A. Goodman: The Deportation Machine
Review: The Deportation Machine. America's Long
History of
Expelling Immigrants
Autor Adam Goodman
Erschienen Princeton 2020: Princeton
University Press
Sprache:
Englisch
Anzahl Seiten X, 322 S.
Preis £ 20.00; € 31,20
ISBN 978-0-691-18215-5
Rezensiert für H-Soz-Kult von Norbert Finzsch,
Historisches
Seminar, Universität zu Köln
Dies ist ein im besten Sinne des Wortes aufregendes Buch. Es hat
neben seiner
historischen Tiefenwirkung eine große politische Bedeutung, nicht
nur für die
Vereinigten Staaten, sondern auch für die Debatte um die
Asylpolitik und den
Status der Geflüchteten in Deutschland. Der Autor, ein junger
Historiker an der
University of Illinois, hat alle einschlägigen Archive in Mexiko
und den
Vereinigten Staaten durchforstet. Allein die Liste der besuchten
Archive ist beeindruckend.
Von den gut 300 Seiten des Buches sind über hundert Seiten der
Dokumentation in
ausführlichen Fußnoten gewidmet. Dabei ist der Text aber flüssig
und lesbar
geschrieben und die Leser:in erfährt eine Menge über die
persönlichen
Geschichten der Immigrant während der letzten 100 Jahre, ihre
Kämpfe um
Bleiberecht und die Maschinerie der Regierung, die auf allen
erdenklichen Wegen
daran arbeitet, Menschen abzuschieben, die meistens aus Mexiko in
die USA
eingewandert sind.
In historischer Perspektive hatten die Vereinigten Staaten schon
immer eine
konfliktreiche Beziehung zu armen Einwanderer aus dem Süden,
speziell Mexiko.
Der Konflikt entstand historisch aus dem
Mexikanisch-Amerikanischen Krieg von
1846 und später aus dem Widerspruch zwischen dem
Arbeitskräftemangel der
US-Wirtschaft und der gleichzeitigen rassistischen Ausgrenzung
dieser
Einwanderer. Die USA haben im frühen 20. Jahrhundert die
notwendigen
Mechanismen geschaffen, um Einwanderer in leicht verfügbare und
unterbezahlte
Arbeitskräfte zu verwandeln, ohne die damit verbundenen sozialen
Kosten tragen
zu müssen. Die „Deportation Machine“ von Adam Goodman untersucht
und bestätigt
diese gescheiterte Beziehung aus einer historischen, politischen
und
ideologischen Perspektive. Goodman erörtert die Kriminalisierung
von
Einwanderer und die Rolle, die Fremdenfeindlichkeit und der
Rassismus bei der
Definition derjenigen gespielt haben, die es nicht „verdienen“, in
den
Vereinigten Staaten zu sein. Darüber hinaus untersucht das Buch,
wie solche
rassistischen Ideologien benutzt werden, um „Selbstdeportationen“
zu
motivieren. Das Hauptmittel dazu ist Angst, mit der Gemeinschaften
von
Einwanderer terrorisiert werden. Als Ergebnis kommt der Autor zu
dem Schluss,
dass die Zahl der „freiwilligen“ Abschiebungen deutlich höher ist,
als die
offiziellen Daten vermuten lassen. In der Tat ist es fast
unmöglich, sie zu
quantifizieren. Goodman insistiert darauf, dass unter
„Abschiebung“ alle
Ausweisungsmechanismen gefasst werden, einschließlich der
Selbstabschiebungen
und freiwilligen Ausreisen.
Kapitel 1 beschreibt die verschiedenen Mechanismen und
ideologischen Faktoren,
die die Entstehung der Deportationsmaschinerie in den Vereinigten
Staaten
begünstigten. Kapitel 2 stellt die Funktionsweise dieser
Mechanismen aus
historischer, politischer und ideologischer Perspektive dar,
während Kapitel 3
einen wertvollen Beitrag zum Verständnis der menschlichen Kosten
der
Abschiebungsmaschinerie leistet, die aufgrund der informellen
Natur der Abschiebung
unbekannt bleiben. Das vierte Kapitel untersucht die Mechanismen
der Krise und
der Politik der Furcht, mittels derer Immigrant zu
Selbstdeportationen angeregt
werden. Kapitel 5 befasst sich mit Ereignissen, in denen Immigrant
für ihre
Rechte kämpften und das letzte Kapitel analysiert, wie die
rassistischen und
fremdenfeindlichen Narrative der Abschiebungsmaschinerie, die
Einwanderer
kriminalisieren, in der Gegenwart fortbestehen und die Grenzen der
USA
überschreiten. Als Beispiel dafür, wie solche Narrative andere
Gebiete
durchdringen, verweist Goodman auf Mexikos Bemühungen, arme
Mittelamerikaner,
die vor Armut fliehen, zu stoppen, zu entfernen und zu
kontrollieren.
