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2020/12/06 11:03:04 Paul Glass via Regionalforum-Saar Re: [Regionalforum-Saar] Regionalforum-Saar Nachrichtensammlung, Band 192, Eintrag 4 |
Datum | 2020/12/07 17:59:49 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Ex Mandato. C. Kohl |
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2020/12/26 12:45:36 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] ein Mann von Welt |
Betreff | 2020/12/26 12:54:30 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Er ist auferstanden |
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2020/12/04 21:41:18 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Thomas P. und ich im Landesarchi v Saarbrücken. |
Autor | 2020/12/07 17:59:49 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Ex Mandato. C. Kohl |
Date: 2020/12/06 23:09:14
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Entnazifizierungsgeschichten.
Die Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit in der
frühen
Nachkriegszeit
Autor Hanne Leßau
Erschienen in Göttingen 2020: Wallstein
Verlag
Anzahl Seiten 526 S.
Preis € 46,00
ISBN 978-3-8353-3514-1
Inhalt => meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-58427.pdf
Rezensiert für H-Soz-Kult von Stefanie Rauch, Institute of
Advanced Studies,
University College London
Die frühe Nachkriegszeit ab 1945 rückt seit einigen Jahren
wieder vermehrt ins
Blickfeld. In dieser historischen Phase füllten mindestens 16
Millionen
Deutsche im Rahmen der Entnazifizierung einen Fragebogen aus,
davon 13
Millionen in den amerikanisch besetzten Gebieten (S. 78f.).
Hanne Leßaus an der
Ruhr-Universität Bochum entstandene Dissertation analysiert die
Entnazifizierung als Auseinandersetzung von Deutschen nicht nur
mit den
Behörden, sondern auch mit der eigenen Vergangenheit. Die
Autorin leistet damit
einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Nachkriegsgeschichte
und des
Umgangs mit dem Nationalsozialismus.
Die Deutungen ihrer Vergangenheit, die Deutsche in dieser Zeit
entwarfen,
hätten sowohl im ersten Jahrzehnt nach dem Ende des Krieges als
auch darüber
hinaus „das Sprechen über das eigene Leben während des
Nationalsozialismus“ (S.
13) in der Öffentlichkeit und ebenso im Privaten geprägt. Mit
einem
erfahrungsgeschichtlichen Zugang fragt Leßau danach, wie sich
Deutsche auf ihre
Entnazifizierung vorbereiteten, welche Gespräche und auch
Auseinandersetzungen
sie mit Bekannten oder Verwandten führten und welche
Auswirkungen das Verfahren
und das jeweilige Ergebnis auf sie hatten. Anhand des Beispiels
Nordrhein-Westfalen konzentriert sich Leßau auf die bislang
untererforschte britische
Besatzungszone. Dazu dient ihr eine Zufallsstichprobe von 800
Fällen aus
unterschiedlichen Berufsgruppen und sozioökonomischen Schichten.
Anhand von
Fallakten, Tagebüchern, Notizzetteln, Briefen und
Zeitungsartikeln wird
erörtert, wie sich Deutsche durch die Praxis der
Entnazifizierung vom
Nationalsozialismus distanzierten.
Nach dem einführenden Überblick umreißt das zweite Kapitel die
Entwicklung des
Fragebogens und bietet eine nützliche Synthese der Forschung auf
diesem Gebiet.
Leßau legt eindrücklich dar, wie sich die Erwartungshorizonte
der Befragten
unterschieden. Das Ausfüllen des Fragebogens war dabei
keineswegs nur eine
lästige Pflichtübung. Das Verfahren war aufwendig, und die
Befragten mussten
sich bei ihren Recherchen aktiv mit der eigenen Vergangenheit
beschäftigen. So
erfolgte auch eine Deutung der eigenen Rolle im
Nationalsozialismus (S. 94).
Der Autorin geht es explizit nicht um den „Nachweis objektiver
Falschaussagen“,
sondern um die „subjektive Wahrhaftigkeit der
Entnazifizierungsgeschichten“ (S.
