M.
Clauss: Militärgeschichte des Mittelalters
Militärgeschichte
des Mittelalters.
Autor Martin Clauss
Erschienen München 2020: C.H.Beck
Anzahl Seiten 128 S.
Preis € 9,95
ISBN 978-3-406-75752-5
Inhalt => meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-58854.pdf
Rezensiert für H-Soz-Kult von Marco Krätschmer, Institut für
Mittelalterliche
Geschichte, Philipps-Universität Marburg
In der deutschsprachigen Mediävistik führten militärhistorische
Fragen seit dem
Ende des Zweiten Weltkrieges lange Zeit ein stiefmütterliches
Dasein. Anders
als im anglophonen Raum existierte – abgesehen vom
Delbrück’schen Klassiker[1] und wenigen anderen
Ausnahmen – keine
eigene militärgeschichtliche Forschungstradition in der
deutschen
Mittelalterforschung. Handbücher und Einführungen sind daher
rar. Erst mit
jüngeren Diskussionen der Friedens- und Konfliktforschung um die
Jahrtausendwende
rückte auch der mittelalterliche Krieg wieder stärker ins
Interesse der
Medävistik, was sich nicht zuletzt in der steigenden Anzahl
bereits
abgeschlossener und noch in Entstehung befindlicher
Qualifikationsarbeiten
widerspiegelt. Zugleich hängt dieser Aufschwung auch mit dem
kulturanthropologischen und linguistischen Paradigmenwechsel in
der
Geschichtswissenschaft seit den 1980er und 1990er zusammen: Der
jüngeren
Kriegsgeschichtsforschung geht es weniger um die traditionellen
Kernfragen eines
Militärhistorikers, der überwiegend nach Strategien, Taktiken
sowie der
Bewaffnung, Aufstellung, Aushebung und Stärke der Truppen fragt,
um Sieg und
Niederlage zu erklären. Sie betrachtet den mittelalterlichen
Krieg vor allem
unter sozial-, religions- und kulturgeschichtlichen
Fragestellungen und
untersucht die zeitgenössische Deutung und Wahrnehmung von Krieg
und Gewalt.
Mit seinem Band aus der „C.H. Beck Wissen“-Reihe bietet Martin
Clauss nun einen
bündigen und gut lesbaren Einblick in diese jüngere Ausrichtung
der
deutschsprachigen Militärgeschichte des Mittelalters. Dabei
verknüpft er die
ältere und jüngere Tradition miteinander, weist aber den
klassischen Ansatz
einer „inherent military probability“ (S. 9) zurück, gehe dieser
doch von einer
allgemein gültigen Logik militärischen Handelns aus und
berücksichtige die
regionalen und kulturellen Eigenarten nicht ausreichend. Für
methodisch
sinnvoller hält es Clauss daher, Lücken und Uneindeutigkeiten
der Quellen genau
zu benennen. In seiner Einleitung geht er auf zwei weitere,
grundlegende
Problematiken ein, mit denen militärhistorisch forschende
Mediävistinnen und
Mediävisten konfrontiert werden: Zum einen bestehen zugleich
Diskrepanzen wie
Parallelen zwischen der zeitgenössischen Idealisierung und den
modernen
Klischees über den mittelalterlichen Krieg. Zum anderen sind die
Quellen zu den
klassischen Fragen der Militärgeschichte meist wenig
aussagekräftig, weil es
den mittelalterlichen, meist kriegsfernen geistlichen Autoren
weniger um
logistische Maßnahmen, sondern mehr um Heroisierung und die
Darstellung
kriegerischer Ideale ging. Es ist nun das Anliegen von Martin
Clauss einen
Überblick zum Kriegswesen im Mittelalter zu geben, der sich in
diesen beiden
problematischen Spannungsfeldern bewegt. Geographisch umfasst
seine Darstellung
das lateinische Europa mit einem Fokus auf das „deutsche“ Reich,
chronologisch
gegliedert von der Merowingerzeit bis zum Übergang vom
Spätmittelalter zur
Neuzeit. Dieses sehr umfangreiche Anliegen ist für ein etwas
mehr als 120 Seiten
umfassendes Bändchen eine enorme Herausforderung, die – das sei
vorweggesagt –
Clauss sehr gelungen ist.
Die Einteilung der Kapitel zeugt von einer sinnvollen Gewichtung
bei der
Behandlung der einzelnen Epochen, wobei – dies liegt auch in der
Natur der
Überlieferung begründet – das 14. und 15. Jahrhundert fünf der
elf Kapitel
füllen. Im Frühmittelalter liegt der Schwerpunkt auf dem
Frankenreich der
Merowinger und Karolinger, gefolgt von einem Blick auf das
Heerwesen der
Ottonen. Im Hochmittelalter werden die klassische
Entstehungsgeschichte des
Rittertums sowie die damit in Verbindung stehenden Kreuzzüge
behandelt, womit
folgerichtig Ausblicke in die Levante verbunden sind. Bei seiner
eingehenden
Betrachtung der Schlachten von Bouvines und Dürnkrut stellt
Clauss der
Ereignisgeschichte die Darstellungsweise der Quellen gegenüber.
