Letztens habe ich den Roman 1984 mal wieder
gelesen. Die Umchreibung der Geschichte dort hat mich voll
überzeugt. Da werden Personen, die man auch nachträglich nicht
will, kurzerhand aus der Geschichte geschrieben, so wie damals bei
den ollen Pharaonen oder bei den Löwen, wenn der Älteste das
Zeitliche segnet. Oder wie im Landratsamt St. Wendel, wo in der
Reihe der Landräte der aus den 1930ern fehlt. Ich find das gut,
wenn man Obés Titel nachträglich aberkennt; am besten schmeißt man
alles weg, was damals dazu geführt hat. Kann doch nicht sein, daß
unsere unschuldigen Vorfahren, die ihn ehrten, heute dafür Schelte
kriegen, nur weil sie nicht alle Fakten kannten. Die Welt ist
schlimm genug und läßt sich weichgespült viel besser ertragen.
Eine schöne Übergangszeit (Corona-mäßig)
wünsche ich Euch
Roland Geiger
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heute in der SZ
Streit über NS-Vergangenheit des Ex-Präsidenten der
Saar-Ärztekammer : Eine
Frage der Ehre
Dr. Max Obé war in der NS-Zeit oberster Medizinalbeamter an
der Saar. Die
Gesundheitsverwaltung hatte er ab 1936 aufgebaut. Historiker
machen Obé
allerdings für die Umsetzung von Euthanasie-Maßnahmen der
Nationalsozialisten
mitverantwortlich. Foto: Landesarchiv
Saarbrücken Der Arzt Max Obé machte nicht nur unter den Nazis
Karriere, sondern
auch nach dem Krieg. Er wurde mit Ehrungen und Ehrentiteln
überhäuft. Die soll
er über 50 Jahre nach dem Tod wieder verlieren. Über den Umgang
mit einem
schwierigen Erbe.
Von Daniel
Kirch, Chefkorrespondent Landespolitik
Der Mann, der ein paar Jahre zuvor noch oberster Amtsarzt des
NS-Staates an der
Saar war, erfreute sich nach dem Krieg höchster Wertschätzung. Die
Ärztekammer
machte Max Obé 1950 zum Präsidenten, später zum Ehrenpräsidenten.
Als
Sozialminister Paul Simonis ihm 1962 das Bundesverdienstkreuz
ansteckte,
streifte er Obés Wirken während der NS-Zeit in seiner Laudatio nur
in einem
Satz: Die Leitung der Gesundheitsverwaltung während des Krieges
sei eine
„erhebliche Belastung“ gewesen.
Heute wird Obé anders bewertet. Erst kürzlich entzog die
Ärztekammer ihm
posthum den Titel „Ehrenpräsident“. Nächste Woche wird die
Saar-Universität ihm
voraussichtlich die Ehrenbürgerwürde aberkennen. Die Staatskanzlei
fragte beim
Bundespräsidialamt sogar an, ob man dem Toten das
Bundesverdienstkreuz
entziehen könne. Die Antwort: Das sei rechtlich nicht möglich.
Dafür lässt die
Staatskanzlei prüfen, ob sie Obés Titel „Geheimer Sanitätsrat“
nachträglich
einkassieren kann.
Wie ist es zu dieser Neubewertung gekommen? Vor elf Jahren
veröffentlichte die
Zahnärztin Gisela Tascher ihre an der Uni Heidelberg verfasste
Doktorarbeit
über das Gesundheitswesen an der Saar von 1920 bis 1956, sie
leuchtete auch
aus, wie Ärzte aus dem NS-Apparat nach 1945 Karriere machten.
Taschers Befund
war auch im Fall Obé eindeutig: Der sei nicht nur Mitglied der
NSDAP und des
Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes gewesen, sondern als
Chef der
Gesundheitsverwaltung auch mitverantwortlich für
Euthanasie-Maßnahmen wie
Zwangssterilisationen, für die Erfassung, Begutachtung und
Vernichtung von
„Erbkranken“ und für die Bekämpfung von „Rassenmischung“.
Es vergingen Jahre, bis die Ärztekammer nun entschied, dass sie
niemanden ehren
will, der „Tod und Leiden von Menschen herbeigeführt, angeordnet
und gnadenlos
verwaltet“ hatte. Eine wichtige Rolle spielte dabei die
Universität.
Der emeritierte Informatik-Professor Reinhard Wilhelm las vor
Jahren Taschers
Buch und war „erschrocken“ von der braunen Gründungsgeschichte des
ehemaligen
Landesklinikums in Homburg. Vor zwei Jahren sei ihm bekannt
geworden, dass
etliche NS-belastete Personen Ehrentitel der Universität tragen.
Er habe
Uni-Präsident Manfred Schmitt von Obés Funktionen im Medizinsystem
der Nazis
berichtet und ihm vorgeschlagen, Obé von der Ehrenliste zu
entfernen. „Herr
Schmitt war dieser Anregung gegenüber sehr offen“, berichtet
Wilhelm.
