Berlins
verschwundene
Denkmäler. Eine Verlustanalyse von 1918 bis heute
Autor Kirsten Otto
Erschienen Berlin 2020: Lukas
Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte
Anzahl Seiten 448 S., 120 Abb.
Preis € 36,00
ISBN 978-3-86732-357-4
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Rezensiert für H-Soz-Kult von Stefanie Endlich, Berlin
Mit diesem Buch liegt die erste „Verlustanalyse“ für Denkmäler
vor, die auf
Berliner Stadtgebiet seit 1918 bis in die Gegenwart zerstört,
verändert oder
umgesetzt wurden. Tatsächlich gab es solche Untersuchungen
bisher nur für
einzelne Denkmäler, so für das Revolutionsdenkmal von Ludwig
Mies van der Rohe,
für das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal von Reinhold Begas oder
für das
Lenin-Denkmal von Nikolai Tomski. „Nicht nur eine quantitative,
sondern
insbesondere eine qualitative und systematische Untersuchung zu
den Ursachen
der Veränderung an und der Beseitigung von Denkmälern sowie
deren Folgen für
das kollektive Gedächtnis bildet ein Desiderat der Forschung“,
konstatiert
Kirsten Otto in ihrer Einleitung (S. 13). Ihr Ansatz war, die
Hintergründe und
Abläufe der Zerstörungen zu untersuchen, die durch politische
Umbrüche oder
Krieg verursacht wurden, und dabei „die gesamte
Denkmallandschaft Berlins“ (S.
17) in den Blick zu nehmen, also eine ganze Werkgattung, das
gesamte
Stadtgebiet und alle Geschichtsetappen seit 1918, deren Anfänge
auch jeweils
mit erinnerungspolitischen Paradigmenwechseln verbunden waren.
Dieses Vorhaben
war mutig und konnte nur in jahrelanger Recherche- und
Analysearbeit bewältigt
werden. Dem Buch liegt die Dissertation der Autorin zugrunde,
die sie 2016 am
Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität
zu Berlin
verteidigt hat.
Kirsten Otto hat zunächst eine Datenbank erstellt, in der sie
die bestehenden
und, soweit möglich, die nicht mehr vorhandenen Denkmäler
erfasst hat. Ihre
Auswertung ergab, dass „von etwa 900 ursprünglich gesetzten
Denkmälern gegenwärtig
etwa ein Drittel nicht mehr aufgestellt, der größte Teil davon
vernichtet ist“
(S. 15). Ein weiterer Teil sei an einen anderen Standort
umgesetzt oder
deutlich verändert worden. Aus rund 300 nicht mehr vorhandenen
Denkmälern
wählte sie 117 aus, zu deren Verlust sie Ursachen, Ablauf und
Folgen näher
untersuchte. Mit diesem Vorgehen nimmt sie, wie sie zutreffend
vermerkt, einen
„Perspektivwechsel“ gegenüber bisherigen Forschungen vor: Sie
blickt „nicht auf
die Errichtung, sondern auf die Entfernung aus dem öffentlichen
Raum“ und
erwartet daraus „wesentliche Erkenntnisse zur
erinnerungspolitischen Bedeutung
von Denkmälern sowie zu deren grundlegenden Funktions- und
Wirkungsweisen“ (S.
18). Dabei unterstreicht sie, dass sie den Kontext der
Denkmalserrichtungen
grundsätzlich nicht behandelt, da diese Thematik bereits
vielfach erforscht
sei. Sie verzichtet damit auf Ausführungen zu den
Entstehungsgeschichten,
Initiatoren und Ikonographien der Denkmäler, zu den historischen
Persönlichkeiten oder Ereignissen, denen sie gewidmet sind, und
zu den
Künstlern.
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Der erste behandelt auf
240 Seiten die
Verlustgeschichten vom Ende des Ersten Weltkrieges bis in die
Gegenwart. Zu den
großen Etappen – Weimarer Republik, Nationalsozialismus, die
Zeit der deutschen
Teilung und die Jahrzehnte nach 1990 – fügt sie mit dem Zweiten
Weltkrieg und
der Besatzungszeit noch zwei weitere für die Denkmallandschaft
einschneidende
Zäsuren hinzu. Im zweiten Teil des Buches geht es darum, die
analysierten
Entwicklungen aus kulturwissenschaftlicher Perspektive zu
systematisieren.
Der erste Teil bietet einen hervorragenden Überblick zum Thema
und interessante
Einblicke in dessen Komplexität. Hintergründe und Abläufe des
Verlusts der
Denkmals-Beispiele werden anhand von Archivalien, Zeitungs- und
Zeitschriftenbeiträgen, Bestandslisten, Katalogen und
Buchpublikationen
rekonstruiert. Die Fülle von Informationen wird zu spannenden
Geschichten
zusammengefügt und bietet Einsichten in die jeweiligen
gesellschaftspolitischen
Zusammenhänge. Die Abbildungen sind ein regelrechter Schatz für
Interessenten
der Denkmals- und Erinnerungskultur. Nach jedem zeitbezogenen
Kapitel wird ein
Resümee gezogen, das die teils disparaten Erkenntnisse der
einzelnen
„Denkmalschicksale“, so die Autorin, in klare Thesen überführt.
