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2020/12/07 20:27:55 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] 1652 |
Datum | 2020/12/11 14:04:47 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Tschänder mir einen. |
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2020/12/07 20:27:55 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] 1652 |
Betreff | 2020/12/16 11:00:00 anneliese.schumacher(a)t-online.de [Regionalforum-Saar] Berümtes aus der Weltliterat ur |
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2020/12/07 20:27:55 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] 1652 |
Autor | 2020/12/11 14:04:47 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Tschänder mir einen. |
Date: 2020/12/10 12:42:06
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Acht Tage im Mai. Die letzte Woche des Dritten
Reiches
AutorVolker Ullrich
Erschienen München 2020: C.H.
Beck Verlag
Anzahl Seiten 317 S.
Preis € 24,00
ISBN 978-3-406-74985-8
Rezensiert für H-Soz-Kult von Sabine Kittel, Institut für
Stadtgeschichte,
Gelsenkirchen
Mit seinem neuesten Buch nimmt der langjährige Ressortleiter der ZEIT
und Hitler-Biograf Volker Ullrich „Die letzte Woche des Dritten
Reiches“ in den
Blick. Dafür hat er aus einer Vielzahl an mitunter bereits
veröffentlichten
Tagebüchern, Briefen und biografischen Erinnerungen, darunter auch
publizierte
Erinnerungsberichte einstiger Hitler-Getreuer, einen dichten Text
gewoben, in
den er auch die breite Forschungsliteratur hat miteinfließen
lassen. Keine
Frage, Ullrich kennt sein Material und versteht es, für das
historisch
interessierte Publikum flüssig die Ereignisse jener Mai-Tage 1945
und das
Kriegsende selbst breit aufzuarbeiten. Dabei ist er darum
bestrebt, „das
Nebeneinander widersprüchlichster Empfindungen und Gefühle“ (S.
14) zu zeigen.
In seinem Prolog beschreibt er zunächst detailreich die Ereignisse
am 30. April
1945: Adolf Hitler verabschiedet sich von seinen engsten
Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern. Die gespenstischen letzten Stunden im „Führerbunker“
werden etwa
durch seine Sekretärin Traudl Junge beschrieben. Und auch Hitlers
Kammerdiener
Heinz Linge, der die Leichname von Hitler und seiner zuvor
angetrauten Ehefrau
Eva Braun verbrannte, kommt zu Wort. Diese zuvor schon häufig
beschriebenen
Szenen dienen auch Ullrich als Einstieg in das Ende. Sodann
schwenkt er auf die
oberirdischen Ereignisse um: die Eroberung Berlins durch die
sowjetische Armee
einschließlich des berühmten Hissens der sowjetischen Fahne auf
dem Reichstag,
das am 2. Mai fotografisch nachgestellt wurde. Mit der
Beschreibung der
Besetzung Münchens durch US-amerikanische Truppen, der Befreiung
des
Konzentrationslagers Dachau und der telegrafischen Benennung von
Großadmiral
Karl Dönitz als Nachfolger Hitlers beginnt der Mai.
Ullrich lässt das 1. Mai-Kapitel in Berlin beginnen. Die Stadt ist
inzwischen
von den Truppen der sowjetischen Armee eingenommen, die Gruppe im
Führerhauptquartier berät über eine Teilkapitulation der
Wehrmacht, um
Heeresgruppen und Flüchtlinge an der Ostfront zu retten.
Großadmiral Dönitz’
Rede im Radio und die Nachricht des „Heldentods“ von Adolf Hitler
kontrastiert
Ullrich mit Kommentaren aus verschiedenen Tagebüchern: spöttisch
der
Schriftsteller Erich Kästner – „Der Mann an der Drehorgel hat
gewechselt“ –
oder fassungslos deutsche Generäle in britischer
Kriegsgefangenschaft, die
Dönitz „als Rindvieh“ bezeichnen, hochbewegt die Journalistin
Ursula von
Kardorff, die das Deutschlandlied wieder mit „Sentimentalität“
hört (S. 41f.).
