Buchbesprechung: Geschichte der Sklaverei. Von
der Antike
bis ins 21. Jahrhundert
Autor Andreas Eckert
Erschienen München 2021: C.H.
Beck Verlag
Anzahl Seiten 128 S.
Preis € 9,95
ISBN 978-3-406-76539-1
Rezensiert für H-Soz-Kult von Robin Frisch, Geschichte Afrikas,
Universität
Bayreuth
In dieser kurzen Geschichte der Sklaverei (128 Seiten) skizziert
Andreas Eckert
einen globalen Abriss von historischen und aktuellen Formen der
Versklavung.
Dem Afrika-Historiker gelingt es, anstatt einer
vereinheitlichenden Definition,
eine eklektische und dennoch kohärente Geschichte der Sklaverei zu
skizzieren.
Für die meisten Amerikaner rufe Sklaverei das „Bild von schwarzen
Sklaven,
weißen Herren und Baumwollfeldern auf“ (S. 10). Dass diese
Vorstellung „akkurat
und irreführend zugleich“ (S. 10) sei, zeigt Eckert in seinem
globalhistorisch
geprägten Forschungsüberblick. Auch wenn er sich den klassischen
Beispielen aus
der Sklavereiforschung zuwendet, weist dieser Einführungstext auf
die
Verschiedenheit von Versklavung im arabischen Raum oder in Asien
hin.
Eckert startet seine Argumentation chronologisch in der Antike und
stellt
heraus, dass die athenische Demokratie ohne „massenhafte Sklaverei
nicht
funktionsfähig gewesen wäre“ (S. 27). Ebenso konstitutiv wie für
politische
Systeme in der Antike sei Versklavung auch im Mittelalter gewesen.
Viele
Staaten seien im wahrsten Sinne des Wortes auf Sklaverei gebaut,
denn die
steinernen Monumente Babyloniens, Assyriens sowie in Griechenland
und Rom
hätten ohne Sklav/innen nie errichtet werden können. Ein
Spezifikum des
Mittelalters sei die Einbettung von Sklaverei in religiöse
Herrschaftsräume des
Islams und des Christentums gewesen. Bevor sich der Sklavenhandel
in der Frühen
Neuzeit auf den Atlantik orientierte, wurden Versklavte im
Osmanischen und im
Byzantinischen Reich in den Armeen sowie häufig im Haushalt
ausgebeutet.
Eckert zufolge hat die Annahme, der afrikanische Kontinent sei der
Dreh- und
Angelpunkt der globalen Versklavung gewesen, eine gewisse
Berechtigung für die
Zeit ab dem 15. Jahrhundert. Er kritisiert das Bild des Kontinents
der
Sklaverei jedoch in mehrfacher Hinsicht. Prozesse der Versklavung
haben in fast
allen Weltregionen stattgefunden. Sklaverei sei alles andere als
ein
einheitlicher Prozess gewesen. Im mediterranen Raum der Frühen
Neuzeit stammten
die versklavten Personen keinesfalls allein aus Subsahara-Afrika,
wie die
Verschleppung des spanischen Schriftstellers Miguel de Cervantes
nach Algier
zeige.
In Indien und China sei die Versklavung von Schwarzen Afrikanern
selten
gewesen, da ein Großteil des Sklavenhandels innerhalb der Regionen
stattgefunden habe. Durch die Militarisierung und Errichtung einer
Plantagenökonomie auf Mauritius und La Réunion durch die Franzosen
in den
1730er-Jahren habe sich das Sklavensystem im Indischen Ozean
maßgeblich
verändert. Zu einem Höhepunkt in der Sklavenökonomie des Indischen
Ozeans kam
es vor allem, als europäische Siedler/innen in der Kapkolonie
Millionen von
Menschen aus Indien, China und Ostafrika importierten.
Der transatlantische Sklavenhandel stelle jedoch ein
Vernetzungsphänomen von
neuartiger Größenordnung dar. Die Dynamik des westeuropäischen
Handelskapitalismus und die Entwicklung der atlantischen
Sklavenplantage seien
die treibenden Kräfte dieses Systems gewesen. Eckert stellt die
wichtigsten
Standorte der Plantagenökonomien in Brasilien, der Karibik und
Nordamerika vor
und beschreibt, wie der Wandel von Produktionsformen auch mit
politischen,
rechtlichen und religiösen Veränderungen einherging. Brasiliens
kapitalistische
Zucker-, Kaffee- und Goldökonomie löste einen schier
unersättlichen Bedarf an
Arbeitskräften aus. In diesem Zusammenhang seien die Portugiesen
die „größten
Transporteure menschlicher Ware“ (S. 51) gewesen. Insgesamt seien
ungefähr 5,9
Millionen Menschen, also fast die Hälfte aller über den Atlantik
verschleppten
Sklaven, nach Brasilien transportiert worden.
Im letzten Teil seines Buches betont Eckert die Ambivalenzen des
europäischen
Aufklärungsprojekts. Ironischerweise sei im Zeitalter der
europäischen
Aufklärung auch der transatlantische Sklavenhandel auf seinem
Höhepunkt
gewesen. In westlichen Geschichtsschreibungen werde die
Handlungsmacht der
versklavten Menschen sowie die Geschichte des Widerstands häufig
marginalisiert. Die von Toussaint Louverture angeführte Revolution
in Haiti und
später auch abolitionistische Netzwerke wie die „Underground
Railroad“ in
Nordamerika werden von Eckert als Beispiele für die Handlungsmacht
versklavter
Menschen, aber auch für die Ambivalenz der Abolition herangezogen.
