saar] Hexenvortrag jetzt online

Date: 2021/11/10 10:08:43
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Morgen,

ich habe eben gesehen, daß das Stadtarchiv St. Wendel den Vortrag von Frau Recktenwald vom vergangenen Donnerstag online gestellt hat.
Sie finden ihn unter:


https://www.sankt-wendel.de/kultur/einrichtungen/stadtarchiv/aus-der-geschichte/?L=1%27%27A
--
Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

--------------------

Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de

Re: [Regionalforum-Saar] Schwarze Katze, Freitag der 13 ., Amulette… Was ist Aberglaube?

Date: 2021/11/10 19:58:48
From: hans-Jürgen Loch via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

 
 
 
Gesendet: Montag, 08. November 2021 um 23:12 Uhr
Von: "Roland Geiger via Regionalforum-Saar" <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
An: "Regionalforum" <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Betreff: [Regionalforum-Saar] Schwarze Katze, Freitag der 13., Amulette… Was ist Aberglaube?

Vortrag am Dienstag, 16. November, um 19.30 Uhr im Cusanushaus St. Wendel (Am Fruchtmarkt).

Schwarze Katze, Freitag der 13., Amulette… Was ist Aberglaube?

Im Rahmen der Gespräche im Pfarrgarten war es der Wunsch vieler Besucher, auch im laufenden Jahr ähnliche Vorträge anzubieten. Mit obigem Vortrag kommt die Pfarrei St. Wendelin diesem Wunsch nach.

Bringen Scherben Glück oder eine schwarze Katze Unglück? Die alte Vorstellung, dass man sich mit geheimnisvollen Mittel oder einfachen Ritualen vor Unglück schützen kann, ist weit verbreitet. Auch wenn man weiß, dass solche Vorstellungen aus Sicht der Wissenschaften irrational sind.

Was ist eigentlich Aberglaube? Was hat es mit diesen Vorstellungen, Glück und Erfolg auf einfachem Weg erreichen zu können, auf sich?

Und wie unterscheiden sie sich vom christlichen Glauben? Wie sieht es mit Aberglaube in der kath. Kirche aus?

Um diese Fragen geht es bei einer Veranstaltung mit Matthias Neff, dem Referenten für Weltanschauungsfragen und Sekten des Bistums Trier.

 

_______________________________________________ Regionalforum-Saar mailing list Regionalforum-Saar(a)genealogy.net https://list.genealogy.net/mm/listinfo/regionalforum-saar

[Regionalforum-Saar] Volkstrauertag 2021

Date: 2021/11/14 22:36:11
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Abend,

eben komme ich von einem Tagesausflug nach Luxemburg (1 Stunde entfernt) zurück. Heute ist Sonntag, 14. November, der diesjährige Volkstrauertag, an dem überall in Deutschland der Opfer aller Kriege und Gewaltherrschaften gedacht wird. Das findet bei uns traditionell auf den Friedhöfen in der Sektion statt, wo die Toten der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts ruhen.

Seit vielen Jahren fahre ich zusammen mit meinem Freund Hermann Scheid, der in den letzten Monaten des 2. Weltkriegs selbst noch Soldat war, nach Luxemburg. Auf dem deutschen Friedhof in Sandweiler unweit des Luxemburger Airports liegt ein Bruder seiner Schwägerin begraben. Albert Nilles wurde 1920 in Oberthal geboren und starb am 15. Februar 1945 nicht sehr weit von seinem Heimatort entfernt. Hermann Scheid fährt am Volkstrauertag immer nach Sandweiler zu diesem Grab, um für seinen Bruder zu trauern, der 1945 irgendwo in Pommern gefallen ist und dessen Grab bis heute unentdeckt geblieben ist.

Wir fahren morgens los, überqueren nahe der uralten Stadt Trier die Mosel und nehmen hinter der Grenze unser Mittagessen ein. Das ist eine gute Gelegenheit zum günstigen Tanken, denn in Luxemburg kostet das Benzin bis zu 20 Cent weniger als in Deutschland (heutiger Preis: 1.52 Euro pro Liter, zuhause kostet das Benzin fast 1.80 Euro pro Liter). Normalerweise essen wir dort in der Nähe zu Mittag, aber das ging heute nicht, weil das Restaurant abgerissen wurde und gerade neu gebaut wird. Also fuhren wir weiter und fanden im Ort Sandweiler nicht weit des Friedhofs ein italienisches Restaurant, wo wir sehr gut speisten.

Die Zeremonie hier in Luxemburg besteht aus zwei Teilen. Erst wird am amerikanischen Militarfriedhof, wo auch General George Patton jr seine letzte Ruhestände gefunden hat, durch den deutschen Botschafter, einen Vertreter der luxemburgischen Regierung und des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge ein Kranz niedergelegt. Eine halbe Stunde später beginnt dann in Sandweiler (etwa 1 Kilometer entfernt) die deutsche Veranstaltung.

Wir kamen um kurz nach 13 Uhr zum amerikanischen Friedhof. Durch das schmiedeeiserne Tor gelangt man zu einer riesigen Rotunda, in deren Mitte ein großer Turm steht, das Ehrenmal in Form einer Kapelle. Sein Eingang liegt einem großen Platz gegenüber, der von großen Quadern flankiert wird, auf deren Innenseiten die Kämpfe des letzten halben Kriegsjahres dargestellt sind, soweit sie amerikanische Einheiten betrafen. Dort bleiben wir immer stehen und betrachten die Pfeile der 10th Armored und der 80th Infantry Division, die im März 1945 unsere unmittelbare Heimat eroberten. Sie gehörten beide zum XX Corps der Third Army, die unter dem Kommando von General Patton das sogenannte Saargebiet besetzten. Auf den Außenseiten sind die Namen, die Dienstgrade und die Truppenzugehörigkeit von 371 vermissten Soldaten eingraviert.

Auf dem weiten sanften Hang dahinter stehen in neun Abteilungen die Monumente der 5076 Gefallenen. Die meisten sind Grabkreuze, aber es finden sich auch viele Davidssterne darunter. 101 Gräber wurden für nicht identifizierte Gefallene errichtet. (https://www.abmc.gov/Luxembourg). Wir kamen gerade rechtzeitig für die Zeremonie, weshalb wir auf den schon fast obligatorischen Besuch des Grabs von General Patton verzichten mußten.

Die drei genannten Männer schritten die langen Stufen zur Kapelle hinauf und nahmen vor einem riesigen Gedenkkranz Aufstellung. Die Vertreter der deutschen Bundeswehr - alle in Uniform - nahmen Haltung an und legten die Hand zum militärischen Gruß an die Schläfe. Wir nahmen die Kopfbedeckungen ab, und der Trompeter - er ist Luxemburger und spielt hier seit mehr als 27 Jahren - intonierte „taps“. Wie immer waren nicht viele Leute hier, vielleicht 20 Personen. In zehn Minuten war die Zeremonie vorbei, und wir schlenderten zum Auto zurück und fuhren nach Sandweiler.

Während der amerikanische Friedhof allein durch seinen perfekt gepflegten Rasen und die marmornen Grabmonumente ein wirklich toller Anblick ist, wirkt der deutsche Friedhof in Sandweiler im Gegensatz dazu düster und trist. Vom Parkplatz spazierten wir einen Waldweg entlang zum Haupteingang, der stets wie ein grauer Bunker wirkt. Vor der Tür wartete heute eine junge Frau, die unsere Impfpässe überprüfte, denn auf den Friedhof durfte heute nur, wer geimpft oder genesen war. Hier wurdedie 2G-Regelung genau kontrolliert. Durch das Dunkel des Eingang betraten wir den engen Innenhof, der einen Blick auf das gesamte Feld der 10913 Gräber deutscher Wehrmachtssoldaten gibt, die hier ruhen. Sandweiler war die erste Kriegsgräberstätte, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Ausland angelegt wurde.

Der amerikanische Gräberdienst bestattete dort 5599 deutsche Gefallene aus den Kämpfen des Frühjahres 1945 in mehreren Blocks zu 300 Gräbern. Entsprechend eines Abkommens zwischen Luxemburg und Deutschland bettete der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge weitere 5286 Gefallene aus 150 luxemburgischen Gemeinden ebenfalls dort hinzu, teilweise aus Massengräbern geborgen. Der amerikanische Friedhof hat für jeden einzelnen Soldaten ein einzelnes Monoment. In Sandweiler gibt es ausschließlich Kreuze aus Naturstein, die auf beiden Seiten mit bis zu sechs Namen beschriftet sind. 4829 Tote liegen in einem Gemeinschaftsgrab, von denen 4014 namentlich zugeordnet werden konnten, d.h. 815 sind unbekannt.

