Monatsdigest

Re: [Regionalforum-Saar] Jahresband der ASF 2020 erschienen

Date: 2020/12/01 11:54:42
From: schubertbrigitte(a)t-online.de <schubertbrigitte(a)t-online.de>

Hallo Roland

Den ASF Sonderband 2020 bestelle ich hiermit bei Dir

Danke im voraus

Grüße Brigitte

 

 

 

-----Original-Nachricht-----

Betreff: [Regionalforum-Saar] Jahresband der ASF 2020 erschienen

Datum: 2020-11-30T14:10:44+0100

Von: "Roland Geiger via Regionalforum-Saar" <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

An: "Regionalforum" <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

 

 

 

Guten (Vorsicht: ein Anglizismus) Nachmittag,

wieder ist das Jahr fast zu Ende, und obwohl die meisten unserer geplanten Vorträge nicht durchgeführt werden konnten, ist der Jahresabschlußband SFK 2020 der Arbeitsgemeinschaft für Saarländische Familienforschung (ASF) ziemlich dick geworden.

Dies sind die Beiträge:

Helmut PRIEWER
Die Spanische Grippe 1918/19

Ferdinand MÜLLER
Wer waren die Vorfahren und Nachkommen der "Von Schwalpach" in Saarbrücken im 13./14. Jahrhundert?

Helmut LISSMANN
Die ersten Vorfahren namens Lissmann in der Baillage d'Allemagne des Herzogtums Lothringen (Oberamt Schaumberg)

Marta KNOBLOCH
Die „Ingenios" von Miera. Vorfahren im 17. Jahrhundert    S.

Markus DETEMPLE
Der Streit um das Herrengut in Hirtel 1731    S.

Klaus PACK
Auswanderer von 1741 anhand seiner Unterschrift identifiziert

Christa LIPPOLD
Ein Offizier, im Heer Napoleons verloren

Roland GEIGER
Von der standesamtlichen Ehe im 19. Jahrhundert

Roland GEIGER
Was bei einer Auswanderung nach Nordamerika und Australien zu beachten ist

Jos KALDENBACH
Von Pestels auch in Holland

Nikolaus GRÜN / Annemarie BRETTAR
Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71
Jugenderinnerungen über die Kriegserlebnisse in Kleinblittersdorf S

Paul GLASS
Der Bliesgau als bevorzugtes Gebiet für die Binnenmigration nach Ensheim im 18. und 19. Jahrhundert — Dargestellt am Beispiel meiner eigenen Familiengeschichte.

Jenny ASHCRAFT
Was die amerikanischen Volkszählungen beinhalten

Roland GEIGER
1904 ... dafür ist das Loch zu elend

Paul GLASS
Festschriften zu Vereinsjubiläen und Kleintierzuchtausstellungen als Familienkundliche Quelle — Aufgezeigt am Beispiel des Kaninchenzuchtvereins Saarbrücken-Ensheim

Da nach der Fütterung der Raubtiere (Versand an die Mitglieder) noch ein paar Exemplare da sind, bieten wir diese wohlfeil für 10 Euro plus Versand (2) zum Verkauf an. Da es andererseits dann doch nicht sooo viele Exemplare übrig sind, gilt das altbekannte Motto „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ oder andersrum „Wer zuletzt kommt, muß sein Geld woanders loswerden“.

Ergebenst

Roland Geiger
an den die Bestellungen offlist => „alsfassen(a)web.de“ zu richten sind.



[Regionalforum-Saar] Thingstätten. Von der Bedeu tung der Vergangenheit für die Gegenwart

Date: 2020/12/02 21:28:23
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Thingstätten. Von der Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart

Herausgeber Katharina Bosse
Erschienen Bielefeld 2020: Kerber Verlag
Anzahl Seiten 251 S., 164 Farb- und 56 SW-Abb.
Preis € 45,00
ISBN 978-3-7356-0693-8

Rezensiert für H-Soz-Kult von Stefanie Samida, Historisches Seminar, Universität Heidelberg

Es gibt Orte, die sind sichtbar, aber doch unsichtbar – oder anders gesagt: Sie changieren zwischen Anwesenheit und Abwesenheit. Das hier zu besprechende Buch nimmt sich einer ganz speziellen Gattung solcher Orte an: den von den Nationalsozialisten in der Mitte der 1930er-Jahre erbauten sogenannten Thingstätten. Diese NS-Bauten, die architektonisch antiken Theatern gleichen, und die hinter ihnen stehende Idee sind von der Forschung bislang eher stiefmütterlich behandelt worden.[1] Die Gründe mögen vielfältig sein, ein wichtiger Aspekt dürfte aber sein, dass diesen aus der Anfangszeit des „Drittes Reichs“ stammenden Anlagen nach einer kurzen Euphorie zwischen 1933 und etwa 1936 die Ernüchterung beziehungsweise ein „rasantes Sich-überleben einer Idee“ folgte (S. 8). Damit hängt auch zusammen, dass die Thingstätten – ab Oktober 1935 kam es auf Geheiß des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels zu einer Tilgung des Begriffs „Thing“ und zu einer Umbenennung der Orte in „Feier“- beziehungsweise „Weihestätten“ – anders als viele andere NS-Großbauten nach 1945 weitgehend in Vergessenheit gerieten. Sie waren weder Gegenstand der erinnerungskulturellen Debatte der letzten drei Jahrzehnte, noch haben sie in der geschichts- und kulturwissenschaftlichen Forschung eine größere Beachtung erfahren. Das erstaunt, denn nicht wenige der circa 40 bis 50 heute noch auffindbaren Anlagen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg weiter genutzt und sind zum Teil bis heute in Betrieb. Hierzu gehören beispielsweise die als Berliner Waldbühne bekannte Dietrich-Eckart-Freilichtbühne, die Freilichtbühne Loreley bei St. Goarshausen und die in Bad Segeberg erbaute Anlage, in der seit 1952 die Karl-May-Spiele stattfinden. Es gibt aber auch Stätten, die nach und nach ganz aus dem öffentlichen beziehungsweise kommunikativen Gedächtnis verschwunden sind, wie zum Beispiel die überwachsenen und kaum noch sichtbaren Anlagen in Braunschweig und Herchen.[2]

Der von Katharina Bosse herausgegebene Bildband – und so muss man das Buch nennen – lebt von den bestechenden und großartigen Fotografien der beteiligten Künstler/innen, die es schaffen, eine „Überhöhung der Architektur durch die Fotografie zu vermeiden“ (S. 8). Hervorheben möchte ich lediglich die ungewöhnlichen Perspektiven auf die Berliner Waldbühne (S. 196ff.), die in ihrer Nüchternheit und aufgrund ihres dokumentarischen Charakters beeindrucken; gelungen ist aber auch die Gegenüberstellung von Einst und Jetzt – die Thingstätten auf historischen Postkarten aus der Zeit des Nationalsozialismus einerseits und die aktuellen Fotos der Überreste andererseits.

Über die zahlreichen Fotografien werden die in einer Art Dornröschenschlaf schlummernden Orte nun an die Oberfläche geholt. Die präsentierten Dokumentarfotografien und Kunstprojekte sind das Ergebnis eines 2012 begonnenen, interdisziplinär und pluralistisch angelegten Projekts, bei dem sich die Mitstreiter/innen auf Spurensuche begaben.[3] Aufgrund seiner Mehrstimmigkeit stelle es sich, so die an der Fachhochschule Bielefeld Fotografie lehrende Herausgeberin, bewusst der „faschistischen Idee von Einheit“ entgegen (S. 7).

Wie schon angedeutet, handelt es sich bei dem Band nicht um ein wissenschaftliches Werk im herkömmlichen Sinne. Insgesamt gibt es nur drei längere Textbeiträge. Neben der Einführung der Herausgeberin, in der sie das Projekt, aber auch zusammenfassend die Thingstätten und ihre Bedeutung als Räume des sinnlichen Erlebens in der Anfangszeit der NS-Diktatur zusammenfassend darstellt (S. 6–10), sind vor allem der Beitrag des in Cardiff lehrenden Historikers Gerwin Strobl zum Thingspiel und zur Thingbewegung (S. 16–25) und die Ausführungen Bernhard Gelderbloms zum Bückeberg zu erwähnen (S. 222–228). Darüber hinaus finden sich übersichtsartige Kurztexte der Herausgeberin zu den Thingstätten in Bad Segeberg (S. 29f.), Heidelberg (S. 57f.), Northeim (S. 97f.), Bad Schmiedeberg und Lichtentanne (S. 113f.), Kamenz (S. 121), Herchen (S. 125f.) sowie von Beata Wielgosik zu Annaberg (Polen) (S. 153) und von Stefan Wunsch zu Vogelsang (S. 169f.). Die künstlerischen Projekte sind ebenfalls nicht nur fotografisch festgehalten, sondern werden auch schriftlich erläutert, beispielsweise zur Anlage in Herchen, die im Mittelpunkt von mehreren Kunstprojekten stand (S. 130ff.). So schuf etwa der US-amerikanische Künstler und Regisseur Doug Fitch mit seiner Performance eine alternative Erzählung zum negativ konnotierten Erbe. Schülerinnen aus Herchen mimten an der Stätte die buddhistische Gottheit Yamantaka (Bezwinger des Todes) und damit eine Gottheit, die im Gegensatz zu dem steht, was das „Dritte Reich“ repräsentierte (S. 138). Rebecca Hackemann wiederum stellte an drei Thingstätten (Herchen, Borna und Berlin) ein Fernrohr auf, wie man es aus dem touristischen Kontext kennt, und beobachtete die Reaktionen der Personen. Zu sehen waren jeweils die Thingplätze. In Herchen schauten innerhalb von drei Stunden mehr als ein Dutzend Personen durch das Fernglas und fragten sich, was das Objekt sei, das sie sahen. Interessanterweise (er-)kannte keiner die architektonische Struktur und damit den Thingplatz (S. 142).

Wer mehr zum historischen Hintergrund der Thingstätten erfahren möchte, der sollte die Beiträge von Strobl und Gelderblom lesen. Stobl zeichnet nicht nur anschaulich die Entstehung der „Thingeuphorie“ nach, auf deren Höhepunkt mehrere hundert Stätten geplant wurden (S. 17), sondern er widmet sich auch den zentralen Protagonisten und ihren Motiven. Als Laientheaterbewegung gestartet, die auf Traditionen aus dem Katholizismus und bündischer Jugendgruppen zurückgriff, wurde die Thingbewegung 1933 von politischer Seite „gekapert“.[4] Neben Joseph Goebbels sind vor allem Otto Laubinger (Präsident der Reichstheaterkammer von 1933 bis 1935 ) sowie der Leiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und Gründer der Organisation „Kraft durch Freude“ (KDF) Robert Ley zu nennen. Die Euphorie der NS-Akteure hielt allerdings nicht lange an. Schon im Sommer beziehungsweise Herbst 1934 war Goebbels unzufrieden und bezweifelte die Nachhaltigkeit der Thingspiele, sodass er im Oktober 1935 der Thingbewegung und dem Wort „Thing“ den Garaus machte (S. 22f.). Diese Wendung stellte viele lokale Akteure vor Probleme, denn zahlreiche Stätten befanden sich noch im Bau; sie wurden in der Folge nur halbherzig vorangetrieben, geschweige denn nach der Fertigstellung noch reichlich genutzt. Dennoch bilden die Thingstätten bis heute die weltweit „größte Zahl an neu geschaffenen Freilichtbühnen seit der Antike“ (S. 24).

Unter dem Titel „Die Ästhetisierung von Gewalt und Politik“ beschäftigt sich der Lokalhistoriker Gelderblom mit dem Bückeberg, der von 1933 bis 1937 Schauplatz der Reichserntedankfeste war.[5] Er veranschaulicht die Bedeutung dieses von Joseph Goebbels als „Reichsthingplatz“ auserkorenen Festortes, an dem zum Teil über eine Million Menschen zusammenkamen. Der Bückeberg war dabei nicht nur ein „Ort der Verführung“, vielmehr trafen hier das „freiwillige Entgegenkommen breiter Schichten der Bevölkerung“ und „unerfüllte Sehnsüchte nach nationaler Gemeinschaft“ mit solchen der Manipulation und Massenpsychologie zusammen (S. 223). Bis in die 1990er-Jahre hinein waren die Reichserntedankfeste weitgehend vergessen; und bis heute tut sich vor allem die Lokalbevölkerung schwer, an den Ort der Massenpropaganda zu erinnern. Vorhaben, einen Dokumentations- und Lernort einzurichten und damit auf seine Bedeutung für die Nationalsozialisten – gerade in der Anfangszeit – hinzuweisen, stoßen seit Jahren auf Widerstand.

Der Herausgeberin ist daher abschließend zuzustimmen: „Wie man offener und informativer mit diesen Denkmälern der ‚Architektonischen Nachhut‘ und ihren Spuren umgehen kann, ist auch für die Zukunft eine wichtige Frage“ (S. 10). Die in dem Band versammelten Fotografien, dokumentierten Kunstprojekte und wissenschaftlichen Beiträge sind in diesem Sinne zu verstehen: Sie fordern einerseits zur Reflexion auf und liefern andererseits Anstöße für die Forschung und den Umgang mit dieser besonderen NS-Architektur.

Anmerkungen:
[1] Vgl. aber Rainer Stommer, Die inszenierte Volksgemeinschaft. Die „Thing-Bewegung“ im Dritten Reich, Marburg 1985. Sein Katalog der Thingplätze – unter anderem gruppiert in offizielle und nichtoffizielle Stätten – bildet bis heute die zentrale Grundlage für die Auseinandersetzung mit diesen Plätzen. Die Heidelberger Thingstätte ist mit am besten erforscht, vgl. Meinhold Lurz, Die Heidelberger Thingstätte. Die Thingbewegung im Dritten Reich. Kunst als Mittel politischer Propaganda, Heidelberg 1975. Neuerdings beschäftigt sich auch die Denkmalpflege vermehrt mit diesen Orten, vgl. einige Beiträge in: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg.), Unter der GrasNarbe. Freiraumgestaltungen in Niedersachsen während der NS-Diktatur als denkmalpflegerisches Thema, Petersberg 2015.
[2] Ihre Nachnutzung und Rezeption ist bisher nicht erforscht. Das von der Verfasserin an der Universität Heidelberg durchgeführte Forschungsprojekt „Die nationalsozialistischen Thingstätten: Un/Sichtbares Erbe im erinnerungskulturellen Diskurs“ (gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung) nimmt sich dieses Desiderats exemplarisch an. Vgl. https://www.fritz-thyssen-stiftung.de/fundings/die-nationalsozialistischen-thingstaetten-un-sichtbares-erbe-im-erinnerungskulturellen-diskurs/ (27.10.2020).
[3] Am Ende des Buchs gibt es eine Karte mit den besuchten Orten sowie ein alphabetisches Register der Thingstätten (S. 238–245), jeweils mit einem aktuellen und einem historischen Foto sowie den Daten der Einweihung der Stätte und ihres heutigen Zustandes. Das Projekt findet in der Website https://thingstaetten.info (27.10.2020) seine Fortsetzung.
[4] Zu den Thingspielen vgl. auch Evelyn Annuß, Volksschule des Theaters. Nationalsozialistische Massenspiele, Paderborn 2019.
[5] Der Beitrag ist eine Kurzfassung eines bereits 2002 erschienenen Artikels. Ausführlich zum Bückeberg vgl. Bernhard Gelderblom, Die NS-Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg 1933–1937. Aufmarsch der Volksgemeinschaft und Massenpropaganda, Holzminden 2018.

Zitation

Stefanie Samida: Rezension zu: Bosse, Katharina (Hrsg.): Thingstätten. Von der Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart. Bielefeld  2020. ISBN 978-3-7356-0693-8, In: H-Soz-Kult, 03.12.2020, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-50063>.





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Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

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Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
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[Regionalforum-Saar] Forum: Zeiterfahrung: S. Pat zold: Covid-19 und die Folgen für die Mittelalterforschu ng (ziemlich langer Artikel!)

Date: 2020/12/02 21:33:29
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Forum: Zeiterfahrung: S. Patzold: Covid-19 und die Folgen für die Mittelalterforschung

Von Steffen Patzold, Historisches Seminar, Universität Hamburg

Ich bin Historiker, kein Prophet. Die Schlagzahl wissenschaftlichen Publizierens ist in der Geschichtswissenschaft viel niedriger als etwa in der Virologie oder der Medizin. Wichtige mediävistische Zeitschriften erscheinen halbjährlich, manche gar nur einmal pro Jahr; und ein Fachbuch braucht eine noch längere Vorbereitung. Zurzeit lässt sich daher noch nicht beobachten (geschweige denn seriös messen), in welcher Weise die Corona-Pandemie unseren wissenschaftlichen Blick auf diejenige Epoche verändern wird, die wir traditionell als „Mittelalter“ bezeichnen. Zu dieser Frage kann ich vorerst nur munter spekulieren. In den kommenden Jahren werden wir es dann rückschauend besser wissen.