Eckert
enttarnt den kolonialen Mythos vom humanistischen Ende der
Sklaverei und führt,
dem Historiker Eric Williams folgend, vor allem ökonomische Gründe
für eine
Verschiebung der transatlantischen Sklaverei an.
Nach dem „langsamen Tod der Sklaverei“ (S. 92) im atlantischen
Raum begann der
„humanitäre Kreuzzug gegen Sklaverei“ in Afrika (S. 97).
Zweifelsohne sei die
inner-afrikanische Nachfrage nach Sklaven im 19. Jahrhundert
angestiegen und
durch florierende Plantagenwirtschaften im Sokoto-Kalifat oder auf
Sansibar
angekurbelt worden. Jedoch sei die Reduzierung Afrikas auf
Sklavengesellschaften besonders in der Kolonial- und
Missionspropaganda
verwendet worden. Abschließend diskutiert Eckert „moderne
Sklaverei“ sowie
Erinnerungspolitiken in Nordamerika. In aktuellen Debatten um die
Verstrickung
der Geschichte der Sklaverei in US-amerikanischen Universitäten
oder
ökonomischen Institutionen wie der Wall Street erkenne er eine
„Segregation der
nationalen Erinnerungen oder zumindest eine willentliche Amnesie“
(S. 111).
Eckerts Einführungstext ist hervorragend strukturiert und mit
einer klaren
Sprache leicht zugänglich für ein breites Lesepublikum. Der
Basistext
ermöglicht es, eine komplexe und über Jahrzehnte durchgeführte
Forschung für
schulische wie auch für universitäre Gruppen zugänglich zu machen.
Das Buch ist
gespickt mit biographischen Beispielen, interessanten Zahlen und
exzellenten
Literaturquellen. Auch für die deutschsprachigen Debatten zu den
Themen
Kapitalismus, Arbeit und zur Geschichte Afrikas ist dieser
Forschungsüberblick
durchaus richtungsgebend, da Eckert in seinem Buch
unterrepräsentierte
Perspektiven miteinander verbindet. Biographische, literarische,
strukturelle,
aber auch demographische Zugänge werden von ihm herangeführt.
Aufgrund der
Spezialisierung Eckerts hat der Basistext einen Hang zur
Geschichte der Arbeit,
was jedoch bei diesem Thema sehr nützlich ist, da er präzise
Informationen zu
den Tätigkeiten der versklavten Menschen angibt. Eckert schafft es
auf sehr
wirksame Art und Weise, breite wirtschaftshistorische Perspektiven
mit
spezifischen Argumenten – zum Beispiel aus der Geschichte des
Islams in Afrika
– miteinander zu vereinbaren.
Bei einem Thema, mit dem in der Öffentlichkeit und auch
stellenweise in der
Forschung, normativ und ahistorisch umgegangen wird, wählt Eckert
einen
objektiven, normativitätskritischen Ton, der auch von einem
kenntnisreichen
Umgang mit der Philosophie der Aufklärung profitiert. Die wohl
größte Stärke
des Buches ist der äußerst souveräne Umgang mit der existierenden
Forschungsliteratur. Wie nur sehr wenige schafft es Eckert, eine
so breite
Literatur anregend zu reflektieren. Eckert umschreibt in aller
Kürze die
spezifischen Macht- und Akkumulationsstrukturen der verschiedenen
Formen von Versklavung.
Dieser Forschungsüberblick schafft es, Ausbeutungsdynamiken
epochen- sowie
regionenübergreifend lesbar zu machen. Aufgrund der Wichtigkeit
und der
historischen Kontinuität von Sklaverei lohnt sich die Lektüre für
Historikerinnen und Historiker aus allen Bereichen. Neben der
geschichtswissenschaftlichen Relevanz betont Eckert jedoch auch
die
gesellschaftliche Notwendigkeit für eine Aufarbeitung der
Geschichte von
Versklavung. Es ginge bei der Forschung zur Sklaverei nicht darum,
ein
„linke[r] Tugendwächter“ zu sein, sondern „den Finger in die Wunde
eines langen
Verschweigens und Verdrängens“ zu legen (S. 111).
Da Eckert sich im letzten Kapitel vor allem US-amerikanischen
Erinnerungspolitiken widmet, kommen Bezüge zum deutschsprachigen
Raum etwas kurz.
Mit Ausnahme von Anton Wilhelm Amo, der nun inzwischen in Berlin
als
Namensgeber einer Straße fungiert, wird die Geschichte der
Sklaverei im
deutschen Sprachraum nur angedeutet. Welche Rolle spielten
deutsche
Transportunternehmer in den Hansestädten? Wie waren Unternehmer
wie die Fugger
mit ihrer Tuchproduktion in die Systeme eingebunden? Welchen
Einfluss hatten
deutsche Kaufleute und Finanziers auf die verschiedenen
Sklavenökonomien? Ein
Grund für diese fehlenden Bezüge scheint vor allem darin zu
liegen, dass es
auch in der deutschsprachigen Forschung und in den Universitäten
eine Art
„Amnesie“ und segregierte Erinnerungspolitik zu dem Thema gibt. In
dieser
Hinsicht bleibt zu hoffen, dass Eckerts Buch nicht wie eine
abgeschlossene
Literaturübersicht gelesen wird, sondern als ein offener Appell zu
vermehrter
Forschung im Bereich der Geschichte der Sklaverei.
Zitation
Robin Frisch: Rezension zu: Eckert, Andreas: Geschichte der
Sklaverei. Von der
Antike bis ins 21. Jahrhundert. München 2021. ISBN 978-3-406-76539-1, In: H-Soz-Kult,
08.04.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-95993>.
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