34). Sie stellt aber heraus, dass gezielte Falschauskünfte kein
Massenphänomen
gewesen seien. Nicht zuletzt wussten Befragte nicht, inwieweit
ihre Angaben
automatisch überprüft würden, und Zeitungsberichte über die
Ahndung von
Falschaussagen hatten vermutlich eine abschreckende Wirkung (S.
106–108). Viele
der Befragten gaben sich Mühe, belastende Angaben zu erklären.
Aber sie mussten
auch selbst an ihre Ausführungen glauben können (S. 118f.).
Leßau stuft den
„subjektiven“ Wahrheitsgehalt daher als hoch ein.
Das dritte Kapitel zielt auf eine „Neubewertung“ (S. 123)
insbesondere der
Entlastungsbescheinigungen ab. Die meisten Leumundszeugnisse
wurden von
Personen im Bekannten- und Freundeskreis ausgestellt, oder von
KollegInnen; nur
ein kleiner Teil dagegen von Institutionen, ehemaligen
Verfolgten oder gar
seriellen EntlastungsschreiberInnen. Leßau zeigt, dass die
historische
Bewertung der sogenannten „Persilscheine“ oft auf Spekulation
und dem
Generalisieren von Einzelbeispielen basiert (S. 140). Die Bitte
um ein
Entlastungsschreiben war vielen zu überprüfenden Personen
unangenehm und führte
nicht in allen Fällen zum Ziel. Die zu Überprüfenden konnten die
AdressatInnen
nicht immer von ihrer Sicht auf die eigene NS-Vergangenheit
überzeugen. Leßau betont,
dass die Zeugnisse gemeinsam ausgehandelte Verfertigungen waren,
deren
„Erzählprinzipien“ (S. 180) vor allem auf der Darstellung
einzelner Ereignisse
beruhten. Die Episoden galten entweder als exemplarisch – als
Ausdruck von
Charaktereigenschaften –, oder sie standen im Zusammenhang einer
breiteren
Darstellung, wie sich der oder die zu Überprüfende zum
Nationalsozialismus
verhalten habe.
Im vierten Kapitel arbeitet Leßau die Bedeutung des
biografischen Erzählens für
die Distanzierung vom Nationalsozialismus heraus. Ein besonderes
Merkmal war
die Unterscheidung zwischen äußeren Beweggründen und innerer
Haltung. Gestützt
auf Moritz Föllmers Forschungen zu Individualität und Moderne
argumentiert
Leßau, dass die von den Alliierten und von deutschen
Widerstandszirkeln
vertretene Deutung des Nationalsozialismus als kollektivistisch
und
antiindividualistisch auch durch die deutsche
Mehrheitsgesellschaft
aufgegriffen wurde. So lasse sich die Betonung individueller,
innerer
Integrität in den Entnazifizierungsgeschichten erklären.
Indessen zeige das
Themenspektrum „eine spezifische historische Erfahrung“ in den
Jahren 1933–1945
(S. 234). Die Hauptthemenbereiche waren Äußerungen von Kritik,
Konflikte mit
der Partei oder deren Funktionären und die Weigerung, das eigene
Leben an den
Nationalsozialismus anzupassen (S. 235). Leßau nimmt an, dass es
sich mitunter
um Schutzbehauptungen handelte, die aber auf tatsächlich
gemachten Erfahrungen
in den 1930er-Jahren beruhten und einen „starken
Wirklichkeitsbezug“ besaßen (S.