Erst vor kurzen wurden in einem Massengrab im Norden Luxemburgs Überreste deutscher Soldaten entdeckt, deren Identität nicht festgestellt werden konnten. Sie wurden heute während der Zeremonie bestattet. Der Botschafter sagte in seiner Ansprache sinngemäß: „Kein Name wird vermerkt, kein Angehöriger benachrichtigt. Keine Suche findet ein Ende.“

Der Besucher waren weniger geworden in den letzten Jahren. Ich kann mich an einen katholischen Geistlichen und einen jüdischen Rabbi erinnern, die hier gesprochen hatten. Den Jugendchor eines deutsch-luxemburgischen Gymnasiums, die lange Jahre von ihrem Lehrer begleitet hier sangen. An helle und dunkle Tage, trockene und regennasse. Und daran, daß wir während meiner ersten Besuche stets jenseits der Straße im Industriegebiet parken mußten, weil hier längst alle Parkplätze belegt waren. Im letzten Jahr waren wir auch hier gewesen, obwohl die offizielle Veranstaltung wegen Corona ausgefallen war.

Der Botschafter eröffnete die Veranstaltung mit einer Rede, die nicht selten weh tat. Er zählte gleich zu Beginn die Orte auf der Welt auf, in denen heute noch oder wieder gekämpft wird. Dabei sollen doch Orte wie dieser dazu ermahnen, daß das Kämpfen aufhört. Ihm folgte ein protestantischer Pfarrer, dem es gelang, in allen dem Chaos aus Blut und Tränen auch Worte der Hoffnung zu finden. Währendessen spielte der Trompeter mehrere Lieder, deren Titel mir nicht bekannt sind. Klagende Weisen.

Soldaten der deutschen Bundeswehr - darunter eine Frau (ich sah nie zuvor eine junge Frau im Grau des deutschen Heeres - als ich damals diente, bestand die Bundeswehr noch aus lauter Männern) - trugen den Kranz den langen Weg hinauf zum Ehrenmal, wo die toten Soldaten beerdigt wurden. Wir Besucher trotteten hinterdrein; der Trompeter spielte eine Version von Amazing Grace. Ich achtete auf meinen Begleiter, der mit seinen 93 Jahren einer der ältesten Teilnehmer war und schon seit über 30 Jahren immer am Volkstrauertag hierkommt. Wir blieben auf halber Strecke stehen und beobachten das Geschehen oben am Ehrenmal. Die sterblichen Überreste wurden eingebettet, der Geistliche stimmte das „Vater unser“ an. Dann spielte der Trompeter sein letztes Stück, das über 200 Jahre alte deutsche Lied „Ich hatt’ einen Kameraden“, womit die Zeremonie offiziell zu Ende war. Während die Teilnehmer zum Eingangsbereich zurückströmten, um bei Kaffee und Tee (und leckerem Kuchen) noch ein wenig zu plaudern, widmeten Hermann und ich uns der alljährlichen Suche nach Albert Nilles’ Grab. Irgendwo rechts oben oder in der Mitte. Einer von zwei Namen. Früher stand dort mal ein Baum, aber schon lange nicht mehr. Diesmal würden wir ihn sicher direkt finden. Nun - wie im letzten Jahr - kapitulierte ich vor der schier endlosen Masse an Gräbern, ging zum Eingangsbereich, wo ich in den beiden Gefallenbüchern die Position nachschaute: Sektion J, Grab 135. Dort lag er natürlich, wie schon seit über 70 Jahren. Ich überließ Hermann seinen Gedanken und Erinnerungen an die beiden Männer, den einen hier im Grab und den anderen irgendwo auf der anderen Seite der Republik, beide schon mehr als 75 Jahre tot. Er schlug ein letztes Kreuzzeichen über dem Grab, dann gesellten wir uns zu den anderen. Der Punsch war ohne Alkohol und nicht wirklich heiß, aber schmeckte richtig gut. Und der Kuchen erst.

Wir trafen unseren alten Freund Bodo Bost, der uns zu einer Tasse Kaffee einlud. Nach einigen guten Gesprächen fuhren wir über Trier wieder nachhause in Saarland. Mit der festen Absicht, nächstes Jahr wiederzukommen.

=> https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kriegsgr%C3%A4berst%C3%A4tte_Sandweiler

[Regionalforum-Saar] Chronik Eisweiler -Pinsweiler (Gemeinde Namborn, Kreis St. Wendel) erschienen.

Date: 2021/11/15 08:59:07
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Chronik Eisweiler -Pinsweiler (Gemeinde Namborn, Kreis St. Wendel) erschienen.

Die Chronik Eisweiler -Pinsweiler umfasst auf 410 reich bebilderten Seiten die Ortsgeschichte der beiden Dörfer bis zur Gegenwart. Es finden sich unter anderem Beiträge zur Siedlungsgeschichte, Hausnamen, Schulchronik mit Klassenfotos und den Vereinstätigkeiten.

Ausführliche Erwähnung finden Ereignisse, wie die Motorradrennen um den Allerburgring, Kapellbau in Pinsweiler, Kirmesfeste und die unvergessenen Burgfeste.

Einen beträchtlichen Teil nimmt zudem die Aufarbeitung der neuesten archäologischen Erkenntnisse über die Geschichte der Liebenburg ein. Die Frühzeit- und Mittelalterarchäologin Dr. Christel Bernard hat über die Filterzisterne und die Kachelfunde wissenschaftliche Aufsätze verfasst.

Bereits bei der gut besuchten Buchvorstellung fanden sich die Besucher in ihre Jugend versetzt und schwelgten in Erinnerungen.
Zur Komplettierung des Dorfarchivs sammelt der Verein für Heimatkunde weiterhin Bilder, Dokumente und Geschichten.

Das Buch kann bei Claudia E. Schmitt bestellt werden [claudia-e-schmitt(a)gmx.de], Tel. 06851-1249.

Es kostet 30 Euro, dazu kommen 5 Euro für den Versand.


[Regionalforum-Saar] Info-Dienst des Vereins für L andeskunde im Saarland

Date: 2021/11/15 09:08:35
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Morgen,

wer das noch nicht kennt: der Verein für Landeskunde im Saarland VLS gibt in regelmäßigen Abständen Informationen über Veröffentlichungen, Termine und ähnliches zur Landeskunde heraus. Diese Infos werden als angehängte pdf per Email versandt, auch an Nichtvereinsmitglieder.

Bei Interesse lassen Sie sich bei Friedrich Denne, dem Vorsitzenden, über <info(a)landeskunde-saarland.de> in den Verteiler mitaufnehmen.

Das lohnt sich.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

Re: [Regionalforum-Saar] Volkstrauertag 2021

Date: 2021/11/15 11:09:27
From: anneliese.schumacher(a)t-online.de <anneliese.schumacher(a)t-online.de>

Hallo!

 

Deine Beobachtungen verstärken einmal mehr die Notwendigkeit, die Deutsche Kriegsgräberfürsorge zu unterstützen. https://www.volksbund.de/spenden

 

Leider kann wegen der epidemischen Lage derzeit auch keine Haussammlung stattfinden.

 

LG

Anneliese Schumacher

 

 

 

 

-----Original-Nachricht-----

Betreff: [Regionalforum-Saar] Volkstrauertag 2021

Datum: 2021-11-14T22:46:15+0100

Von: "Roland Geiger via Regionalforum-Saar" <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

An: "Regionalforum" <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

 

 

 

Guten Abend,

eben komme ich von einem Tagesausflug nach Luxemburg (1 Stunde entfernt) zurück. Heute ist Sonntag, 14. November, der diesjährige Volkstrauertag, an dem überall in Deutschland der Opfer aller Kriege und Gewaltherrschaften gedacht wird. Das findet bei uns traditionell auf den Friedhöfen in der Sektion statt, wo die Toten der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts ruhen.

Seit vielen Jahren fahre ich zusammen mit meinem Freund Hermann Scheid, der in den letzten Monaten des 2. Weltkriegs selbst noch Soldat war, nach Luxemburg. Auf dem deutschen Friedhof in Sandweiler unweit des Luxemburger Airports liegt ein Bruder seiner Schwägerin begraben. Albert Nilles wurde 1920 in Oberthal geboren und starb am 15. Februar 1945 nicht sehr weit von seinem Heimatort entfernt. Hermann Scheid fährt am Volkstrauertag immer nach Sandweiler zu diesem Grab, um für seinen Bruder zu trauern, der 1945 irgendwo in Pommern gefallen ist und dessen Grab bis heute unentdeckt geblieben ist.