Die Weimarer Republik brachte für die Denkmallandschaft keine
wesentlichen
Verluste. Die Revolutionsereignisse verursachten einige
Beschädigungen durch
Straßenkämpfe und Anschläge; eine programmatische Beseitigung
der Denkmäler für
Monarchen wurde diskutiert, aber nicht realisiert. Die
erinnerungspolitischen
Anstrengungen der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg konzentrierten
sich auf die
Errichtung neuer Gefallenendenkmäler. Das NS-Regime organisierte
gleich nach
der Machtübernahme eine radikale erinnerungspolitische
Säuberung. Abgeräumt
wurden Denkmäler, deren moderne Formensprache als „entartet“
galt, und
Standbilder für Persönlichkeiten, die aus rassistischen oder
politischen Motiven
nun als „innere Feinde“ betrachtet wurden. Hinzu kam die
Translokation von
Denkmälern, die Albert Speers Stadtumbauplänen im Wege standen;
dies wurde oft
zur manipulativen Auf- oder Abwertung einzelner Denkmäler
genutzt. Im Zweiten
Weltkrieg erlitt die nach der Phase der Säuberungen bereits
reduzierte
Denkmallandschaft weitere Verluste: zunächst durch Einschmelzung
vieler
Metallskulpturen für die Rüstungsproduktion, von der auch neu
errichtete
NS-Denkmäler – allerdings nicht deren Sockel – betroffen waren,
dann durch
Bombardierungen und schließlich durch Straßenkämpfe.
In den Jahren der alliierten Besatzung kam es vor allem durch
Diebstähle und
mutwillige Zerstörungen zu Verlusten. Die Kontrollratsdirektive
Nr. 30 vom Mai
1946 hatte die Beseitigung aller Denkmäler „militärischen und
nationalsozialistischen Charakters“ angeordnet, was auch mehr
oder weniger
befolgt wurde. Von kommunistischer Seite geforderte weitaus
umfassendere
Abräumungsprogramme im Zeichen der neuen Zeit wurden vom
Magistrat teils
beschlossen, aber angesichts der materiellen Not nicht
realisiert. Nach
Gründung der DDR veranlasste die SED die Demontage einer großen
Zahl von als
reaktionär empfundenen preußischen Denkmälern, deren Material
auch in die
Reparationsleistungen für die Sowjetunion einging. Gerade für
Berlin-Mitte
bedeutete das die Zerstörung, Einlagerung oder Versetzung vieler
Standbilder
von Herrschern und Generälen. Ein Abschnitt des Buches ist der
nächtlichen
Zertrümmerung des Stalin-Denkmals in der damaligen Stalinallee
gewidmet, die
erst im Herbst 1961 erfolgte, verbunden mit der
Straßenumbenennung in
Karl-Marx-Allee. In West-Berlin hingegen blieben die meisten
Denkmäler
erhalten. Nur jene Standbilder der Siegesallee aus dem
Kaiserreich, die in der
NS-Zeit nicht repräsentativ umgesetzt worden und im Krieg
verschont geblieben
waren, wurden nach der Alliierten-Verordnung zur Einebnung der
Allee 1950 im
Schlosspark Bellevue vergraben. 1978 grub man sie wieder aus und
brachte sie
ins Lapidarium, 2009 in die Zitadelle Spandau. Ein weiteres
Kapitel widmet sich
den ost-westlichen Denkmals-Tauschgeschäften „zwischen den
Fronten des Kalten
Krieges“. Das Kapitel zur Zeit nach dem Mauerfall schließlich
behandelt die
konfliktreichen Debatten um die Abräumung ideologiebeladener
politischer Denkmäler
im Ostteil der Stadt, die konsequent nur beim Lenin-Denkmal in
Friedrichshain
und beim Betriebskampfgruppen-Denkmal im Volkspark Prenzlauer
Berg vollzogen
wurde.
Im zweiten Teil des Buches wird auf 133 Seiten die
„Verlustanalyse“
kulturwissenschaftlich reflektiert und vertieft, um so zu
„allgemeingültigen
Aussagen zu den Umgangsmöglichkeiten mit Denkmälern zu gelangen“
(S. 20).
Interessant in diesem Teil ist die systematische, konkrete, mit
jeweiligen Pro-
und Kontra-Argumenten versehene Beschreibung von Formen des
Umgangs nach der
Entfernung der Denkmäler, vom „Schleifen“ über Aufbewahren,
Verbergen,
Vernichten, Material-Recyceln bis hin zum Umgang mit Relikten,
Sockeln und leer
geräumten Standorten sowie deren vereinzelter Revitalisierung.
