Dietrich
Bonhoeffer (1906–1945). Der Weg in den Widerstand. "Ich bete für
die
Niederlage meines Landes"
Autor
Detlef Bald
Erschienen
Darmstadt 2021: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft
Anzahl
Seiten 232 S.
Preis
€ 35,00
ISBN
978-3-534-40552-7
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische
Friedens- und
Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von: Reinhold Lütgemeier-Davin,
Kassel
Der Autor Detlef Bald, Politikwissenschaftler, kritischer
Militärhistoriker,
profilierter historischer Friedensforscher und überdies durch
Veröffentlichungen über den Widerstand gegen den
Nationalsozialismus
ausgewiesen, zeichnet in seinem neuesten Buch den fundamentalen
Wandlungsprozess Dietrich Bonhoeffers vom völkischen zum
friedenspolitischen
Denken kenntnisreich wie überzeugend nach. Als junger Mann stand
Bonhoeffer
aufgrund seiner Erziehung in der Tradition der in Deutschland
vorherrschenden
völkischen Ideenwelt des Nationalprotestantismus, interpretierte
den Krieg mit
Verweis auf die Bibel als gottgewollt und blieb den
staatsgläubigen Haltungen
des lutherischen Protestantismus verpflichtet, der zugleich
antisemitisch
grundiert war. In seiner Dissertation hatte er einen
ungewöhnlichen Ansatz
gewählt, Theologie und Soziologie miteinander verknüpft: Er
untersuchte die
protestantische Kirche hinsichtlich Vereinsstruktur,
Gesellschaftsbeziehungen
und als Herrschaftsverband. Die Schrift wies ihn als einen
eigenständig
denkenden, tendenziell unangepassten, aufgeklärt-kritischen
Wissenschaftler
aus. Aber seine militaristisch-nationalistische Grundhaltung hatte
sich nicht verändert.
Der Weg in den Widerstand – wie im Untertitel des Buches angegeben
–, den
Detlef Bald auf gesicherter Quellenbasis schildert, war ein länger
währender
Prozess. Bonhoeffer pflegte in der Weimarer Republik zwar
gelegentlich
Beziehungen zu Vertretern des religiösen Sozialismus, die zugleich
von
pazifistischen Idealen überzeugt waren, dennoch blieb ihm in
dieser Phase
seines Lebens Kritik am Schwertglauben ebenso fremd wie
Programmatik und
Organisation der deutschen Friedensbewegung überhaupt. Detlef Bald
fasst hier
zwar weitgehend bekannte Tatsachen zusammen, aber ihm gelingt
hierbei eine
kritisch akzentuierte Beschränkung auf zentrale
Lebensüberzeugungen mit einer
stringenten Gedankenführung.
Wesentliche Impulse für die Abkehr von völkisch-rassistischem
Denken erhielt
Bonhoeffer maßgeblich ab 1930 im Ausland: Während seines
Aufenthaltes in den
USA wurde er mit der strikten Separation der Weißen von den
Schwarzen
konfrontiert, erlebte die kirchliche Segregation und verfolgte
aufmerksam und
interessiert die Strategien des schwarzen bürgerrechtlichen
Handels gegen
Diskriminierung, Verfolgung und fundamentale Verletzung von
Menschenrechten. Er
studierte politische Befreiungsliteratur der Schwarzen. Diese
Impulse halfen
ihm, völkische, nationalprotestantische Überzeugungen infrage zu
stellen und
schließlich zu überwinden. Als Pfarrer im Berliner Arbeiterbezirk
Wedding
wiederum war er mit gravierenden sozialen Ungerechtigkeiten in
seinem
Heimatland konfrontiert. Spätestens ab 1932 offenbarten sich für
ihn die Auswirkungen
nationalistischen Denkens und die Übergriffe der
Nationalsozialisten, der
deutschen Christen, auf den Protestantismus insgesamt. In seinen
Predigten
distanzierte er sich ungeschminkt vom Rassismus,
Nationalsozialismus, von
völkischer Überheblichkeit und Antisemitismus, warnte generell vor
rechten
Tendenzen in seiner Kirche, aber auch vor Kriegsgefahren durch
Nationalismus
und Militarismus. Detlef Bald orientiert sich in diesen Kapiteln
wiederum an
den Predigttexten und sonstigen Schriften Bonhoeffers, ohne dabei
ausschweifend
zu werden; vielmehr führt Balds Textkenntnis dazu, dass er mit
aussagekräftigen
Kernsätzen die neu erworbenen Überzeugungen Bonhoeffers vorstellt
und
analytisch durchdringt.
Bonhoeffer sperrte sich gegen eine Kirche, die sich den
politischen
Gegebenheiten autoritärer, schließlich nationalsozialistischer
Herrschaft
widerspruchslos, ja mit Überzeugung anpasste. Auftrag der Kirche
war für ihn
demgegenüber, dem „Rad in die Speichen zu fallen“. Zwei Tage nach
der
nationalsozialistischen „Machtergreifung“ kritisierte Bonhoeffer
im Berliner
Rundfunk das Führerprinzip, forderte eine Begrenzung der
Machtfülle des
Kanzlers und die Bindung an eine rechtsstaatliche Ordnung ein.