Wir fahren morgens los, überqueren nahe der uralten Stadt Trier die Mosel und nehmen hinter der Grenze unser Mittagessen ein. Das ist eine gute Gelegenheit zum günstigen Tanken, denn in Luxemburg kostet das Benzin bis zu 20 Cent weniger als in Deutschland (heutiger Preis: 1.52 Euro pro Liter, zuhause kostet das Benzin fast 1.80 Euro pro Liter). Normalerweise essen wir dort in der Nähe zu Mittag, aber das ging heute nicht, weil das Restaurant abgerissen wurde und gerade neu gebaut wird. Also fuhren wir weiter und fanden im Ort Sandweiler nicht weit des Friedhofs ein italienisches Restaurant, wo wir sehr gut speisten.

Die Zeremonie hier in Luxemburg besteht aus zwei Teilen. Erst wird am amerikanischen Militarfriedhof, wo auch General George Patton jr seine letzte Ruhestände gefunden hat, durch den deutschen Botschafter, einen Vertreter der luxemburgischen Regierung und des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge ein Kranz niedergelegt. Eine halbe Stunde später beginnt dann in Sandweiler (etwa 1 Kilometer entfernt) die deutsche Veranstaltung.

Wir kamen um kurz nach 13 Uhr zum amerikanischen Friedhof. Durch das schmiedeeiserne Tor gelangt man zu einer riesigen Rotunda, in deren Mitte ein großer Turm steht, das Ehrenmal in Form einer Kapelle. Sein Eingang liegt einem großen Platz gegenüber, der von großen Quadern flankiert wird, auf deren Innenseiten die Kämpfe des letzten halben Kriegsjahres dargestellt sind, soweit sie amerikanische Einheiten betrafen. Dort bleiben wir immer stehen und betrachten die Pfeile der 10th Armored und der 80th Infantry Division, die im März 1945 unsere unmittelbare Heimat eroberten. Sie gehörten beide zum XX Corps der Third Army, die unter dem Kommando von General Patton das sogenannte Saargebiet besetzten. Auf den Außenseiten sind die Namen, die Dienstgrade und die Truppenzugehörigkeit von 371 vermissten Soldaten eingraviert.

Auf dem weiten sanften Hang dahinter stehen in neun Abteilungen die Monumente der 5076 Gefallenen. Die meisten sind Grabkreuze, aber es finden sich auch viele Davidssterne darunter. 101 Gräber wurden für nicht identifizierte Gefallene errichtet. (https://www.abmc.gov/Luxembourg). Wir kamen gerade rechtzeitig für die Zeremonie, weshalb wir auf den schon fast obligatorischen Besuch des Grabs von General Patton verzichten mußten.

Die drei genannten Männer schritten die langen Stufen zur Kapelle hinauf und nahmen vor einem riesigen Gedenkkranz Aufstellung. Die Vertreter der deutschen Bundeswehr - alle in Uniform - nahmen Haltung an und legten die Hand zum militärischen Gruß an die Schläfe. Wir nahmen die Kopfbedeckungen ab, und der Trompeter - er ist Luxemburger und spielt hier seit mehr als 27 Jahren - intonierte „taps“. Wie immer waren nicht viele Leute hier, vielleicht 20 Personen. In zehn Minuten war die Zeremonie vorbei, und wir schlenderten zum Auto zurück und fuhren nach Sandweiler.

Während der amerikanische Friedhof allein durch seinen perfekt gepflegten Rasen und die marmornen Grabmonumente ein wirklich toller Anblick ist, wirkt der deutsche Friedhof in Sandweiler im Gegensatz dazu düster und trist. Vom Parkplatz spazierten wir einen Waldweg entlang zum Haupteingang, der stets wie ein grauer Bunker wirkt. Vor der Tür wartete heute eine junge Frau, die unsere Impfpässe überprüfte, denn auf den Friedhof durfte heute nur, wer geimpft oder genesen war. Hier wurdedie 2G-Regelung genau kontrolliert. Durch das Dunkel des Eingang betraten wir den engen Innenhof, der einen Blick auf das gesamte Feld der 10913 Gräber deutscher Wehrmachtssoldaten gibt, die hier ruhen. Sandweiler war die erste Kriegsgräberstätte, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Ausland angelegt wurde.

Der amerikanische Gräberdienst bestattete dort 5599 deutsche Gefallene aus den Kämpfen des Frühjahres 1945 in mehreren Blocks zu 300 Gräbern. Entsprechend eines Abkommens zwischen Luxemburg und Deutschland bettete der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge weitere 5286 Gefallene aus 150 luxemburgischen Gemeinden ebenfalls dort hinzu, teilweise aus Massengräbern geborgen. Der amerikanische Friedhof hat für jeden einzelnen Soldaten ein einzelnes Monoment. In Sandweiler gibt es ausschließlich Kreuze aus Naturstein, die auf beiden Seiten mit bis zu sechs Namen beschriftet sind. 4829 Tote liegen in einem Gemeinschaftsgrab, von denen 4014 namentlich zugeordnet werden konnten, d.h. 815 sind unbekannt.

Erst vor kurzen wurden in einem Massengrab im Norden Luxemburgs Überreste deutscher Soldaten entdeckt, deren Identität nicht festgestellt werden konnten. Sie wurden heute während der Zeremonie bestattet. Der Botschafter sagte in seiner Ansprache sinngemäß: „Kein Name wird vermerkt, kein Angehöriger benachrichtigt. Keine Suche findet ein Ende.“

Der Besucher waren weniger geworden in den letzten Jahren. Ich kann mich an einen katholischen Geistlichen und einen jüdischen Rabbi erinnern, die hier gesprochen hatten. Den Jugendchor eines deutsch-luxemburgischen Gymnasiums, die lange Jahre von ihrem Lehrer begleitet hier sangen. An helle und dunkle Tage, trockene und regennasse. Und daran, daß wir während meiner ersten Besuche stets jenseits der Straße im Industriegebiet parken mußten, weil hier längst alle Parkplätze belegt waren. Im letzten Jahr waren wir auch hier gewesen, obwohl die offizielle Veranstaltung wegen Corona ausgefallen war.

Der Botschafter eröffnete die Veranstaltung mit einer Rede, die nicht selten weh tat. Er zählte gleich zu Beginn die Orte auf der Welt auf, in denen heute noch oder wieder gekämpft wird. Dabei sollen doch Orte wie dieser dazu ermahnen, daß das Kämpfen aufhört. Ihm folgte ein protestantischer Pfarrer, dem es gelang, in allen dem Chaos aus Blut und Tränen auch Worte der Hoffnung zu finden. Währendessen spielte der Trompeter mehrere Lieder, deren Titel mir nicht bekannt sind. Klagende Weisen.

Soldaten der deutschen Bundeswehr - darunter eine Frau (ich sah nie zuvor eine junge Frau im Grau des deutschen Heeres - als ich damals diente, bestand die Bundeswehr noch aus lauter Männern) - trugen den Kranz den langen Weg hinauf zum Ehrenmal, wo die toten Soldaten beerdigt wurden. Wir Besucher trotteten hinterdrein; der Trompeter spielte eine Version von Amazing Grace. Ich achtete auf meinen Begleiter, der mit seinen 93 Jahren einer der ältesten Teilnehmer war und schon seit über 30 Jahren immer am Volkstrauertag hierkommt. Wir blieben auf halber Strecke stehen und beobachten das Geschehen oben am Ehrenmal. Die sterblichen Überreste wurden eingebettet, der Geistliche stimmte das „Vater unser“ an. Dann spielte der Trompeter sein letztes Stück, das über 200 Jahre alte deutsche Lied „Ich hatt’ einen Kameraden“, womit die Zeremonie offiziell zu Ende war. Während die Teilnehmer zum Eingangsbereich zurückströmten, um bei Kaffee und Tee (und leckerem Kuchen) noch ein wenig zu plaudern, widmeten Hermann und ich uns der alljährlichen Suche nach Albert Nilles’ Grab. Irgendwo rechts oben oder in der Mitte. Einer von zwei Namen. Früher stand dort mal ein Baum, aber schon lange nicht mehr. Diesmal würden wir ihn sicher direkt finden. Nun - wie im letzten Jahr - kapitulierte ich vor der schier endlosen Masse an Gräbern, ging zum Eingangsbereich, wo ich in den beiden Gefallenbüchern die Position nachschaute: Sektion J, Grab 135. Dort lag er natürlich, wie schon seit über 70 Jahren. Ich überließ Hermann seinen Gedanken und Erinnerungen an die beiden Männer, den einen hier im Grab und den anderen irgendwo auf der anderen Seite der Republik, beide schon mehr als 75 Jahre tot. Er schlug ein letztes Kreuzzeichen über dem Grab, dann gesellten wir uns zu den anderen. Der Punsch war ohne Alkohol und nicht wirklich heiß, aber schmeckte richtig gut. Und der Kuchen erst.