Dass die Pandemie auch für die Geschichtsbilder, die die Mediävistik entwirft, nicht folgenlos bleiben wird, ist immerhin einigermaßen wahrscheinlich. Die Geschichtswissenschaft ist – auch und gerade in ihren älteren Epochen – eine Gegenwartsdisziplin. Es ist deshalb keine Hexenkunst zu erraten, dass in den kommenden Monaten und Jahren eine kleine Flut von Artikeln und Büchern erscheinen wird, die sich mit Seuchen im Mittelalter befassen. Sie werden sicher von den beiden großen Epidemien erzählen, also von der Justinianischen Pest des 6. bis 8. Jahrhunderts und dem sogenannten Schwarzen Tod seit den 1340er-Jahren. Wahrscheinlich werden aber auch kleinere Phänomene neue Aufmerksamkeit finden – wie etwa jene Tierseuche, die im Jahr 810 in Westeuropa so viele Rinder sterben ließ, dass die militärische Schlagkraft des Karolingerreichs beeinträchtigt war und Menschen in der Erzdiözese Lyon anfingen, Verschwörungsmythen über Spione in Benevent zu glauben. (Man bezichtigte Leute, im Auftrag des Herzogs Grimoald das Vieh im Frankenreich zu vergiften; etliche der vermeintlichen Täter wurden gelyncht.)[1]

Außerdem wird man einigermaßen sicher prognostizieren dürfen, dass der Begriff der „Krise“ künftig in der Mittelalterforschung noch inflationärer gebraucht werden wird, als es heute schon der Fall ist. Wahrscheinlich werden in dieser Diskussion Situationen des Umbruchs, des kurzfristigen sozialen und wirtschaftlichen Wandels, der unter hohem Druck stattfindet, genauer in den Blick der Forschung geraten. Der Tübinger SFB 923 würde solche Situationen konzeptuell als „Bedrohte Ordnungen“ erfassen.[2]

Wissenschaftsgeschichtlich noch interessanter als derlei Seuchen- und Krisen-Studien könnten allerdings diejenigen Verschiebungen und Neuakzentuierungen werden, die andere, eher klassische Felder mediävistischer Forschung betreffen. Mein Auftrag für dieses Forum lautet denn auch, „etwas aus der Perspektive des Mittelalters und der Frage von ‚Staatlichkeit‘“ beizutragen.[3] Dieses Forschungsfeld ist nun in der Tat alt, riesig und unübersichtlich. Entsprechend kompliziert und unsicher wird in diesem Bereich mein akademisches Ratespiel. Ich soll es dennoch wagen: Wird die Covid-19-Pandemie die mediävistische Forschung zur Geschichte des Staates im Mittelalter beeinflussen? Und wenn ja, wie?

Beim Versuch, meinen Auftrag zu erfüllen und diese Fragen zu beantworten, werde ich in zwei Schritten vorgehen: Zunächst muss ich, in aller Kürze, einen Überblick über die bisherige wissenschaftliche Debatte zum Thema geben – von den älteren Diskussionen im 19. Jahrhundert, über den Paradigmenwechsel der 1930er-/1940er-Jahre bis hin zu den jüngsten Entwicklungen seit etwa 1990. Erst auf dieser Basis kann ich dann halbwegs begründet spekulieren, wie die gegenwärtige Pandemie dieses gesamte große Forschungsfeld beeinflussen könnte. Ich hoffe, es ist keine Zumutung, dass ich mich bei alledem auf die Diskussion zum Staat im frühen und hohen Mittelalter konzentriere, die ich etwas besser überblicke als die Debatten über die einschlägigen Entwicklungen im Spätmittelalter.

I. Immer schon eine Gegenwartsdebatte: Die ältere Diskussion über den Staat im Mittelalter
Die Diskussion über den Staat im Mittelalter reicht bis in die Anfänge meiner Teildisziplin zurück – jedenfalls in Deutschland. Als sich die Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert ausbildete und im Zuge dessen auch die Mittelalterforschung zur Wissenschaft wurde, war die Frage des Staates hierzulande politisch hochaktuell. Der wissenschaftliche Blick zurück ins Mittelalter war dabei von Beginn an mit der Politik der Gegenwart verflochten: Gerade in der frühen Zeit, am besten sogar bei den „Germanen“, suchte man Vorbilder für eine deutsche Verfassung, über die damals im Zusammenhang mit den Reichseinigungsdebatten politisch zäh und intensiv diskutiert wurde. Georg Waitz[4], Paul Roth[5], Heinrich von Sybel[6] und viele andere mehr debattierten in ihrer Erforschung des „deutschen“ Mittelalters und seiner politischen Ordnung im Grunde stets auch ihre eigene Gegenwart mit.

Eine Kernfrage dieser Debatte lautete zugespitzt: Übte der König eine spezifische, nämlich öffentliche Gewalt über einen Verband freier Untertanen aus? Oder war seine Herrschaft privatrechtlich ausgestaltet und nicht grundsätzlich von derjenigen anderer Herren unterschieden, weil sie etwa im Wesentlichen auf lehnrechtlichen Bindungen beruhte? Um 1900 herum hatten sich tonangebende Historiker wie Georg von Below[7] in dieser Diskussion klar positioniert: Der König hatte – zumindest in der Frühzeit – durchaus eine besondere, öffentliche Gewalt über die Freien ausgeübt; es gab also einen deutschen Staat. Allerdings war diese öffentliche Gewalt im Laufe der Zeit, spätestens aber seit dem 10. Jahrhundert, immer weiter von lehnrechtlichen (und damit privatrechtlichen) Bindungen zersetzt worden, die ganz andere, konkurrierende Loyalitäten und Verpflichtungen begründeten. Von hier aus meinte man dann auch eine Entwicklungslinie hin zur Schwächung der Zentralgewalt durch den Adel und zur Ausbildung des Alten Reiches ziehen zu können (mit dem die weitaus meisten Mittelalterhistoriker damals haderten, weil es die Entstehung eines deutschen Nationalstaates verhindert habe).

Gegen diese Position trat in den 1930er- und 1940er-Jahren die sogenannte Neue deutsche Verfassungsgeschichte an: Otto Brunner, Walter Schlesinger, auch Theodor Mayer, Heinrich Dannenbauer und andere mehr warfen ihren Vorgängern des 19. Jahrhunderts vor, allzu schlicht die Begriffe ihrer eigenen Zeit dem Mittelalter übergestülpt zu haben. Brunner hielt die fundamentale, die gesamte Diskussion strukturierende Unterscheidung zwischen öffentlich-rechtlichen und privat-rechtlichen Herrschaftsformen für anachronistisch: Die Zeitgenossen des Spätmittelalters hätten zwischen beidem gar nicht differenziert – und mithin auch nicht zwischen Gesellschaft und Staat oder zwischen Macht und Recht. Damit hatte Brunner im Grunde die gesamte fein verästelte Debatte des 19. Jahrhunderts für obsolet erklärt. Stattdessen wollte er im Spätmittelalter nur eine einzige, ihrem „Wesen“ nach gleichförmige Art von Herrschaft erkennen – die erwachsen sei aus der Herrschaft des Hausherrn über sein Haus und wesentlich darauf beruhte, dass der „Herr“ Schutz zu gewähren vermochte, dafür aber von seinen „Holden“ Treue einforderte. Die Herrschaft des Grundherrn über seine Hörigen, auch die Herrschaft des Landesherrn über sein Land hätten sich in ihrem „Wesen“ nicht von dieser Herrschaft über das Haus unterschieden.[8]

Walter Schlesinger schrieb in seiner 1941 publizierten Habilitationsschrift zur Entstehung der Landesherrschaft in Sachsen dieses Modell zurück bis in das Frühmittelalter. Er ergänzte es im Zuge dessen allerdings auch um einen zweiten Ursprung mittelalterlicher Herrschaft: Neben der Hausherrschaft sah er auch in der Herrschaft frühmittelalterlicher Könige über ihre kriegerische Gefolgschaft eine „Wurzel“ mittelalterlicher Herrschaft. Das Lehnswesen betrachtete Schlesinger für die Zeit seit dem 10. Jahrhundert zwar ebenfalls als einen wichtigen historischen Faktor; seine historische Bedeutung und Wirkung beurteilte er nun allerdings ganz anders als die Forschung des 19. Jahrhunderts: Es habe nämlich in einer Welt, in der viele einzelne Herrschaftskreise des Adels und des Königs zunächst gar nicht institutionell zusammengeschlossen gewesen seien, überhaupt erst eine feste, rechtlich fundierte Bindungsform institutionalisiert. Statt einen Staat aufzulösen, trug es aus Schlesingers Sicht kräftig zur Integration vieler einzelner Herrschaftskreise zu einem Gesamtverband bei.[9]

Heinrich Dannenbauer wiederum wollte dementsprechend auch schon in der Frühzeit keine freien Germanen als Untertanenverband unter gewählten politischen Führern mehr sehen: Stattdessen zeichnete er eine spätantike und frühmittelalterliche „germanische“ Welt, die strukturiert war von Adel, Burg und Herrschaft.[10] Theodor Mayer schließlich prägte den Begriff des „Personenverbandsstaats“, dem in der Nachkriegszeit ein erstaunlicher Erfolg beschieden war: Er verwies eigentlich nur darauf, dass die Herrschaft eines Königs (aber auch eines Herzogs oder Grafen) bis ins Hochmittelalter hinein eben nicht alle diejenigen Freien erfasst habe, die auf einer bestimmten Fläche lebten, sondern im Wesentlichen auf den persönlichen Bindungen zwischen dem König und den einzelnen Adligen beruht habe.[11]

Selbstverständlich ist all dies nur ein Holzschnitt: Die Diskussionen, die Mediävisten führten, waren im 19. Jahrhundert wie auch in den 1930er- und 1940er-Jahren feiner ausdifferenziert, die Modelle komplexer. Worauf es mir mit dieser Skizze ankommt, ist aber erst einmal nur dies: Die mediävistischen Debatten über den Staat spiegelten im 19. Jahrhundert wie auch im Zuge der „Neuen Verfassungsgeschichte“ (die in der deutschen Mittelalterforschung noch bis in die 1980er-Jahre hinein das vorherrschende Modell bleiben sollte) erstaunlich ungebrochen die jeweilige Gegenwart und deren Befindlichkeiten wider: Längst haben Mediävisten selbst, aber auch unsere Kolleg/innen aus der Neuen Geschichte die Zeitgebundenheit der mediävistischen Staatsdebatten im 19. und 20. Jahrhundert nachgewiesen.[12] Interessanterweise kleidete sich diese Zeitgebundenheit in beiden Fällen allerdings argumentativ in das Gewand der Alterität: Im 19. Jahrhundert diente das Mittelalter (und vor allem dessen Frühzeit) lange Jahrzehnte hindurch als Vorbild für eine zukünftige politische Ordnung Deutschlands, die man sich ganz anders wünschte als die real existierende der Gegenwart. Und in den 1930er-Jahren haben dann die Vertreter der „Neuen Verfassungsgeschichte“ die fundamentale Andersartigkeit der Zeit vor der Moderne sogar explizit als wissenschaftlichen Ausgangspunkt gewählt: Sie verwarfen ja die „modernen“ Unterscheidungen öffentlich/privat, Staat/Gesellschaft, Macht/Recht gerade deshalb, weil sie unangemessen seien, um das ferne, andersartige Mittelalter zu erforschen.

II. Immer noch eine Gegenwartsdebatte: Die jüngeren mediävistischen Diskussionen über den Staat
Im Prinzip wissen wir selbstverständlich alle, dass auch unsere eigenen Perspektiven auf das Mittelalter von den Befindlichkeiten der Gegenwart mitgeprägt sind: Das ist Proseminar-Stoff. Und doch fällt es uns genauso selbstverständlich schwer, diese Zusammenhänge im Einzelnen in den eigenen Arbeiten zu sehen. Wie also wird man in 50 oder 100 Jahren über die mediävistischen Perspektiven auf den Staat aus dem späten 20. und frühen 21. Jahrhundert denken, über die Forschung aus der Zeit noch vor der Covid-19-Pandemie?

Man kann in der deutschen mediävistischen Forschung zum „Staat“ mittlerweile recht deutlich mehrere Trends erkennen, die um 1990 herum ihren Anfang genommen haben und ähnlich beispielsweise auch in der britischen, US-amerikanischen und französischen Forschung nachzuweisen sind. Die Könige und Kaiser des Karolingerreiches und ihre Nachfolger in Europa sind seither tendenziell schwächer geworden: Was dem 19. und früheren 20. Jahrhundert noch als Periode kaiserlicher Herrlichkeit und Machtvollkommenheit gegolten hatte, als Glanzzeit vor dem Niedergang des Spätmittelalters mit seinem ungeliebten Monstrum von Altem Reich, das nimmt sich heute weit weniger strahlend aus. Die Hierarchien zwischen Herrscher und Adel gelten mittlerweile als ziemlich flach. Die Karolinger, Ottonen, Salier, Staufer kommen in jüngeren Darstellungen auch nicht mehr als visionäre Politiker daher, die danach trachteten, mit starker Hand langfristige Strukturvorhaben zur Kräftigung der Zentralgewalt um- und geopolitische Interessen durchzusetzen (ein Vorhaben, an dem spätestens die Staufer dann aber um 1200 grandios gescheitert wären). Ihre Fähigkeit, politische Entscheidungen zu treffen und umzusetzen, kannte Grenzen – vor allem im Konsens der Großen. Politik unter den Bedingungen „konsensualer Herrschaft“ gilt als angeleitet und eingehegt von ungeschriebenen Spielregeln; königliches und adliges Handeln in der Öffentlichkeit erscheint als Abfolge von Gesten und Ritualen, die den Grundkonsens, das Ranggefüge der Großen und den Status quo zu erhalten helfen sollten. Könige und Kaiser wirken wie Moderatoren, die in langen Verhandlungen auf kleinen und großen Versammlungen immer wieder neu die Mächtigen des Reiches von sich überzeugen und die Rangordnung im Adel in einem Gleichgewicht halten müssen, das im Grunde doch immer fragil bleibt. Und sie wirken wie Regisseure, die nicht zuletzt mit fein ausgewogenen und bis ins Detail ausgearbeiteten Inszenierungen in der Öffentlichkeit Konflikte begrenzen, Konsens herstellen und damit das erzeugen, was die Zeitgenossen formelhaft als „Frieden und Recht“ bezeichneten. Auch dieses neuere Bild aber ist interessanterweise gerahmt von einer Alteritätsbehauptung: Die früh- und hochmittelalterliche Welt der konsensualen Herrschaft, der Spielregeln, Rituale, Gesten, Inszenierungen, ohne Gesetze, ohne politische Langfristvorhaben, ohne bürokratischen Apparat – sie sei ganz anders gewesen als unsere eigene.[13]

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich persönlich bin ziemlich fest davon überzeugt, dass das hier nur sehr grob skizzierte Modell uns im Moment weit besser hilft, mittelalterliche Texte interpretierend zu erschließen und das Handeln von Königen und Adligen zu erklären, als die Modelle des 19. Jahrhunderts oder gar der „Neuen Verfassungsgeschichte“ der 1930er- und 1940er-Jahre. Aber selbstverständlich kann man sich fragen, wie sehr auch das gegenwärtige Modell unsere eigenen Erfahrungen mit politischer Entscheidungsfindung widerspiegelt. Vielleicht wird man in 50 oder 100 Jahren darüber staunen, wie sehr sich postmoderne Überzeugungen von der Dezentrierung des Subjekts auch in den Mittelalterbildern der Jahrtausendwende niedergeschlagen haben?[14] Vielleicht wird man darüber staunen, wie sehr die fundamentalen Rahmenbedingungen politischen Handelns im Reich der Ottonen und Salier denen der Entscheidungsfindung in deutschen Universitäten der Jahrzehnte um das Jahr 2000 ähnlich wurden? Vielleicht wird ein künftiges Forschungsprojekt einmal vergleichend Entscheidungsprozesse in Geschichtsentwürfen zur Staatlichkeit des Früh- und Hochmittelalters einerseits und in Gremien und Ausschüssen in den Universitäten des endenden 20. Jahrhunderts andererseits untersuchen? Es ließen sich wohl erstaunliche Parallelen konstatieren: hier wie da informelle Vorgespräche und Vorklärungen, hier wie da aufwendig inszenierte konsensuale Beschlussfassungen, hier wie da flache Hierarchien, hier wie da eine hohe Bedeutung der persönlichen Nähe und des Zugangs zur Zentralgewalt, hier wie da ein Akzent auf dem Streben nach Rang (statt nach Macht oder ökonomischem Gewinn), hier wie da Konflikte nicht als Ereignisse, sondern als Struktur, ausgetragen und beigelegt in ritualisierter Form, geleitet von ungeschriebenen Spielregeln, mit der Notwendigkeit, das Gesicht aller Beteiligten zu wahren.

Man könnte so noch ein Weilchen fortfahren, die wenigen Punkte mögen hier genügen. Ich bin – ich wiederhole es – kein Prophet. Aber es scheint mir immerhin gut denkbar, dass im Rückblick die Debatten der deutschen Mediävistik über die politische Ordnung und Praxis im Karolingerreich und seinen Nachfolgern merkwürdig stark durch den Erfahrungsraum westlicher Universitäten um die Jahrtausendwende geprägt erscheinen könnten.

III. Was ändert Covid-19?
Was wird die Covid-19-Pandemie seit März dieses Jahres an alledem ändern? Meine Antwort kann nur vorsichtig tastend ausfallen. Ich persönlich habe mit Staunen (und auch einiger Besorgnis) in den vergangenen Monaten zweierlei zur Kenntnis genommen: Zum einen habe ich gelernt, wie schnell, wie tief und wie wirkungsvoll der Staat in der Bundesrepublik Deutschland des 21. Jahrhunderts in mein Leben einzugreifen vermag – jedenfalls in einer Situation bedrohter Ordnung, als Reaktion auf eine Katastrophe. „Kontaktverbote“, „Ausgangssperren“, „Ladenschließungen“, „Einschränkungen der Reisefreizügigkeit“, „Quarantänevorschriften“, „Maskenpflicht“, „Schulschließungen“ – die Liste der Schlagwörter, die Veränderungen des Lebens im Jahr 2020 bezeichnen, ist lang. Ich habe in den vergangenen Monaten sehr konkret erfahren: Der Staat kann erschreckend viel! Er kann mich 14 Tage lang in Quarantäne stecken; er kann mir verbieten, mich außerhalb meiner vier Wände oder meines Wohnblocks aufzuhalten; er kann Kinos, Konzerthallen, Museen ebenso schließen wie Schulen, Universitäten und nationale Grenzen.