Anhand der
zeitgenössischen Erzählstrategien über Sieg und Niederlage sowie
der Bedeutung
von Heldendarstellungen verdeutlicht er den Leserinnen und
Lesern die
methodischen Herausforderungen der mittelalterlichen
Militärgeschichte. Es
folgen die Kapitel über das Spätmittelalter: Dort werden
klassische Themen wie
die steigende Bedeutung der Fußkämpfer und die Einführung von
Pulverwaffen
ebenso überzeugend behandelt wie der Hundertjährige Krieg und
die Türken- und
Hussitenkriege. Der Übergang zum stehenden Heer der Neuzeit
füllt schließlich
das letzte Kapitel, das mit Maximilian I. endet. Ein kurzes
Verzeichnis
sorgfältig ausgewählter Quellen und Forschungsliteratur sowie
ein Orts- und
Personenregister runden den Band ab. Zwei Karten im Umschlag
bilden
einschlägige Orte der europäischen Militärgeschichte des
Mittelalters und die
Kreuzfahrerstaaten ab. Diese ergänzen das Buch ebenso wie die
sinnvoll im Text
platzierten Illustrationen.
Die einzelnen Kapitel sind in sich sehr stimmig und gerade
deswegen gelungen,
weil Clauss die militärische Ereignisgeschichte und die
Darstellung
epochenspezifischer Rekrutierung, Ausrüstung und Taktik gekonnt
miteinander
verknüpft. Darüber hinaus vermittelt er lebendig die
Andersartigkeit des
mittelalterlichen Kriegswesens anhand anschaulicher
Quellenbeispiele. So
erfahren Leserinnen und Leser z.B. am Ende seines Buches, warum
ein von den
Karolingern großangelegtes Militärmanöver am im Fluss
vorbeischwimmenden
Pferdekot scheitern konnte. Und mehr noch: In seine Kapitel
bindet Clauss meist
die aktuellen Forschungskontroversen zu verschiedenen Aspekten
des
mittelalterlichen Kriegswesens ein. Dabei diskutiert er diese
Kontroversen
stets sehr ausgewogen. So greift er etwa die Frage nach dem
Einsatz und der
Bedeutung von Pferden im frühen und hohen Mittelalter auf,
erwähnt die
Diskussion über die „battle seeking“ bzw. „battle avoiding
strategy“ (S. 84)
während des Hundertjährigen Krieges sowie das mittlerweile
vieldiskutierte und
revidierte Konzept der „military revolution“ für die
Entwicklungen in der
Neuzeit (S. 109–115). An sich anbietenden Stellen seines kleinen
Bandes greift
Clauss also viele wichtige Fachdebatten auf, denen man meines
Erachtens noch
die jüngere Diskussion über Lehen und Vasallität hinzufügen
könnte. Das
Ergebnis dieser Diskussion hat doch gezeigt, dass das
„Lehnswesen“ als
wissenschaftliches Erklärungsmodell entschieden an Bedeutung
verloren hat. In
diesem Zusammenhang ergeben sich sodann auch für die
Militärgeschichte des
Mittelalters einige Fragen, wie z.B. zur Rekrutierung und
Rangordnung.
Eine große Stärke seiner gut gegliederten und sorgfältig
durchdachten
Einführung macht die Ausgewogenheit aus, mit der Clauss
umstrittene
Sachverhalte und methodische Schwierigkeiten nachvollziehbar
behandelt. Mit
dieser Ausgewogenheit führt er seinen Leserinnen und Lesern
immer wieder offen
die Unsicherheiten unseres militärhistorischen Wissens sowie
deren Gründe vor
Augen und weiß somit die Grenzen und Möglichkeiten der
mittelalterlichen
Quellen für die traditionelle wie jüngere Militärgeschichte
darzustellen. Damit
erfüllt er nicht nur grundlegend das, was man sich von einer
kurzen Einführung
erwartet, nämlich einen sachlich nüchternen Blick auf die
Materie, sondern
macht darüber hinaus das Spannende an der
Militärgeschichtsforschung zum
Mittelalter deutlich: Wie vertraut oder fremd uns der
mittelalterliche Krieg
erscheint, sei, so Clauss, auch immer eng mit heutigen
Stereotypen und
Assoziationen verbunden, vor allem dann, wenn es um die Frage
geht, wie
'ritterlich' die damaligen Akteure handelten. Wie wir also die
Lücken unseres
Wissens füllen, hänge nicht zuletzt von der Perspektive ab, die
wir einnehmen,
je nachdem, ob wir die damalige Alterität des mittelalterlichen
Krieges betonen
oder Parallelen zu unserer eigenen Gegenwart ziehen wollen (S.
118f.). Kurzum:
Das anschauliche und konzis informierende Buch von Clauss ist
eine zuverlässige
Wahl für alle, die sich einen Überblick zum mittelalterlichen
Kriegswesen
verschaffen möchten.
Anmerkung:
[1] Hans Delbrück, Geschichte
der Kriegskunst im
Rahmen der politischen Geschichte, 4 Bände, Berlin 1920–1923.
Zitation
Marco Krätschmer: Rezension zu: , In: H-Soz-Kult, 03.11.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-49925>.
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