Spion ohne Grenzen. Heinz Felfe
– Agent in sieben
Geheimdiensten
Autor Bodo V. Hechelhammer,
Erschienen München 2019: Piper
Verlag
Anzahl Seiten 409 S.
Preis € 22,00
ISBN 978-3-492-05793-6
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Storkmann, Zentrum für
Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr,
Potsdam
Kurz bevor er Heinz Felfe um
Punkt 12 Uhr am 6. November
1961 im Präsidentengebäude des Bundesnachrichtendienstes (BND)
in Pullach
verhaften ließ, überreichte ihm ein Vorgesetzter noch eine
Medaille in
Würdigung für zehn Jahre treue Dienste für den westdeutschen
Auslandsnachrichtendienst. Die „Inszenierung dieses kleinen
Abschiedsstücks“
(S. 210) ließ sich der BND nicht nehmen. Felfe (1918–2008) hatte
dort und bei
seinem Vorläufer Organisation Gehlen (OG) zehn Jahre als
Spezialist für
Gegenspionage gearbeitet - und zugleich für den sowjetischen
KGB. Wer
Hechelhammers Buch liest, erfährt nicht nur alles über Felfe,
sondern auch viel
Neues und Spannendes über Geheimdienste. In nicht immer einfach
zu verstehender
Abgrenzung zur Spionageabwehr versuchte Felfes Gebiet der
Gegenspionage, in
gegnerischen Sicherheitsbehörden Agenten zu werben und so deren
Arbeitsweise
und Absichten aufzuklären. Dazu wurden erkannte oder sich selbst
offenbarende
gegnerische Spione nicht verhaftet, sondern zu Doppelagenten
„umgedreht“.
Hechelhammer verwendet dafür die geheimdiensttypische Sprache:
Im „Doppelspiel“
werde der Gegner mit „Spielmaterial“ (S. 147) versorgt. Da aber
mit Felfe der
KGB von diesen Operationen Kenntnis erlangte, konnte er
seinerseits ein
„doppeltes Doppelspiel“ beginnen – und die Spionageabwehr des
BND lahmlegen.
Hechelhammers Buch dreht sich nicht nur um Felfe, sondern um
gleich drei
sowjetische Agenten in OG und BND der 1950er-Jahre. Felfe, Hans
Clemens und
Erwin Tiebel kannten sich aus den Anfängen ihrer Berufskarriere
in den späten
1930er-Jahren beim Sicherheitsdienst (SD) der SS in Dresden.
Alle drei wurden
1950/51 in Zeiten ohne sichere berufliche Perspektive vom KGB
angeworben. Felfe
ließ sich darauf ein, auch aus Verbitterung, weil seine
Bewerbungen bei
westdeutschen Sicherheitsbehörden trotz jahrelanger Geduld nicht
vorankamen.
„Doch Felfe ließ sich auch aus Selbstüberschätzung mit den
Sowjets ein. Er war
überzeugt, dass er die Beziehung irgendwann wieder auflösen
konnte, wenn sie
keinen Vorteil mehr für ihn brachte.“ (S. 105) Felfe hatte lange
gewartet, aber
nicht lange genug. Am 1. September 1951 hatte er bei den Sowjets
unterschrieben, am 26. Oktober 1951 meldete sich die OG, am 15.
November trat
Felfe seinen Dienst bei der „Org“ an.