Verstärkt wurden
seine Kehrtwende im politischen Denken wiederum durch einen
Auslandsaufenthalt
1933. Als Pfarrer in London pflegte Bonhoeffer internationale
Kontakte
hauptsächlich über den „Weltbund für Freundschaftsarbeit der
Kirchen“. Auf den
Kampf gegen den deutsch-völkischen, nationalistischen
Protestantismus hatte er
sich jetzt unanfechtbar festgelegt. Die Beschäftigung mit den
Schriften Mahatma
Gandhis 1934 verstärkten dieses Denken zusätzlich.
Im Zentrum des Werkes stehen die Erläuterung der Friedensethik
Bonhoeffers. In
dem entsprechenden zentralen und innovativen Kapitel lässt Detlef
Bald,
2014–2019 Vorsitzender des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins, erkennen,
dass er von
den Denkansätzen Bonhoeffers fasziniert ist, wahrt dabei aber die
analytische
Prägnanz und Distanz eines Wissenschaftlers. Grundsätze seiner
Ethik trug
Bonhoeffer im August 1934 auf der Jugendkonferenz des ökumenischen
Weltbundes
vor, abgehalten im dänischen Fanö. Die Analyse der Friedensethik,
seines
religiösen Pazifismus, seiner radikalen Interpretation der
Bergpredigt, der
Entwicklung eines Gegenmodells zum nationalistischen Militarismus,
einer
Friedensordnung, die mit Wahrheit und Recht verbunden wird, ist
ein besonderes
Verdienst des Autors. Gerade dieser Schwerpunkt unterscheidet
seine Arbeit von
den inzwischen reichhaltigen Veröffentlichungen über Dietrich
Bonhoeffer. Die
Friedensethik, global, überkonfessionell, antirassistisch,
kulturübergreifend
konzipiert, wird von Bald plausibel als zukunftsweisend
interpretiert.
Ausfluss seiner Überzeugungen war Bonhoeffers Wirken als Teil der
Bekennenden
Kirche, sein widerständiges Verhalten gegen den
Nationalsozialismus,
schließlich seine Kontakte zum militärischen Widerstand. Am
Beispiel
Bonhoeffers wird das Zusammenwirken von militärischem und zivilem
Widerstand
deutlich[1], der ausgerichtet war auf
eine
Nachkriegsordnung, die nach Zerschlagung des Nationalsozialismus
auf eine
Verfassung zielte, die auf christlicher Ethik begründet sein
sollte. Bonhoeffer
erlebte eine neue demokratische Ordnung nicht; am Kriegsende
ermordeten ihn
Nationalsozialisten qualvoll. Durch dieses Schicksal ist er für
viele Christen
zur Ikone christlichen Widerstandes geworden. Sein inzwischen
vertontes Gedicht
„Von guten Mächten wunderbar geborgen“, geschrieben im Dezember
1944 in
Kerkerhaft, kündet von der Hoffnung auf die Überwindung
unsäglichen Leids.
Bedeutungsvoll ist die vorliegende Veröffentlichung Detlef Balds
auch deshalb,
weil sie die Rezeption Bonhoeffers nach 1945 nachzeichnet und
bewertet. Während
zunächst nur englische Christen die politisch-theologischen
Leistungen
Bonhoeffers anzuerkennen wussten, blieben die Würdigungen in
Deutschland
verhalten. Eine deutliche Distanzierung der protestantischen
Kirchenleitung von
ihren völkisch-nationalistischen Ideen erfolgte zunächst nicht.
Die Geschichte
des Protestantismus wurde auch im Interesse von immer noch
amtierenden,
nationalsozialistisch belasteten kirchlichen Würdenträgern
entschärft,
Bonhoeffer als Sonderling verharmlost. Die juristische Verfolgung
Bonhoeffers,
die zu seiner Ermordung führte, wurde zum Schutz der Richter-Täter
lange nicht
überprüft; erst 1996 erfolgte seine juristische Rehabilitation.
Bonhoeffer
wurde von der Geschichtswissenschaft dem nationalkonservativen
Widerstand zugerechnet,
seine nationalkonservative Herkunft wurde überpointiert, sein
existentieller
Wandel ab 1930 zu einer Ethik des Protests und des Widerstands
gegen den
Nationalsozialismus blieb lange vernachlässigt. Hiermit räumt
Detlef Bald auf.
Es war an der Zeit, das friedenspolitische Konzept in den
Mittelpunkt zu
rücken, das auf aktuelle Handlungsoptionen auszustrahlen vermag:
eine
Friedensethik mit globaler Perspektive, fußend auf den Werten
Wahrheit und
Recht, warnend vor dem Irrglauben, mehr Rüstung könne mehr
Sicherheit
bescheren.
Anmerkung:
[1] Ein gutes Beispiel hierfür
siehe Ludger
Fittkau / Marie-Christine Werner, Die Konspirateure. Der zivile
Widerstand
hinter dem 20. Juli 1944, Darmstadt 2019.
Zitation
Reinhold Lütgemeier-Davin: Rezension zu: Bald, Detlef: Dietrich
Bonhoeffer
(1906–1945). Der Weg in den Widerstand. "Ich bete für die
Niederlage
meines Landes". Darmstadt 2021. ISBN 978-3-534-40552-7, In: H-Soz-Kult,
23.09.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-98695>.