Das Heilige Köln - Tochter
Roms. Beiträge zu den Grundthemen
der Kölner Geschichte
Autor Heinz Finger
Reihe Libelli Rhenani 74
Erschienen Köln 2020: Erzbischöfliche
Diözesan- und Dombibliothek Köln mit Bibliothek St. Albertus
Magnus
Anzahl Seiten 234 S.
Preis € 20,00
ISBN 978-3-939160-84-7
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Rezensiert für H-Soz-Kult von Harald Horst, Erzbischöfliche
Diözesan- und
Dombibliothek Köln
„Heiliges Köln, von Gottes Gnade der römischen Kirche getreue
Tochter“,
verkündete stolz das Stadtsiegel von Köln, das vom 12. (in
gotischer Form seit
dem 13.) bis zum 18. Jahrhundert in Gebrauch war. Als „Medium
verbindlichster
Selbstaussage der Stadt“ bezeichnet Heinz Finger diese
Siegelumschrift
(Einführung, S. 11) und nimmt sie zum Ausgangspunkt seiner
Überlegungen zur
„Heiligkeit“ und Romverbundenheit Kölns, sieht im langen
Gebrauch des Siegels
zudem die Legitimation, im Untertitel seines Buches von
„Grundthemen der Kölner
Geschichte“ zu sprechen. Dem Autor geht es um Fragen wie diese:
Woher kam der
Stolz Kölns auf das Epitheton „heilig“, woher die Betonung
seiner Verbundenheit
mit Rom, die im verklärenden Rückblick des 19. Jahrhunderts
schließlich Köln
als das „zweite Rom“ erscheinen ließ? Welchen Wandlungen war
diese Haltung im
Lauf der Jahrhunderte unterworfen? Und gab es sie nicht auch in
anderen
Städten?
Heinz Finger, bis 2015 Direktor der Erzbischöflichen Diözesan-
und
Dombibliothek Köln und seit 1996 Honorarprofessor für
Mittelalterliche
Geschichte an der Universität Düsseldorf, legt mit diesem Band
allerdings keine
geschlossene Monographie zu seinem Oberthema vor. Die insgesamt
17, nach ihren
Inhalten chronologisch angeordneten Untersuchungen zielen zwar
alle auf diesen
„speziellen Forschungskomplex“, sind jedoch thematisch „in sich
vollkommen
abgeschlossen“ (Vorwort, S. 10). Sämtliche Beiträge waren
bislang unveröffentlicht;
die Nachweise in den Fußnoten lassen freilich erkennen, dass
Finger teilweise
auch aus dem umfangreichen Fundus seiner früheren Publikationen
schöpft. Man
möchte fast annehmen, dass er im Ruhestand endlich einem Thema
nachgehen
konnte, das sich ihm im Verlauf seiner Amtszeit und der daraus
hervorgehenden
Veröffentlichungen immer wieder aufdrängte.
Der Blick auf die besagten Attribute erfordert einen Vergleich
mit anderen
Städten, die durch Rom gegründet wurden und/oder sich selbst als
heilig
bezeichneten. Nach einem Blick auf den Ursprung der Bezeichnung
„Santa Colonia“
(I, S. 15–35) folgt daher eine kurze Darstellung weiterer Städte
mit Rombezug,
allen voran Konstantinopel und Moskau (II, S. 37–41). Weitere
Vergleichsmöglichkeiten bieten Trier (VII, S. 89–110), Mainz
(VIII, S.
111–124), Xanten als „Heiliges Troja“ (XIV, S. 167–177) sowie
die Kaiserstadt
Aachen (XV, S. 185–194). Für das Früh- und Hochmittelalter,
arbeitet Finger
klar heraus, kann Köln kein Alleinstellungsmerkmal für sich
beanspruchen: So
nannte sich das „Goldene Mainz“ nicht „treue“, sondern
„besondere Tochter“ (filia
specialis) der römischen Kirche – allzu groß wird man diesen
Unterschied nicht
bewerten (S. 111–113). Dagegen setzte die Bezeichnung „Heiliger
Stuhl von
Mainz“ den Erzbischofssitz verbal dem päpstlichen Stuhl gleich
und untermauerte
den Anspruch auf eine Vorrangstellung über die Diözesen nördlich
der Alpen, die
in Mainz bereits unter Erzbischof Willigis († 1011) erreicht
wurde (S.