Wir trafen unseren alten Freund Bodo Bost, der uns zu einer Tasse Kaffee einlud. Nach einigen guten Gesprächen fuhren wir über Trier wieder nachhause in Saarland. Mit der festen Absicht, nächstes Jahr wiederzukommen.

=> https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kriegsgr%C3%A4berst%C3%A4tte_Sandweiler



[Regionalforum-Saar] Franz Ortwin Englert ist heute nach gestorben

Date: 2021/11/15 12:43:13
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Hallo,

eben habe ich zu meinem Bedauern erfahren, dass heute Nacht mein ehemaliger Nachtwächterkollege Franz Ortwin Englert im Alter von 78 Jahren gestorben ist.

Er hat bis in die Corona-Zwischenzeit im vergangenen Sommer als Nachtwächter und Stadtführer Gäste durch unsere schöne Stadt geführt, aber während des letzten Jahres hat sich sein Gesundheitszustand stark verschlechtert, sodass er vor ein paar Monaten diese Tätigkeit mehr oder minder freiwillig aufgab.

Ich habe Ortwin vor über 30 Jahren kennengelernt. Er wohnte damals noch in Sankt Wendel in der Beethovenstraße und betrieb mit seinem Halbbruder Claus   am Ortsrand von Alsfassen die Felsenmühle, die beide in ein gutgehendes und weithin bekanntes Landgasthaus verwandelt hatten. Die Samstagmorgenstammtische dort waren legendär. So legendär wie sein Ruf als Wirt, der seinen Betrieb mit strenger Hand führte. Ich bin immer gerne dorthin gegangen, zum einen der Gesellschaft wegen, zum anderen, weil man sich mit Ortwin so gut wie über alles mögliche unterhalten konnte. Er hatte von unwahrscheinlich vielem Ahnung oder sogar breites Wissen. Ich werde nie vergessen, wie ich einmal meinen Vater mitnahm, der seit seiner Kindheit Fußball spielte und lange Jahre als Schiedsrichter unterwegs war. Und große Augen bekam, als der an sich völlig unsportliche Gastwirt ihm an der Theke der Felsenmühle einen Vortrag über die Ursprünge des deutschen Fußballs hielt.

Ortwin stammte nicht aus St. Wendel, sondern aus einem Ort nahe Koblenz. Seine Mutter kam mit ihm und seinem Bruder Roland in den 1900fünfzigern ins Saarland und heiratete den Frauenarzt Johann Dreger, damals geboren in und Eigentümer der Felsenmühle. Ihr gemeinsamer Sohn Claus kam 1957 zur Welt.

Obwohl seine Familie an sich nichts mit der Felsenmühle zu tun hatte, beschäftigte sich Ortwin, der in den 1960ern in Saarbrücken Geographie und Geschichte studiert Wendel politisch stark engagiert hatte (und nie im Mainstream mitschwamm), sehr stark mit ihrer Historie. Ich verdanke es ihm, dass er mir in den 1990ern die bei seinem Halbbruder Claus befindlichen alten Unterlagen der Mühle, die bis ins achtzehnte Jahrhundert zurückreichen, vermittelte (sie befinden sich heute im Stadtarchiv Sankt Wendel).

Ortwin hinterlässt seine Ehefrau Birgit, seine Tochter Laura und seine Enkelkinder.

Mein Freund, wir hatten in den letzten Jahren unsere Differenzen, und es gab einige Zeiten, in denen wir keinen Kontakt oder kein gutes Wort füreinander hatten, aber ich werde nie den Enthusiasmus vergessen, den Du zum Beispiel bei der Grabung 2005 in unserem Vorgarten an den Tag gelegt hast, obwohl Du in jener Zeit gerade in Bezug auf Deine Zukunft wahrlich anderes im Kopf hattest. Ich freue mich, dass wir in letzter Zeit wieder miteinander reden konnten. Du wirst mir fehlen.

St. Wendel am 15. November 2021.

Roland Geiger

Re: [Regionalforum-Saar] Franz Ortwin Englert ist heute nach gestorben

Date: 2021/11/15 12:49:18
From: klotzpt via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Oh das sind keine schönen Nachrichten 😪

Gesendet mit der mobilen Mail App

Am 15.11.21 um 12:43 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar

Von: "Roland Geiger via Regionalforum-Saar" <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Datum: 15. November 2021
An: regionalforum-saar(a)genealogy.net
Cc:
Betreff: [Regionalforum-Saar] Franz Ortwin Englert ist heute nach gestorben

Hallo,

eben habe ich zu meinem Bedauern erfahren, dass heute Nacht mein ehemaliger Nachtwächterkollege Franz Ortwin Englert im Alter von 78 Jahren gestorben ist.

Er hat bis in die Corona-Zwischenzeit im vergangenen Sommer als Nachtwächter und Stadtführer Gäste durch unsere schöne Stadt geführt, aber während des letzten Jahres hat sich sein Gesundheitszustand stark verschlechtert, sodass er vor ein paar Monaten diese Tätigkeit mehr oder minder freiwillig aufgab.

Ich habe Ortwin vor über 30 Jahren kennengelernt. Er wohnte damals noch in Sankt Wendel in der Beethovenstraße und betrieb mit seinem Halbbruder Claus   am Ortsrand von Alsfassen die Felsenmühle, die beide in ein gutgehendes und weithin bekanntes Landgasthaus verwandelt hatten. Die Samstagmorgenstammtische dort waren legendär. So legendär wie sein Ruf als Wirt, der seinen Betrieb mit strenger Hand führte. Ich bin immer gerne dorthin gegangen, zum einen der Gesellschaft wegen, zum anderen, weil man sich mit Ortwin so gut wie über alles mögliche unterhalten konnte. Er hatte von unwahrscheinlich vielem Ahnung oder sogar breites Wissen. Ich werde nie vergessen, wie ich einmal meinen Vater mitnahm, der seit seiner Kindheit Fußball spielte und lange Jahre als Schiedsrichter unterwegs war. Und große Augen bekam, als der an sich völlig unsportliche Gastwirt ihm an der Theke der Felsenmühle einen Vortrag über die Ursprünge des deutschen Fußballs hielt.

Ortwin stammte nicht aus St. Wendel, sondern aus einem Ort nahe Koblenz. Seine Mutter kam mit ihm und seinem Bruder Roland in den 1900fünfzigern ins Saarland und heiratete den Frauenarzt Johann Dreger, damals geboren in und Eigentümer der Felsenmühle. Ihr gemeinsamer Sohn Claus kam 1957 zur Welt.

Obwohl seine Familie an sich nichts mit der Felsenmühle zu tun hatte, beschäftigte sich Ortwin, der in den 1960ern in Saarbrücken Geographie und Geschichte studiert Wendel politisch stark engagiert hatte (und nie im Mainstream mitschwamm), sehr stark mit ihrer Historie. Ich verdanke es ihm, dass er mir in den 1990ern die bei seinem Halbbruder Claus befindlichen alten Unterlagen der Mühle, die bis ins achtzehnte Jahrhundert zurückreichen, vermittelte (sie befinden sich heute im Stadtarchiv Sankt Wendel).

Ortwin hinterlässt seine Ehefrau Birgit, seine Tochter Laura und seine Enkelkinder.

Mein Freund, wir hatten in den letzten Jahren unsere Differenzen, und es gab einige Zeiten, in denen wir keinen Kontakt oder kein gutes Wort füreinander hatten, aber ich werde nie den Enthusiasmus vergessen, den Du zum Beispiel bei der Grabung 2005 in unserem Vorgarten an den Tag gelegt hast, obwohl Du in jener Zeit gerade in Bezug auf Deine Zukunft wahrlich anderes im Kopf hattest. Ich freue mich, dass wir in letzter Zeit wieder miteinander reden konnten. Du wirst mir fehlen.

St. Wendel am 15. November 2021.

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] Die Befreiung aus dem nationalsozialistischen Lagersystem 1944/45

Date: 2021/11/15 20:06:46
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Die Befreiung aus dem nationalsozialistischen Lagersystem 1944/45

Veranstalter Gedenkstätte SS-Sonderlager/KZ Hinzert + Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

Veranstaltungsort Gedenkstätte SS-Sonderlager/KZ Hinzert
54421 Hinzert-Pölert


Vom - Bis 12.05.2022 - 13.05.2022

Deadline 15.01.2022

Von Lena Haase, Gedenkstätte SS-Sonderlager/KZ Hinzert, Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz

Die Tagung widmet sich der Befreiung der nationalsozialistischen Lager 1944/45 und der Rückkehr der Häftlinge, ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangenen in die Freiheit. Dabei soll nicht nur die Befreiung der Lager selbst in den Fokus gerückt werden, sondern auch die Herausforderungen, denen sich die Befreiten stellen mussten (Heimkehr und Exil, Reaktionen der lokalen Bevölkerung).