Auch dem Wadgasser Bürger Günter Schott, der seit Jahren für die
Erinnerung an
Euthanasie-Opfer kämpft, ließ die Sache mit Obé keine Ruhe. Er
wandte sich im
Frühjahr an die Ärztekammer, das Bundespräsidialamt, die
Staatskanzlei und den
Uni-Präsidenten. Es könne nicht sein, dass diejenigen, die
„lebensunwerte“
Menschen ausgesondert hätten, für immer und ewig geehrt blieben.
„Das hält die
beste Demokratie nicht aus“, schrieb Schott.
Fragt man bei der Uni, wie es nun dazu kam, dass Obé seinen
Ehrentitel
verlieren soll, dann heißt es: Die Mail von Schott habe eine Rolle
gespielt,
ebenso die Anfrage des Informatik-Professor. Uni-Archivar Wolfgang
Müller
sichtete Obés Akte aus seiner Zeit als Lehrbeauftragter sowie
Protokolle der
Medizinischen Fakultät und des Senats. Obé lehrte nicht nur an der
Uni, er
hatte auch beim Aufbau der Hochschule eine wichtige Rolle
gespielt.
Im fernen Singapur kann Alexander Obé nicht verstehen, was seinem
Großvater
gerade widerfährt. Taschers Bewertung von Dr. Max Obé stehe „in
bemerkenswertem
Gegensatz“ zur Nachkriegs-Bewertung seines Großvaters durch
Ärztekollegen,
Gesellschaft und die Justiz. Einer „Amateurhistorikerin“ wie
Tascher
Deutungshoheit zuzugestehen, sei unwissenschaftlich.
Alexander Obé bringt zur Verteidigung seines Großvaters vor,
dieser sei nach
dem Krieg nie verurteilt worden. Zwar wurde er wegen
Zwangssterilisierung von
Kindern deutscher Frauen und afrikanischer Besatzungssoldaten aus
der Zeit nach
dem Ersten Weltkrieg angeklagt. Doch der Prozess endete 1949 mit
einem
Freispruch. 1943 und 1944 habe Max Obé nachweislich die
Freilassung
inhaftierter Ordensschwestern erreicht, schreibt sein Enkel, was
aus seiner
Sicht zeigt, dass er kein schlechter Mensch gewesen sein kann.
Und: Der von den
Nazis verhaftete Bartholomäus Koßmann, in der Völkerbundzeit
Mitglied der
Regierungskommission, für die Obé ab 1923 gearbeitet hatte, habe
1946 bei der
Kriminalpolizei zu Protokoll gegeben, Obé habe seine
„grundsätzliche Ablehnung
gegenüber dem Nationalsozialismus … voll und ganz“ geteilt.
War Max Obé also gar kein Nazi? Tascher hat aus ihrer Sicht alles
Notwendige
dazu aufgeschrieben – in einer Arbeit übrigens, die mit einem
renommierten
Forschungspreis der Ärzteschaft und des
Bundesgesundheitsministeriums
ausgezeichnet wurde und die der Leiter des Saarbrücker
Stadtarchivs,
Hans-Christian Herrmann, im Saarländischen Ärzteblatt als „großen
Meilenstein
der neueren saarländischen Landesgeschichte“ rezensierte.
Spricht man Taschers Doktorvater Wolfgang U. Eckart auf die Kritik
des
Obé-Nachfahren an, dann sagt er: „Das ist derart infam, dass ich
mich mit
Händen und Füßen dagegen wehre.“ Der Professor war von 1992 bis
2017 Direktor
des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der
Universität
Heidelberg. Tascher habe alles mit Quellen belegt und sauber
gearbeitet, sagt
er. Max Obé habe vielleicht nicht selbst Hand angelegt. „Aber das
hat Adolf
Eichmann auch nicht“, sagt Eckart. Obé gehöre in die Kategorie der
„Schreibtisch-Täter“.
Nach dem Krieg wurde Obé 1950 zum Präsidenten der Ärztekammer
gewählt. Das
blieb er bis 1962, anschließend heimste er Ehrung um Ehrung ein.
Als Obé 1969
starb, würdigte die Ärztekammer, die Auswirkung seiner
„verantwortungsvollen
Tätigkeit als ärztlicher Berater der saarländischen Regierung in
den letzten
drei Jahrzehnten“ zeigten sich noch heute in vielen
sozialpolitischen
Entscheidungen.
Ein Nervenarzt und Weggefährte Obés aus gemeinsamen Zeiten in der
NS-Verwaltung, der nach dem Krieg stellvertretender Chefarzt der
Landesnervenklinik
Merzig wurde, durfte damals im Ärzteblatt auf einer ganzen Seite
seine
Erinnerungen schildern. Obé, schrieb er, sei ein
„Verwaltungsgenie“ gewesen und
habe „drei aufeinanderfolgende sehr entgegengesetzte Regierungen“
überstanden.
„Wer hätte auf diesen Mann verzichten wollen!“ Jahrzehnte nach
Obés Tod
verzichten die Ärztekammer, die Landesregierung und die
Universität gerne
darauf, diesen Mann immer noch zu ehren.