Geldscheine im
Geschichtsunterricht.
Historisches Lernen mit Sachquellen
Autor Frank
Britsche
Erschienen
Frankfurt 2020: Wochenschau-Verlag
Anzahl Seiten 47
S.
Preis € 19,90
ISBN 9783734410918
Rezensiert für
H-Soz-Kult von
Lukas Greven, Lehr- und Forschungsgebiet Didaktik der
Gesellschaftswissenschaften, RWTH Aachen University
Geldscheine sind Sammelobjekte, Projektionsflächen für
Sehnsüchte oder Symbol
gegen sprunghafte Kurse von Kryptowährungen. Gegenwärtig sind
sie vor allem
Gegenstand von (pandemiebedingten) Diskussionen zum bargeld- und
kontaktlosen
Bezahlen, wobei sie sich in diesen scheinbar selbst in allen
ihren kulturellen
und gesellschaftlichen Funktionen zu historisieren beginnen.
Aber auch schlicht
als Zahlungsmittel erfreuen sie sich gerade in Deutschland
weiterhin einer
besonderen Beliebtheit. Banknoten gehen täglich „millionenfach
durch die Hände
von Menschen, gleich welchen Alters, Geschlechts oder welcher
Überzeugung“ (S.
5). In Anlehnung an Klaus Bergmanns bekannte Feststellung könnte
man daher
zugespitzt sagen: Geldscheine sind überall – außer im
Geschichtsunterricht.[1] Diese Aussage möchte
dabei nicht
behaupten, dass engagierte Geschichtslehrende Geldscheine für
ihren
Geschichtsunterricht noch nicht entdeckt hätten. Denn bestimmte
lehrplanrelevante Themen, wie die Hyperinflation von 1923,
fordern gerade dazu
auf. Die Feststellung verweist vielmehr darauf, dass Geldscheine
bisher nicht
systematisch in den Blick der Geschichtsdidaktik geraten sind.
Ihr
reichhaltiges Potential als staatlich verordnete, ästhetisch
ansprechende,
gegebenenfalls haptisch greifbare und visuell präsentierte
„Ultrakurzgeschichten“ mit Sachquellencharakter wurde bisher
kaum erschlossen.[2] Das ist umso
bedauerlicher, als dass die
vor einige Jahren von Björn Onken vorgelegten Überlegungen zu
den in vielerlei
Hinsicht ähnlichen Briefmarken zeigen konnten, wie dienlich eine
Beschäftigung
mit solchen „Bildern in Millionenauflage“[3] für ein auf „mündige
Geschichtsverbraucher[:innen]“[4], das heißt zum
kritischen Umgang mit
geschichtskulturell verbreiteten Sinnangeboten fähige
Schüler:innen, zielendes
historisches Lernen sein kann.
Daher ist es sehr erfreulich, dass sich der Leipziger
Geschichtsdidaktiker und
Historiker Frank Britsche nun der Herausforderung gestellt hat,
Geldscheine in
ihrem spezifischen Doppelcharakter als (Sach-)Quellen und
Darstellungen für das
historische Lernen im Geschichtsunterricht zu erschließen. Sein
im für die
Wochenschau-Reihe „Geschichte unterrichten“ typischen,
kopierfreundlichen
Doppelseitenformat erschienener Band, welcher sich an Lehrende
„in allen
Schulformen und Stufen“ (S. 9) richtet, lädt schon aufgrund der
qualitativ
hochwertigen, großformatigen und vor allem farbigen
Reproduktionen der 18
berücksichtigten Geldscheine aus dem 20. Jahrhundert zur Lektüre
ein. Hinter
dieser die ästhetische Dimension des Geschichtsbewusstseins
ansprechenden
Gestaltung des Bandes verbirgt sich allerdings ein
anspruchsvolles Ziel: Nach
der „sinnlichen Erstbegegnung“ (S. 5) fordert der Band dazu auf,
die
Geldscheine als geschichtspolitisches Kommunikationsmittel (S.
8) auf
„historische Traditionskonstruktionen und Identitätsofferten“
(S. 6)
abzufragen, um so über das Aufgreifen auch gegenwärtiger
Diskurse einen Beitrag
zu einer ganzen Bandbreite historischer, insbesondere aber zur
geschichtskulturellen Kompetenz zu leisten (S. 5f.).[5] Anspruch des Bandes ist
damit nicht, den
illustrativ-ergänzenden Einsatz von Geldscheinen im
Geschichtsunterricht zu
fördern (S. 6). Vielmehr stellt er Hinweise zur
de-konstruierenden Verarbeitung
der ins Bild gebrachten historischen Narrationen als Ausdruck
eines
Geschichtsbewusstseins der jeweiligen Zeit bereit. Insofern die
unterrichtliche
Arbeit re-konstruktiv verfährt, das heißt der
Sachquellencharakter in den Fokus
rückt, fordert er die Lernenden zur selbstständigen
Erschließung, Interpretation
und Urteilsbildung auf (S. 6).