119–122). Auch Trier beanspruchte, nicht zuletzt mit Hilfe der
Trebeta-Legende
sowie der angeblichen Bistumsgründung durch den Petrus-Schüler
Eucharius, viel
weitergehende Privilegien als Köln und behauptete sogar eine
patriarchalische
Stellung (S. 98–105).
Der Bezug auf Rom in Köln wie in anderen Städten, selbst wenn
sie sich auf
römische Gründung beriefen, war Fingers Untersuchungen zufolge
überwiegend
kirchlich geprägt. Schnell vermischen sich also Profan- und
Kirchengeschichte
bei diesem Thema, die sich im Mittelalter ohnehin nur
theoretisch trennen
lassen, „ganz gewiss nicht in Köln“ (Vorwort, S. 10). So bleibt
die römische
Kirche in dieser Publikation lediglich in der Antike (III, S.
43–52) und bei
der behaupteten stadtrömischen Herkunft der führenden Kölner
Geschlechter
(XIII, S. 161–166) außen vor – wobei selbst der Abstammungssage
eine starke
religiöse Komponente innewohnt (S. 165 mit Hinweis auf Klaus
Militzer). Ganz
klar: Romverbundenheit Kölns ist als Verbundenheit der
kölnischen mit der
römischen Kirche – und im Hochmittelalter zunehmend mit der
Person des Papstes
zu verstehen. Finger führt dies aus in den Kapiteln zur Kölner
Kirche in der
Spätantike (IV, S. 53–65 mit Bischof Maternus als angeblichem
Petrus-Schüler;
V, S. 67–73 zu den größten Überlieferungslücken), in fränkischer
Zeit (VI, S.
75–87 von Bonifatius bis Gunthar)[1] und im Hohen Mittelalter
(IX bis XI, S.
125–149 über besondere, päpstlichen Aufgaben analoge Funktionen
der Kölner
Erzbischöfe).
Der Begriff der Heiligkeit müsste somit abgeleitet sein aus dem
Einfluss der
Kölner Kirche auf die Stadt und deren absolute Romtreue, wie es
das Stadtsiegel
eigentlich nahelegt. Doch ist bereits diese Selbstbezeichnung
eine idealisierte
Konstruktion, wie Finger aufzeigt. Der Beginn der Bezeichnung
Kölns als heilige
Stadt fällt in die Amtszeit des Erzbischofs Hildebald (amtierend
787–818) und
steht wohl in Zusammenhang mit „Strategien der Sakralisierung“
des Politischen,
des Kirchenbaus, des kaiserlichen Hofes und seiner
Protagonisten, die unter
Karl dem Großen vorangetrieben wurden – Karl Ubl hat dies im
Tagungsband zum 8.
Kölner Handschriftensymposion ausgeführt.[2] Beide Autoren betonen,
dass die
Heiligkeit eines Gebäudes oder politischen Gebildes nur zu
verstehen ist als
Ableitung von der Heiligkeit der Reliquien, die es besitzt.
Wie also Karl der Große seinen Palast aufgrund der in der
Pfalzkapelle
aufbewahrten Reliquien einen sacrum palatium zu nennen begann[3], „begründete Köln seine
Heiligkeit mit
seinem kostbaren Reliquienbesitz und nicht zuletzt mit der
enormen Quantität
dieser Reliquien“ (I, S. 18). Mit der Übernahme der
Stadtherrschaft im 14.
Jahrhundert übernahm der Rat auch die Kontrolle über die
Reliquienschätze und
ihre Verehrung, etwa durch die Organisation von Prozessionen.
Ihre Treue zur
römischen Kirche nutzte die Stadt sodann als Instrument ihrer
Opposition zum
erzbischöflichen Stadtherren (XII, S. 151–160), nicht zuletzt
während der
beiden jeweils vom Erzbischof ausgehenden Reformationsversuche
im 16.
Jahrhundert (XVI, S. 195–212). Zu Recht weist Finger jedoch
darauf hin, dass
eigentlich das Domkapitel in Zusammenwirken mit der Universität
die
Reformversuche erfolgreich verhinderte – während die Rolle der
„bürgerlichen
Eliten in der Stadt Köln“ im Nachhinein geschönt dargestellt
wurde (S. 200–205,
Zitat S. 205). Seit der Konfessionalisierung hatte sich das
Verständnis der
„Heiligkeit“ Kölns ohnehin auf die exklusiv katholische Prägung
der Stadt
verlagert (S. 195), bis sie schon im 17. Jahrhundert bei
Aegidius Gelenius (S.