Die Befreiung aus dem nationalsozialistischen Lagersystem 1944/45

Als „Atempause“, als eine Zeitspanne „am Rande der Zivilisation“ hat Primo Levi seine Befreiung aus dem KZ Auschwitz beschrieben. Auch für andere Überlebende war die Befreiung der Lager, der Weg in die Heimat oder aber ins Exil von großen Herausforderungen und neuen Erfahrungen geprägt.

Viele Berichte über die nationalsozialistische Verfolgung enden mit dem Tag der Befreiung. Doch wie gestalteten sich die letzten Tage in den Lagern im Einzelnen? Wie reagierte die lokale Bevölkerung auf die befreiten Häftlinge, ZwangsarbeiterInnen und entlassenen Kriegsgefangenen? Waren Frauen und Männer wie auch ehemals rassistisch Verfolgte unterschiedlichen Herausforderungen ausgesetzt? Welche Rolle spielten die “Camps for Displaced Persons“? Und wie gestaltete sich die Rückkehr in die jeweiligen Herkunftsländer bzw. der Weg ins Exil unter den chaotischen Bedingungen der frühen Nachkriegszeit? Gab es ehemalige Häftlinge, ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene, die in der Region verblieben und wenn ja, aus welchen Gründen? Nicht zuletzt geht es um die Frage, ob und wie die Befreiung der Lager einen Ort im lokalen Gedächtnis der umliegenden Dörfer und Städte gefunden hat.

Auf der Tagung soll der Fokus bewusste nicht ausschließlich auf die Befreiung der Konzentrationslager und ihrer Nebenlager gelegt werden. Mit in den Blick genommen werden sollen Lager für ZwangsarbeiterInnen, Kriegsgefangenenlager und weitere zum nationalsozialistischen Lagersystem zählende Haftstätten in Zuständigkeit von Polizei-, Justiz-, Wehrmachts- und/oder Verwaltungsbehörden.

Die Tagung versteht sich als ein Forum des wissenschaftlichen Austausches, wobei nicht zuletzt auch die unterschiedlichen politischen und alltagsgeschichtlichen Bedingungen in den vier Besatzungszonen Berücksichtigung finden sollten. Gesucht werden Referentinnen und Referenten, die zu den skizzierten Fragen einen Beitrag leisten möchten.

Wir bitten alle Interessierten, uns bis zum 15. Januar 2022 ein Abstract von 600 Worten sowie eine Kurzbiografie an folgende Emailadresse zu schicken: beate.welter(a)gedenkstaette-hinzert-rlp.de Eine Benachrichtigung der ausgewählten ReferentInnen erfolgt bis zum 1. Februar 2022. Für die ReferentInnnen werden die Reise- und Übernachtungskosten übernommen.

Kontakt

Dr. Beate Welter
06586-992495
beate.welter(a)gedenkstaette-hinzert-rlp.de

https://www.gedenkstaette-hinzert-rlp.de


Zitation
Die Befreiung aus dem nationalsozialistischen Lagersystem 1944/45. In: H-Soz-Kult, 15.11.2021, <www.hsozkult.de/event/id/event-114137>.





[Regionalforum-Saar] Weihnachtsmarkt in St. Wendel ist abgesagt worden.

Date: 2021/11/18 14:52:33
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

=> https://www.wndn.de/st-wendeler-weihnachtsmarkt-und-neujahrsempfang-abgesagt/
--
Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

--------------------

Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de

[Regionalforum-Saar] Tagungsbericht: Die Sprache des Feindes: Deutschsprachige Akten in israelischen Archiven

Date: 2021/11/20 16:06:28
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Tagungsbericht: Die Sprache des Feindes: Deutschsprachige Akten in israelischen Archiven

Veranstalter  Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)

05.10.2021 - 08.10.2021

Von Julia Schneidawind

Die deutsche Sprache ist nicht nur verbindendes Element einer langen europäischen jüdischen Geschichte und Tradition, sondern darüber hinaus eng mit der Gründungsgeschichte des Staates Israel verwoben. Gleichzeitig schwingt in ihr als Sprache des Nationalsozialismus aber auch unweigerlich eine Rhetorik des Verbrechens mit. In all dieser Ambivalenz ist die deutsche Sprache bis heute in israelischen Archiven und Bibliotheken allgegenwärtig.

MICHAEL BRENNER (München/Washington D.C.) betonte in seiner Einführung der von ihm und YFAAT WEISS (Jerusalem/Leipzig) geleiteten Fachsektion diese Komplexität, die mit deutschsprachigen Archivquellen und Literaturnachlässen in Israel bis heute in Verbindung steht und hob gleichzeitig hervor, welche Bedeutung diesen Zeugnissen als historisches Erbe für die Geschichtswissenschaft zukomme. Die heute in Israel überlieferten deutschsprachigen Quellen seien nicht nur für eine Aufarbeitung der NS-Geschichte zentral, sondern bildeten auch für Fragen nach Provenienz und kultureller Zugehörigkeit wichtige Ausgangspunkte. Alle drei Beiträge der Sektion näherten sich der Thematik von unterschiedlichen Perspektiven und unter Heranziehung unterschiedlicher israelischer Archivbestände.

In seinem Beitrag „Die Akten des Feindes“ verfolgte TOM SEGEV (Jerusalem) die Spuren der Archivalien aus dem deutschen Konsulat in Jerusalem und zeigte auf, wie sich anhand dieses vorwiegend administrativen und juristischen Materials, das nur in kleinen Teilen in Jerusalem erhalten ist, mannigfaltige Zugänge zu historischen Fragestellungen eröffnen. Wie Segev rekonstruierte, fanden 169 Akten aus dem zwischen 1871 und 1939 bestehenden Konsulat ihren Weg in das Staatsarchiv Israel. Dabei schilderte der Historiker und Journalist zunächst die faszinierenden Überlieferungswege der Archivalien, welche in Teilen in den 1950er-Jahren zufällig von einer israelischen Polizeistreife in einem arabischen Altpapierlaster entdeckt und zum für Altpapier üblichen Kilo-Preis vom israelischen Staatsarchiv angekauft wurden. Weitere Dokumente kamen über antiquarische Ankäufe in das Archiv, welches heute einen Großteil seiner Akten online zugänglich macht. Segev verwies auf die historische Bandbreite, die diese archivalischen Bruchstücke abdeckten. So spiegelten sich in ihnen beispielsweise nicht nur die Beziehungen zwischen den europäischen Mächten und dem Osmanischen Reich oder die jüdische wie nichtjüdische Einwanderungsgeschichte Palästinas im 19. und frühen 20. Jahrhundert, sondern diese gäben auch tiefe Einblicke in die engen Verbindungen der britischen Mandatsmacht in Palästina mit dem NS-Staat. Die Konsulatsakten, so erläuterte Segev, legten dar, wie nach 1933 weiterhin enge Beziehungen zwischen Palästina und Deutschland fortbestanden. Etwa gäben sie tiefe Einblicke über die Verhandlungen um das Transferabkommen zwischen NS-Deutschland und dem britischen Mandatsgebiet. Das sogenannte Havara-Abkommen ermöglichte es deutschen Juden, nach Abgabe eines Teils ihres Vermögens nach Palästina einzuwandern, und wurde obschon seines umstrittenen Charakters rückblickend „die größte Rettungsaktion für Juden während der ganzen Zeit des Holocaust“, so der Historiker. Schließlich transportierten die Akten auch die ganze Absurdität und Tragik „hinter einer alphabetisch geordneten Konsulatsbürokratie“. So lasse sich anhand der Akten nachzeichnen, wie deutsche Juden, die sich bereits nach Palästina hatten retten können, weiterhin mit der NS-Bürokratie konfrontiert waren. Segev zeigte an Beispielen, wie sich deutsche Juden im deutschen Konsulat in Jerusalem mit den von den NS-Behörden vorgeschriebenen Namen „Israel“ und „Sara“ registrieren mussten. Seinen Beitrag schloss Segev mit dem Resümee, dass die Geschichtswissenschaft auch aus den „allertrockensten administrativen Registraturen historische und menschliche Dramen“ lernen könne und hob damit hervor, welchen Quellenwert dieser Aktenbestand gerade für die Opfergeschichte darstellt.