Den ambitionierten, aber für ein zeitgemäßes historisches Lernen
mit Visualia
unhintergehbaren Zielen nähert sich Frank Britsche zunächst über
eine dem
Format angemessen pointierte sowie wohl informierte
notaphilistische und geschichtsdidaktische
Einführung an. Neben Ausführungen zur Geschichte des Geldscheins
und dessen
historischer Bedeutung für Staaten, Gesellschaften und
Individuen im 20.
Jahrhundert gelingt es Britsche, die spezifischen Eigenschaften
der Geldscheine
(Gestaltung, Motivik etc.) so mit geschichtsdidaktischen
Überlegungen zu
verbinden, dass sich Potentiale für das historische Lernen, wie
die
individuelle Zugriffe erlaubende visuelle Zugänglichkeit bei
gleichzeitiger
inhaltlicher Dichte, deutlich herausstellen. Ihm gelingt es im
Anschluss an die
Theorie der Visual History, die Bilder in ihrer
„wohldurchdachte[n] Symbolik
und Bildsprache“ (S. 5) als geschichtspolitische Bildakte zu
problematisieren.[6] Im Anschluss an die
geschichtsdidaktische
Theorie arbeitet Britsche zugleich die aus dem benannten
Doppelcharakter für
den Umgang mit diesen geschichtskulturellen Manifestationen
ihrer Zeit
resultierenden Konsequenzen heraus. Vor dem Hintergrund der
Einführung der
Geldscheine als (Sach-)Quelle und Darstellung mag es dabei
allerdings manche:n
Leser:in verwundern, wenn für die unterrichtliche Arbeit mit
Geldscheinen in
Orientierung am „Prozessmodell historischen Lernens“[7] ein re-konstruktives
Vorgehen von der
Sachquelle zur Urteilsbildung vorgeschlagen wird. Dieser
Vorschlag relativiert
sich allerdings durch die zahlreichen Hinweise darauf, dass die
Vergangenheitsbezüge
der Geldscheine immer textuell eingebettet, also sinnhaltig
sind, und die
Banknoten daher der de-kontruktiven Verarbeitung bedürfen (siehe
bspw.
Klappentext).
Im Zentrum der Publikation stehen die 18 Geldscheine aus dem
deutschsprachigen
Raum, die in Teilen stellvertretend für Geldscheinserien stehen.
Dabei liegt
der Schwerpunkt auf deutschen Scheinen. Der 10 Rupien Schein aus
der ehemaligen
deutschen Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ mit einer Umlaufzeit
zwischen 1905–1918
bildet hiervon eine gewinnbringende Ausnahme. Angeordnet sind
die Scheine dabei
chronologisch, wobei der frühste Schein, die 100 Kronen
(Österreich-Ungarn),
seine Umlaufzeit zwischen 1902 und 1912 hatte und die jüngsten
Banknoten der
aktuelle 20 Euro Schein sowie der 50 Schweizer Franken Schein
sind. Im
Inhaltsverzeichnis werden die Geldscheine im Sinne einer
erleichterten
Orientierung für den:die Leser:in grob nach erster und zweiter
Hälfte des 20.
Jahrhunderts sortiert, wobei der 5 Deutsche Mark Schein mit
seiner Umlaufzeit
zwischen 1950 und 1966 die Zäsur bildet. Berücksichtigt werden
konkret jeweils
ein Geldschein aus Österreich(-Ungarn) und der Schweiz aus
beiden Hälften des
20. Jahrhunderts, die restlichen 13 stammen, unter Ausnahme des
oben benannten
kolonialen Geldscheins, aus dem Raum der heutigen
Bundesrepublik, wobei zwei
Scheine der ehemaligen DDR zuzuschreiben sind. Die Beschränkung
auf das 20.
Jahrhundert ist dabei historisch bedingt, denn, wie es
einleitend heißt, „ab
dem späten 19. Jahrhundert und schließlich im 20. Jahrhundert
avancierten
Banknoten zum gebräuchlichsten Zahlungsmittel“ (S. 3). Der Autor
beschränkt die
Auswahl, vor dem Hintergrund der Ziele des Bandes
nachvollziehbar, auf solche
Scheine, „die mehrere Jahre von der Gesamtbevölkerung eines
Landes genutzt worden“
sind und über ein „reichhaltiges [damit für die Lernenden
anschlussfähiges,
Anm. L.G.] Bildprogramm verfügen“ (S. 9).