209f.) und erst recht nach der Säkularisation nur noch als
nostalgische
Erinnerung an mittelalterliche Traditionen beschworen wurde
(XVII, S. 213–225).
Den Band zeichnet das stupende Spezialwissen besonders in Bezug
auf kirchliche
Besonderheiten aus, das Heinz Finger schon in früheren
Publikationen bewies. So
dürfte nur Wenigen bekannt sein, dass es am Dom eine
Dreikönigskustodie (sowie
später eine Dreikönigsvikarie) gab (S. 32), oder was es mit dem
– römischem
Vorbild nacheifernden – Kölner Kardinalskollegium (X, S.
135–139) auf sich
hatte. Dies gilt auch für den Hinweis auf den zeitweiligen
Besitz einer den
Kölner Erzbischöfen anvertrauten Kirche in der Stadt Rom (IX, S.
130–134). Die
außergewöhnliche Mitgliedschaft des Papstes im Kölner Domkapitel
macht Finger –
entgegen der bisherigen Forschung – als im Grunde „erschlichen“
wahrscheinlich
(XII, S. 151–154, bes. 153).
Inhaltlich gibt es an der Publikation wenig zu kritisieren,
vielleicht dies: Ob
Erzbischof Hildebald von Köln die Dispens von der
Residenzpflicht in seinem
Sprengel von Papst Hadrian I. selbst erhielt (S. 84), mag
Ansichtssache sein.
Tatsächlich stimmten die auf der Frankfurter Synode 794
versammelten
Reichsbischöfe dieser Bitte Karls des Großen zu, nachdem dieser
behauptet
hatte, er habe vom Papst das gleiche Privileg wie bei Hildebalds
Vorgänger
Angilram von Metz erhalten.[4] Dass Hildebald zweimal
korrekt
„Erzkaplan“ Karls des Großen genannt wird (S. 83), unmittelbar
danach aber
„Erzkanzler“ (S. 84), geht als Flüchtigkeitsfehler durch.
Weitere
Nachlässigkeiten der Publikation sind dem Bereich Orthografie
und Interpunktion
zuzurechnen. Ein Orts- und Namenregister wäre hilfreich gewesen.
„Ein gemeinsames Fazit“ (S. 227–234) steht am Ende dieses
Sammelbandes und
macht in der Zusammenfassung der einzelnen Aufsätze deutlich,
dass sich bei
aller „Heiligkeit“ und Romnähe der Stadt nicht die gesamte
Geschichte Kölns
damit erklären lässt – die bedeutende Rolle Kölns in der Hanse
etwa steht damit
überhaupt nicht in Beziehung. Warum „Heiligkeit“ und Romnähe
ausgerechnet in
Köln im kollektiven Gedächtnis verankert sind, obwohl sich auch
andere Städte
als „heilig“ und „römisch“ bezeichneten, kann auch Heinz Finger
nicht
aufklären. Dem ohnehin nicht geringen Kölner Selbstbewusstsein
war und ist es
allemal zuträglich – auch wenn die Bezeichnung „Heiliges Köln“,
wie Finger
anmerkt (S. 15), heute zunehmend ironisch gebraucht wird.
Anmerkungen:
[1] Zu diesem Abschnitt wäre
noch zu
berücksichtigen: Carl Dietmar / Marcus Trier, Colonia, Stadt der
Franken. Köln
vom 5. bis 10. Jahrhundert, Köln 2011.
[2] Karl Ubl, Hildebald von
Köln und die
Heiligkeit. Strategien der Sakralisierung in der Zeit Karls des
Großen, in:
Harald Horst (Hrsg.), Mittelalterliche Handschriften der Kölner
Dombibliothek.
Achtes Symposion (Libelli Rhenani 73), Köln 2019, S. 17–35,
Zitat S. 33. – Der
Band erschien erst kurz vor dem besprochenen Werk von Heinz
Finger und konnte
von ihm nicht mehr berücksichtigt werden.
[3] Ubl, Hildebald von Köln, S.
19–24.
[4] Albert Werminghoff (Hrsg.),
Concilia Aevi
Karolini. T. I, p. 1 (MGH Concilia 2,1), Hannover 1906, S. 171:
„quia et de
eodem, sicut et de Angilramnum, apostolicam licentiam habebat.“
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