YFAAT WEISS (Jerusalem/Leipzig) stellte in ihrem Vortrag „Unter sich: Jerusalemer Gelehrte und die deutsche Sprache“ die Frage nach dem Stellenwert der deutschen Sprache im Jerusalemer Gelehrtendiskurs in den Fokus. Als Ausgangspunkt ihrer Auseinandersetzung wählte die Historikerin in einer Momentaufnahme des Jahres 1948 deutschsprachige Dokumente um den in Magdeburg geborenen Rabbiner Kurt Wilhelm (1900-1965). Wilhelm, der nach seiner Ausbildung am Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau und am Jewish Theological Seminary in New York 1933 nach Palästina ausgewandert war, galt nicht nur als wichtige Stimme der liberalen jüdischen Gemeinde Israels, sondern war auch wichtiger Beobachter der Ereignisse um den Krieg und die Gewaltakte, die mit der israelischen Staatsgründung 1948 in Verbindung standen. Wilhelm wurde, als er bei einem von arabischer Seite verübten Terrorangriff 1948 einen Teil seiner Familie verlor, persönliches Opfer, setzte sich aber fortwährend für die jüdisch-arabische Koexistenz in Palästina/Israel ein. In dieser nicht unumstrittenen Rolle führte Wilhelm um den Kreis der Hebräischen Universität umfassende deutschsprachige Korrespondenz, unter anderem mit Ernst Simon, Hugo Bergmann, Martin Buber oder Salman Schocken, wie Weiss anhand einer Auswahl von Dokumenten anschaulich darstellte und damit aufzeigte, wie das Deutsche sowohl als informelle, aber auch offizielle Kommunikationssprache im Gelehrtendiskurs von Jerusalem fungierte. Anhand des erst vor kurzem konservierten Historischen Archivs der Hebräischen Universität sowie deutschsprachigen Quellenmaterials aus dem Central Zionist Archive und der Israelischen Nationalbibliothek, stellte Weiss in unterschiedlichen Konstellationen dar, wie der intellektuelle Zirkel nicht nur persönliche Sorgen und Ängste, sondern auch öffentliche Kritik an den politischen Geschehnissen in deutscher Sprache teilte. So zeigte die Historikerin etwa anhand der Aufzeichnungen Wilhelms und anderer deutsch-jüdischer Intellektueller um die Universität Jerusalem, wie der in diesem Diskurs häufig gewählte Terminus „Kriegspsychose“ in Bezug auf die Gewalt in Palästina/Israel als Analogie der jüngeren deutschen Kriegs-Vergangenheit aufgefasst, und der Begriff zu einer Chiffre des deutsch-jüdischen Intellektuellenkreises in Jerusalem wurde. Nur in ihrer „eigenen Sprache“, dem Deutschen, war eine intime Beobachtung und Verarbeitung der Ereignisse deutscher Juden in Israel möglich, so Weiss. Am Ende war es auch die Bedeutung der „Tradition des deutschen Judentums“ für das Diaspora-Judentum, auf die Wilhelm seinen Weggang aus Jerusalem nach Stockholm stützte. Der von Yfaat Weiss zitierte Abschiedsbrief Wilhelms an Salman Schocken zeigte dabei nicht nur, wie Wilhelms Muttersprache die Worte des Abschieds aus Jerusalem formte, sondern die Zeilen deuteten an, wie der Rabbiner und Gelehrte bis zu seinem Tod 1965 in Stockholm über und in der deutschen Sprache mit Israel verbunden blieb. Die Jahre nach dem Abschied aus Israel und die Verdienste Kurt Wilhelms als Rabbiner in Stockholm zu analysieren, sah Yafaat Weiss abschließend als die Aufgabe zukünftiger Forschung.

Der dritte und abschließende Beitrag der Sektion von STEFAN LITT (Jerusalem) stand unter dem Titel „Der Prager Kreis in Jerusalem. Die Bedeutung deutschsprachiger Nachlässe in der Israelischen Nationalbibliothek“. Der Historiker und Archivar ging darin den Fragen nach, in welcher Form die deutsch-jüdische Tradition, insbesondere in literarischer Ausdrucksform, in israelischen Archiven erhalten bleibt und welche Rolle dabei der Israelischen Nationalbibliothek bei der Bewahrung deutschsprachiger Nachlässe zukommt. Während in dem Einwanderungsland Israel im Hintergrund der neugeschaffenen Hebräischen Kultur eine Vielzahl an Sprachen weiterexistierten, kam gerade dem Deutschen eine tragende, wenn auch umstrittene Rolle zu. Zum einen war das Deutsche die Sprache wichtiger Strömungen, wie etwa der jüdischen Aufklärung oder des Zionismus. Gleichzeitig wurde sie als Sprache des Nationalsozialismus in Israel geächtet. Im „Halboffiziellen und Privaten“, so Litt, sei aber das Deutsche insbesondere unter den Vertretern der israelitischen akademischen und kulturellen Elite weiterhin bedeutend geblieben, waren es gerade zahlreiche deutsch-jüdische Persönlichkeiten, die bis in die 1990er-Jahre die großen Bibliotheken und Archive leiteten und damit die Institutionen und ihre Bestände prägten. Die Sammlungen an der Israelischen Nationalbibliothek zeigten das besonders eindringlich, wie Litt exemplarisch anhand der Nachlasskonvolute um den sogenannten Prager Kreis darstellte, zu dessen innerem Kern die deutschsprachigen Intellektuellen Franz Kafka, Max Brod, Oskar Baum und Felix Weltsch zählten. Nach Skizzierung wichtiger historischer Wegmarken der Nationalbibliothek Israels verwies der Referent auf die Bedeutung, welche gerade die Nachlass-Ankäufe aus dem Umfeld des Prager Kreises seit den 1960er-Jahren für die Institution hatten, da sie diese zu einer wichtigen Verwahrstelle deutschsprachigen jüdischen Kulturerbes machten. Mit Bezug auf den aufgrund des jahrelangen Rechtstreits ins Zentrum der Öffentlichkeit gerückten Nachlasses von Franz Kafka betonte Litt, dass die häufig geäußerte Annahme, die Verwahrung des Nachlasses in Jerusalem müsse heute weiter zur Debatte stehen, einer besonders intensiven Auseinandersetzung bedürfe. Hierzu sei die akribische historische Rekonstruktion der Wege des Nachlasses Max Brod und den darin enthaltenen Kafka-Dokumenten erforderlich, die Litt in ihrer ganzen Komplexität anschaulich nachzeichnete. Als Resümee und in Beantwortung auf seine Ausgangsfragen, formulierte Litt, es stehe ganz außer Frage, dass deutschsprachige Nachlässe der Nationalbibliothek in Jerusalem zum kulturhistorischen Erbe Israels gehörten. Neben der Erhaltung sei jedoch die freie Zugänglichkeit für die Forschung ein wichtiges Ziel, die mit der Verwahrung in Jerusalem geschaffen worden sei und was jedoch, wäre der Rechtstreit anders entschieden worden, heute nicht der Fall wäre.

Inwieweit ist im Deutschen mit Bezug auf deren Präsenz in israelischen Archiven und Bibliotheken also heute die Sprache des Feindes zu erkennen? In seinem abschließenden Kommentar erklärte MICHAEL BRENNER, dass bei der Zusammenstellung der Sektion die Frage leichter zu beantworten schien: es war das Deutsche, das aus den Akten und Quellen als Sprache des Nationalsozialismus sprach. Dass der deutschen Sprache in diesem Zusammenhang aber eine deutlich vielschichtigere Rolle zukommt, so Brenner, hätten alle drei Beiträge der Sektion gezeigt: Tom Segev zeigte, wie in den deutschsprachigen Akten nicht nur die Sprache der Täter, sondern auch die Sprache der Opfer festgehalten ist. Weite man die Frage aus, könne man auch das Englische als Sprache des Feindes ansehen, da es die Briten waren, die die Einreise der flüchtenden Juden aus Europa beschränkt hatten. Der Beitrag von Yfaat Weiss öffnete die Perspektive weiter: Kurt Wilhelm verarbeitete sein eigenes Familienschicksal auf Deutsch. Die Sprache jener, die ihn ins Visier nahmen, war Arabisch, dennoch sah er in ihnen nicht seine Feinde. Mit seinem Aufruf zum Dialog zwischen Juden und Arabern sahen viele in ihm, dem am Deutschen festhaltenden Immigranten, einen Feind im Inneren. Aber auch in Stefan Litts Beitrag zeigte sich, wie das Erbe auf vielen Ebenen in der Geschichte verwoben sei, wenn er am Beispiel der israelischen Nationalbibliothek anschaulich darlegte, wie die Debatte um das deutschsprachige Kulturelle Erbe in Israel weiter aktiv geführt wird.