Die Aufbereitung der einzelnen, jeweils beidseitig abgedruckten
Scheine folgt
einer übersichtlichen und einheitlichen Vorlage. Zu jedem Schein
werden neben
grundlegenden Angaben wie Land, Emittent, Nennwert oder
Umlaufzeit erläuternde
Angaben zur ästhetisch-ikonografischen Darstellung sowie
historische
Hintergrundinformationen gegeben, die Lernenden die Erschließung
der komplexen
Medien erleichtern werden. Darüber hinaus sind auch für die
Interpretation der
aufwendigen Symbolik der Geldscheine Hinweise beigefügt, die für
die
unterrichtliche Arbeit besonders förderlich erscheinen, weil sie
der
oberflächlichen Rezeption der Visualia, zu der Lernende
bekanntlich neigen,
entgegenstehen. Zu jedem Geldschein macht der Band darüber
hinaus
didaktisch-methodische Vorschläge, die neben kreativen
Annäherungen auch die
interpretativ-vergleichende Verarbeitung der Geldscheine unter
Hinzunahme weiterer
Materialien vorsehen, sowie thematische, die beispielsweise
gender- bzw.
frauengeschichtliche Aspekte in den Fokus rücken. Dem
unterrichtspraktischen
Anliegen des Bandes entsprechend sind alle Angaben und Hinweise
zum einen als
Anregungen für die unterrichtliche Arbeit, zum anderen aber auch
als
Aufforderung zu verstehen, je nach Unterrichtsvorhaben oder
Leistungsstand
Ergänzungen oder Differenzierungen vorzunehmen. In ihrer
Offenheit ermöglichen
die Angaben zugleich auch, die Scheine für die Lernenden zum
Ausgangspunkt
einer forschend-historischen Spurensuche werden zu lassen (S.
8).
Gerade aufgrund der Kombination des reichhaltigen und
aufwendigen, da farbig
und großformatig reproduzierten Materialangebots und der auf das
Wesentliche
reduzierten, damit für ein breiteres Publikum anschlussfähigen
inhaltlichen,
ästhetisch-ikonografischen sowie didaktischen Hinweise erweitert
Frank
Britsches Band die Wochenschau-Reihe „Geschichte Unterrichten“
um ein
nützliches Element. Die Komplexität, die mit manchen der
vorgeschlagenen
didaktisch-methodischen Annäherungen an die Geldscheine
verbunden ist und auf
manchen nicht die Sekundarstufe II besuchenden Lernenden und
dort
unterrichtenden Lehrenden zunächst abschreckend wirken mag, soll
dem Band nicht
als Nachteil ausgelegt werden. Denn er bietet allen an der
Arbeit mit
historischen Geldscheinen Interessierten Anknüpfungs-, Zugriffs-
und durch die
beigefügte Literaturliste Weiterbildungsmöglichkeiten.
Die Überlegungen des Bandes sollten insgesamt als Aufforderung
an Theorie und
Praxis historischen Lernens verstanden werden, die Beschäftigung
mit den
Geschichte(n) im Brieftaschenformat zu vertiefen. Weil der Band
wichtige
Pionierarbeit leistet und fruchtbare Anstöße bietet, ist ihm
eine breite
Rezeption in Universität und Schule zu wünschen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Klaus Bergmann, „So
viel Geschichte wie
heute war nie“ – historische Bildung angesichts der Allgegenwart
von
Geschichte, in: Klaus Bergmann (Hrsg.), Geschichtsdidaktik.
Beiträge zu einer
Theorie historischen Lernens, 2. Aufl., Schwalbach/Ts. 2000
(Forum Historisches
Lernen), S. 13–31, hier S. 15.
[2] Eine Ausnahme bildet Markus
Bernhardt /
Martin Schnackenberg, Der „Lange Hunderter“ von 1908 – Geld als
Quelle, in:
Markus Bernhardt (Hrsg.), 10 Stunden, die funktionieren.
Geplante und erprobte
Geschichtsstunden, Schwalbach/Ts. 2017 (Wochenschau Geschichte),
S. 46–57.
[3] Björn Onken,
Geschichtspolitik mit Bildern
in Millionenauflage: Anmerkungen zu den Briefmarken der frühen
Bundesrepublik
mit einem Ausblick auf aktuelle Tendenzen, in: Zeitschrift für
Geschichtsdidaktik 12 (2013), S. 61–77.
[4] Michael Sauer, Geschichte
unterrichten. Eine
Einführung in die Didaktik und Methodik, 11. Aufl., Seelze 2013,
S. 12.
[5] Vgl. Wolfgang Hasberg,
Vermittlung
geschichtskultureller Kompetenzen in historischen Ausstellungen,
in: Susanne
Popp (Hrsg.), Historische Kompetenzen und Museen, Idstein 2009
(Schriften zur
Geschichtsdidaktik, Band 25), S. 211–236, hier S. 218f.
[6] Vgl. Horst Bredekamp,
Theorie des Bildakts.
Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007, 3. Aufl., Berlin 2013.
[7] Peter Gautschi, Guter
Geschichtsunterricht.
Grundlagen, Erkenntnisse, Hinweise, 2. Aufl., Schwalbach/Ts.
2011.
Zitation
Lukas Greven:
Rezension zu: Britsche,
Frank: Geldscheine im Geschichtsunterricht. Historisches Lernen
mit
Sachquellen. Frankfurt 2020. ISBN 9783734410918, In: H-Soz-Kult,
06.04.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-94799>.