Mit den drei Spionen thematisiert Hechelhammer den viel zu lange
tabuisierten
Umgang von BND, Verfassungsschutz und anderen westdeutschen
Sicherheitsbehörden
mit ihren NS-belasteten Mitarbeitern. Wenn aber Hechelhammer dem
KGB vorwirft,
dieser habe gezielt NS-Belastete in die westdeutschen Dienste
bugsiert, um BND
und Verfassungsschutz bei deren späterem etwaigen Auffliegen
moralisch zu
diskreditieren, so tritt der Autor hier wohl allzu stark als
Verteidiger seines
Dienstherrn auf. Es bedurfte sicher nicht erst einer
sowjetischen Intrige, um
Altnazis in die westdeutschen Dienste zu bringen. (Ins Glashaus
hatten sich die
westdeutschen Behörden ganz allein gesetzt. Dass Sowjetunion und
DDR dann bei
sich bietender Gelegenheit mit Steinen warfen, darf nicht
verwundern. Der Kalte
Krieg war in erster Linie ein Propagandakrieg, in dem sich beide
Seiten nichts
schenkten.) Netzwerke früherer Mitarbeiter von Gestapo, SS, SD,
RSHA und den
diversen anderen Behörden im Verfolgungs- und Repressionsapparat
des
Nationalsozialismus verschafften sich nach 1949 neue Posten in
den
Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten der jungen
Bundesrepublik. Gestützt und unterstützt
von „alten Kameraden“ aus dem SD hatte sich Felfe nicht nur bei
der OG, sondern
bei nahezu allen neuaufzustellenden Diensten beworben: beim
Vorläufer des
Verfassungsschutzes des Landes NRW, beim aufzustellenden
Bundesamt für
Verfassungsschutz, beim Bundeskriminalamt (BKA), auch bei der
Kölner
Wasserschutzpolizei. Anders als die OG hatten die Kölner eine
Regelanfrage an
das Berlin Document Center (BDC) gestellt, in dem die Amerikaner
die
Personalakten der NSDAP aufbewahrten. So erfuhr die
Wasserschutzpolizei 1948,
was der BND erst 1961 völlig überraschend feststellte: dass
Felfe eine
SD-Vergangenheit hatte. Allerdings hatten auch die Briten
verhindert, dass die
braun-schwarzen Anfänge von Felfes Berufsleben bei westdeutschen
Behörden in
die Akten kamen, um ihren V-Mann zu schützen. In den Jahren nach
1945 bestritt
er seinen Lebensunterhalt als Informant des britischen
Geheimdienstes in NRW.
Felfe wurde zum „Nachrichtenhändler“ (S. 83) mit zweifelhaften
Ruf, „politisch
unzuverlässig“ und mit „dubiosen Ostkontakten“ (S. 110). Die als
Besatzungsmacht in NRW das Sagen habenden Briten warnten später
den dortigen
Verfassungsschutz vor der Bewerbung Felfes und verhinderten auch
seine
Anstellung beim BKA. Der MI6 hatte Felfe auf die Kommunistische
Partei angesetzt,
die er bis in ihre Bundestagsbüros beobachtete. Zum Schein
engagierte sich
Felfe in kommunistischen Gruppen, was ihm später bei OG und BND
die stetige
Sorge bereitete, was wohl „die Amerikaner“ über ihn in den Akten
hatten, wenn
diese nichts vom geheimdienstlichen Hintergrund seiner
vorrübergehenden
Hinwendung zum Kommunismus gewusst haben sollten. Felfes
Misstrauen sollte sich
als berechtigt erweisen. Am Ende waren es die „die Amerikaner“,
die ihn
enttarnten, als Spätfolge seiner Teilnahme an einer vom CIA 1956
organisierten
Amerikareise für BND-Mitarbeiter. Schon seit 1952 beäugte die
CIA Felfe
skeptisch, aber es fehlten handfeste Beweise für eine Tätigkeit
für die
Gegenseite. Diese lieferte wiederum ein Doppelagent,
Oberstleutnant Michael
Goleniewski alias „Sniper“. Dieser berichtete aus dem polnischen
Geheimdienst,
der KGB habe über die Teilnahme mehrerer seiner Agenten im BND
an einer
USA-Reise 1956 informiert. Um ihren Agenten in Warschau nicht zu
gefährden,
konnte die CIA die Informationen zunächst nicht an den BND
weitergeben. Erst
als sich Goleniewski Anfang 1961 in den Westen abgesetzt hatte,
weihte die CIA
Gehlen ein. Dem Vernehmen nach soll der BND-Präsident ob des
Verrats „schwer
geschockt“ gewesen sein – und habe seither niemandem mehr
getraut.