In einer kurzen abschließenden Diskussion konnten die unterschiedlichen Themenfelder zusammengeführt werden. So betonte Yfaat Weiss, wie sich anhand deutschsprachiger Akten in Israel ein neuer, lange ignorierter Zugang öffne, der die deutsche Sprache auch als die eigene Sprache deutscher Juden begreife. Segev bemerkte abschließend, wie er sich selbst in der Geschichte Kurt Wilhelms durch seine persönliche Familiengeschichte wiederfand, womit die Aktualität der Relevanz deutschsprachiger Zeugnisse auf besondere Weise zum Ausdruck kam. Stefan Litt betonte abschließend, wie bei der Frage, wo deutsch-jüdisches Kulturgut verwahrt werden soll, die historischen Gründe mit einbezogen werden müssten, und eben gerade viele dieser Gründe für die Verwahrung deutschsprachiger Quellen in Israel sprächen. Die Fachsektion legte anschaulich und in perspektivischer Vielfalt dar, wie die deutsche Sprache in Israel heute, für die Geschichtswissenschaft, aber auch darüber hinaus eine anhaltende Rolle spielt und sich im Ergebnis nicht nur unter der Kategorie „Sprache des Feindes“ subsumieren lässt.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Michael Brenner (München / Washington D.C.) / Yfaat Weiss (Jerusalem, Leipzig)

Tom Segev (Jerusalem): Die Akten des Feindes. Dokumente aus dem Konsulat des Deutschen Reichs in Jerusalem während der NS-Zeit im Israelischen Staatsarchiv

Yfaat Weiss (Jeusalem/Leipzig): Unter sich: Jerusalemer Gelehrte und die deutsche Sprache. Aus dem Archiv der Hebräischen Universität Jerusalem

Stefan Litt (Jerusalem): Der Prager Kreis in Jerusalem. Die Bedeutung deutschsprachiger Nachlässe in der Israelischen Nationalbibliothek

Michael Brenner (München, Washington D.C.): Kommentar

Zitation

Tagungsbericht: HT 2021: Die Sprache des Feindes: Deutschsprachige Akten in israelischen Archiven, 05.10.2021 – 08.10.2021 hybrid (München), in: H-Soz-Kult, 20.11.2021, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-9167>.


[Regionalforum-Saar] Monatstreffen der ASF am Dienstag , 30. November, fällt aus

Date: 2021/11/22 16:23:16
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Nachmittag,

das Monatstreffen der Arbeitsgemeinschaft für Saarländische Familienforschung (ASF) am kommenden Dienstag im Landesarchiv Saarbrücken fällt aus.

Der vorgesehene Beitrag von Dr. Neubert über Omega wird auf das nächste Jahr verschoben.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] Hachschara und Jugend-Alija. We ge jüdischer Jugend nach Palästina 1918–1941

Date: 2021/11/23 10:24:28
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Morgen,

die nachstehende Rezension erreichte mich heute morgen komplett in Englisch. Ich habe sie deshalb von Herrn Google übersetzen lassen.

Roland Geiger

---------------------

U. Pilarczyk u.a. (Hrsg.): Hachschara und Jugend-Alija
Hachschara und Jugend-Alija. Wege jüdischer Jugend nach Palästina 1918–1941

Herausgeber Ulrike, Pilarczyk; Ashkenazi, Ofer; Arne, Homann
Reihe Steinhorster Beiträge zur Geschichte von Schule, Kindheit und Jugend (1)
Erschienen Gifhorn 2020: Gemeinützige Bildungs- und Kultur GmbH des Landkreises Gifhorn

Anzahl Seiten 228 S.
Preis € 9,95

ISBN 978-3-929632-99-6

Rezensiert für H-Soz-Kult von Hagit H. Lavsky, The Hebrew University of Jerusalem



Dieser Band präsentiert das erste Produkt des deutsch-israelischen DFG-Forschungsprojekts "Nationaljüdische Jugendbewegung und zionistische Erziehung in Deutschland und Palӓstina zwischen den Weltkriegen". Es erscheint im Anschluss an die Konferenz "Hachschara und Jugend-Alija in Deutschland und Palästina" im Schulmuseum Steinhorst, begleitet von einer Ausstellung.

Ziel des Projekts ist es, das zionistische Bildungsunternehmen in Deutschland zu erforschen: Den Transformationsprozess zu verfolgen, den die deutsch-jüdisch-zionistische Jugend in Deutschland und Palästina erlebt hat. Sie entstand aus zwei integrierten Wurzeln: der deutschen Jugendkultur und der zionistischen Ideologie. Die Forschung versucht, den Prozess in zwei Bildungsprojekten zu betrachten – Hachshara und Youth Aliya. Hachshara (hebräisch für Ausbildung) hat im zionistischen Kontext eine besondere Bedeutung in Bezug auf körperliche und spirituelle Ausbildung zur Vorbereitung auf Aliya (Aufstieg; hebräischer Begriff für jüdische Einwanderung nach Palästina) und landwirtschaftliche Siedlungen erlangt. Die Landwirtschaft erschien Ende des 19. Jahrhunderts auf der jüdischen Agenda in Mittel- und Osteuropa mit dem Ziel, die jüdische Berufsstruktur zu verändern. Der Zionismus hat die Landwirtschaft als Schlüssel zur nationalen Erlösung im Land Israel angenommen.[1]

Nach dem Ersten Weltkrieg eröffneten sich unter britischem Mandat in Palästina neue Horizonte für die zionistische Verwirklichung in der nationalen Heimat. Der wachsende Druck auf Aliya durch Flüchtlinge aus dem turbulenten Osteuropa führte zur Strukturierung einer obligatorischen und zionistischen selektiven Einwanderungspolitik, die junge Erwachsene begünstigte, die sich auf die Ansiedlung in Palästina vorbereiteten. Hachschara wurde zu einem wesentlichen Schlüssel für die Einwanderung, und die internationale Hehalutz-Bewegung (Der Pionier) wurde mit dem Ziel gegründet, Hachshara-Zentren zu errichten. In den 1920er Jahren konzentrierte sich die Hauptnachfrage nach Hachshara und Alija auf Osteuropa. Im Gegensatz zu Hachshara entstand Youth Aliya (Jugend-Alija) in Deutschland, später mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus. Es begann als Programm zur Vorbereitung der Jugend auf Aliya und die Ansiedlung und wurde zu einem großen Weltunternehmen unter der Jewish Agency for Palestine. Hachshara und Youth Aliya entwickelten sich in Nazi-Deutschland und waren miteinander verwoben, was die hier vorgestellte kombinierte Forschung rechtfertigt.

Der Band besteht aus acht Artikeln, die auf umfangreichen Bänden neu entdeckter oder erstmals verwendeter Quellen in Deutschland und Israel basieren. Hachshara ist das Thema von fünf Artikeln. Zwei Artikel untersuchen die Jugend-Aliya. Der letzte Artikel stellt die durch das Projekt entstandene Sonderausstellung im Schulmuseum Steinhorst vor. Viele Fotos begleiten die Texte und ein Glossar mit hebräischen Begriffen ist beigefügt.

Dieser Band ist ein wegweisender Schritt in der Geschichtsschreibung des Zionismus und insbesondere des deutschen Zionismus. Hachshara, Aliya und Youth Aliya wurden bisher fast ausschließlich aus der Perspektive des Nationalen Siedlungsprojekts in Palästina untersucht. Das Studium des deutschen Zionismus hatte die Hachshara und die Jugend-Aliya völlig vernachlässigt. Die Betrachtung des zionistischen transformativen pädagogischen Prozesses von unten nach oben durch das Prisma der Jugendbildungsaktivität und -erfahrung eröffnet neue Perspektiven der zionistischen Rolle und Macht innerhalb des deutschen Judentums und innerhalb des allgemeinen zionistischen Unternehmens. Besonders aufschlussreich ist die Methodik der meisten Artikel, die sich auf Fallstudien konzentriert.

Eine große Errungenschaft dieses Buches liegt in der Erforschung von Hachshara in Deutschland in den 1920er Jahren, als es sowohl aus zionistischer als auch aus deutscher Sicht marginal war. Sie wird in Knut Bergbauers Artikel „’Auf eigener Scholle’ .Frühe Hachschara und jüidische Jugendbewegung in Deutschland“ überblickt und in zwei Fallstudien vorgestellt: Bernhard Gelderblom in seinem Artikel „’Ich kann schon nicht mehr die Zeit der Alijah erwarten’. Der Kibbuz Cherut in den Dorfern um Hameln 1926–1930" rückt die vielen einzelnen jungen hingebungsvollen Zionisten in den Vordergrund, die auf verschiedene Farmen verstreut sind, aber am Geist der Gruppe festhalten und es schließlich schaffen, den Kibbuz Yagur mit zu gründen. Marco Kissling in seiner Der Artikel „Die Anfӓnge der religiösen Hachschara in Deutschland“ zeigt die Beharrlichkeit junger religiöser Zionisten, trotz aller Widrigkeiten und ohne viel Hilfe „von oben“ eine religiöse Hachshara-Farm zu gründen. Diese frühen Hachshots, basierend auf kleinen unabhängigen Initiativen von Einzelpersonen oder Gruppen, verleihen prägten das Hachshara- und Siedlungsprojekt und legten maßgeblich die Grundlage für die Expansion unter dem NS-Regime.

