Guten Abend,
die folgende Besprechung betrifft ein Buch, das in englischer
Sprache verfaßt ist. Die Chance, daß es jemand von uns liest, ist
relativ gering. Aber ich fand den Rezensionstext per se interessant,
weil er relativ stark auf das Thema eingeht.
Roland Geiger
--------------------
Autor David Parrott
Erschienen Oxford 2020: Oxford
University Press
Anzahl Seiten 336 S.
Preis £ 65.00
ISBN 9780198797463
Rezensiert für H-Soz-Kult von Lars Behrisch, Universität Utrecht
Der Titel ist ein wenig reißerisch zugespitzt, doch zum
Bestseller taugt diese
ebenso akribische wie analytisch fundierte Darstellung des bei
Weitem
dramatischsten Jahrs im Bürgerkrieg der Fronde (1648–1653)
nicht. David
Parrott, bester Kenner der französischen Militärgeschichte des
17.
Jahrhunderts, unternimmt hier eine Neubewertung der Ereignisse
in dreierlei
Hinsicht: Erstens legt er den Akzent auf den bisher weniger
untersuchten
späteren Abschnitt der Fronde, die oft als fronde des
princes bezeichnet
wird (er gebraucht den Ausdruck allerdings nicht) – im Gegensatz
zur fronde
parlementaire von 1648–1649. Zweitens, damit verbunden,
möchte er die
Fronde stärker im Hinblick auf ihre Folgen als von ihrer
Vorgeschichte her
interpretieren. Drittens und vor allem geht es ihm – wiederum
mit der Frage
nach ihren Wirkungen verknüpft – um eine grundsätzliche
Neubewertung: Entgegen
der dominierenden Interpretation als eines letzten Aufbäumens
traditionaler,
vor allem (hoch-)aristokratischer Kräfte gegen den letztlich
siegreichen
zentralistischen Absolutismus zeichnet Parrot eine Konfrontation
nach, die zum
einen auf allen Seiten ausschließlich persönlichen und
faktionalen Interessen
gehorchte und deren Folge zum anderen nicht eine Konsolidierung
königlicher
Macht war, sondern im Gegenteil eine weitere Verfestigung jener
egoistisch-klientelären Machtstrukturen und damit – für das Land
als Ganzes –
der gewissenlosen, ja brutalen Ausbeutung seiner Ressourcen und
Bewohner/innen.
An die Stelle von Staatsbildungsszenarien, aber auch von Adels-
und
Ritterromantik tritt das Bild eines zutiefst korrupten, ja
skrupellosen
(überwiegend hochadligen) Machtkartells, dessen Mitglieder um
Gewinn und
Prestige kämpften – wenn nötig, bis aufs Blut.
Dieses Verdikt betrifft zuvörderst die knapp zwei Jahrzehnte
(1643–1661), in
denen anstelle des minderjährigen bzw. jugendlichen Ludwig XIV.
die Regierung
maßgeblich von Kardinal Mazarin, dem Favoriten der spanischen
Königinmutter
Anna von Österreich, geleitet wurde. Der tiefe Abscheu, den
Parrott für diesen
Mann hegt, der mit allen erdenklichen Mitteln an seiner Macht
festhielt und
zugleich das größte Privatvermögen zusammenraffte, das es im
frühneuzeitlichen
Frankreich (wenn nicht: Europa) jemals gab, und ebenso die
Eloquenz, mit der er
seinen Abscheu ausdrückt, stehen den zeitgenössischen Mazarinades
in
nichts nach, deren hasserfüllte Polemik bis zur Revolution
ihresgleichen
suchte. Diese waren zunächst der Begleittext der
„parlamentarischen“ Fronde von
Mai 1648 bis März 1649, in der sich das parlement von
Paris und weitere
oberste Gerichtshöfe des Landes den Steuerdekreten des Kardinals
widersetzten
und sich zugleich mit den Stadtbewohner/innen solidarisierten.
Dies endete mit
der militärischen Blockade von Paris sowie anschließend der
zumindest vordergründig
gütlichen Einigung zwischen den Parteien.