Zum anderen habe ich aber auch gelernt, wie schnell der Wohlstand ganzer Gruppen verloren gehen kann, die nicht das Privileg der Beamtenbezüge oder eines Gehalts des öffentlichen Dienstes genießen. Die Ökonomie und ihre hohe Bedeutung für staatliches Handeln werden in der Covid-19-Pandemie für mich jedenfalls in neuer Weise anschaulich. Reichtum und ökonomische Strukturen beeinflussen maßgeblich den Weg durch die Pandemie (und generieren erhebliche Unterschiede für die verschiedenen betroffenen Gruppen).

Da die mediävistische Debatte über den Staat bisher immer auch ein Dialog mit der Gegenwart war, spricht viel dafür, dass sich auch jetzt die Diskussion über den Staat im Mittelalter neu akzentuieren wird. Die ungewohnte Erfahrung der Handlungsmacht und Effizienz des Staates und die gegenwärtig so augenfällige Bedeutung der Ökonomie für staatliches Handeln könnten die mediävistischen Perspektiven auf die politische Praxis im Europa des frühen und hohen Mittelalters verändern. Möglicherweise führt die Erfahrung effizienten und weitreichenden staatlichen Handelns heute dazu, dass sich auch unsere Vorstellungen von den Handlungsspielräumen von Aristokraten und Königen im früheren Mittelalter verschieben: Aus unserer Gegenwart heraus geraten Quellenaussagen wieder stärker in den Blick der Mediävistik, die Könige und ihre Großen als Menschen mit großer Macht und weitreichenden Durchgriffsmöglichkeiten gegenüber anderen zeigen. Kein Zweifel: Konsens war ein wichtiges Schlagwort des politischen Diskurses im europäischen Mittelalter. Aber Kaiser, Könige und andere hohe Herren vermochten ihre Gegner im Einzelfall auch hart anzugehen, ins Exil zu treiben, zu inhaftieren oder töten zu lassen. Möglicherweise führen die gegenwärtigen Erfahrungen dazu, diese dunkle Seite der Macht (die an deutschen Universitäten eher selten zu erfahren ist) wieder stärker zu betonen.

Wichtig scheint mir: Einschlägige Quellenuntersuchungen hierzu werden die aktuellen wissenschaftlichen Modelle politischer Ordnung im frühen und hohen Mittelalter nicht ganz und gar falsifizieren können. Zentrales wird bleiben: Die Erfahrungen der Gegenwart beziehen sich ja gerade auf eine spezifische Situation, eine bedrohte Ordnung, auf die der Staat reagiert. Diese Erfahrungen werden deshalb vermutlich nichts daran ändern, dass wir das Handeln von Mächtigen im Mittelalter eher nicht von langfristigen Planungen getragen sehen, sondern von dem Zwang, immer wieder neu und kurzfristig auf konkrete Herausforderungen zu reagieren. Die Erfahrungen mit der Covid-19-Pandemie könnten unser Bild nur insofern neu akzentuieren, als die Hierarchien steiler und die Handlungsspielräume der Mächtigen größer werden. Schon das allerdings brächte interessante neue Akzente in die alte Debatte!

Und vielleicht wird die gegenwärtige Erfahrung ja auch das Interesse der Mediävistik an den harten ökonomischen Grundlagen herrschaftlichen Handelns stärken? Mit der Wirtschaftsgeschichte des Früh- und Hochmittelalters beschäftigt sich heute, nach dem cultural turn, weltweit nur noch eine ziemlich überschaubare Zahl an Mediävist/innen. Im aktuellen Modell früh- und hochmittelalterlicher Staatlichkeit kommt die Ökonomie so gut wie gar nicht mehr vor. Sie wieder stärker in das Forschungsfeld zu integrieren wäre nicht nur aus den Erfahrungen mit Covid-19 heraus ein wichtiges Unterfangen – und ein lohnenswertes noch dazu!

Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu Agobard von Lyon, De grandine et tonitruis, ed. L. van Acker (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaeualis 52), Turnhout 1981, S. 3–15. hier c. XVI, S. 14 f.
[2] Vgl. Ewald Frie/Boris Nieswand, »Bedrohte Ordnungen« als Thema der Kulturwissenschaften. Zwölf Thesen zur Begründung eines Forschungsbereichs, in: Journal of Modern European History 15 (2017), S. 5–15.
[3] So in der Einladung zur Mitarbeit von Daniel Menning (E-Mail vom 4. Juni 2020).
[4] Georg Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte. 8 Bde., Kiel/Berlin 1844–1878; vgl. dazu Jürgen Weitzel, Georg Waitz (1813–1886). Deutsche Verfassungsgeschichte, in: Hauptwerke der Geschichtsschreibung, hg. v. Volker Reinhardt, Stuttgart 1997, S. 707–710.
[5] Paul von Roth, Geschichte des Beneficialwesens von den ältesten Zeiten bis ins zehnte Jahrhundert, Erlangen 1850.
[6] Heinrich von Sybel, Entstehung des deutschen Königthums, Frankfurt/Main 1844.
[7] Georg von Below, Der deutsche Staat des Mittelalters. Bd. 1: Die allgemeinen Fragen, Leipzig 1914, S. 38–190.
[8] Otto Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, Darmstadt 1973 (= Neudruck der 5. Auflage, Wien 1965, zuerst 1939; die Ausgaben der Nachkriegszeit sind deutlich gegenüber den Ausgaben von 1939 und 1941 verändert).
[9] Walter Schlesinger, Die Entstehung der Landesherrschaft. Untersuchung vorwiegend nach mitteldeutschen Quellen (Sächsische Forschungen zur Geschichte 1), Dresden 1941 [ND. Darmstadt 1964].
[10] Heinrich Dannenbauer, Adel, Burg und Herrschaft bei den Germanen, in: Historisches Jahrbuch 61 (1941), S. 1–50.
[11] Theodor Mayer, Die Entstehung des »modernen« Staates im Mittelalter und die freien Bauern, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 57 (1937), S. 210–288, hier bes. S. 210–214; ders., Adel und Bauern im Staat des deutschen Mittelalters, in: Adel und Bauern im deutschen Staat des Mittelalters, hg. v. dems., Leipzig 1943, S. 1–21, hier S. 7.
[12] Vgl. (aus der überreichen Literatur) z.B. Ernst Wolfgang Böckenförde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder (Schriften zur Verfassungsgeschichte 1), Berlin 1961; Gadi Algazi, Otto Brunner – „konkrete Ordnung“ und Sprache der Zeit. In: Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945, hg. v. Peter Schöttler (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1333), Frankfurt am Main 1997, S. 166–203; weiteres bei Steffen Patzold, Der König als Alleinherrscher? Ein Versuch über die Möglichkeit der Monarchie im Frühmittelalter, in: Monarchische Herrschaft im Altertum, hg. v. Stefan Rebenich unter Mitarbeit von Johannes Wienand (Schriften des Historischen Kollegs 94), Berlin/Boston 2016, S. 605–633.
[13] Ich nenne hier – stellvertretend für viele weitere einschlägige Beiträge – nur exemplarisch: Hagen Keller, Reichsorganisation, Herrschaftsformen und Gesellschaftsstrukturen im Regnum Teutonicum, in: Il secolo di ferro: mito e realtà del secolo X, 19–25 aprile (Settimane di studio del Centro italiano di studi sul’alto medioevo 38), Spoleto 1991, S. 159–203; Gerd Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997; ders., Inszenierte Herrschaft. Geschichtsschreibung und politisches Handeln im Mittelalter, Darmstadt 2003; Bernd Schneidmüller: Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, hg. v. Paul-Joachim Heinig u.a. Historische Forschungen 67). Berlin 2000, S. 53–87; Knut Görich, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert, Darmstadt 2001; Timothy Reuter, Assembly politics in western Europe from the eighth century to the twelfth, in: ders., Medieval polities and modern mentalities, Cambridge 2006, S. 193–216; sowie die drei Bände: Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit, hg. v. Bernhard Jussen, München 2005, S. 83–89; Staat im frühen Mittelalter, hg. v. Stuart Airlie/Walter Pohl/Helmut Reimitz (Denkschriften. Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse 334. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 11), Wien 2006; Der frühmittelalterliche Staat – europäische Perspektiven, hg. v. Walter Pohl/Veronika Wieser (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse, Denkschriften 386. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 16), Wien 2009.
[14] Vgl. Michael Borgolte, Biographie ohne Subjekt, oder wie man durch quellenfixierte Arbeit Opfer des Zeitgeistes werden kann, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 249 (1997), S. 128–141.

Zitation

Forum: Zeiterfahrung: S. Patzold: Covid-19 und die Folgen für die Mittelalterforschung, in: H-Soz-Kult, 03.12.2020, <www.hsozkult.de/debate/id/diskussionen-5079>.




[Regionalforum-Saar] Thomas P. und ich im Landesarchi v Saarbrücken.

Date: 2020/12/04 21:41:18
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Thomas P. und ich im Landesarchiv Saarbrücken.

Heute morgen war ich im Landesarchiv Saarbrücken, um mich mit ein paar alten Notariatsverträgen von der Realität abzulenken. Ich stellte mein Auto ab, ging zum verschlossenen Portal, klingelte und fragte die sich meldende Stimme am Interkom: „Bitte um Erlaubnis, an Bord zu kommen!“ Was mir gewährt wurde. Ein Mitarbeiter kam runter, öffnete die Tür und ließ mich ein.

Oben im Lesesaal erhielt ich die Akten, die vom letzten Besuch vergangenen Freitag noch übrig waren (Notar Eschrich, 1815, tolle Sachen darunter, hab einen positiven Offenkundigungsakt gefunden und eine remplacement, wo einer für einen anderen zum französischen Militär ging und nicht mehr zurückkam, und ein Inventar, wo der Dung in der Grube 10x so viel wert war wie die Kleidung der Verstorbenen. Kuhl. PS: nicht ärgern über das „wo“, ich bin Saarlänna). Erst hab ich eine Entschädigungsakte gescannt - ekliger Fall: Paul Groben aus Ottweiler hatte sich despektierlich über Hitler geäußert, was zu einer Odysee durch mehrere Konzentrationslager und zu seinem Tod im April 1945 führte; angestellt vom Großvater eines 1930 geborenen unehelichen Sohnes, der nachher von den saarländischen Amtsbürohengsten juristisch und finanziell übern Tisch gezogen wurde (eklig zweimal, am Anfang und am Schluß).

Als ich dann munter am Abpinseln der Notariatsakten bin, kommt ein anderer Mitarbeiter des Archivs, der mich aufklärt, daß letzten Montag vom Ministerium die schriftliche Anweisung kam, daß Besucher des Lesesaals ab sofort nicht nur beim Aufstehen und Umherwandern im Lesesaal, im Gang (und damit auch aufm Klo, auch wenn das wohl dort nicht drinstand), sondern auch beim Sitzen am Tisch, also beim Arbeiten, eine Maske zu tragen hätten (ob auch beim Sitzen aufm Klo, hab ich mich nicht getraut zu fragen). Ich halte das zwar für Schwachsinn, denn außer mir ist im Lesesaal nur noch ein weiterer Besucher, der sitzt am anderen Ende an den Fenstern, und die Aufsichtsperson arbeitet an der Theke hinter Glas, aber als klassischer deutscher Untertan mache ich jede noch so unsinnige Anweisung gutgelaunt mit, weil ich ja weiß, daß die ganz oben viel mehr davon verstehen, was mir guttut, als ich das je wissen können werde, und binde mir das Ding um, was Exkrement ist, weil mir jetzt die Lesebrille voll beschlägt und ich nichts mehr sehen kann. Also kommt die Lesebrille runter, die Augen zusammengepetzt, dann geht das irgendwie. Um die Kopfschmerzen heute mittag kümmere ich mich dann. Aber richtig sehen tue ich nicht, also kommt die Brille wieder drauf, dafür lugt der Riechkolben oben über die Maske, dann beschlägt auch nichts. Den Kopf stecke ich tief in die Akten, das kriegt dann keiner mit.

Eine halbe Stunde vergeht, dann ist Lüftenszeit. Die Aufsehkraft entschuldigt sich im Vorfeld und reißt dann alle Fenster auf - nur für drei Minuten, sagt sie. Gut, daß wir Spätsommer haben. Nee, ham wir nicht. Meteorologisch issesr schon Winter, und der sagt, wo’s lang geht. Die Temperatur im Raum sinkt gefühlt von irgendwo um die 20 auf die 4 Grad plus, die mein Auto heute morgen zuhause aufm Hof gemessen hat. Ich eile in die Garderobe und schlüpfe in die dicke Jacke. Den Schal um den Hals, den Hut aufn Kopf, so schlendere ich zurück auf meinen Platz und arbeite weiter. Der andere Besucher hat sich nicht gerappelt. Er sitzt direkt am offenen Fenster und macht, als ob er nichts merke. Vielleicht merkt er wirklich nichts, vielleicht ist er aber auch nur einfach nicht so ein Weichei wie ich. Aber ohne Jacke hol ich mir bei den Temparaturen die Pieps, und das führt zu Atemwegssymptomatiken (so oder so ähnlich heißt das Wort auf der langen Liste mit den „muß“en und „nicht dürfen“n, die ich im Fahrstuhl beim Rauffahren jedesmal lese), und wenn ich die habe, darf ich hier nicht mehr rein.

Nach einer weiteren halben Stunde merke ich, daß es im Raum nicht wirklich wieder wärmer geht, aber die nächste staatlich verordnete Lüftungsaktion mit jagenden Minuten näherkommt. Und dann fällt mir auf, wie saublöd das aussehen muß, wie ich da voll bekleidet rumsitze und tippe. Also beschließe ich schweren Herzens aufzuhören. Ich packe zusammen, lasse meine Kiste wegstellen und verabschiede mich mit einem „Schönes Wochenende“, obwohl es vermutlich eher ein „Schönes Restjahr“ sein wird, wenn ich konsequent bleibe und dort erst wieder hingehe, wenn die Situation wieder normal ist. Ja, ich weiß, so zu denken ist naiv, aber ich sage mir immer: Hab Sonne im Herzen, und alles wird gut.

Andererseits kann „Konsequenz“ sehr unangenehm werden, weil man sich einem höheren Ziel verpflichtet. Dafür bedarfs richtiger Helden und keiner Sommersoldaten oder Sonnenscheinpatrioten. Nicht wahr, Thomas?

Alsfassen am Abend des 4ten Xbers MMXX.

Roland Geiger


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Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

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Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
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Re: [Regionalforum-Saar] Thomas P. und ich im Landesarchi v Saarbrücken.

Date: 2020/12/06 10:22:05
From: Robert Morsch <robert.morsch(a)gmx.de>

Du kannst es und mir gefällt auch dein Stil, Roland. Hoffentlich wusste
das auch der Nikolaus zu schätzen und belohnte dich! Ciao- Robert

Am 04.12.2020 um 21:41 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar: xyz

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Re: [Regionalforum-Saar] Regionalforum-Saar Nachrichtensammlung, Band 192, Eintrag 4

Date: 2020/12/06 11:03:04
From: Paul Glass via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>


Hallo Roland,

> *Thomas P. und ich im Landesarchiv Saarbrücken.*

Herrlich, Dein Corona-Bericht! Ja, man muss auch solche Erlebnisse für die Nachwelt hüten ... ;-) Und danke für die Vorwarnung, denn ich habe demnächst zwei Archivtage im LA SB vor mir ...

Genau die gleichen Erfahrungen habe ich Anfang November bei einem zweitägigen Besuch im Staatsarchiv Landshut gemacht. Nur zu zweit im riesigen Lesesaal (plus hinter Spuckschutz residierende Aufsicht)und weit auseinander platziert, aber dennoch die Verpflichtung, durchgängig mit Maske zu arbeiten. Und ich war, um die Zeit in der Ferne zu nutzen, einmal 6 und das andere Mal 7 1/2 Stunden zu Gange. Da nervt die Maske, aber noch mehr hat mich die Kälte genervt, die beim Lüften alle halbe Stunde entstand. Ich bin am ersten Tag direkt nach meiner »Schichte«, ganz gegen meine Überzeugung, in eine meinem Hotel benachbarte Filiale einer Billig-Textilkette gegangen und habe mir einen warmen Pullover für den zweiten Archivtag gekauft, weil auch ich befürchten musste, mich ansonsten heftig zu erkälten. Aber was macht man nicht alles für die Wissenschaft! ;-)

Dir und allen anderen eifrigen Archivgängern trotzdem viel Vergnügen und vor allem reichliche Ausbeute! Nichts wäre schlimmer fast erfroren zu sein für nix und wieder nix ... ;-)

Schöne Grüße aus dem Schwäbisch-Fränkischen Wald ins Saarland,

Paul


[Regionalforum-Saar] Entnazifizierungsgeschichten. Di e Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit in der fr ühen Nachkriegszeit

Date: 2020/12/06 23:09:14
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Entnazifizierungsgeschichten. Die Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit in der frühen Nachkriegszeit

Autor Hanne Leßau
Erschienen in Göttingen 2020: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten 526 S.
Preis € 46,00
ISBN 978-3-8353-3514-1

Inhalt => meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-58427.pdf

Rezensiert für H-Soz-Kult von Stefanie Rauch, Institute of Advanced Studies, University College London

Die frühe Nachkriegszeit ab 1945 rückt seit einigen Jahren wieder vermehrt ins Blickfeld. In dieser historischen Phase füllten mindestens 16 Millionen Deutsche im Rahmen der Entnazifizierung einen Fragebogen aus, davon 13 Millionen in den amerikanisch besetzten Gebieten (S. 78f.). Hanne Leßaus an der Ruhr-Universität Bochum entstandene Dissertation analysiert die Entnazifizierung als Auseinandersetzung von Deutschen nicht nur mit den Behörden, sondern auch mit der eigenen Vergangenheit. Die Autorin leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Nachkriegsgeschichte und des Umgangs mit dem Nationalsozialismus.