251). In der Nachkriegszeit wurden jene „Uneindeutigkeiten“, die
die eigene
Zuordnung zum NS-Regime erst ermöglicht hatten, zu
grundsätzlicher Distanz
uminterpretiert (S. 252). Abgesehen von den Novemberpogromen
1938 oder dem
Boykott jüdischer Geschäfte fanden die NS-Verbrechen und auch
die Kriegsjahre
dagegen kaum Erwähnung. Neben den strategischen Gründen lag dies
laut Leßau
unter anderem daran, dass die Gewalt in den 1940er-Jahren keine
direkte
Positionierung der Deutschen zum Nationalsozialismus gefordert
habe. Dem könnte
man durchaus widersprechen. Millionen wurden Zeugen von Gewalt
oder waren
selbst daran beteiligt, nahmen sie aber nicht immer als Unrecht
wahr. Es liegt
nahe, dass sich zu Überprüfende nach 1945 vor allem nicht selbst
belasten
wollten. Die Entpolitisierung der Kriegsjahre in den
Nachkriegsgeschichten
würde ebenso eine genauere Untersuchung verdienen.
Leßau zeigt im fünften Kapitel, wie das Verfahren in der
britischen Zone, das
nicht auf einem zentralen Rechtstext basierte, der Logik von
Verwaltungsvorgängen folgte und bis Ende 1947 nicht öffentlich
einsehbar war,
sich auf die zu Überprüfenden auswirkte. Zwar sei das Verfahren
weitaus
ambitionierter gewesen als gemeinhin anerkannt wird, aber es
mangelte an
einheitlichen Richtlinien, an Effizienz und Gleichbehandlung.
Die zu
Überprüfenden versuchten daher, sich auf informellen Wegen
Informationen zu
beschaffen, die aber fragmentarisch und unverbindlich blieben.
Für die
insgesamt milde Entscheidungspraxis sei ausschlaggebend gewesen,
dass auch die
Ausschussmitglieder in ihrer Bewertung zwischen formalen,
äußeren Kriterien und
innerer Haltung trennten. In den Berufungsverfahren kamen
erstmals juristische
Prinzipien zum Einsatz, oftmals zu Gunsten der zu Überprüfenden,
die nun auch
wussten, was ihnen vorgeworfen wurde, und einen Rechtsbeistand
hinzuziehen
konnten. Die Überprüfung und Entnazifizierung aufgrund formaler
Belastung trat
so in den Hintergrund. Die Selbstdarstellungen der zu
Überprüfenden änderten
sich dadurch auch. Sie ähnelten nun den Schreiben in der
amerikanischen Zone,
wo das Verfahren von Anfang an juristisch geprägt war. Aber auch
in den
Berufungsverfahren betonten die zu Überprüfenden Individualität
und Distanz zum
„kollektivistischen Zwangssystem“ des Nationalsozialismus (S.
391). Bei den
Darstellungen handelte es sich um „zugleich rechtliche als auch
biografische
Deutungen“ (S. 397).
Im sechsten Kapitel argumentiert die Autorin, dass die
„Entnazifizierungsgeschichten“ nach dem offiziellen Ende der
Entnazifizierung
eine fortdauernde Wirkung hatten. Anhand der Berichte einer
Feldstudie des
Instituts für Sozialforschung aus den 1950er-Jahren konstatiert
sie eine
nachhaltige Prägung der Überprüften durch die
Entnazifizierungsgeschichten,
insbesondere die Distanzierung vom Nationalsozialismus. Leßau
zufolge handelte
es sich weder um eine rein verbale Abgrenzung vom
Nationalsozialismus, noch
änderten sich die Einstellungen der Überprüften. Vielmehr habe
eine Umdeutung
der eigenen Vergangenheit stattgefunden, die Kontinuität
ermöglichte (S. 457).
Allerdings werden hier im Vergleich zu den Interpretationen der
vorangehenden
Kapitel weder die Studie und ihre ProtagonistInnen noch die
1950er-Jahre
hinreichend kontextualisiert. So bleiben die Fragehorizonte und
die gemeinsame
Verfertigung von Interviews weitgehend außen vor. Dieser Teil
des Buches ist
insofern weniger systematisch und fundiert. Leßaus zentrales
Argument, dass die
Entnazifizierungsgeschichten „langfristig zur Distanzierung
zahlreicher
Deutscher vom Nationalsozialismus“ beitrugen (S. 457), klingt
zwar schlüssig,
bedarf aber weiterer Studien, die sich speziell diesem Thema
widmen und sich
auf eine breitere Quellenbasis stützen.