Angesichts der relativen Ereignislosigkeit zwischen Frühjahr
1649 und Herbst
1651 (und den anschließend anders gelagerten Frontlinien) ist es
fraglich, ob
man sinnvoll von „der“ Fronde reden kann. Entscheidend für die
Gewalteruption
des Jahres 1652 war während dieser Jahre, dass die sich schon
1648/49
abzeichnende Gegnerschaft auch von Mitgliedern des Hochadels
gegen Kardinal
Mazarin nun im ersten Prinzen von Geblüt, Louis II de
Bourbon-Condé – dem Grand
Condé – einen durch seine Geburt wie sein militärisches
Talent
erstklassigen Anführer erhielt. Hatte Condé Anfang 1649 noch die
Blockade von
Paris geleitet und damit Mazarins Macht wiederhergestellt, so
überwarf er sich
im Laufe desselben Jahres mit dem Kardinal und wurde sein
erbittertster Gegner
– der notorischste der vielen Seitenwechsel in der Fronde.
Während des gesamten
Folgejahrs zusammen mit seinem jüngeren Bruder, dem Prince de
Conti, von
Mazarin eingekerkert, wurde er im Februar 1651 unter dem
massiven Druck des
Pariser Parlaments sowie vieler Hochadliger entlassen – während
nun umgekehrt
Mazarin für knapp ein Jahr ins kurkölnische Exil gehen musste.
Einer der
Verteidiger des Prinzen – und eine zentrale Figur der weiteren
Ereignisse – war
Gaston d’Orléans, der Onkel des Königs, zu Lebzeiten seines
Bruders Ludwig
XIII. selbst ein notorischer Verschwörer und gewissermaßen
Frondeur avant la
lettre.
So wenig es verwundert, dass der allseits verhasste Mazarin
gegen eine ebenso
breite wie hoch- und höchstrangige Opposition außer Landes gehen
musste, so
sehr muss es erstaunen, dass der von ihr weitgehend als Anführer
anerkannte
Condé das entstandene politische Vakuum nicht ausfüllen konnte.
Doch Parrotts
Charakterisierung seines zweiten Protagonisten lässt an
Deutlichkeit ebenso
wenig zu wünschen übrig wie die des Kardinals – und auch für den
Prinzen hegt
er keinerlei Sympathie: Bewundert für sein militärisches Genie
und Charisma,
war Condé zugleich gefürchtet für seinen Jähzorn und seine
Eitelkeit; zudem betrachtete
er sich als durch Geburt allen Mitmenschen unendlich überlegen
und ließ sie
dies jederzeit wissen. Wo Mazarin größtes Geschick im Aufbauen
von Netzwerken
und Allianzen besaß – oft mittels gewaltiger Summen an Geld –,
zerstörte Condé
im Handumdrehen jede Sympathie, Gefolgschaft und Allianz. Er war
nicht fähig
oder willens, Loyalitäten zu belohnen, Konflikte zu schlichten
oder gar
Kompromisse einzugehen. So verspielte er sein riesiges
politisches Kapital am
Hof und in der Hauptstadt binnen eines halben Jahres. Kurz
nachdem er der
feierlichen Erklärung von Ludwigs Volljährigkeit ferngeblieben
war, begab er
sich im September 1651 in den Südwesten des Landes, um von hier
aus – mit
spanischer Unterstützung – für die ihm seiner Meinung nach
zustehende Stellung
am Hof und im Staat sowie gegen seine vermeintlichen (oder
inzwischen auch
wirklich existierenden) Gegner mit dem vom ihm bevorzugten und
ihm am meisten
liegenden Mittel vorzugehen: dem bewaffneten Kampf.
Ebenso minutiös wie spannend schildert Parrott die sich nun
entfaltenden,
überaus komplexen militärischen, politischen und diplomatischen
Ereignisse
zwischen Ende 1651, als Mazarins eigenmächtige Rückkehr aus dem
Exil die
zunächst wenig erfolgreiche Rebellion Condés zur landesweiten
militärischen Auseinandersetzung
eskalieren ließ, und Anfang 1653, als Condé sich nach ebenso
vielen
militärischen Erfolgen – die ihn für ein halbes Jahr in den
Besitz der
Hauptstadt brachten – wie politischen Fehlentscheidungen (und
dem massacre
de l’Hôtel de Ville, bei dem im Juli 1652 an die 100
Mitglieder der Pariser
Führungsschicht ums Leben kamen) nun an die andere
(nordöstliche) Peripherie
des Landes sowie endgültig in spanische Waffenbrüderschaft
brachte – und so
Mazarin die Rückkehr nach Paris und in die Regierung bescherte.