Die Deutungen ihrer Vergangenheit, die Deutsche in dieser Zeit entwarfen, hätten sowohl im ersten Jahrzehnt nach dem Ende des Krieges als auch darüber hinaus „das Sprechen über das eigene Leben während des Nationalsozialismus“ (S. 13) in der Öffentlichkeit und ebenso im Privaten geprägt. Mit einem erfahrungsgeschichtlichen Zugang fragt Leßau danach, wie sich Deutsche auf ihre Entnazifizierung vorbereiteten, welche Gespräche und auch Auseinandersetzungen sie mit Bekannten oder Verwandten führten und welche Auswirkungen das Verfahren und das jeweilige Ergebnis auf sie hatten. Anhand des Beispiels Nordrhein-Westfalen konzentriert sich Leßau auf die bislang untererforschte britische Besatzungszone. Dazu dient ihr eine Zufallsstichprobe von 800 Fällen aus unterschiedlichen Berufsgruppen und sozioökonomischen Schichten. Anhand von Fallakten, Tagebüchern, Notizzetteln, Briefen und Zeitungsartikeln wird erörtert, wie sich Deutsche durch die Praxis der Entnazifizierung vom Nationalsozialismus distanzierten.

Nach dem einführenden Überblick umreißt das zweite Kapitel die Entwicklung des Fragebogens und bietet eine nützliche Synthese der Forschung auf diesem Gebiet. Leßau legt eindrücklich dar, wie sich die Erwartungshorizonte der Befragten unterschieden. Das Ausfüllen des Fragebogens war dabei keineswegs nur eine lästige Pflichtübung. Das Verfahren war aufwendig, und die Befragten mussten sich bei ihren Recherchen aktiv mit der eigenen Vergangenheit beschäftigen. So erfolgte auch eine Deutung der eigenen Rolle im Nationalsozialismus (S. 94). Der Autorin geht es explizit nicht um den „Nachweis objektiver Falschaussagen“, sondern um die „subjektive Wahrhaftigkeit der Entnazifizierungsgeschichten“ (S. 34). Sie stellt aber heraus, dass gezielte Falschauskünfte kein Massenphänomen gewesen seien. Nicht zuletzt wussten Befragte nicht, inwieweit ihre Angaben automatisch überprüft würden, und Zeitungsberichte über die Ahndung von Falschaussagen hatten vermutlich eine abschreckende Wirkung (S. 106–108). Viele der Befragten gaben sich Mühe, belastende Angaben zu erklären. Aber sie mussten auch selbst an ihre Ausführungen glauben können (S. 118f.). Leßau stuft den „subjektiven“ Wahrheitsgehalt daher als hoch ein.

Das dritte Kapitel zielt auf eine „Neubewertung“ (S. 123) insbesondere der Entlastungsbescheinigungen ab. Die meisten Leumundszeugnisse wurden von Personen im Bekannten- und Freundeskreis ausgestellt, oder von KollegInnen; nur ein kleiner Teil dagegen von Institutionen, ehemaligen Verfolgten oder gar seriellen EntlastungsschreiberInnen. Leßau zeigt, dass die historische Bewertung der sogenannten „Persilscheine“ oft auf Spekulation und dem Generalisieren von Einzelbeispielen basiert (S. 140). Die Bitte um ein Entlastungsschreiben war vielen zu überprüfenden Personen unangenehm und führte nicht in allen Fällen zum Ziel. Die zu Überprüfenden konnten die AdressatInnen nicht immer von ihrer Sicht auf die eigene NS-Vergangenheit überzeugen. Leßau betont, dass die Zeugnisse gemeinsam ausgehandelte Verfertigungen waren, deren „Erzählprinzipien“ (S. 180) vor allem auf der Darstellung einzelner Ereignisse beruhten. Die Episoden galten entweder als exemplarisch – als Ausdruck von Charaktereigenschaften –, oder sie standen im Zusammenhang einer breiteren Darstellung, wie sich der oder die zu Überprüfende zum Nationalsozialismus verhalten habe.

Im vierten Kapitel arbeitet Leßau die Bedeutung des biografischen Erzählens für die Distanzierung vom Nationalsozialismus heraus. Ein besonderes Merkmal war die Unterscheidung zwischen äußeren Beweggründen und innerer Haltung. Gestützt auf Moritz Föllmers Forschungen zu Individualität und Moderne argumentiert Leßau, dass die von den Alliierten und von deutschen Widerstandszirkeln vertretene Deutung des Nationalsozialismus als kollektivistisch und antiindividualistisch auch durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft aufgegriffen wurde. So lasse sich die Betonung individueller, innerer Integrität in den Entnazifizierungsgeschichten erklären. Indessen zeige das Themenspektrum „eine spezifische historische Erfahrung“ in den Jahren 1933–1945 (S. 234). Die Hauptthemenbereiche waren Äußerungen von Kritik, Konflikte mit der Partei oder deren Funktionären und die Weigerung, das eigene Leben an den Nationalsozialismus anzupassen (S. 235). Leßau nimmt an, dass es sich mitunter um Schutzbehauptungen handelte, die aber auf tatsächlich gemachten Erfahrungen in den 1930er-Jahren beruhten und einen „starken Wirklichkeitsbezug“ besaßen (S. 251). In der Nachkriegszeit wurden jene „Uneindeutigkeiten“, die die eigene Zuordnung zum NS-Regime erst ermöglicht hatten, zu grundsätzlicher Distanz uminterpretiert (S. 252). Abgesehen von den Novemberpogromen 1938 oder dem Boykott jüdischer Geschäfte fanden die NS-Verbrechen und auch die Kriegsjahre dagegen kaum Erwähnung. Neben den strategischen Gründen lag dies laut Leßau unter anderem daran, dass die Gewalt in den 1940er-Jahren keine direkte Positionierung der Deutschen zum Nationalsozialismus gefordert habe. Dem könnte man durchaus widersprechen. Millionen wurden Zeugen von Gewalt oder waren selbst daran beteiligt, nahmen sie aber nicht immer als Unrecht wahr. Es liegt nahe, dass sich zu Überprüfende nach 1945 vor allem nicht selbst belasten wollten. Die Entpolitisierung der Kriegsjahre in den Nachkriegsgeschichten würde ebenso eine genauere Untersuchung verdienen.

Leßau zeigt im fünften Kapitel, wie das Verfahren in der britischen Zone, das nicht auf einem zentralen Rechtstext basierte, der Logik von Verwaltungsvorgängen folgte und bis Ende 1947 nicht öffentlich einsehbar war, sich auf die zu Überprüfenden auswirkte. Zwar sei das Verfahren weitaus ambitionierter gewesen als gemeinhin anerkannt wird, aber es mangelte an einheitlichen Richtlinien, an Effizienz und Gleichbehandlung. Die zu Überprüfenden versuchten daher, sich auf informellen Wegen Informationen zu beschaffen, die aber fragmentarisch und unverbindlich blieben. Für die insgesamt milde Entscheidungspraxis sei ausschlaggebend gewesen, dass auch die Ausschussmitglieder in ihrer Bewertung zwischen formalen, äußeren Kriterien und innerer Haltung trennten. In den Berufungsverfahren kamen erstmals juristische Prinzipien zum Einsatz, oftmals zu Gunsten der zu Überprüfenden, die nun auch wussten, was ihnen vorgeworfen wurde, und einen Rechtsbeistand hinzuziehen konnten. Die Überprüfung und Entnazifizierung aufgrund formaler Belastung trat so in den Hintergrund. Die Selbstdarstellungen der zu Überprüfenden änderten sich dadurch auch. Sie ähnelten nun den Schreiben in der amerikanischen Zone, wo das Verfahren von Anfang an juristisch geprägt war. Aber auch in den Berufungsverfahren betonten die zu Überprüfenden Individualität und Distanz zum „kollektivistischen Zwangssystem“ des Nationalsozialismus (S. 391). Bei den Darstellungen handelte es sich um „zugleich rechtliche als auch biografische Deutungen“ (S. 397).

Im sechsten Kapitel argumentiert die Autorin, dass die „Entnazifizierungsgeschichten“ nach dem offiziellen Ende der Entnazifizierung eine fortdauernde Wirkung hatten. Anhand der Berichte einer Feldstudie des Instituts für Sozialforschung aus den 1950er-Jahren konstatiert sie eine nachhaltige Prägung der Überprüften durch die Entnazifizierungsgeschichten, insbesondere die Distanzierung vom Nationalsozialismus. Leßau zufolge handelte es sich weder um eine rein verbale Abgrenzung vom Nationalsozialismus, noch änderten sich die Einstellungen der Überprüften. Vielmehr habe eine Umdeutung der eigenen Vergangenheit stattgefunden, die Kontinuität ermöglichte (S. 457). Allerdings werden hier im Vergleich zu den Interpretationen der vorangehenden Kapitel weder die Studie und ihre ProtagonistInnen noch die 1950er-Jahre hinreichend kontextualisiert. So bleiben die Fragehorizonte und die gemeinsame Verfertigung von Interviews weitgehend außen vor. Dieser Teil des Buches ist insofern weniger systematisch und fundiert. Leßaus zentrales Argument, dass die Entnazifizierungsgeschichten „langfristig zur Distanzierung zahlreicher Deutscher vom Nationalsozialismus“ beitrugen (S. 457), klingt zwar schlüssig, bedarf aber weiterer Studien, die sich speziell diesem Thema widmen und sich auf eine breitere Quellenbasis stützen.

Die anschauliche Diskussion einer Erinnerungsschrift aus den 1960er-Jahren, verfasst von einem Mann, dessen Entnazifizierungsgeschichte Leßau zuvor behandelt hat, lässt offen, warum nicht zumindest punktuell auch Akten aus der NS-Zeit einbezogen wurden. Leßau plädiert dafür, Entnazifizierungsgeschichten als Ego-Dokumente ernstzunehmen und sie nicht nur auf historischen Wahrheitsgehalt zu untersuchen. Allerdings wäre der Rückbezug zur NS-Geschichte zumindest hier von Interesse: Die Abkehr vom Nationalsozialismus und der Übergang zur Demokratie lassen sich besser einordnen, wenn man auch das Verhalten einer Person während der NS-Zeit betrachtet. Gerade im Gebiet des neuen Landes Nordrhein-Westfalen waren die Entnazifizierungsverfahren außerdem nicht der erste Kontakt mit der alliierten Besatzung, die bereits ab Herbst 1944 ins Rheinland eingerückt war und Tausende von Deutschen noch vor Kriegsende verhört hatte. Eine Einordnung der Entnazifizierung in diesen breiteren Kontext steht noch aus. Des Weiteren wäre es interessant gewesen, herauszuarbeiten, inwieweit sich öffentliche Diskussionen, etwa im Zuge der Nürnberger Prozesse oder der Berichterstattungen zur Entnazifizierung in der amerikanischen Besatzungszone, in der Kommunikation und den Eingaben widerspiegeln.

Leßaus These, dass der Entnazifizierungsprozess zur Distanzierung vom Nationalsozialismus beigetragen habe, ist überzeugend und gibt der Forschung wichtige Impulse, lässt sie doch die Nachkriegszeit und die „Umerziehung“ der Deutschen in einem neuen Licht erscheinen, jenseits der bloßen Frage nach „Scheitern“ oder „Erfolg“. Die Rahmung der Entnazifizierungsvorgänge als Kommunikationsprozesse gibt Einblicke in ein Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte, das vielen schon als ausgeforscht galt. Leßau zeigt, wie sich das gegenwärtige Interesse an Erfahrungswelten, Handlungsspielräumen und Erzählmustern auch produktiv auf die frühe Nachkriegszeit anwenden lässt. Künftige Studien zu den anderen Besatzungszonen, zu regionalen Unterschieden und zu Österreich werden diese Impulse hoffentlich aufgreifen.

Als Mittel zur Personalsäuberung, die verhindern sollte, dass ehemalige Parteimitglieder und FunktionärInnen den Aufbau der deutschen Nachkriegsgesellschaft mitgestalten konnten, ist die Entnazifizierung gewiss gescheitert – dabei bleibt es. Aber Hanne Leßau zeigt in ihrer gründlichen Studie, dass die Entnazifizierung de facto als Mittel der Auseinandersetzung und „Umerziehung“ wirkte, die es Millionen von Deutschen ermöglichte, ihr Leben vor 1945 nach dem Ende des Krieges an die Demokratie anzuschließen. Bis heute prägt „die diskursive Umwertung der Beziehung zwischen Einzelnem und NS-Regime, die am Ende des Krieges eingesetzt hatte“ (S. 480), die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit.

Zitation
Stefanie Rauch: Rezension zu: Leßau, Hanne: Entnazifizierungsgeschichten. Die Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit in der frühen Nachkriegszeit. Göttingen  2020. ISBN 978-3-8353-3514-1, In: H-Soz-Kult, 07.12.2020, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-29575>.

[Regionalforum-Saar] Ex Mandato. C. Kohl

Date: 2020/12/07 17:59:49
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Abend,

manch einer von Ihnen, der sich mit Schriftstücken an das Erzbischöfliche Generalvikariat in Trier im letzten Viertel des 18ten Jahrhundert herumgeschlagen hat, wird auf die Unterschrift „Ex Mandato. C. Kohl“ gestoßen sein.

Dabei handelt es sich um diesen Herrn:

Christian Eugen Kohl
* 13.01.1747 Rheinbrohl
Sohn von Johann Kohl und Maria Christina Etscheid

geweiht 22.9.1770 Trier
Kanoniker am St. Simeon Stift in Trier
Geistlicher Rat, Sekretär des Erzbischöf. Generalvikariats
1816 nachweislich pensioniert, wohnt in Hönningen

Weltklerus d. Bistums Trier, seit 1800
Trier 1941, Paulinus-Druckerei

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger, St. Wendel


[Regionalforum-Saar] 1652

Date: 2020/12/07 20:27:55
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Abend,

die folgende Besprechung betrifft ein Buch, das in englischer Sprache verfaßt ist. Die Chance, daß es jemand von uns liest, ist relativ gering. Aber ich fand den Rezensionstext per se interessant, weil er relativ stark auf das Thema eingeht.

Roland Geiger

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Autor David Parrott
Erschienen Oxford 2020: Oxford University Press
Anzahl Seiten 336 S.
Preis £ 65.00
ISBN 9780198797463


Rezensiert für H-Soz-Kult von Lars Behrisch, Universität Utrecht

Der Titel ist ein wenig reißerisch zugespitzt, doch zum Bestseller taugt diese ebenso akribische wie analytisch fundierte Darstellung des bei Weitem dramatischsten Jahrs im Bürgerkrieg der Fronde (1648–1653) nicht. David Parrott, bester Kenner der französischen Militärgeschichte des 17. Jahrhunderts, unternimmt hier eine Neubewertung der Ereignisse in dreierlei Hinsicht: Erstens legt er den Akzent auf den bisher weniger untersuchten späteren Abschnitt der Fronde, die oft als fronde des princes bezeichnet wird (er gebraucht den Ausdruck allerdings nicht) – im Gegensatz zur fronde parlementaire von 1648–1649. Zweitens, damit verbunden, möchte er die Fronde stärker im Hinblick auf ihre Folgen als von ihrer Vorgeschichte her interpretieren. Drittens und vor allem geht es ihm – wiederum mit der Frage nach ihren Wirkungen verknüpft – um eine grundsätzliche Neubewertung: Entgegen der dominierenden Interpretation als eines letzten Aufbäumens traditionaler, vor allem (hoch-)aristokratischer Kräfte gegen den letztlich siegreichen zentralistischen Absolutismus zeichnet Parrot eine Konfrontation nach, die zum einen auf allen Seiten ausschließlich persönlichen und faktionalen Interessen gehorchte und deren Folge zum anderen nicht eine Konsolidierung königlicher Macht war, sondern im Gegenteil eine weitere Verfestigung jener egoistisch-klientelären Machtstrukturen und damit – für das Land als Ganzes – der gewissenlosen, ja brutalen Ausbeutung seiner Ressourcen und Bewohner/innen. An die Stelle von Staatsbildungsszenarien, aber auch von Adels- und Ritterromantik tritt das Bild eines zutiefst korrupten, ja skrupellosen (überwiegend hochadligen) Machtkartells, dessen Mitglieder um Gewinn und Prestige kämpften – wenn nötig, bis aufs Blut.

Dieses Verdikt betrifft zuvörderst die knapp zwei Jahrzehnte (1643–1661), in denen anstelle des minderjährigen bzw. jugendlichen Ludwig XIV. die Regierung maßgeblich von Kardinal Mazarin, dem Favoriten der spanischen Königinmutter Anna von Österreich, geleitet wurde. Der tiefe Abscheu, den Parrott für diesen Mann hegt, der mit allen erdenklichen Mitteln an seiner Macht festhielt und zugleich das größte Privatvermögen zusammenraffte, das es im frühneuzeitlichen Frankreich (wenn nicht: Europa) jemals gab, und ebenso die Eloquenz, mit der er seinen Abscheu ausdrückt, stehen den zeitgenössischen Mazarinades in nichts nach, deren hasserfüllte Polemik bis zur Revolution ihresgleichen suchte. Diese waren zunächst der Begleittext der „parlamentarischen“ Fronde von Mai 1648 bis März 1649, in der sich das parlement von Paris und weitere oberste Gerichtshöfe des Landes den Steuerdekreten des Kardinals widersetzten und sich zugleich mit den Stadtbewohner/innen solidarisierten. Dies endete mit der militärischen Blockade von Paris sowie anschließend der zumindest vordergründig gütlichen Einigung zwischen den Parteien.

