Warum
wir uns einen
"guten Rutsch" wünschen
Von Leeor Engländer, veröffentlicht am 01.01.2012
Nur im deutschsprachigen Raum wünscht man sich zum Jahreswechsel
einen
"guten Rutsch". Doch was sich hinter diesem Wunsch verbirgt, weiß
kaum jemand.
Meine Mutter kann Silvester nicht leiden: "Dus sennen gojische
Majses" (das ist nichtjüdischer Blödsinn).
Mit Papst Silvester I., nach dem der Tag benannt ist, hat sie
sowieso nichts am
Hut und vom obligatorischen Fondue in der Neujahrsnacht
(traditionell bei meiner
Tante) hält sie nicht viel: "Wenn ich ein Steak will, lege ich ein
anständiges Stück Fleisch in die Pfanne."
Feuerwerk? "Zwar
schön, aber
Geldverschwendung."
Bleigießen?
"Macht Löcher in die
Tischdecke."
Dinner for one? "Die
zwei Alten
gehen mir auf die Nerven."
Champagner? "Ich mag
keinen
Alkohol."
Und zu guter Letzt ist da noch dieser alberne Gruß.
Zwischen Weihnachten und dem ersten Januar "rutscht" eine ganze
Nation kollektiv ins neue Jahr, obwohl es auch dieses Jahr
größtenteils kein
Schnee oder Glatteis gab. Wir wünschen weder Kindern auf dem
Spielplatz einen
guten Rutsch in die Sandkiste, noch dem besten Freund einen guten
Rutsch ins
neue Lebensjahr. Trotzdem vollziehen wir regelmäßig einen
halsbrecherischen
Rutsch über die Jahreswende hinweg.
"Einen guten Kopf" an Neujahr
Keine Nation, außer wir Deutschen (anscheinend auch manche
Österreicher und
Schweizer), wünscht sich einen "guten Rutsch". Was wohl damit zu
tun
hat, dass die meisten nicht wissen, woher der Begriff eigentlich
stammt. Das
jüdische Neujahr heißt „Rosch ha Schanah“, wörtlich übersetzt
"Kopf des
Jahres". Auf Jiddisch wünscht man sich in der Zeit vor und nach
dem
Feiertag "a git Rosch" (einen guten Kopf). Man kann davon
ausgehen,
dass der "gute Rutsch" aus einem weitläufig missverstandenen
"git Rosch" entstand.
Und da wir an diesem Tag schon so sinnlos in der Gegend
herumrutschen, schickt
meine Mutter dem albernen "Rutsch" gerne noch ein "Hals- und
Beinbruch" hinterher – wohl wissend, dass auch hier den meisten
unbekannt
ist, woher das eigentlich kommt.
"Hazlacha uwracha" (Erfolg und Segen) ist ein hebräischer Segen,
mit
dem man unter anderem Geschäftsabschlüsse oder Ehen besiegelt. Auf
Jiddisch
wurde daraus "hatsloche un broche", oder eben auf Deutsch "Hals-
und Beinbruch". Im Übrigen sind Hochzeiten und Geschäftsabschlüsse
gelegentlich gar nicht so weit voneinander entfernt und könnten
ebenfalls
verwechselt werden. Dazu aber mehr in ein paar Monaten, wenn mein
Bruder
heiratet. Zunächst wünsche ich Ihnen ein gutes, glückliches und
gesundes neues
Jahr – ganz ohne Rutschen und ohne Beinbruch.
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Quelle:
https://www.welt.de/debatte/kolumnen/article13792702/Warum-wir-uns-einen-guten-Rutsch-wuenschen.html
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