Einige Punkte, die Parrott besonders wichtig sind, seien
genannt. Zunächst
handelte es sich nicht eindeutig um „Sieg“ und „Niederlage“, ja
ist kaum
auszumachen, ob und wann die Fronde überhaupt beendet war: Weder
konnte sich
Mazarin nun ohne Weiteres behaupten – alle Gefolgschaft musste
er seither durch
die Verleihung von Titeln und die Vergabe von Pfründen teuer
erkaufen –, noch
war Condé aus dem Feld geschlagen: Weit davon entfernt,
aufzugeben, zog er es
einem auch noch so ehrenhaften Kompromiss mit dem Gegner vor,
als Condottiere
durch die Lande zu ziehen. Seine Allianz mit Spanien trug dabei
nicht wenig
dazu bei, dass die aufgrund der Fronde 1652 wieder verlorenen
militärischen
Gewinne der 1640er-Jahre – darunter namentlich Dünkirchen,
Barcelona und Casale
di Monferrato – nicht mehr zurückerobert wurden und der
Pyrenäenfrieden von
1659 hinter manchen der Gebietsgewinne zurückbleiben sollte, die
bis 1648
erzielt worden waren (immerhin ermöglichte er nun die Aussöhnung
Condés mit der
Krone).
Weit schwerer aber wog die innere Ausblutung des Landes infolge
der Fronde und
insbesondere der Kämpfe von 1652. In einem Kapitel zu den
Verheerungen dieses
Kriegsjahres – dramaturgisch geschickt zwischen die
Ereignisschilderungen
eingeschoben – beschreibt Parrott die katastrophale Verquickung
von klimatisch
bedingten Wetterextremen und Ernteausfällen in den unmittelbar
vorausgehenden
Jahren mit der systematischen Ausplünderung, ja der teilweise
gezielten
Verheerung weiter Teile des Landes. Parrott zufolge glich die
Kriegsführung von
1652 den Szenarien des späten Dreißigjährigen Krieges viel eher
als dem
englischen Bürgerkrieg; in primär betroffenen Regionen,
insbesondere dem
Pariser Becken, lag der Bevölkerungsverlust durch Krieg, Hunger
und Seuchen mit
bis zu einem Viertel kaum unter der Bilanz des deutschen Krieges
– und dies
nach einem einzigen Jahr! Nur wenige Regionen im Norden
(Bretagne, Normandie)
und im Osten (Burgund, Dauphiné) blieben von den Folgen des
Bürgerkriegs
weitgehend verschont.
Für die folgenden Jahre zeichnet Parrott im letzten Kapitel das
Bild eines
„vergifteten Jahrzehnts“ („cankered decade“) und einer
politischen Kultur, aus
der alle Wert- und Autoritätsvorstellungen entwichen waren: Nach
dem Vorbild
und unter Anleitung Mazarins verkam Politik zu einem ungenierten
und
aggressiven Geschacher um Titel und Einnahmen. Alle
Unterstützung und jeden
Verzicht auf Widerstand gegen ihn beglich der Kardinal durch den
Ausverkauf der
materiellen und symbolischen Ressourcen des Staates (sofern er
sie nicht für
sich selbst vereinnahmte). Selbst Inhaber subalterner
Gouverneursposten drohten
damit, sich Condé und Spanien anzuschließen, wenn ihren
Forderungen nach
Posten, Titeln und Geld nicht nachgegeben werde. Die Folge war –
neben der
Verrohung der politischen Umgangsformen und der materiellen
Ausbeutung des
Landes – eine Titelinflation, die die Ansprüche immer weiter in
die Höhe trieb
und eine „hyper-inflation of expectations“ erzeugte (S. 261),
die je länger,
desto weniger zu befriedigen waren und das Land zu Ende der
1650er-Jahre erneut
an den Rand der Kriseneskalation brachten. Ludwig XIV. erbte
1661 ein vielfach
ruiniertes Land: Parrott beschließt sein Werk mit Zitaten aus
dessen Memoiren,
die andeuten, wie sehr der nachmalige „Sonnenkönig“ unter
Mazarins Herrschaft
gelitten, es aber nicht gewagt hatte, ihn abzusetzen. Dieses
Thema wird in
Parrotts angekündigter Monographie zu jenem „vergifteten
Jahrzehnt“ sicher noch
gehörig vertieft werden.
Zitation
Lars Behrisch: Rezension zu: Parrott, David: 1652. The
Cardinal, the Prince,
and the Crisis of the 'Fronde'. Oxford 2020. ISBN 9780198797463, In: H-Soz-Kult,
08.12.2020, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-50121>.
|