Stilmittel der Publikation ist das Aneinandersetzen solcherart
persönlicher
Einblicke, deren Entstehungszusammenhang kaum erläutert wird. Die
Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Ereignisse – die Freude über
das Ende auf
der einen Seite, Verzweiflung, Fanatismus und Entsetzen auf der
anderen – macht
er anhand der Beschreibung des massenhaften Suizids in Demmin,
einer Kleinstadt
in Mecklenburg-Vorpommern deutlich. Hier nutzt Ullrich historische
Forschungserkenntnisse. Auch wenn die tatsächliche Zahl der
Selbsttötungen
nicht eindeutig geklärt ist, kann von mindestens 900 Menschen
ausgegangen
werden, vor allem Frauen und Kinder, die die antisowjetische
Propaganda, aber
auch die plündernden und marodierenden Soldaten in kollektive
Panik versetzt
hatte. Viele Frauen hatten offenbar auch Vergewaltigung am eigenen
Leibe
erlebt. Die Tagebuchnotiz einer Lehrerin, „Freitote, am Sinn des
Lebens irre
geworden“ (S. 49), irritiert hier, soll aber vermutlich das Grauen
auf einen
Punkt bringen.
Anhand des 2. Mai 1945 beschreibt Ullrich die definitive
„Entzauberung“
Hitlers. Hierfür zitiert er bekannte Hitler-Gegnerinnen wie etwa
Ruth
Andreas-Friedrich und aus den „Berliner Aufzeichnungen 1945“ von
Karla Höcker,
die im Luftschutzkeller vom Tod Hitlers erfährt. Ihr zufolge
kommentiert eine
Frau nüchtern „na denn is ja jut“ und erntet dafür „dünnes
Gelächter“ (S. 62).
„Ein Großer“ sei „von dieser Welt gegangen“ schreibt dagegen
zeitgleich der
Chefredakteur der Hamburger Zeitung in einem Nachruf (S.
63). Mit der
inneren Leere, die der 16-jährige Hitlerjunge Lothar Loewe
verspürt, stellt
Ullrich eine weitere Facette der Gefühle dieser Nachkriegstage
dar. Rund um den
2. Mai erzählt Ullrich auch vom Zerfall der „Volksgemeinschaft“,
der Rückkehr
der Politemigranten aus Moskau, über die militärischen
Entwicklungen und die
Verhaftung Wernher von Brauns; hier fasst der Historiker die
Ereignisse auf
Basis der Forschungsliteratur zusammen. Am Ende des Kapitels lässt
er auch
Victor Klemperer zu Wort kommen, dessen Tagebuchnotizen die
Gefühle der
Befreiung wiedergeben.
Durch Montage der unterschiedlichsten zeitgenössischen
Beobachtungen und
historischen Erkenntnisse bietet der Historiker den Lesenden ein
buntes
Panorama an Ereignissen dieser ersten Mai-Woche 1945. Die Auswahl
der Themen
fügt sich zwar der groben Chronologie, scheint häufig aber vor
allem mit Blick
auf eine innere Dramaturgie erfolgt zu sein. Die
Massenvergewaltigung von
Frauen durch Soldaten der Roten Armee etwa thematisiert Ullrich
umfassend im
Kapitel zum 3. Mai 1945, auch wenn unklar bleibt, weshalb die
kriegsbedingte
sexuelle Gewalt just für diesen Tag abgehandelt wird. Hier
diskutiert Ullrich
zudem das Tagebuch der „Anonyma“, eine in der Vergangenheit schon
oft
hinterfragte Quelle, deren Authentizität er prüft und bestätigt.
Die Besetzung
des Obersalzbergs durch die US-amerikanische Armee setzt er im
Kapitel des 4.
Mai 1945 in Szene, behandelt umfassend auch die Geschichte und
Gesellschaft auf
Hitlers privatem Wohnsitz, dem Berghof. An jenem 4. Mai 1945
beschreibt Klaus
Mann in einem Brief an seinen Vater Thomas das einstige Reich
Hitlers als einen
„Trümmerhaufen. Sonst ist nichts mehr da“ (S. 128). Am selben Tag
wird Ullrichs
Darstellung zufolge Konrad Adenauer als Oberbürgermeister von Köln
eingesetzt
und der junge Offizier Helmut Schmidt notiert im britischen
Kriegsgefangenenlager in seinem Taschenkalender Gedanken über das
Kriegsende.