Die anschauliche Diskussion einer Erinnerungsschrift aus den
1960er-Jahren,
verfasst von einem Mann, dessen Entnazifizierungsgeschichte
Leßau zuvor
behandelt hat, lässt offen, warum nicht zumindest punktuell auch
Akten aus der
NS-Zeit einbezogen wurden. Leßau plädiert dafür,
Entnazifizierungsgeschichten
als Ego-Dokumente ernstzunehmen und sie nicht nur auf
historischen
Wahrheitsgehalt zu untersuchen. Allerdings wäre der Rückbezug
zur NS-Geschichte
zumindest hier von Interesse: Die Abkehr vom Nationalsozialismus
und der
Übergang zur Demokratie lassen sich besser einordnen, wenn man
auch das
Verhalten einer Person während der NS-Zeit betrachtet. Gerade im
Gebiet des
neuen Landes Nordrhein-Westfalen waren die
Entnazifizierungsverfahren außerdem
nicht der erste Kontakt mit der alliierten Besatzung, die
bereits ab Herbst
1944 ins Rheinland eingerückt war und Tausende von Deutschen
noch vor
Kriegsende verhört hatte. Eine Einordnung der Entnazifizierung
in diesen
breiteren Kontext steht noch aus. Des Weiteren wäre es
interessant gewesen,
herauszuarbeiten, inwieweit sich öffentliche Diskussionen, etwa
im Zuge der Nürnberger
Prozesse oder der Berichterstattungen zur Entnazifizierung in
der
amerikanischen Besatzungszone, in der Kommunikation und den
Eingaben
widerspiegeln.
Leßaus These, dass der Entnazifizierungsprozess zur
Distanzierung vom
Nationalsozialismus beigetragen habe, ist überzeugend und gibt
der Forschung
wichtige Impulse, lässt sie doch die Nachkriegszeit und die
„Umerziehung“ der
Deutschen in einem neuen Licht erscheinen, jenseits der bloßen
Frage nach
„Scheitern“ oder „Erfolg“. Die Rahmung der
Entnazifizierungsvorgänge als
Kommunikationsprozesse gibt Einblicke in ein Kapitel der
deutschen
Nachkriegsgeschichte, das vielen schon als ausgeforscht galt.
Leßau zeigt, wie
sich das gegenwärtige Interesse an Erfahrungswelten,
Handlungsspielräumen und
Erzählmustern auch produktiv auf die frühe Nachkriegszeit
anwenden lässt.
Künftige Studien zu den anderen Besatzungszonen, zu regionalen
Unterschieden
und zu Österreich werden diese Impulse hoffentlich aufgreifen.
Als Mittel zur Personalsäuberung, die verhindern sollte, dass
ehemalige
Parteimitglieder und FunktionärInnen den Aufbau der deutschen
Nachkriegsgesellschaft mitgestalten konnten, ist die
Entnazifizierung gewiss
gescheitert – dabei bleibt es. Aber Hanne Leßau zeigt in ihrer
gründlichen
Studie, dass die Entnazifizierung de facto als Mittel der
Auseinandersetzung
und „Umerziehung“ wirkte, die es Millionen von Deutschen
ermöglichte, ihr Leben
vor 1945 nach dem Ende des Krieges an die Demokratie
anzuschließen. Bis heute
prägt „die diskursive Umwertung der Beziehung zwischen Einzelnem
und NS-Regime,
die am Ende des Krieges eingesetzt hatte“ (S. 480), die
Auseinandersetzung mit
der NS-Zeit.
Zitation
Stefanie Rauch: Rezension zu: Leßau, Hanne:
Entnazifizierungsgeschichten. Die
Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit in der
frühen
Nachkriegszeit. Göttingen 2020. ISBN 978-3-8353-3514-1, In: H-Soz-Kult,
07.12.2020, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-29575>.