Eine weitere wichtige Neuerung ist, dass das pädagogische Unternehmen der Jugend-Aliya aus deutsch-jüdischen pädagogischen Einstellungen und Erfahrungen hervorgegangen ist. Beate Lehmann zeigt in ihrem Artikel „Die Jugend-Alija als Herausforderung für das Kinder- und Jugenddorf Ben Schemen“ den ersten Schritt auf, ein kommunales Sozialprojekt für meist Ostjuden-Waisenkinder in ein pädagogisch-zionistisches Projekt umzuwandeln. Sie enthüllt hiermit die Galerie deutscher Zionisten, die in Deutschland und in Palästina den Grundstein für diese Transformation gelegt haben, insbesondere Siegfried Lehman, der Gründer des Jugenddorfes Ben-Shemen 1927. Die anfänglichen Bedürfnisse und Konflikte der Jugend-Aliyah in der Kontext eines Kibbuz behandelt Miriam Szamet in „Das erste Jahr. Ideologische Grundlagen und Perspektiven der Bildung in der Jugend-Alija im vorstaatlichen Israel“, die sich auf die persönliche Geschichte von Ilse Michelsohn konzentriert, einer Gruppe von Teenagern, die 1934 in den Kibbuz Ein Charod einwanderten. Dieser Fall offenbart die Konflikte zwischen Ideologie und Realität , zwischen pädagogischen Überlegungen und den wirtschaftlichen und sozialen Interessen des Kibbuz.

Und nicht zuletzt bezieht sich ein wichtiger Beitrag dieses Bandes auf die entscheidende Rolle der Bildungsinitiativen in den schweren Zeiten der späten 1930er Jahre. Hachshara ermöglichte den Auszubildenden, ihre verbleibende Zeit in Deutschland vor der Auswanderung oder Abschiebung in einer Oase der kreativen Arbeit, im Lernen und in der Kameradschaft junger Juden zu verbringen. Für den verstorbenen Historiker Avraham Barkai war Hachshara „die glücklichste Zeit meines Lebens in Nazi-Deutschland“.[2]

Was in diesem Band fehlt, ist der Kontext des Gebens und Nehmens zwischen den Führungen der Zionistischen Organisation, des Yishuv (der organisierten palästinensischen jüdischen Gemeinde), der zionistischen Arbeiterbewegung und der Kibbuz-Bewegung. Sie aus dem Bild zu lassen, erweckt den falschen Eindruck, dass Hachshara und Youth Aliya in Deutschland auf einer Insel gelebt und gehandelt haben.

Während die Produktion des Hardcopy-Bandes mit winzigen Schriftarten und schwerem Papiermaterial alles andere als „leserfreundlich“ ist, ist die Entscheidung willkommen, den Band in einer vollständig frei zugänglichen und kostenlos herunterladbaren Version online zu stellen. Die deutsche Sprache ist jedoch ein Hindernis für das Potenzial, ein breites interessiertes Publikum zu erreichen. Eine Übersetzung wäre sehr willkommen, um diesen innovativen Band der breiten Öffentlichkeit und dem wissenschaftlichen Publikum zugänglich zu machen, wie er es verdient.

Anmerkungen:

[1] Hagit Lavsky, Jewish Agricultural Training in Germany: Its Context and Changing Role, in: Tal Alon-Mozes / Irene Aue-Ben-David / Joachim Wolschke-Bulmahn (Hrsg.), Jüdische Gartenbauschulen und Ausbildungsstätten in Deutschland und ihr Einfluss auf Gartenbau und Landschaftsarchitektur in Palästina / Israel, München 2020, S. 13–22.

[2] Avraham Barkai, Jewish Self-Help in Nazi Germany, 1933–1939: The Dilemmas of Cooperation, in: Francis R. Nicosia / David Scrase (Hrsg.), Jewish Life in Nazi Germany Dilemmas and Responses, New York 2010, S. 71–88.

Zitation
Hagit H. Lavsky: Rezension zu: Ulrike, Pilarczyk; Ashkenazi, Ofer; Arne, Homann (Hrsg.): Hachschara und Jugend-Alija. Wege jüdischer Jugend nach Palästina 1918–1941. Gifhorn  2020. ISBN 978-3-929632-99-6, In: H-Soz-Kult, 23.11.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-95493>.



[Regionalforum-Saar] Jahresband SFK 2021 der ASF erschienen

Date: 2021/11/29 21:47:08
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Abend,

heuer ist der Jahresband SFK 2021 der Arbeitsgemeinschaft für Saarländische Familienforschung (ASF) erschienen, wie immer als Paperback. Er enthält auf knapp 200 Seiten diese Artikel:

Benedict Ostmann
Die Familie Dolbier - Schicksale einer Saarbrücker Familie im Dreißigjährigen Krieg

Jos Kaldenbach
VOC - Hunderte Saarländer in Asien

Markus Detemple
Die Hebammen des Köllertals im Jahr 1737

Dominikus Heckmann
Ein Vorschlag zur Nummerierung der Verwandtschaft mit natürlichen Zahlen

Paul Glass
Die beim Standesamt Ensheim beurkundeten Sterbefälle im Peter-Franz-Otto-Krankenhaus zwischen 1894 und 1931

Paul Glass
Bayerisch-pfälzische Lehrkräfte an saarländischen Volksschulen während der »Völkerbundszeit« (1920-1935)

Klaus Pack
Dreifache Goldene Hochzeit in Pennsylvania

Roland Geiger
Zwei Briefe aus Amerika

Wie immer sind ein paar Exemplare übrig, die bei mir gegen Rechnung geordert werden können.

Das Exemplar kostet 10 Euro, der Transport inklusive Verpackung innerhalb Deutschlands 2,50 Euro.

Für ASF-Mitglieder ist ihr Exemplar natürlich im Mitgliedspreis enthalten und auf dem Weg!

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger
(alsfassen(a)web.de)

[Regionalforum-Saar] ASF-Monatstreffen morgen fäll t aus

Date: 2021/11/29 22:14:13
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Abend,

das für morgen, Dienstag, 30. November, angesetzte Monatstreffen der ASF im Landesarchiv Saarbrücken (Lesesaal) wird koronatisiert (sprich: fällt aus).
Der vorgesehene Besuch von Herrn Neubert, der über Omega sprechen wollte, wird auf das nächste Jahr verschoben.
--
Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

Re: [Regionalforum-Saar] Jahresband SFK 2021 der ASF erschienen

Date: 2021/11/29 22:30:18
From: Werner Cappel <wecapp(a)t-online.de>

Hallo Roland,

... bitte einmal einen guten Scan des Titelbildes. Da  kann ich die Publikation auf die Webseite stellen.

Gruß
Werner


Am 29.11.2021 um 21:47 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar:

Guten Abend,

heuer ist der Jahresband SFK 2021 der Arbeitsgemeinschaft für Saarländische Familienforschung (ASF) erschienen, wie immer als Paperback. Er enthält auf knapp 200 Seiten diese Artikel:

Benedict Ostmann
Die Familie Dolbier - Schicksale einer Saarbrücker Familie im Dreißigjährigen Krieg

Jos Kaldenbach
VOC - Hunderte Saarländer in Asien

Markus Detemple
Die Hebammen des Köllertals im Jahr 1737

Dominikus Heckmann
Ein Vorschlag zur Nummerierung der Verwandtschaft mit natürlichen Zahlen

Paul Glass
Die beim Standesamt Ensheim beurkundeten Sterbefälle im Peter-Franz-Otto-Krankenhaus zwischen 1894 und 1931

Paul Glass
Bayerisch-pfälzische Lehrkräfte an saarländischen Volksschulen während der »Völkerbundszeit« (1920-1935)

Klaus Pack
Dreifache Goldene Hochzeit in Pennsylvania

Roland Geiger
Zwei Briefe aus Amerika

Wie immer sind ein paar Exemplare übrig, die bei mir gegen Rechnung geordert werden können.

Das Exemplar kostet 10 Euro, der Transport inklusive Verpackung innerhalb Deutschlands 2,50 Euro.

Für ASF-Mitglieder ist ihr Exemplar natürlich im Mitgliedspreis enthalten und auf dem Weg!

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger
(alsfassen(a)web.de)


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