Über das Nachzeichnen der Tätigkeit Felfes für nicht weniger als
sieben
Geheimdienste versucht Hechelhammer, sich dem Menschen Heinz
Felfe anzunähern.
Dies gelingt dem Autor mit bemerkenswerter Empathie, wenn auch
ohne jede
Sympathie. Der auch in Pullach noch Sächselnde sei Zeit seines
Lebens „mit Leib
und Seele Dresdner“ (S. 14) geblieben. Geprägt von seinem Vater,
einem
königlich-sächsischen Kriminalinspektor und peniblen Beamten,
habe der junge
Felfe dessen Disziplin und Ordnung verinnerlicht, die sich zur
„Pedanterie“
steigerte (S. 27). Als Einzelkind habe sich Felfe zum echten
Familienmenschen
entwickelt. Hier liegen schon die tragischen Widersprüche in
Felfes Leben
offen: Der Verrat des Dienstherrn an den nachrichtendienstlichen
Gegner ließ sich
schwerlich mit dem Beamtenethos seines Vaters in Einklang
bringen und durch
seine Agententätigkeit setzte Felfe die materielle Basis und die
Reputation
seiner Familie aufs Spiel. Weiteres prägendes Charaktermerkmal
war Felfes
unbedingte Karriereorientierung. Schon als 17-Jähriger trat er
in die SS ein,
mit 18 in die NSDAP, mit 19 arbeitete in der Registratur des
NSDAP-Gaugerichts
– immer „seine Karriere fest im Blick“ (S. 30). Hier lernte er
das akribische
Aktenstudium, das ihm später in den nachrichtendienstlichen
Verwendungen
hilfreich werden sollte. 1940, mit 22, verpflichtete er sich als
V-Mann für den
SD. 1941 wurde Felfe in den SD übernommen. Trotz fehlenden
Abiturs verfolgte er
konsequent sein Ziel, Jura zu studieren. Über ein Sonderprogramm
für besonders
NS-treue Nachwuchshoffnungen bekam er die Hochschulreife und
wurde zum Studium
an der Führerschule der SiPo und des SD in Berlin-Charlottenburg
zugelassen.
Auch dort war Felfe, obwohl als einziger ohne Vorerfahrungen,
Lehrgangsbester.
So blieb es immer in Felfes Leben. Auch nach Haftentlassung in
die DDR 1969
legte er größten Wert auf akademische Weihen. Im
Schnellverfahren wurde der
verhinderte frühere Jurastudent Diplomkriminologe, dann Doktor
und schließlich
Lehrstuhlinhaber und Professor an der Humboldt-Universität.
Hilfreich wäre neben dem obligatorischen Personenregister ein
Sachwortregister
gewesen. Mit dessen Hilfe wäre es dem Leser leichter, bei den
vielen wiederholt
mit Decknamen genannten Operationen diverser Geheimdienste den
Überblick zu bewahren,
ohne seitenweise suchend zurückblättern zu müssen, um sich die
Operation wieder
ins Gedächtnis zu rufen. Dessen ungeachtet: Das in flotter,
leichter Sprache
verfasste Buch liest sich spannender als das Drehbuch der
meisten heutigen
ARD-Tatorte. Man will es gar mehr aus der Hand legen. Dazu trägt
auch
Hechelhammers hier und da aufblitzender feiner Sinn für Ironie
bei. Zu Felfes
vom BND in Beurteilungen attestiertem Fleiß und dessen „großes
Interesse“ an
seiner Arbeit kommentiert Hechelhammer, der KGB „dürfte sich
diesem Urteil mit
Sicherheit angeschlossen haben“ (S. 125). 1958 habe der BND
Felfe in die
Beurteilung geschrieben, er sei „außerordentlich am Dienst
interessiert“ – was
„in der Rückschau wie ein schlechter Witz anmutet“ (S. 177).
Zitation
Storkmann Klaus: Rezension zu:
Hechelhammer, Bodo V.: Spion
ohne Grenzen. Heinz Felfe – Agent in sieben Geheimdiensten.
München 2019.
ISBN 978-3-492-05793-6, In: H-Soz-Kult,
21.10.2020, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-50229>.