Enttäuschend
hingegen ist die Entwicklung und Definition eines Denkmaltyps,
der all diesen
Ausführungen zugrunde gelegt wird, aber allgemeine Geltung
beansprucht.
„Denkmäler bestehen aus drei wesentlichen Komponenten: einem
Kunstwerk, einem
Sockel und einem Ort für Rituale.“ (S. 277) Sie werden, so die
Autorin, zur
Ehrung vorbildhafter Personen und zur Erinnerung an Ereignisse
wie militärische
Siege oder ehrenhafte Niederlagen errichtet, um
identitätsstiftend das
jeweilige „Herrschaftsgedächtnis“ zu verewigen (S. 266). Ihr
Standort müsse
bedeutsam und für Rituale geeignet sein (S. 269). Wesentlich für
ihr
Funktionieren seien dauerhafte Materialien, Symmetrie-Achsen,
allegorische
Begleit-Figuren und narrative Szenen am Sockel, was auch die
Ursache für ihre
Gleichförmigkeit sei (S. 271). Der Sockel gebe die Form des
Erinnerns vor:
„Durch seine Höhe ist die Blickrichtung der Rezipienten schräg
nach oben, Kopf
in den Nacken, als typische Betrachtungshaltung bedingt.“ (S.
282)
Der hier entwickelte Grundtypus entspricht etwa den preußischen
und
kaiserlichen Monarchen- und Feldherrenstandbildern, die im
Zentrum der
„Verlustanalyse“ stehen. Die Definition eines solchen
Denkmalstyps erfordert
eine präzise zeitliche Kontextualisierung. Diese fehlt jedoch,
obwohl das Buch
den Zeitraum bis in die Gegenwart behandelt. Für
„allgemeingültige Aussagen“
zum Umgang mit Denkmälern (S. 20) ist sie kaum brauchbar. Dass
sich durch
bürgerschaftliche und gesellschaftskritische Initiativen bereits
seit den
1980er-Jahren auch Erinnerungskultur und Memorialkunst
wesentlich verändert
haben, spricht Kirsten Otto in ihrem Buch nicht an. Auch der
Denkmalsbegriff
selbst hat sich durch neue Konzepte, Medien, Materialien und
Partizipationsideen gewandelt und vor allem erweitert. Diese
konzeptorientierten
Formen sind nicht mehr neu, sondern längst – auch im Bereich der
nationalen
Denkmäler – etabliert, vor allem beim Gedenken an NS-Opfer wie
auch an Opfer
des Stalinismus und der DDR-Repression. In der anfangs genannten
Datenbank der
Autorin sind sie vermutlich nicht enthalten, denn keines dieser
Denkmäler wird
erwähnt, obwohl auch hier Vandalismus und Verluste zu
verzeichnen wären.
Problematisch ist daher vor allem der nicht nur statische,
sondern auch
hermetische Charakter der konstruierten Typologie. Die reale
Denkmalsentwicklung ist immer und in jeder Hinsicht prozesshaft.
Alle
Denkmäler, auch die in der Analyse behandelten, haben
zeitbedingte Merkmale,
die ihren je nach Kontext und künstlerischer Gestaltung eher
reaktionären oder
eher innovativen Charakter zum Ausdruck bringen. Mies van der
Rohes
Revolutionsdenkmal von 1926 auf dem Zentralfriedhof
Friedrichsfelde, dessen
Demontage ab 1933 Kirsten Otto beschreibt, passt etwa gar nicht
in das hier
vorgestellte Denkmals-Korsett.
Problematisch ist schließlich auch die Grundthese des zweiten
Teils, Denkmäler
seien „keine autonomen Kunstwerke“ (S. 263 und S. 393f.). Die
Autorin begibt
sich damit in die Arena einer jahrzehntelangen Debatte um
Autonomie der
Auftragskunst von der Renaissance bis zur Kunst am Bau und
Memorialkunst der
Gegenwart. Diese Debatte ist jedoch nur dann sinnvoll zu führen,
wenn der
Autonomiebegriff, den man selbst verwendet, auch definiert wird.
Das ist hier
nicht der Fall; der Hinweis auf Heideggers Unterscheidung
zwischen dem „Zeug“,
das dem Menschen dienstbar sein soll, und dem „Werk“, das keinem
unmittelbaren
Zweck dient (S. 263), ist dabei wenig erhellend. So gilt die
Empfehlung für
dieses Buch speziell der „Verlustanalyse“ selbst und denjenigen
Kapiteln im
Theorie-Teil, die die konkreten Entwicklungen beschreiben.
Zitation
Stefanie Endlich: Rezension zu: Otto, Kirsten: Berlins
verschwundene Denkmäler.
Eine Verlustanalyse von 1918 bis heute. Berlin 2020. ISBN 978-3-86732-357-4, In: H-Soz-Kult,
17.03.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-93661>.
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