Goodmans Darstellung von Selbstabschiebungen und freiwilliger
Rückkehr als
nicht-legale, nicht-institutionalisierte oder nicht-verfolgte
Formen der
Abschiebung ist sehr aufschlussreich, insbesondere wenn er die
unermesslichen
Auswirkungen solcher Taten auf Individuen, Familien und
Gemeinschaften
darstellt. Für Goodman sind Selbstabschiebungen und freiwillige
Rückführungen
das Ergebnis sowohl formeller als auch informeller
Durchsetzungstaktiken wie
Angst, Gerüchte und Geschichten, die in Nachbarschaften und
Gemeinden
kursieren, was zu einer ständigen Terrorisierung von Einwanderer
und damit zu
ihrer erzwungenen Ausreise führt. Durch Interviews, Berichte und
statistische
Daten zeigt er, wie diese subtilen Taktiken eine grundlegende
Rolle bei der
Schaffung und Etablierung inoffizieller Mechanismen der
Abschiebung spielen.
Als ein Beispiel für informelle Durchsetzungstaktiken erzählt
Goodman, wie
zwischen der Großen Depression und der „Operation Wetback“
Tausende von
Mexikaner „freiwillig“ die Vereinigten Staaten verließen. Wie
Goodman
feststellt, machen die freiwilligen Ausreisen 85 Prozent der fast
57 Millionen
Gesamtausweisungen während der letzten 125 Jahre aus (S. 208). In
Wirklichkeit
waren diese freiwilligen Ausreisen jedoch das Ergebnis von
verdeckten Aktionen
der US-Regierung und nicht das einer autonomen Entscheidung der
Einwanderer.
Goodman belegt, dass die freiwillige Ausreise mexikanischer
Migrant gefördert
wurde durch ihre Kriminalisierung und Dämonisierung sowie die
Angst, die in
ihren Gemeinden geschürt wurde.
Goodman betont sowohl die finanziellen als auch die emotionalen
Kosten der
Abschiebung. Aufgrund der Art und Weise, wie Abschiebungen
vollstreckt werden,
können die vollen emotionalen und finanziellen Konsequenzen für
die Immigrant
nicht richtig eingeschätzt werden. Die emotionalen Kosten sind
übrigens, wie
Goodman nicht müde wird zu betonen, unabhängig von der
Abschiebemethode (per
Schiff, Zug, Bus oder Flugzeug) oder der Form der Abschiebung
(formelle
Abschiebung, Selbstabschiebung oder freiwillige Abschiebung). Das
erzwungene
oder „freiwillige“ Verlassen der Vereinigten Staaten verläuft für
die
Einwanderer in der Regel traumatisch. Die entstehenden
finanziellen, physischen
und psychischen Härten im Abschiebeprozess sind dabei nicht
zufällig, sondern
werden durch die Gestaltung des Einwanderungssystems aktiv
konstruiert.
Kriminalisierung war eine häufige Strategie während der
Abschiebung, und zwar
mit dem Ziel, eine Abschiebung leichter durchsetzen zu können.
Zugleich diente
die Kriminalisierung durch die „Abschiebemaschine“ dazu, Migrant
eine Lektion
zu erteilen, um sie und ihre Gemeinschaften von einer erneuten
Migration in die
Vereinigten Staaten abzuhalten. Eine solche Perspektive hilft uns
zu verstehen,
wie Regierungen auf der ganzen Welt mit unerwünschten und armen
Einwanderer
innerhalb ihres Territoriums umgehen.
Besonders überraschend ist das dritte Kapitel „The Human Costs of
the Business
of Deportation“. Darin zeigt Goodman, wie häufig es fragwürdige
Kooperationen
zwischen privaten Unternehmen und staatlichen Stellen gibt, die
auch die
Komplizenschaft ausländischer Regierungen miteinschließen. Hier
ergibt sich
Raum für weitere Forschungen, etwa bei der Frage nach der Rolle
ausländischer
Regierungen bei der Aufnahme von Abgeschobenen. Ich hätte mir auch
im
Zusammenhang mit dem großartigen fünften Kapitel über den
Widerstand gegen
Deportationen eine ausführlichere Würdigung der Richter an den
Immigration
Courts gewünscht, die speziell im Bundesstaat Kalifornien oft eine
progressive
Position einnehmen und deswegen von Seiten des Department of
Justice unter
Druck geraten. Speziell seit der Trump-Administration haben
deswegen etliche
Richter ihr Amt aus Protest niedergelegt.
Dessen ungeachtet wird die breit angelegte historische und
politische
Perspektive dieses Buches für die akademische Forschung, die
politischen
Debatten und Aktivist internationaler Migration von großer
Bedeutung sein.
Goodmans umfassendere Definition von Abschiebung, die auch
freiwillige
Ausreisen einschließt, ist wesentlich für das Verständnis der
Funktionsweise
der Abschiebemaschinerie. Obwohl sich das Buch auf die
Deportationsmaschinerie
in den Vereinigten Staaten konzentriert, hilft es doch, die
internationale
Migration im weiteren Sinne zu verstehen, vor allem weil es
aufzeigt, wie die
Kriminalisierung und Dämonisierung armer Einwanderer nicht nur ein
US-Phänomen,
sondern auch ein globaler Trend ist.
Zitation
Norbert Finzsch: Rezension zu: Goodman, Adam: The Deportation
Machine.
America's Long History of Expelling Immigrants. Princeton 2020. ISBN 978-0-691-18215-5, In: H-Soz-Kult,
02.04.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-95143>.