Angesichts der relativen Ereignislosigkeit zwischen Frühjahr 1649 und Herbst 1651 (und den anschließend anders gelagerten Frontlinien) ist es fraglich, ob man sinnvoll von „der“ Fronde reden kann. Entscheidend für die Gewalteruption des Jahres 1652 war während dieser Jahre, dass die sich schon 1648/49 abzeichnende Gegnerschaft auch von Mitgliedern des Hochadels gegen Kardinal Mazarin nun im ersten Prinzen von Geblüt, Louis II de Bourbon-Condé – dem Grand Condé – einen durch seine Geburt wie sein militärisches Talent erstklassigen Anführer erhielt. Hatte Condé Anfang 1649 noch die Blockade von Paris geleitet und damit Mazarins Macht wiederhergestellt, so überwarf er sich im Laufe desselben Jahres mit dem Kardinal und wurde sein erbittertster Gegner – der notorischste der vielen Seitenwechsel in der Fronde. Während des gesamten Folgejahrs zusammen mit seinem jüngeren Bruder, dem Prince de Conti, von Mazarin eingekerkert, wurde er im Februar 1651 unter dem massiven Druck des Pariser Parlaments sowie vieler Hochadliger entlassen – während nun umgekehrt Mazarin für knapp ein Jahr ins kurkölnische Exil gehen musste. Einer der Verteidiger des Prinzen – und eine zentrale Figur der weiteren Ereignisse – war Gaston d’Orléans, der Onkel des Königs, zu Lebzeiten seines Bruders Ludwig XIII. selbst ein notorischer Verschwörer und gewissermaßen Frondeur avant la lettre.

So wenig es verwundert, dass der allseits verhasste Mazarin gegen eine ebenso breite wie hoch- und höchstrangige Opposition außer Landes gehen musste, so sehr muss es erstaunen, dass der von ihr weitgehend als Anführer anerkannte Condé das entstandene politische Vakuum nicht ausfüllen konnte. Doch Parrotts Charakterisierung seines zweiten Protagonisten lässt an Deutlichkeit ebenso wenig zu wünschen übrig wie die des Kardinals – und auch für den Prinzen hegt er keinerlei Sympathie: Bewundert für sein militärisches Genie und Charisma, war Condé zugleich gefürchtet für seinen Jähzorn und seine Eitelkeit; zudem betrachtete er sich als durch Geburt allen Mitmenschen unendlich überlegen und ließ sie dies jederzeit wissen. Wo Mazarin größtes Geschick im Aufbauen von Netzwerken und Allianzen besaß – oft mittels gewaltiger Summen an Geld –, zerstörte Condé im Handumdrehen jede Sympathie, Gefolgschaft und Allianz. Er war nicht fähig oder willens, Loyalitäten zu belohnen, Konflikte zu schlichten oder gar Kompromisse einzugehen. So verspielte er sein riesiges politisches Kapital am Hof und in der Hauptstadt binnen eines halben Jahres. Kurz nachdem er der feierlichen Erklärung von Ludwigs Volljährigkeit ferngeblieben war, begab er sich im September 1651 in den Südwesten des Landes, um von hier aus – mit spanischer Unterstützung – für die ihm seiner Meinung nach zustehende Stellung am Hof und im Staat sowie gegen seine vermeintlichen (oder inzwischen auch wirklich existierenden) Gegner mit dem vom ihm bevorzugten und ihm am meisten liegenden Mittel vorzugehen: dem bewaffneten Kampf.

Ebenso minutiös wie spannend schildert Parrott die sich nun entfaltenden, überaus komplexen militärischen, politischen und diplomatischen Ereignisse zwischen Ende 1651, als Mazarins eigenmächtige Rückkehr aus dem Exil die zunächst wenig erfolgreiche Rebellion Condés zur landesweiten militärischen Auseinandersetzung eskalieren ließ, und Anfang 1653, als Condé sich nach ebenso vielen militärischen Erfolgen – die ihn für ein halbes Jahr in den Besitz der Hauptstadt brachten – wie politischen Fehlentscheidungen (und dem massacre de l’Hôtel de Ville, bei dem im Juli 1652 an die 100 Mitglieder der Pariser Führungsschicht ums Leben kamen) nun an die andere (nordöstliche) Peripherie des Landes sowie endgültig in spanische Waffenbrüderschaft brachte – und so Mazarin die Rückkehr nach Paris und in die Regierung bescherte.

Einige Punkte, die Parrott besonders wichtig sind, seien genannt. Zunächst handelte es sich nicht eindeutig um „Sieg“ und „Niederlage“, ja ist kaum auszumachen, ob und wann die Fronde überhaupt beendet war: Weder konnte sich Mazarin nun ohne Weiteres behaupten – alle Gefolgschaft musste er seither durch die Verleihung von Titeln und die Vergabe von Pfründen teuer erkaufen –, noch war Condé aus dem Feld geschlagen: Weit davon entfernt, aufzugeben, zog er es einem auch noch so ehrenhaften Kompromiss mit dem Gegner vor, als Condottiere durch die Lande zu ziehen. Seine Allianz mit Spanien trug dabei nicht wenig dazu bei, dass die aufgrund der Fronde 1652 wieder verlorenen militärischen Gewinne der 1640er-Jahre – darunter namentlich Dünkirchen, Barcelona und Casale di Monferrato – nicht mehr zurückerobert wurden und der Pyrenäenfrieden von 1659 hinter manchen der Gebietsgewinne zurückbleiben sollte, die bis 1648 erzielt worden waren (immerhin ermöglichte er nun die Aussöhnung Condés mit der Krone).

Weit schwerer aber wog die innere Ausblutung des Landes infolge der Fronde und insbesondere der Kämpfe von 1652. In einem Kapitel zu den Verheerungen dieses Kriegsjahres – dramaturgisch geschickt zwischen die Ereignisschilderungen eingeschoben – beschreibt Parrott die katastrophale Verquickung von klimatisch bedingten Wetterextremen und Ernteausfällen in den unmittelbar vorausgehenden Jahren mit der systematischen Ausplünderung, ja der teilweise gezielten Verheerung weiter Teile des Landes. Parrott zufolge glich die Kriegsführung von 1652 den Szenarien des späten Dreißigjährigen Krieges viel eher als dem englischen Bürgerkrieg; in primär betroffenen Regionen, insbesondere dem Pariser Becken, lag der Bevölkerungsverlust durch Krieg, Hunger und Seuchen mit bis zu einem Viertel kaum unter der Bilanz des deutschen Krieges – und dies nach einem einzigen Jahr! Nur wenige Regionen im Norden (Bretagne, Normandie) und im Osten (Burgund, Dauphiné) blieben von den Folgen des Bürgerkriegs weitgehend verschont.

Für die folgenden Jahre zeichnet Parrott im letzten Kapitel das Bild eines „vergifteten Jahrzehnts“ („cankered decade“) und einer politischen Kultur, aus der alle Wert- und Autoritätsvorstellungen entwichen waren: Nach dem Vorbild und unter Anleitung Mazarins verkam Politik zu einem ungenierten und aggressiven Geschacher um Titel und Einnahmen. Alle Unterstützung und jeden Verzicht auf Widerstand gegen ihn beglich der Kardinal durch den Ausverkauf der materiellen und symbolischen Ressourcen des Staates (sofern er sie nicht für sich selbst vereinnahmte). Selbst Inhaber subalterner Gouverneursposten drohten damit, sich Condé und Spanien anzuschließen, wenn ihren Forderungen nach Posten, Titeln und Geld nicht nachgegeben werde. Die Folge war – neben der Verrohung der politischen Umgangsformen und der materiellen Ausbeutung des Landes – eine Titelinflation, die die Ansprüche immer weiter in die Höhe trieb und eine „hyper-inflation of expectations“ erzeugte (S. 261), die je länger, desto weniger zu befriedigen waren und das Land zu Ende der 1650er-Jahre erneut an den Rand der Kriseneskalation brachten. Ludwig XIV. erbte 1661 ein vielfach ruiniertes Land: Parrott beschließt sein Werk mit Zitaten aus dessen Memoiren, die andeuten, wie sehr der nachmalige „Sonnenkönig“ unter Mazarins Herrschaft gelitten, es aber nicht gewagt hatte, ihn abzusetzen. Dieses Thema wird in Parrotts angekündigter Monographie zu jenem „vergifteten Jahrzehnt“ sicher noch gehörig vertieft werden.

Zitation

Lars Behrisch: Rezension zu: Parrott, David: 1652. The Cardinal, the Prince, and the Crisis of the 'Fronde'. Oxford  2020. ISBN 9780198797463, In: H-Soz-Kult, 08.12.2020, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-50121>.


[Regionalforum-Saar] Acht Tage im Mai. Die letzte Woche des Dritten Reiches

Date: 2020/12/10 12:42:06
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Acht Tage im Mai. Die letzte Woche des Dritten Reiches

AutorVolker Ullrich
Erschienen München 2020: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten 317 S.
Preis € 24,00
ISBN 978-3-406-74985-8

Rezensiert für H-Soz-Kult von Sabine Kittel, Institut für Stadtgeschichte, Gelsenkirchen

Mit seinem neuesten Buch nimmt der langjährige Ressortleiter der ZEIT und Hitler-Biograf Volker Ullrich „Die letzte Woche des Dritten Reiches“ in den Blick. Dafür hat er aus einer Vielzahl an mitunter bereits veröffentlichten Tagebüchern, Briefen und biografischen Erinnerungen, darunter auch publizierte Erinnerungsberichte einstiger Hitler-Getreuer, einen dichten Text gewoben, in den er auch die breite Forschungsliteratur hat miteinfließen lassen. Keine Frage, Ullrich kennt sein Material und versteht es, für das historisch interessierte Publikum flüssig die Ereignisse jener Mai-Tage 1945 und das Kriegsende selbst breit aufzuarbeiten. Dabei ist er darum bestrebt, „das Nebeneinander widersprüchlichster Empfindungen und Gefühle“ (S. 14) zu zeigen.

In seinem Prolog beschreibt er zunächst detailreich die Ereignisse am 30. April 1945: Adolf Hitler verabschiedet sich von seinen engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die gespenstischen letzten Stunden im „Führerbunker“ werden etwa durch seine Sekretärin Traudl Junge beschrieben. Und auch Hitlers Kammerdiener Heinz Linge, der die Leichname von Hitler und seiner zuvor angetrauten Ehefrau Eva Braun verbrannte, kommt zu Wort. Diese zuvor schon häufig beschriebenen Szenen dienen auch Ullrich als Einstieg in das Ende. Sodann schwenkt er auf die oberirdischen Ereignisse um: die Eroberung Berlins durch die sowjetische Armee einschließlich des berühmten Hissens der sowjetischen Fahne auf dem Reichstag, das am 2. Mai fotografisch nachgestellt wurde. Mit der Beschreibung der Besetzung Münchens durch US-amerikanische Truppen, der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau und der telegrafischen Benennung von Großadmiral Karl Dönitz als Nachfolger Hitlers beginnt der Mai.

Ullrich lässt das 1. Mai-Kapitel in Berlin beginnen. Die Stadt ist inzwischen von den Truppen der sowjetischen Armee eingenommen, die Gruppe im Führerhauptquartier berät über eine Teilkapitulation der Wehrmacht, um Heeresgruppen und Flüchtlinge an der Ostfront zu retten. Großadmiral Dönitz’ Rede im Radio und die Nachricht des „Heldentods“ von Adolf Hitler kontrastiert Ullrich mit Kommentaren aus verschiedenen Tagebüchern: spöttisch der Schriftsteller Erich Kästner – „Der Mann an der Drehorgel hat gewechselt“ – oder fassungslos deutsche Generäle in britischer Kriegsgefangenschaft, die Dönitz „als Rindvieh“ bezeichnen, hochbewegt die Journalistin Ursula von Kardorff, die das Deutschlandlied wieder mit „Sentimentalität“ hört (S. 41f.). Stilmittel der Publikation ist das Aneinandersetzen solcherart persönlicher Einblicke, deren Entstehungszusammenhang kaum erläutert wird. Die Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Ereignisse – die Freude über das Ende auf der einen Seite, Verzweiflung, Fanatismus und Entsetzen auf der anderen – macht er anhand der Beschreibung des massenhaften Suizids in Demmin, einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern deutlich. Hier nutzt Ullrich historische Forschungserkenntnisse. Auch wenn die tatsächliche Zahl der Selbsttötungen nicht eindeutig geklärt ist, kann von mindestens 900 Menschen ausgegangen werden, vor allem Frauen und Kinder, die die antisowjetische Propaganda, aber auch die plündernden und marodierenden Soldaten in kollektive Panik versetzt hatte. Viele Frauen hatten offenbar auch Vergewaltigung am eigenen Leibe erlebt. Die Tagebuchnotiz einer Lehrerin, „Freitote, am Sinn des Lebens irre geworden“ (S. 49), irritiert hier, soll aber vermutlich das Grauen auf einen Punkt bringen.

Anhand des 2. Mai 1945 beschreibt Ullrich die definitive „Entzauberung“ Hitlers. Hierfür zitiert er bekannte Hitler-Gegnerinnen wie etwa Ruth Andreas-Friedrich und aus den „Berliner Aufzeichnungen 1945“ von Karla Höcker, die im Luftschutzkeller vom Tod Hitlers erfährt. Ihr zufolge kommentiert eine Frau nüchtern „na denn is ja jut“ und erntet dafür „dünnes Gelächter“ (S. 62). „Ein Großer“ sei „von dieser Welt gegangen“ schreibt dagegen zeitgleich der Chefredakteur der Hamburger Zeitung in einem Nachruf (S. 63). Mit der inneren Leere, die der 16-jährige Hitlerjunge Lothar Loewe verspürt, stellt Ullrich eine weitere Facette der Gefühle dieser Nachkriegstage dar. Rund um den 2. Mai erzählt Ullrich auch vom Zerfall der „Volksgemeinschaft“, der Rückkehr der Politemigranten aus Moskau, über die militärischen Entwicklungen und die Verhaftung Wernher von Brauns; hier fasst der Historiker die Ereignisse auf Basis der Forschungsliteratur zusammen. Am Ende des Kapitels lässt er auch Victor Klemperer zu Wort kommen, dessen Tagebuchnotizen die Gefühle der Befreiung wiedergeben.

Durch Montage der unterschiedlichsten zeitgenössischen Beobachtungen und historischen Erkenntnisse bietet der Historiker den Lesenden ein buntes Panorama an Ereignissen dieser ersten Mai-Woche 1945. Die Auswahl der Themen fügt sich zwar der groben Chronologie, scheint häufig aber vor allem mit Blick auf eine innere Dramaturgie erfolgt zu sein. Die Massenvergewaltigung von Frauen durch Soldaten der Roten Armee etwa thematisiert Ullrich umfassend im Kapitel zum 3. Mai 1945, auch wenn unklar bleibt, weshalb die kriegsbedingte sexuelle Gewalt just für diesen Tag abgehandelt wird. Hier diskutiert Ullrich zudem das Tagebuch der „Anonyma“, eine in der Vergangenheit schon oft hinterfragte Quelle, deren Authentizität er prüft und bestätigt. Die Besetzung des Obersalzbergs durch die US-amerikanische Armee setzt er im Kapitel des 4. Mai 1945 in Szene, behandelt umfassend auch die Geschichte und Gesellschaft auf Hitlers privatem Wohnsitz, dem Berghof. An jenem 4. Mai 1945 beschreibt Klaus Mann in einem Brief an seinen Vater Thomas das einstige Reich Hitlers als einen „Trümmerhaufen. Sonst ist nichts mehr da“ (S. 128). Am selben Tag wird Ullrichs Darstellung zufolge Konrad Adenauer als Oberbürgermeister von Köln eingesetzt und der junge Offizier Helmut Schmidt notiert im britischen Kriegsgefangenenlager in seinem Taschenkalender Gedanken über das Kriegsende. Die KZ-Häftlinge von Dachau finden in diesem Kapitel ebenfalls Erwähnung, ihre Befreiung fand jedoch bereits Ende April 1945 statt. Doch diese Spitzfindigkeit nur am Rande.

Volker Ullrich verbindet auf diese Weise „Endzeitstimmung“ und „Aufbruchstimmung“ (S. 14) als parallele Erfahrungswelten. Dies kombiniert er besonders gut im Kapitel zum 5. Mai 1945, in dem das hektische Festhalten der NS-Elite an ihrer Macht und die Situation der befreiten KZ-Häftlinge und Displaced Persons nebeneinander beschrieben werden. Dass dabei auch die Biografie Simon Wiesenthals ausführlich wiedergegeben wird, irritiert und verwirrt. Einmal mehr vermischen sich Daten und Zeitpunkte mit den Vor- und Nachgeschichten. Der Eindruck verdichtet sich, dass es Ullrich nur vordergründig um die Ereignisse jener Mai-Woche geht und diese lediglich als Anker dienen, um so viel wie möglich über die NS-Zeit zu erzählen. Ullrich ist mit seiner Montage zudem allzu oft an der Oberfläche oder im Plakativen verhaftet. Er mag nicht wirklich ergründen, was einem sein Material über den ersten Blick hinaus zu erzählen vermag. So gerät beispielsweise seine Thematisierung des inzwischen weithin bekannten Fotos der US-amerikanischen Fotojournalistin Lee Miller in der Badewanne von Hitlers Münchener Wohnung, fotografiert von ihrem Kollegen David Scherman, viel zu kurz. Ullrich nutzt das Bild lediglich als Illustration und Schnappschuss, um Miller eine „makabre Inszenierung“ zu unterstellen, die sich aus dem „Überschwang des Triumphgefühls“ (S. 127) ergeben habe. Hier hätte man sich mehr über die Entstehungsgeschichte des Bildes gewünscht, das an jenem Tag in großer Eile entstanden war (auch Scherman ließ sich übrigens in der Badewanne fotografieren). Auch die Geschichte von Lee Miller selbst hätte etwas mehr Hintergrund verdient, beendete sie doch nach ihrer Rückkehr aus Deutschland ihre Karriere als Fotojournalistin – und dies wohl aufgrund ihrer Erfahrungen als Fotografin der befreiten Konzentrationslager Dachau und Buchenwald.

