Thomas P. und ich im Landesarchiv
Saarbrücken.
Heute morgen war ich im Landesarchiv Saarbrücken, um mich mit ein
paar alten
Notariatsverträgen von der Realität abzulenken. Ich stellte mein
Auto ab, ging
zum verschlossenen Portal, klingelte und fragte die sich meldende
Stimme am
Interkom: „Bitte um Erlaubnis, an Bord zu kommen!“ Was mir gewährt
wurde. Ein
Mitarbeiter kam runter, öffnete die Tür und ließ mich ein.
Oben im Lesesaal erhielt ich die Akten, die vom letzten Besuch
vergangenen
Freitag noch übrig waren (Notar Eschrich, 1815, tolle Sachen
darunter, hab
einen positiven Offenkundigungsakt gefunden und eine remplacement,
wo einer für
einen anderen zum französischen Militär ging und nicht mehr
zurückkam, und ein
Inventar, wo der Dung in der Grube 10x so viel wert war wie die
Kleidung der
Verstorbenen. Kuhl. PS: nicht ärgern über das „wo“, ich bin
Saarlänna). Erst
hab ich eine Entschädigungsakte gescannt - ekliger Fall: Paul
Groben aus Ottweiler
hatte sich despektierlich über Hitler geäußert, was zu einer
Odysee durch
mehrere Konzentrationslager und zu seinem Tod im April 1945
führte; angestellt
vom Großvater eines 1930 geborenen unehelichen Sohnes, der nachher
von den
saarländischen Amtsbürohengsten juristisch und finanziell übern
Tisch gezogen
wurde (eklig zweimal, am Anfang und am Schluß).
Als ich dann munter am Abpinseln der Notariatsakten bin, kommt ein
anderer
Mitarbeiter des Archivs, der mich aufklärt, daß letzten Montag vom
Ministerium die schriftliche Anweisung kam, daß Besucher
des Lesesaals ab sofort nicht nur beim Aufstehen und Umherwandern
im Lesesaal,
im Gang (und damit auch aufm Klo, auch wenn das wohl dort nicht
drinstand),
sondern auch beim Sitzen am Tisch, also beim Arbeiten, eine Maske
zu tragen
hätten (ob auch beim Sitzen aufm Klo, hab ich mich nicht getraut
zu fragen).
Ich halte das zwar für Schwachsinn, denn außer mir ist im Lesesaal
nur noch ein
weiterer Besucher, der sitzt am anderen Ende an den Fenstern, und
die Aufsichtsperson
arbeitet an der Theke hinter Glas, aber als klassischer deutscher
Untertan
mache ich jede noch so unsinnige Anweisung gutgelaunt mit, weil
ich ja weiß,
daß die ganz oben viel mehr davon verstehen, was mir guttut, als
ich das je
wissen können werde, und binde mir das Ding um, was Exkrement ist,
weil mir
jetzt die Lesebrille voll beschlägt und ich nichts mehr sehen
kann. Also kommt
die Lesebrille runter, die Augen zusammengepetzt, dann geht das
irgendwie. Um
die Kopfschmerzen heute mittag kümmere ich mich dann. Aber richtig
sehen tue
ich nicht, also kommt die Brille wieder drauf, dafür lugt der
Riechkolben oben
über die Maske, dann beschlägt auch nichts. Den Kopf stecke ich
tief in die
Akten, das kriegt dann keiner mit.
Eine halbe Stunde vergeht, dann ist Lüftenszeit. Die Aufsehkraft
entschuldigt
sich im Vorfeld und reißt dann alle Fenster auf - nur für drei
Minuten, sagt
sie. Gut, daß wir Spätsommer haben. Nee, ham wir nicht.
Meteorologisch issesr
schon Winter, und der sagt, wo’s lang geht. Die Temperatur im Raum
sinkt
gefühlt von irgendwo um die 20 auf die 4 Grad plus, die mein Auto
heute morgen zuhause
aufm Hof gemessen hat. Ich eile in die Garderobe und schlüpfe in
die dicke
Jacke. Den Schal um den Hals, den Hut aufn Kopf, so schlendere ich
zurück auf
meinen Platz und arbeite weiter. Der andere Besucher hat sich
nicht gerappelt.
Er sitzt direkt am offenen Fenster und macht, als ob er nichts
merke.
Vielleicht merkt er wirklich nichts, vielleicht ist er aber auch
nur einfach
nicht so ein Weichei wie ich. Aber ohne Jacke hol ich mir bei den
Temparaturen
die Pieps, und das führt zu Atemwegssymptomatiken (so oder so
ähnlich heißt das
Wort auf der langen Liste mit den „muß“en und „nicht dürfen“n, die
ich im
Fahrstuhl beim Rauffahren jedesmal lese), und wenn ich die habe,
darf ich hier
nicht mehr rein.
Nach einer weiteren halben Stunde merke ich, daß es im Raum nicht
wirklich
wieder wärmer geht, aber die nächste staatlich verordnete
Lüftungsaktion mit
jagenden Minuten näherkommt. Und dann fällt mir auf, wie saublöd
das aussehen
muß, wie ich da voll bekleidet rumsitze und tippe. Also beschließe
ich schweren
Herzens aufzuhören. Ich packe zusammen, lasse meine Kiste
wegstellen und
verabschiede mich mit einem „Schönes Wochenende“, obwohl es
vermutlich eher ein
„Schönes Restjahr“ sein wird, wenn ich konsequent bleibe und dort
erst wieder
hingehe, wenn die Situation wieder normal ist. Ja, ich weiß, so zu
denken ist
naiv, aber ich sage mir immer: Hab Sonne im Herzen, und alles wird
gut.
Andererseits kann „Konsequenz“ sehr unangenehm werden, weil man
sich einem
höheren Ziel verpflichtet. Dafür bedarfs richtiger Helden und
keiner Sommersoldaten
oder Sonnenscheinpatrioten. Nicht wahr, Thomas?
Alsfassen am Abend des 4ten Xbers MMXX.
Roland Geiger
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Mit freundlichen Grüßen
Roland Geiger
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Roland Geiger
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