Die KZ-Häftlinge von Dachau finden in diesem Kapitel ebenfalls
Erwähnung, ihre
Befreiung fand jedoch bereits Ende April 1945 statt. Doch diese
Spitzfindigkeit
nur am Rande.
Volker Ullrich verbindet auf diese Weise „Endzeitstimmung“ und
„Aufbruchstimmung“ (S. 14) als parallele Erfahrungswelten. Dies
kombiniert er
besonders gut im Kapitel zum 5. Mai 1945, in dem das hektische
Festhalten der
NS-Elite an ihrer Macht und die Situation der befreiten
KZ-Häftlinge und
Displaced Persons nebeneinander beschrieben werden. Dass dabei
auch die
Biografie Simon Wiesenthals ausführlich wiedergegeben wird,
irritiert und
verwirrt. Einmal mehr vermischen sich Daten und Zeitpunkte mit den
Vor- und
Nachgeschichten. Der Eindruck verdichtet sich, dass es Ullrich nur
vordergründig um die Ereignisse jener Mai-Woche geht und diese
lediglich als
Anker dienen, um so viel wie möglich über die NS-Zeit zu erzählen.
Ullrich ist
mit seiner Montage zudem allzu oft an der Oberfläche oder im
Plakativen
verhaftet. Er mag nicht wirklich ergründen, was einem sein
Material über den
ersten Blick hinaus zu erzählen vermag. So gerät beispielsweise
seine
Thematisierung des inzwischen weithin bekannten Fotos der
US-amerikanischen
Fotojournalistin Lee Miller in der Badewanne von Hitlers Münchener
Wohnung,
fotografiert von ihrem Kollegen David Scherman, viel zu kurz.
Ullrich nutzt das
Bild lediglich als Illustration und Schnappschuss, um Miller eine
„makabre
Inszenierung“ zu unterstellen, die sich aus dem „Überschwang des
Triumphgefühls“ (S. 127) ergeben habe. Hier hätte man sich mehr
über die
Entstehungsgeschichte des Bildes gewünscht, das an jenem Tag in
großer Eile
entstanden war (auch Scherman ließ sich übrigens in der Badewanne
fotografieren). Auch die Geschichte von Lee Miller selbst hätte
etwas mehr
Hintergrund verdient, beendete sie doch nach ihrer Rückkehr aus
Deutschland
ihre Karriere als Fotojournalistin – und dies wohl aufgrund ihrer
Erfahrungen
als Fotografin der befreiten Konzentrationslager Dachau und
Buchenwald.
Neben den skizzierten Einwänden ist auch Ullrichs Umgang mit den
zeitgenössischen Quellen problematisch. Sie werden in den
seltensten Fällen
quellenkritisch kommentiert, kaum einmal wirklich als Ausdruck
einer
subjektiven Realität diskutiert, sondern in der Regel als bloße
Tatsachenberichte gelesen, die unhinterfragt nach Absicht und
Motiv eins zu
eins übernommen werden. Besonders eklatant fällt dies bei den
herangezogenen
Tagebuchauszügen und autobiografischen Darstellungen ehemaliger
Hitler-Getreuer
ins Auge, deren Entstehungskontexte an keiner Stelle aufgezeigt
werden. Hier
wäre deutlich mehr Distanz und Einordnung gefordert gewesen, was
der
Zusammenstellung der Erfahrungen keinen Abbruch getan hätte und
sicherlich auch
für das nicht-wissenschaftlich geschulte Publikum lesenswert
gewesen wäre. Das
Fazit zu Volker Ullrichs Buch fällt in Anbetracht der geäußerten
Kritik eher
verhalten aus. Zwar ist es Ullrich gelungen, Endzeit und Aufbruch
in den ersten
Mai-Tagen 1945 dicht darzustellen. Doch stellt sich die Frage, ob
die
Publikation durch eine klarere inhaltliche Strukturierung und mit
einem
stärkeren analytischen Blick nicht einen nachhaltigeren Eindruck
der Ereignisse
jener acht Tage im Mai hinterlassen hätte.
Zitation
Sabine Kittel: Rezension zu: Ullrich, Volker: Acht Tage
im Mai. Die letzte Woche des Dritten Reiches. München
2020. ISBN 978-3-406-74985-8,
In: H-Soz-Kult, 10.12.2020, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-29383>.