Neben den skizzierten Einwänden ist auch Ullrichs Umgang mit den zeitgenössischen Quellen problematisch. Sie werden in den seltensten Fällen quellenkritisch kommentiert, kaum einmal wirklich als Ausdruck einer subjektiven Realität diskutiert, sondern in der Regel als bloße Tatsachenberichte gelesen, die unhinterfragt nach Absicht und Motiv eins zu eins übernommen werden. Besonders eklatant fällt dies bei den herangezogenen Tagebuchauszügen und autobiografischen Darstellungen ehemaliger Hitler-Getreuer ins Auge, deren Entstehungskontexte an keiner Stelle aufgezeigt werden. Hier wäre deutlich mehr Distanz und Einordnung gefordert gewesen, was der Zusammenstellung der Erfahrungen keinen Abbruch getan hätte und sicherlich auch für das nicht-wissenschaftlich geschulte Publikum lesenswert gewesen wäre. Das Fazit zu Volker Ullrichs Buch fällt in Anbetracht der geäußerten Kritik eher verhalten aus. Zwar ist es Ullrich gelungen, Endzeit und Aufbruch in den ersten Mai-Tagen 1945 dicht darzustellen. Doch stellt sich die Frage, ob die Publikation durch eine klarere inhaltliche Strukturierung und mit einem stärkeren analytischen Blick nicht einen nachhaltigeren Eindruck der Ereignisse jener acht Tage im Mai hinterlassen hätte.

Zitation

Sabine Kittel: Rezension zu:  2020. ISBN 978-3-406-74985-8, In: H-Soz-Kult, 10.12.2020, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-29383>.

[Regionalforum-Saar] Tschänder mir einen.

Date: 2020/12/11 14:04:47
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Die Landesarbeitsgemeinschaft Erinnerungsarbeit im Saarland hat eine Website über das Lager Gurs erstellt:

Dazu habe ich heute diesen Text erhalten:

„Internetseite gurs.saarland jetzt online!
 
Insgesamt waren mindestens 500 Menschen aus dem Saarland in Gurs interniert. Deren Schicksale berichten von Emigration und Deportation, vom Leben und Überleben und vom Tod. Die Geschichte des Lagers Gurs ist ein elementarer Bestandteil der Geschichte der NS-Zeit an der Saar. Aus diesem Grund ist es die Aufgabe saarländischer Erinnerungsarbeit, ausführlich über die Verschleppungsaktionen, den Alltag der Internierten und jedes einzelne menschliche Schicksal zu informieren. Die Internetseite der Landeszentrale für politische Bildung des Saarlandes gurs.saarland widmet sich dieser Aufgabe. Sie beschreibt nicht nur das Leben im Lager aus unterschiedlichen Gesichtspunkten. Anhand ausgewählter Biografien schildert sie darüber hinaus, wie Kinder, Familien und ältere Menschen aus dem Saarland dem Lager Gurs entkamen, dort verstarben oder nach Auschwitz deportiert und ermordet wurden. Die Internetseite versteht sich als Lern- und Informationsangebot für ein eigenständiges forschendes Lernen für Schülerinnen und Schüler, Studierende sowie für Akteurinnen und Akteure der Zivilgesellschaft, die mit dem Thema intensiver beschäftigen wollen. Darüber hinaus steht auf gurs.saarland ab Februar 2021 ein Verzeichnis aller bislang ermittelten Gurs-Internierten aus dem Saarland zur Verfügung. Die Entscheidung, diese Daten digital zu veröffentlichen, bietet unter anderem die notwendige Flexibilität, um inhaltliche Ergänzungen und künftige neue Forschungsergebnisse schnell und nachhaltig in die vorhandenen Materialien einzuarbeiten. Tatkräftig mitgewirkt hat bei der Umsetzung dieses Projektes der pfälzische Historiker und Gurs-Experte Roland Paul. Er hat im Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung im Archiv der südfranzösischen Stadt Pau die noch vorhandene Interniertendatei hinsichtlich der internierten Saarländerinnen und Saarländer wissenschaftlich ausgewertet. Auch der saarländische Historiker und Studienrat Max Hewer hat einen großen inhaltlichen Beitrag zum Aufbau der Internetseite geleistet. Er hat seine Forschungsergebnisse zu jenen Saarländern kollegial zur Verfügung gestellt, die sich den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg angeschlossen hatten und nach dem Sieg der Truppen Francos über die Grenze nach Frankreich flohen. In Gurs wurde für sie 1939 ein Auffanglager errichtet. Mit der Errichtung dieses Lagers hat in Gurs alles Schreckliche begonnen.
Weitere Informationen unter https://gurs.saarland/

------------------

Beim Studieren der Site ist mir aufgefallen, daß getschändert wurde auf Teufel-komm-raus. Dabei kommen dann z.B. im „Glossar“ solche Satzkonstrukte heraus, was mich zu der Frage verleitet hat, wer einen solchen Satz lesen kann, ohne den Kopf zu schütteln?

„Affidavit of support: Eidesstaatliche Erklärung der/des Bürg*in für die/den Antragsteller*in, in der sie/er ihre/seine finanziellen Verhältnisse offenlegt und sich verpflichtet, mit ihrem/seinem ganzen Besitz für die/den Antragsteller*in aufzukommen.“

Hat bestimmt Spaß gemacht, das zusammen zu schustern. Aber ist das sinnvoll?


Roland Geiger

PS: Wenn ich den Genitiv „der/des Bürg*in“ auflöse, heißt die weibliche Form „der Bürgin“, aber die männliche nicht „des Bürgen“, sondern „des Bürg“. Wenn schon tschändern, dann wäre m.E. „der Bürgin/des Bürgen“ korrekt. Oder?


[Regionalforum-Saar] Schiedsmänner, Hebammen und die Spanische Grippe

Date: 2020/12/12 21:55:39
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Abend,

normalerweise dauert es ein gutes Dreivierteljahr, bis die Texte der Vorträge des letzten Seminars auf Schloß Dhaun zu Papier gebracht und gedruckt sind. Aber was war in diesem Jahr schon normal - außer, daß nix normal ist bzw. war.

Da meine Stadtführungen und Volleyballtermine ausfielen und mein Lieblingscafé dauernd geschlossen war - seit dem Wochenende nach Dhaun auf jeden Fall und was jetzt für Weihnachten kommen soll, daran will ich gar nicht denken noch spekulieren - deshalb hatte ich bannig Zeit, und deshalb wird gegen Ende der kommenden Woche - d.h. so um den 19. Xber herum - der Tagungsband gedruckt fertig sein, welcher den Titel trägt „Schiedsmänner, Hebammen und die Spanische Grippe“ und den Untertitel „Sieben Vorträge des Seminars „Vertiefende Familienforschung“ am 21. u. 22. Oktober 2020 in der Schloßakademie Dhaun zum Nachlesen incl. eines älteren Artikels“ und die folgenden Beiträge enthalten wird:

Dr. Helmut Priewer
Die Spanische Grippe

Roland Geiger
Beleidigungen und üble Nachrede - das preußische Schiedsmannswesen anhand praktischer Beispiele aus St. Wendel

Markus Detemple
Die Hebammen des Köllertals

Roland Geiger und David Ouimette
Erzählte Familienforschung in Afrika

Markus Detemple
Stammen wir alle von Karl dem Großen ab?

Alexandra-Brigitte Scholz
The Kuhn Connection  - eine genealogische DNA Spur

Roland Geiger
Cum Decreto Consistoriali

Markus Detemple
Eine kalendarische Verwirrung in der Grafschaft Saarbrücken


Auf 144 Seiten wird das bebilderte A5-Opus es diesmal bringen, broschiert wie immer und gedruckt bei meiner Lieblingsdruckerei wir-machen-druck.

Kosten wird es wie gehabt die Teilnehmer am Seminar 10 Euro (plus 2 Euro fürs Porto). Nichtteilnehmer werden 15 Euro dafür latzen müssen. Mitverfasser kriegens natürlich kostenlos.

Wer eins haben möchte, möge sich bei mir melden.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

PS: Cool, ich hab schon einen Tippfehler gefunden; den kriegt Ihr für Umme dazu.


--
Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

--------------------

Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de

Re: [Regionalforum-Saar] Schiedsmänner, Hebammen und die Spanische Grippe

Date: 2020/12/12 22:11:49
From: Stephan Friedrich <stephanfriedrich(a)onlinehome.de>

 
Hallo Roland,
 
ich hätte gerne ein Exemplar.
 
Gruß
 
Stephan
 
Am Mittelberg 4
66583 Spiesen-Elversberg
 
Gesendet: Samstag, 12. Dezember 2020 um 21:55 Uhr
Von: "Roland Geiger via Regionalforum-Saar" <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
An: "Regionalforum" <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Betreff: [Regionalforum-Saar] Schiedsmänner, Hebammen und die Spanische Grippe

Guten Abend,

normalerweise dauert es ein gutes Dreivierteljahr, bis die Texte der Vorträge des letzten Seminars auf Schloß Dhaun zu Papier gebracht und gedruckt sind. Aber was war in diesem Jahr schon normal - außer, daß nix normal ist bzw. war.

Da meine Stadtführungen und Volleyballtermine ausfielen und mein Lieblingscafé dauernd geschlossen war - seit dem Wochenende nach Dhaun auf jeden Fall und was jetzt für Weihnachten kommen soll, daran will ich gar nicht denken noch spekulieren - deshalb hatte ich bannig Zeit, und deshalb wird gegen Ende der kommenden Woche - d.h. so um den 19. Xber herum - der Tagungsband gedruckt fertig sein, welcher den Titel trägt „Schiedsmänner, Hebammen und die Spanische Grippe“ und den Untertitel „Sieben Vorträge des Seminars „Vertiefende Familienforschung“ am 21. u. 22. Oktober 2020 in der Schloßakademie Dhaun zum Nachlesen incl. eines älteren Artikels“ und die folgenden Beiträge enthalten wird:

Dr. Helmut Priewer
Die Spanische Grippe

Roland Geiger
Beleidigungen und üble Nachrede - das preußische Schiedsmannswesen anhand praktischer Beispiele aus St. Wendel

Markus Detemple
Die Hebammen des Köllertals

Roland Geiger und David Ouimette
Erzählte Familienforschung in Afrika

Markus Detemple
Stammen wir alle von Karl dem Großen ab?

Alexandra-Brigitte Scholz
The Kuhn Connection  - eine genealogische DNA Spur

Roland Geiger
Cum Decreto Consistoriali

Markus Detemple
Eine kalendarische Verwirrung in der Grafschaft Saarbrücken


Auf 144 Seiten wird das bebilderte A5-Opus es diesmal bringen, broschiert wie immer und gedruckt bei meiner Lieblingsdruckerei wir-machen-druck.

Kosten wird es wie gehabt die Teilnehmer am Seminar 10 Euro (plus 2 Euro fürs Porto). Nichtteilnehmer werden 15 Euro dafür latzen müssen. Mitverfasser kriegens natürlich kostenlos.

Wer eins haben möchte, möge sich bei mir melden.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

PS: Cool, ich hab schon einen Tippfehler gefunden; den kriegt Ihr für Umme dazu.

 
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[Regionalforum-Saar] Berümtes aus der Weltliteratu r

Date: 2020/12/16 09:15:04
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Berümtes aus der Weltliteratur

„siehe, die Somme Homers,
sie lächelt auch uns“.
(Schiller, Spaziergang, 1795)

„Die ich rief, die Geister,/
Werd ich nun nicht los“
(Goethe, Zauberlehrling, 1827)

„Die ihr schwebt in den Zweigen,
Engel des Himmels“
(de Vega, Wiegenlied, ca. 1588)

„und ich bin der Tod geworden,
Zertrümmerer der Wirtschaft.“
(Hans M., Maß-nahmen, 773 A.U.C.)

„Besonnen leise reiht mein Schritt sich ein
in den Zug der Sonnenblumen der Sonne zu,
geleitet von der Sehnsucht nach ewigem Sommer.“
(Udo L., Wimper, 2020)

[Regionalforum-Saar] Mit den Wanderungen kam die Kreat ivität

Date: 2020/12/16 09:15:37
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

heute in der SZ:

Mit den Wanderungen kam die Kreativität

St. Wendel Der St. Wendeler Landrat Udo Recktenwald bringt seinen ersten Gedichtband heraus.

Von Marion Schmidt

„Das war schon immer mein Traum, mein eigenes Buch in der Hand zu halten. Das ist etwas anderes als online veröffentlichte Texte. Das ist wie Weihnachten und Ostern zusammen“, verrät Udo Recktenwald mit einem Glänzen in den Augen. Stolz hält er seinen ersten gedruckten Gedichtband in den Händen, der  Anfang Dezember erschienen ist.

Auf seinen Wanderungen, die er in den zurückliegenden Monaten mit Ehefrau Andrea unternommen hat, hat er sich zu seinen Gedichten inspirieren lassen. Wenn nicht gerade eine Pandemie den Alltag in vielen Bereichen stilllegt, hat er als Landrat des Landreises St. Wendel gewöhnlich eng durchgetaktete Wochenenden. Viele Termine wollen abgearbeitet werden. Doch von einem auf den anderen Tag war alles anders. Was des einen Leid, ist des anderen Freud. „Die Coronazeit hat überraschende Veränderungen gebracht. Plötzlich keine Vereinsfeste mehr an den Wochenenden. Plötzlich hatte ich viel Freiraum für private Unternehmungen gewonnen“, erinnert sich  der CDU-Politiker an den Beginn des ersten Lockdowns. Freiraum, den er mit vielen Wanderungen durch die Heimat ausfüllte. Freiraum, den es brauchte, um den Gedanken freien Lauf zu lassen –  auf dem Weg zu seinem Gedichtband. „Die Kreativität, die man für den Prozess des Schreibens braucht, kam bei meinen Wanderungen. Beim Laufen denkt es sich besser.“

Seit seiner Kindheit liebt er das Spiel mit der Sprache: „Mit unserer Sprache lässt sich eine wunderbare Brücke schlagen von dem, was man sieht, zu dem, was man schreibt.“ Er erzählt von seiner Grundschulzeit: „Oft war ich bei den Klassenarbeiten schon früh fertig. Da habe ich dann zur Verwunderung meiner Lehrer auf die Rückseite der Arbeiten kleine Geschichten niedergeschrieben.“ Mit neun Jahren fing er an, Tagebuch zu schreiben. Später, auf dem Gymnasium, habe er eine Interpretation von Lessings „Minna von Barnhelm“ in dem für das Lustspiel typischen Sprachstil verfasst. „Das hatte meinen Deutschlehrer überhaupt nicht überzeugt, dass ich die Sprache des Dichters benutzt hatte. Er quittierte die Arbeit mit einer Vier“, erinnert sich Recktenwald und schmunzelt dabei.

Das Talent zum Schreiben liegt wohl in der Familie. „Letztlich habe ich, zumindest ein wenig, das Talent meines Urgroßvaters Jacob Bohlinger geerbt, der es meisterlich verstand, die Feder zu führen, Erlebtes und Geschehenes zu Papier zu bringen, in Worte zu fassen“, verrät Recktenwald in seinem Vorwort zum Gedichtband. Dass er später Germanistik studierte und als freier Mitarbeiter für die Saarbrücker Zeitung tätig war, war die logische Antwort auf seine Leidenschaft für das Spiel mit der Muttersprache. Dass er, der sonst berufsbedingt wenig Zeit zum Frönen seines Hobbys hatte, ausgerechnet in diesem Jahr durch die Corona-Pandemie, dazu kommen sollte, war nicht vorherzusehen. Auf den vielen Wanderungen „reduzierte sich das Leben auf das Wesentliche, nämlich auf uns selbst“. Und weiter: „Hat man Zeit und Muße, nimmt man die Umwelt und die Natur bewusster wahr“.

In dem Gedicht „Sonnenblumenzug“ hat der Leser die Szenerie quasi vor Augen, wenn Recktenwald schreibt: „Besonnen leise reiht mein Schritt sich ein in den Zug der Sonnenblumen der Sonne zu, geleitet von der Sehnsucht nach ewigem Sommer.“  Entstanden ist ein  Band mit 25 Gedichten auf 68 Seiten. Realisiert wurde der Gedichtband mit dem Alsweiler Verlag Edition Schaumberg. Verleger Tom Störmer, sofort angetan von den Gedichten, kümmerte sich persönlich um das Layout des Buches. Jedem Gedicht stellte er ein passendes Foto gegenüber. Dem Titel „Die Wimper schlägt, kurz nur, doch ohn‘ Unterlass“ ist das erste Gedicht gewidmet.

Die Gedichte wollen beides sein, eine Liebeserklärung an das Sein in der Natur und eine Mahnung, sich besonnen die Zeit zu nehmen, die Natur und das Sein zu achten. In einer bildhaften Sprache geht es nicht nur um die Schönheiten und Ruhe, die der Mensch in der Natur finden kann. In seinen Metaphern entdeckt der Leser viele Gedanken über das Leben an sich, über Wege und Umwege, über Vergehen und Entstehen von Leben. Gedichte wie „Silberfäden“ und „Lautlaub und Dünnicht“ lassen die Zweisamkeit und tiefe Verbundenheit erahnen, die der Autor nicht nur auf den Wanderungen mit Ehefrau Andrea empfindet. Gerne spielt er mit der Sprache, mit den Wörtern, wie in dem Gedicht „Sonnenfall“: „Sonnenfall fällt ins Wasser. Wasserfall der Sonne.“

Die Corona-Zeit war für Udo Recktenwald ein Türöffner zum Schreiben seiner Gedichte und hat einen wahren Flow ausgelöst. Als nächstes soll  sein erster Krimi erscheinen, den zu schreiben er schon längst begonnen hat.

Udo Recktenwald: Die Wimper schlägt, kurz nur, doch ohn‘ Unterlass. Gedichte und Gedanken, 68 Seiten mit 24 Fotos. 15 Euro. Erhältlich in St. Wendel bei Klein Buch und Papier sowie im Internet bei:

www.edition-schaumberg.de

[Regionalforum-Saar] Berümtes aus der Weltliterat ur

Date: 2020/12/16 11:00:00
From: anneliese.schumacher(a)t-online.de <anneliese.schumacher(a)t-online.de>

Möge uns auch die Sonne Homers lächeln.

-----Original-Nachricht-----

Betreff: [Regionalforum-Saar] Berümtes aus der Weltliteratur

Datum: 2020-12-16T09:25:08+0100

Von: "Roland Geiger via Regionalforum-Saar" <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

An: "Regionalforum" <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Berümtes aus der Weltliteratur

„siehe, die Somme Homers,
sie lächelt auch uns“.
(Schiller, Spaziergang, 1795)

„Die ich rief, die Geister,/
Werd ich nun nicht los“
(Goethe, Zauberlehrling, 1827)

„Die ihr schwebt in den Zweigen,
Engel des Himmels“
(de Vega, Wiegenlied, ca. 1588)

„und ich bin der Tod geworden,
Zertrümmerer der Wirtschaft.“
(Hans M., Maß-nahmen, 773 A.U.C.)

„Besonnen leise reiht mein Schritt sich ein
in den Zug der Sonnenblumen der Sonne zu,
geleitet von der Sehnsucht nach ewigem Sommer.“
(Udo L., Wimper, 2020)

[Regionalforum-Saar] gestern abend bei uns aufm Hof

Date: 2020/12/20 15:20:54
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Salve,

gestern Abend ist bei uns aufm Hof unser Beitrag des Lebendigen Adventskalenders aufgeführt worden.

Ausführende waren ich, meine Frau Anne und Hanna Fischer, die Betreuerin meiner Schwiegermutter Rita John.

Aufgezeichnet hat Christoph Cerovsek aus Urweiler im Auftrag der ev. Kirchengemeinde.

Die beiden Statisten links am runden Tisch sind meine Eltern Gudrun und Horst Geiger. Sie vertreten die ca. 50 bis 60 Besucher, die sich sonst auf unserem Hof tummeln.

Vor der Aufzeichnung gestern abend um 18 Uhr haben Anne und ich alle Kerzen und Lampen zusammengesucht und brennend über unseren Hof verstreut, auch in das alte Gemäuser hinter uns (war mal eine Scheune, von der allerdings nur noch die Mauern stehen).

Ab und an im Bild im dunklen Hintergrund ist ein alter großer Reifen. Das ist der klägliche Rest eines amerikanischen Bombers vom Typ B-17 „Fliegende Festung“, dessen Geschichte unbedingt mit Weihnachten zu tun hat. Die „Lucky Lady“ baute nahe Saaralbe in Frankreich eine Bauchlandung - an Heiligabend 1944.

Hier ist der Link zu unserem Opus.

https://youtu.be/VJK72IGYjAg

Achtung: Die Gesangeinlagen - zwei Lieder, à capella - haben ihre eigene(n) Note(n).

Ergebenst

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] Neues aus der Vatikanischen Bibliothek

Date: 2020/12/24 15:47:51
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Hallo,

seit ein paar Jahren erhalte ich "alle Gebott" eine Email aus der
Vatikanischen Bibliothek mit einem Link zu einer pdf, die sich
Informationen der Bibliotheksleitung befaßt.
Die Dateien sind stets reich bebildert, die Texte allesamt in englischer
Sprache.

Heute gibt es einen Artikel über Bernini sowie über die ersten
Weltumsegler => https://www.vaticanlibrary.va/newsletter/202012EN.pdf

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] ein Mann von Welt

Date: 2020/12/26 12:45:36
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

NAHE= UND BLIES=ZEITUNG, Nr. 141, 06.12.1919


Seltsamen Besuch hatten wir gestern Morgen in unserer Redaktionsstube. Nach Anklopfen an der angelehnten Tür tanzte mit elegantem Sprunge Nachbars weißer, wohlgepflegter, schön behörnter Ziegenbock in die Stube, uns mit freundlichen Blicken beäugend. Nach einem kleinen Rundgange durch den Raum entdeckte der Eindringling den hinterm warmen Ofen schlummernden "Hector" und wollte sich gerade anschicken, den Schlafenden zu attackieren, als wir diesen ungleichen Kampf noch eben vereiteln konnten, um kein teueres Blutvergießen in unserer Redaktion zu erleben. Als Mann von Welt legte der Besucher dann beim Abschiednehmen noch seine Visitenkarte nieder.


[Regionalforum-Saar] Er ist auferstanden

Date: 2020/12/26 12:54:30
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

NAHE= UND BLIES=ZEITUNG, Nr. 138, 23.11.1918

Der geänderte Text.
Hatte da ein Totengräber in einem Orte der Rheingegend, wahrscheinlich, weil er kein gutes Gewissen hatte, auf dem geweihten Platz des Friedhofes einige Zentner Kartoffeln verborgen und ein Kreuz gesteckt mit der Inschrift: Er ruhe in Frieden.

Doch "nichts ist so fein gesponnen...".

Ein bis jetzt Unbekannter kam der Sache auf die Spur und eines schönen Morgens bemerkte der Totengräber auf dem Grabkreuz eine andere Inschrift: "Er ist auferstanden, er ist nicht mehr hier!"
Der Totengräber öffnete das Grab und wirklich, die Kartoffeln waren weg.

[Regionalforum-Saar] Sütterlin

Date: 2020/12/26 13:19:44
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

NAHE= UND BLIES=ZEITUNG, Nr. 125, 24.10.1919


Trier, 28. Oktober.
Mit der Sütterlinschen Steilschrift sollen auch in Trierer Schulen Versuche angestellt werden. Die Schrift zeichnet sich durch besondere Klarheit aus und ist deshalb gerade für kaufmännische Berufe geeignet. Charakteristisch für die neue Schrift ist, daß die Mittellänge der Buchstaben die gleiche Größe hat wie die Ober= und Unterlänge. In unserem Regierungsbezirk wird die neue Schrift seit längerer Zeit schon an den Mittelschulen der Stadt St. Wendel mit gutem Erfolg geschrieben.

[Regionalforum-Saar] Über die Bleiche an der Wende lskapelle

Date: 2020/12/29 14:35:35
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

St. Wendeler Volksblatt, Nr. 29,  07.03.1918

St. Wendel, 8. März.

In diesem Kriege ist man zu mancher alten einfachen Einrichtung zurückgekehrt, um der Not des Tages steuern. Der Haushalt der Urgroßmutter hat sich da recht oft als ein Schatzkästlein bewährt, in dem viele gute Dinge aufbewahrt wurden. Auch die Seifennot lässt sich steuern, wenn unsere Hausfrauen zu einem alten Waschverfahren zurückkehren wollen. Wir meinen das Bauchen, das, einst allgemein angewandt, heute fast nur mehr in der Bezeichnung Bauchbütte weiterlebt. Noch vor 40 Jahren befand sich in jeder St. Wendeler Waschküche der Laugeständer. Das war ein hölzerner Dreifuß, auf dem ein Büttchen stand. Am Tage vor der großen Jahreswäsche, denn jede echte St. Wendeler Hausfrau reichte mit ihrem Linnenvorrate ein ganzes Jahr aus und hielt deshalb nur einmal im Jahr die große Wäsche, setzte man in diesem Büttchen aus Holzasche die Lauge an. Das Büttchen wurde mit lauwarmem Wasser gefüllt und darüber ein Tuch gebreitet, das über all auf dem Wasser auflag, auf dieses Tuch wurde feine Holzasche geschüttet, die durch die Verrührung mit dem Wasser ausgelaugt wurde. Diese Lauge benützte man dann mit einem geringen Seifenzusatze zum Reinigen der Wäsche. Dabei brauchte man kaum ein Viertel der Seife, die man heute nötig hat, und erzielte damit eine ausgezeichnete Wirkung. Zur großen Bauchwäsche gehörte aber auch unbedingt die Bleiche.

Die Wäsche wurde auf einem Wagen zur Kapelle gefahren, wo sich die städtische Bleiche befand. Man setzte die Wäsche dort auf den Rasen aus, begoß sie mit Brunnenwasser und ließ sie über Nacht liegen, dann wurde sie getrocknet. Diese große Wäsche, die man nach dem Laugeverfahren nur die Bauchwäsche hieß, war geradezu ein Familienfest. Alt und Jung tummelte sich auf dem Rasen und trank den Kaffee im Freien. Wen der alte Bruder Hahn gut leiden konnte, erhielt Kirschen und Honig. Mit Gesang wurde die Wäsche, fein sorgsam in den weißen Waschkörben aufgeschichtet, heimgefahren. Die Bleiche ist heute in Unstand geraten. Die Waschkümpe (?) sind verschlammt, und das über ihnen angebrachte Dach ist zerfallen.

Die Kirche würde sich ein großes Verdienst um unsere Hausfrauen erwerben, wenn sie die Bleiche wiederherstellen lassen wollte. Also zurück zur Bauchwäsche, die Lauge als Seifenersatz ist gut und billig!

 

[Regionalforum-Saar] marathon

Date: 2020/12/30 09:56:44
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Morgen,

normalerweise bin ich mit der Saarbrücker Zeitung schnell fertig. Im Weltteil fliege ich über die Überschriften, lese „Corona“ und bin schon weiter, schaue mir die Karikatur an und meistens die Glosse, versuche, die Leserbriefe zu meiden (was nicht immer gelingt). Den Landesteil verbrauche ich noch schneller, kaum mal etwas dabei, was mich interessiert. Im St. Wendeler Lokalteil achte ich schon ein wenig mehr auf Details, sie könnten mich ja direkt betreffen. Aufmerksam lese ich dort eigentlich nur den Hägar und - wenn ich richtig mies drauf bin - noch mein Horoskop. Und im Sportteil schaue ich nur auf den - meistens - Schwachsinn, der auf der letzten Seite in Panorama sich darbietet; das sind oft Sachen, die man wirklich (nicht) wissen muß.

Heute war das anders. Da bin ich im Landesteil regelrecht hängen geblieben. Dort gab es fünf Artikel, die mich faszinierten. Und kommen jetzt nacheinander.

Im Forum ist eh nicht viel los, also werdet Ihr das hoffentlich ertragen. Ist vermutlich eh das letzte Mal für dieses Jahr.

CU

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] M1: harter Tobak

Date: 2020/12/30 09:58:31
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Jede Geschichte hat mehr als eine Geschichte

Saarbrücken Ist Geschichte eine Sammlung von Zahlen und Fakten, die sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat? Überhaupt nicht, argumentiert der Historiker Achim Landwehr – für ihn ist Geschichte ein Prozess im ständigen Wandel.

Von Christoph Schreiner

Was wir Geschichte nennen, ist kein Ganzes, in dem unsere millionenfachen Einzelschicksale vereint, aufgehoben und abrufbar sind als eine gemeinsame, lineare, verlässliche und leicht abzuspulende Geschichte – festgemacht an historischen Daten, Ereignissen und Persönlichkeiten. Was wir so leichthin Geschichte nennen, als gäbe es dieses eine, nicht anzweifelbare kollektive Gedächtnis, unterliegt in Wahrheit vielmehr einem permanenten Wandel und ist für jeden von uns im Grunde immer eine andere Geschichte.

Diese erfrischende, unserer tatsächlichen Weltaneignung nahekommende These vertritt seit einigen Jahren der Düsseldorfer Historiker Achim Landwehr. In seinem jüngsten Buch „Diesseits der Geschichte“ bündelt Landwehr noch einmal seine überzeugenden und außerordentlich anregenden Argumente, um eine nicht-lineare Geschichtswissenschaft zu etablieren und dem angeblichen „Kollektivsingular“ Geschichte den Garaus zu machen.

Gleich zu Anfang macht Landwehr klar, dass die soziale und kulturelle Bedingtheit dessen, was wir Geschichte nennen, üblicherweise ausgeblendet und stattdessen so getan wird, als gäbe es einen objektiven historischen Verlauf. Doch ungeachtet aller Vereinheitlichung unserer Zeitmessung und Zeitorganisation und aller Zeitstrahl-Illusionen: Tatsächlich gibt es keine für uns alle gleichermaßen gültige Zeiterfahrung, weil sich jeder unentwegt seine eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft konstruiert. „Man könnte auch sagen: Die Zeiten ändern sich mit der Zeit. Bestimmte Begebenheiten in der Gegenwart können die Vergangenheiten und Zukünfte eines Systems total verändern“, zitiert Landwehr den Soziologen Armin Nassehi, der vor Jahren für seine Profession – die Soziologie – eine ganz ähnliche Theorie der Zeit wie Landwehr entwickelt hat.

So wie man also zu unterschiedlichen Zeiten, ja manchmal auch an einem einzigen Tag anders auf sein Leben oder das Jetzt blickt, so unterliegt auch der Blick auf unsere Umgebung oder das große historische Ganze einem beständigen Wandel. Landwehr prägt dafür den Begriff der „Pluritemporalität“. Völlig zu recht konstatiert er: „Gesellschaften leben nicht im Kokon eines einheitlichen Zeitregimes, kennen also nicht nur eine singuläre Form der Gleichzeitigkeit, sondern pflegen zahlreiche, parallel zueinander bestehende Zeitformen, existieren also in einer Welt der Vielzeitigkeit.“

Lässt man sich auf diese Sichtweise ein, werden sogleich die weitreichenden Folgen dieses zeitlichen Relativismus deutlich: Historische Vorgänge lassen sich dann ebenso wenig noch monokausal (bzw. unilinear) deuten noch in ,,epochale Zwangsjacken“ (Landwehr) stecken. Mit anderen Worten: Fortan entfällt eine starre Deutungshoheit über die Lesarten der Geschichte. Dementgegen entpuppt sich unser Blick auf die Vergangenheit als das, was er de facto auch ist: nämlich als interessengeleitet und zeitgebunden. Dies aber bedeutet, dass unsere Zeit- und Geschichtsvorstellungen reversibel sind: Jede Zeit konstruiert sich ihre eigene Vergangenheit. Genauso wie jedes Individuum sich seine eigene Gegenwart schafft. Sollten wir mithin allem zwei Zeitbegriffe zugrundelegen? Etwa in dem Sinne, wie der Philosoph John McTaggart von den „A- und B-Serien der Zeit“ sprach? Das heißt: Während wir Zeit subjektiv als permanenten Veränderungsprozess wahrnehmen (die A-Seite), halten wir andererseits an scheinbar objektiven, temporalen Ordnungen wie Daten oder historischen Zuordnungen fest (die B-Seite).

Nein, Landwehrs geschichtsphilosophischer Ansatz geht weit darüber hinaus. Vergangenheit und Zukunft stellen für ihn immer nur „Horizonte der Gegenwart“ dar. Das (Erkenntnis-)Licht, das auf diese Horizonte fällt, verändert sich und ergibt folglich immer ein anderes Bild: Nicht nur das Hier und Heute wird unentwegt moduliert, es bringt unter der Hand auch immer neue Vergangenheiten und Zukünfte hervor. Für dieses uns eigentlich allgegenwärtige Phänomen hat Landwehr den Begriff der Chronoferenz geprägt. Gemeint ist damit, dass wir nicht-gegenwärtige Zeiten auf eine Weise imaginieren, die sie zugleich anwesend und abwesend sein lassen. Abwesend deshalb, weil sie nicht mehr (oder noch nicht) wirklich sind. Und anwesend, weil wir sie aktualisieren, sie aus unserer heutigen Perspektive neu betrachten und umdeuten. Wobei noch dazu die Vergangenheit unentwegt wächst, während die Gegenwart beständig verschwindet.

Was heißt das nun für unsere Erkenntnisprozesse? Für Landwehr folgt daraus, dass alle Beschreibungen der Vergangenheit oder Zukunft immer nur an frühere Beschreibungen derselben anschließen können. Weshalb Geschichtswissenschaft für ihn konsequenterweise eine Gegenwartswissenschaft ist, weil Historiker es nicht mit abgeschlossenen Vergangenheiten zu tun hätten, sondern „mit gegenwärtigen Bezügen auf abwesende Zeiten“. Nach Ansicht Landwehrs handelt es sich dabei um einen wechselseitigen Prozess: „Eine bestimmte Gegenwart ist also nie die alles dominierende Spinne im Netz der Chronoferenzen. Die Bezüge bereits etablierter Chronoferenzen reichen vielmehr immer schon in eine Gegenwart hinein, indem Pfadabhängigkeiten gelegt und Strukturen bereits festgeschrieben wurden.“ Gegenwart schließt Vergangenheit also nicht ab, sondern erneuert sie.

Wie meinte schon Herder vor 200 Jahren: „Keine zwei Dinge in der Welt haben dasselbe Maß der Zeit (….) Es gibt also (man kann es eigentlich und kühn sagen) im Universum zu einer Zeit unzählbar viele Zeiten.“ Statt Geschichte also chronologisch und konsekutiv zu erzählen, wäre es mit Landwehr zu sprechen daher weitaus angemessener, die heute verpönten Anachronismen wieder ins Recht zu setzen, weil sie das widerspiegeln, was Landwehr uns nahelegt: Zeit als Möglichkeitsbedingung für Widersprüche zu verstehen.

[Regionalforum-Saar] M2: Snackbar

Date: 2020/12/30 10:00:01
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Interessant: Im Online-Artikel steht mehr drin als in der Druckausgabe


Forscher graben antike „Snackbar“ in Pompeji aus

Rom Immer wieder gibt Pompeji verschüttete Geheimnisse preis. Diesmal sind Archäologen in einer antiken Imbissbude fündig geworden.

Von dpa

Archäologen haben im italienischen Pompeji einen intakten Tresen in einer antiken Imbissbude aus der Zeit des Untergangs der Stadt ausgegraben.

Die „Snack Bar“, wie sie das Museum bezeichnete, sei eine der ältesten in Pompeji, teilte der Parco Archeologico mit. „Die Möglichkeiten, dieses Thermopolium zu studieren, sind außerordentlich, weil zum ersten Mal ein Areal dieses Typs in seiner Gesamtheit ausgegraben wurde“, sagte ein Vertreter des Museums. Ein Thermopolium ist eine römische Gaststätte.

Der Tresen war schon 2019 in Teilen ausgegraben worden. Bei den Arbeiten fanden die Experten auch Essensreste und Knochen von Menschen und Tieren, die in der Antike Opfer der Vulkan-Katastrophe am Golf von Neapel wurden. Bei den menschlichen Überresten handelt es sich ersten Erkenntnissen zufolge um die eines damals etwa 50 Jahre alten Menschen, der vermutlich zum Zeitpunkt der Katastrophe auf einer Art Bett lag. Weitere Überreste würden noch untersucht.

Der gelb bemalte Tresen ist mit Bildern von Tieren, der Darstellung einer Alltagssituation und dem Abbild einer Nereide, einer Nymphe des Meeres, auf einem Seepferdchen, verziert. Die abgebildeten Enten und ein Hahn waren wohl Tiere, die in der Verkaufsstätte geschlachtet und verkauft wurden. In dem Steintisch sind außerdem Löcher eingekerbt, bei denen die Forscher davon ausgehen, dass darin die Lebensmittel zum Verkauf auslagen.

Auch ein Witzbold schien sich an dem Tresen seiner Zeit zu schaffen gemacht zu haben. „Nicias schamloser Scheißer“ ist wörtlich übersetzt neben einem der Gemälde in Latein eingeritzt. Nicias könnte zum Beispiel der Ladenbesitzer gewesen sein.

Pompeji war bei Ausbrüchen des Vesuvs im Jahr 79 nach Christus untergegangen. Asche, Schlamm und Lava begruben die Siedlungen. Im 18. Jahrhundert wurde die historische Stadt wiederentdeckt. Seitdem kommen immer wieder neue Erkenntnisse ans Licht.

Die Ausgrabungsstätte gehört zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten in Italien. Zuletzt gelang den Archäologen die aufsehenerregende Rekonstruktion zweier Männer, die der Ausbruch vermutlich überrascht hatte.

[Regionalforum-Saar] M3: die Kultur des Absagens

Date: 2020/12/30 10:01:05
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

„Cancel Culture“ – Tatsache oder Kampfbegriff?

Frankfurt Shitstorms im Netz, Blockade von Vorträgen – auch viele linke Intellektuelle wie etwa Noam Chomsky sehen die Meinungsfreiheit massiv bedroht.

Der Begriff „Cancel Culture“ (Kultur des Absagens) bezeichnet den Versuch, angeblich diskriminierendes oder beleidigendes Verhalten öffentlich zu ächten. Im Internet wird zum Boykott von Vorträgen, Vorlesungen oder Werken der „gecancelten“ Person aufgerufen. Sie soll ihre Wirkungsmöglichkeiten und gegebenenfalls ihre Anstellung verlieren. Entstanden ist der Begriff 2014 auf Twitter. Unter dem Hashtag #CancelCulture fordern meist links-identitäre Gruppen seither Veranstaltungs- und Berufsverbote sowie Boykotts von Wissenschaftlern, Publizisten und Künstlern, die ihrer Ansicht nach gegen die „Political Correctness“ verstoßen.

Besonders in den USA und in Großbritannien führte das schon zum Jobverlust. So sah sich der Meinungsseiten-Chef der „New York Times“, James Bennet, zum Rücktritt genötigt. Er hatte den Kommentar eines republikanischen Senators zu den Ausschreitungen nach dem Tod des Schwarzen George Floyd zu verantworten. Der Politiker hatte mit seiner Forderung nach einem Militäreinsatz gegen „Black Lives Matter“-Demonstranten Empörung auslöst. In Großbritannien musste der Lehrer Will Knowland im Eton-College seinen Platz am Pult räumen: Er hatte das Pro und Kontra der Gender-Theo­rien thematisiert und aus seiner Position keinen Hehl gemacht, dass es biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt.

Unter dem Stichwort „Cancel Culture“ werden auch in Deutschland Einschränkungen der Meinungsfreiheit diskutiert. So verhinderten kleine Gruppen Vorträge von Thomas de Maizière (CDU), Christian Lindner (FDP) und des Ökonomen Bernd Lucke (früher AfD). Studenten griffen Professoren wie Herfried Münckler, Jörg Baberowski und Susanne Schröter, deren Position im linken Spektrum aneckten, an und forderten ihre Absetzung.

Ein Teil der Linken kritisiert die Rede von der „Cancel Culture“ und bezweifelt, ob es eine Verbotskultur wirklich gibt. Und fürchten nicht diejenigen, die sie beschwören, eher den Verlust ihrer Meinungsführerschaft? Die Autorin Samira El Ouassil spricht von einem rechtspopulistischen „Kampfbegriff“. Andere halten den Begriff für zu vage, damit würden unterschiedliche Vorfälle in Verbindung gebracht. Aber auch viele linke Intellektuelle wie etwa Noam Chomsky sehen die Meinungsfreiheit massiv bedroht.

[Regionalforum-Saar] M4: vom vorauseilenden Gehorsam

Date: 2020/12/30 10:02:45
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Die Gedanken sind frei, heißt es doch

Riskiert man Reputation und gar seine Anstellung, wenn man gegen die sogenannte politische Korrektheit verstößt? Um die Meinungsfreiheit bei uns wird gestritten – immer heftiger.

Von Renate Kortheuer-Schüring

Im zu Ende gehenden Jahr 2020 sehen nicht wenige die Meinungsfreiheit im Land bedroht. Wissenschaftler, Publizisten und Künstler in Deutschland, aber auch in anderen westlichen Demokratien, klagen über einen enger werdenden Meinungskorridor, Repressalien und Anpassungsdruck. Mindest genauso heftig ist die Kritik an diesen Vorwürfen. Strittig ist, ob es die oft beklagte „Cancel Culture“ überhaupt gibt, ob missliebige Stimmen wirklich stummgeschaltet und Kritik mit Auftrittsverboten und Jobverlust bestraft wird. Manche sehen im Begriff der „Cancel Culture“ ausschließlich einen Kampfbegriff der Rechten.

„Es gibt in der Tat ein extrem verengtes Denken, das unbequeme Meinungen verstärkt als rechts labelt“, sagt die Philosophin Svenja Flaßpöhler, die selbst nach einem kritischen Buch zu #MeToo als „rechtsreaktionär“ beschimpft wurde. Sie macht sich Sorgen um das geistige Klima. Ein Stummschalten aber habe sie nicht erlebt. Der Kabarettist Dieter Nuhr etwa könne weiter auftreten, der schwer angefeindete Professor Jörg Baberowski sei sicher ein Grenzfall.

Nuhr hatte im Herbst ein Video für eine Wissenschaftskampagne verfasst, in dem er den Klimaschützer-Appell „Folgt der Wissenschaft!“ kritisierte. Es löste einen Shitstorm aus, seine Videobotschaft wurde daraufhin von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zeitweilig gelöscht. Baberowksi, dem linke Studenten Geschichtsfälschung, Rassismus und Rechtsradikalismus vorwerfen, wird zu Talkshows nicht mehr eingeladen. Auftritte von ihm begleiten jeweils heftige Proteste.

Laut einer Untersuchung des Allensbach-Instituts von 2019 sind zwei Drittel der Deutschen davon überzeugt, dass sie bei bestimmten Themen „aufpassen“ müssen, was sie sagen. Im Auftrag der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und des Deutschen Hochschulverbandes befragte das Institut für eine andere Untersuchung gut 1000 Wissenschaftler: Jeder Fünfte gab eine kritische Beurteilung zur Wissenschaftsfreiheit ab. In den Geistes-, Rechts- und Sozialwissenschaften fühlte sich sogar jeder Dritte durch Vorgaben zur politischen Korrektheit eingeschränkt. Der Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter zufolge muss, wer dem „Mainstream“ nicht folgt, Konsequenzen für die Uni-Karriere fürchten – etwa die Ablehnung von Forschungsanträgen.

Der Heidelberger Theologe Philipp Stoellger schätzt das Problem der „Cancel Culture“ im akademischen Bereich dagegen als „noch überschaubar“ ein: Es gebe „Umbrüche in der Sagbarkeit“. Was sagbar sei, verschiebe sich mit den Generationen. Doch treibe der Trend manchmal skurrile Blüten, sagt auch der Leiter des Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST): So warf ihm eine Studentin Rassismus vor, weil seine Lektüreliste zur Vorlesung keine „Transgender- und Black Voices“ enthielt. Er sei auch schon als „sexistisches Schwein“ beschimpft worden, als er einer Studentin die Tür aufgehalten hatte, sagt der Dogmatik-Professor: „Das Kränkungspotenzial ist oft zu groß. Und die gefühlte Kränkung wird dann benutzt, um die eigene Aggression zu legitimieren.“ Dann kippe der Diskurs, und das Problem dahinter werde „unverhandelbar“.

Flaßpöhler kritisiert ein „ideologisches Denken“ an den Hochschulen, das die eigenen Annahmen nicht hinterfrage: „Wer nicht Texte etwa mit Gender-Sternchen versieht, wird als antifeministisch oder gar rechtsreaktionär ausgewiesen. Gerade die Universitäten sollte aber Orte sein, wo differenziert gedacht und Sprache genau daraufhin angeschaut werden sollte, was sie leisten kann.“

Wie der Diskurs sich zuungunsten von Freiheit und offenem Streit zu verändern droht, zeigt punktuell eine Ende Oktober publizierte Studie zum Fachbereich Sozialwissenschaften der Uni Frankfurt: Linksgerichtete Studenten sind demnach „weniger bereit, umstrittene Standpunkte zu Themen wie Gender, Einwanderung oder sexuelle und ethnische Minderheiten zu tolerieren. Studierende rechts der Mitte neigen eher dazu, sich selbst zu zensieren“.

Es gebe „keine Sprachverbote“, sondern nur „Veränderungen in der Debattenkultur“, die durch die Rede von Zensur und Verboten abgewehrt würden, erklärte indes die Gender-Professorin Andrea Geier im Deutschlandfunk. Ähnlich argumentierte der Soziologe Floris Biskamp im „Tagesspiegel“: An deutschen Universitäten gebe es „keinen Hinweis auf eine virulente Kultur des Absagens, bei der missliebige Meinungen mundtot gemacht würden“. Das Reden von „Meinungsdiktatur, Diskurswächtern und Cancel Culture“ gebe denen, die davon sprechen, die Möglichkeit, sich als Opfer linker Hegemonie zu inszenieren.

Die Chefredakteurin des „Philosophie-Magazins“, Flaßpöhler, kritisiert dagegen einen „vorauseilenden Gehorsam“ auch in Institutionen und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In den Redaktionen gebe es Anpassungsdruck. Sensibilisierung sei zwar ein gesellschaftlicher Fortschritt und kein „Firlefanz“, betont sie: „Da muss man berührbar bleiben.“ Problematisch sei aber, dass man schon als „rechts“ gelte, wenn man sachlich gegen das Gendern argumentiere. „Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann das Recht darauf, den Leuten zu sagen, was sie nicht hören wollen“, schrieb George Orwell 1945 zu seiner dystopischen Fabel „Animal Farm“. Im Jahr 2020/21 klingt das überaus aktuell. „Die USA und Großbritannien führen uns vor, was passieren kann; es sind warnende Beispiele“, sagt Flaßpöhler zu umstrittenen Kündigungen von Journalisten in New York und einem Lehrer in Eton, die als nicht mehr tragbar galten: „Es ist notwendig, aus ideologischen Verhärtungen herauszukommen.“

[Regionalforum-Saar] M5: Schwambachs Kommentar

Date: 2020/12/30 10:04:12
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Warum mir Dieter Nuhr so wichtig ist

Dieter Nuhr finde ich nicht mehr komisch. Warum ich das schreibe? Weil so ein erster Satz eines Kommentars Leserinnen und Leser auch herausfordern soll. Idealerweise. So habe ich das zumindest mal gelernt.

Von Oliver Schwambach, Leiter Landespolitik und Kultur

Aber es ist eben auch meine Meinung. Zugegeben auch ein bisschen polemisch, wie alte weiße Männer das eben so schreiben. Nuhrs Jahresrückblick aber kürzlich in der ARD war definitiv eine der müdesten Satirevorstellungen seit langem. Oft bemüht, selten pointiert. Wie gesagt, meine Meinung. Trotzdem würde ich jederzeit dafür plädieren, dass Dieter Nuhr auftreten darf, ja auftreten soll. Gerade, weil er vieles sagt, was ich nicht teile. Genau darum geht’s nämlich – um den Widerstreit von Meinungen. In der Kultur wie in der Politik, argumentativ, engagiert, pointiert, egal auf welcher Bühne. Aber auch darum, eben das auszuhalten.

Tatsächlich aber sehen viele das mittlerweile anders. Wer nicht der eigenen Meinung ist, wird im Internet mit Schimpf und Schande überzogen. Persönliche Empörung weicht Argumenten, die Sprache, das Denken wird regelrecht durchforstet nach Anlässen, sich aufzuregen. Und wen man nicht auf seiner Seite wähnt, möchte man am liebsten verbieten. Cancel Culture nennt sich das dann. Schon als Begriff ein Unding, weil es genau mit Kultur nichts zu tun hat, anderen das Wort zu nehmen.

Zugleich hat sich – leider auch in vielen Medien – eine Hasenfüßigkeit sondergleichen breit gemacht. Aus Angst vor Shitstorms fürchten offenbar viele anzuecken, wenn sie den „falschen“ Künstler auftreten lassen. Oder nicht jedes Wort mit der Goldwaage abwiegen.  Wie Nachrichtensprecher, die „Zuschauer*innen“ neuerdings mit Kunstpause sprechen. Nichts als Sprachverhunzung letztlich. Denn, wem Gendergerechtigkeit wirklich wichtig ist, sollte auch die Zeit für „Zuschauerinnen und Zuschauer“ haben. Und nicht reden wie mit Schluckauf.

Tatsächlich ist die Meinungsfreiheit in Deutschland und erschütternd wenig weiteren Ländern ein so ungeheures Privileg, dass frau wie man vor Stolz darüber platzen müsste. Diese wunderbare Freiheit steht aber dann auf dem Spiel, wenn wir sie uns nehmen lassen und nicht mehr offen reden. Es ist an uns, sie durch strittige, hitzige Debatten immer wieder neu zu beleben. Und wer glaubt, sie sei bereits perdu, sollte vielleicht mal genauer hinschauen. Und damit sind wir wieder bei Dieter Nuhr. Ist es nicht großartig, dass der eine ARD-Sender, der RBB nämlich, Nuhr auftreten lässt und in einem anderen ARD-Sender ein Kabarettkollege, in diesem Fall Philip Simon beim WDR, in den „Mitternachtsspitzen“ über Dieter Nuhr herzieht. Das ist Meinungsfreiheit.

[Regionalforum-Saar] Warum wir uns einen "guten Rutsc h" wünschen

Date: 2020/12/31 16:37:01
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Warum wir uns einen "guten Rutsch" wünschen

Von Leeor Engländer, veröffentlicht am 01.01.2012


Nur im deutschsprachigen Raum wünscht man sich zum Jahreswechsel einen "guten Rutsch". Doch was sich hinter diesem Wunsch verbirgt, weiß kaum jemand.


Meine Mutter kann Silvester nicht leiden: "Dus sennen gojische Majses" (das ist nichtjüdischer Blödsinn).

Mit Papst Silvester I., nach dem der Tag benannt ist, hat sie sowieso nichts am Hut und vom obligatorischen Fondue in der Neujahrsnacht (traditionell bei meiner Tante) hält sie nicht viel: "Wenn ich ein Steak will, lege ich ein anständiges Stück Fleisch in die Pfanne."

Feuerwerk?           "Zwar schön, aber Geldverschwendung."
Bleigießen?            "Macht Löcher in die Tischdecke."
Dinner for one?     "Die zwei Alten gehen mir auf die Nerven."
Champagner?        "Ich mag keinen Alkohol."

Und zu guter Letzt ist da noch dieser alberne Gruß.

Zwischen Weihnachten und dem ersten Januar "rutscht" eine ganze Nation kollektiv ins neue Jahr, obwohl es auch dieses Jahr größtenteils kein Schnee oder Glatteis gab. Wir wünschen weder Kindern auf dem Spielplatz einen guten Rutsch in die Sandkiste, noch dem besten Freund einen guten Rutsch ins neue Lebensjahr. Trotzdem vollziehen wir regelmäßig einen halsbrecherischen Rutsch über die Jahreswende hinweg.

"Einen guten Kopf" an Neujahr

Keine Nation, außer wir Deutschen (anscheinend auch manche Österreicher und Schweizer), wünscht sich einen "guten Rutsch". Was wohl damit zu tun hat, dass die meisten nicht wissen, woher der Begriff eigentlich stammt. Das jüdische Neujahr heißt „Rosch ha Schanah“, wörtlich übersetzt "Kopf des Jahres". Auf Jiddisch wünscht man sich in der Zeit vor und nach dem Feiertag "a git Rosch" (einen guten Kopf). Man kann davon ausgehen, dass der "gute Rutsch" aus einem weitläufig missverstandenen "git Rosch" entstand.

Und da wir an diesem Tag schon so sinnlos in der Gegend herumrutschen, schickt meine Mutter dem albernen "Rutsch" gerne noch ein "Hals- und Beinbruch" hinterher – wohl wissend, dass auch hier den meisten unbekannt ist, woher das eigentlich kommt.

"Hazlacha uwracha" (Erfolg und Segen) ist ein hebräischer Segen, mit dem man unter anderem Geschäftsabschlüsse oder Ehen besiegelt. Auf Jiddisch wurde daraus "hatsloche un broche", oder eben auf Deutsch "Hals- und Beinbruch". Im Übrigen sind Hochzeiten und Geschäftsabschlüsse gelegentlich gar nicht so weit voneinander entfernt und könnten ebenfalls verwechselt werden. Dazu aber mehr in ein paar Monaten, wenn mein Bruder heiratet. Zunächst wünsche ich Ihnen ein gutes, glückliches und gesundes neues Jahr – ganz ohne Rutschen und ohne Beinbruch.

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Quelle: https://www.welt.de/debatte/kolumnen/article13792702/Warum-wir-uns-einen-guten-Rutsch-wuenschen.html