D. Schläppi u.a.
(Hrsg.):
Allmende
Von der Allmende zur Share Economy. Gemeinbesitz und kollektive
Ressourcen in
historischer und rechtlicher Perspektive
Herausgeber Schläppi, Daniel; Malte-Christian Gruber
Reihe Beiträge zur Rechts-, Gesellschafts- und Kulturkritik 15
Erschienen Berlin 2018: BWV
Berliner Wissenschafts-Verlag
Anzahl Seiten 311 S.
Preis € 46.00
ISBN 978-3-8305-3833-2
Inhalt => meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-55152.pdf
Besprochen von Tobias Haller, Institut für Sozialanthropologie,
Universität
Bern
Dieser Band beinhaltet eine bemerkenswerte Spannbreite von
Themen, die mit der
englischen Bezeichnung Commons oder zu Deutsch Gemein-
oder
Allmendgut in Bezug gebracht werden. Schläppi gibt in
seiner Einleitung
einen hervorragenden Überblick zum Begriff, der sich in seiner
Bedeutungsveränderung vom Management von natürlichen Ressourcen
wie Weide,
Wasser und Wälder hinzu einer neuen Form des gemeinschaftlichen
Wirtschaftens
gemausert hat. Ausgangspunkt ist die negative gefärbte
ökonomische Debatte,
dass diese Allmend-Ressourcen zwingend übernutzt werden, wenn
sie sich in
Allgemeinbesitz (common property) befänden. Dieses
Verdikt, das als die
Tragödie der Allmende (siehe Garrett Hardin 1968) in die
Wissenschaftsgeschichte der Nachhaltigkeit eingegangen ist,
wurde von diversen
WissenschafterInnen aus Ökonomie, Politologie und diversen
Disziplinen der
Sozialwissenschaften (wie beispielsweise der
Sozialanthropologie) grundlegend
hinterfragt und hat zudem zur umfassenden und nobelpreiswürdigen
Kritik an
Hardin durch Elinor Ostrom geführt. Sie zeigte mit ihrem Werk
«Governing the
Commons» (1990) auf, dass Menschen sehr wohl fähig sind,
nachhaltig zu
wirtschaften, indem sie kollektiv robuste Regelwerke
(Institutionen des
Managements von Allmend-Ressourcen) entwickelt haben. Diese
positive
Einschätzung der Commons hat eine breite Literatur und
eine positive
Grundhaltung des kommunalen Wirtschaftens produziert, das sich
in neuen Formen
zeigt. Nur gilt es, wie Schläppi richtig bemerkt, hinter die
Kulissen des
sogenannt neuen kommunalen Wirtschaftens zu blicken, das sich so
gemeinschaftlich in Taxi-Unternehmen, Teilen von Wohnungen und
anderen Share-Economy-Bereichen
bis hin zum Konzept von Smart Cities verbirgt.
Während der Begriff der Commons wie oben vermerkt mit
historischer
Nachhaltigkeit in Verbindung gebracht werden kann, stellen
Verstaatlichung und
Privatisierung vieler Ressourcenbereiche – Hardins
institutionelle
Lösungsrezepte – verhältnismäßig neue historische
eigentumsrechtliche
Regelungen dar, die nun jedoch ihrerseits in die Kritik der
Ressourcenschändung
geraten. Schläppi zeigt aber sehr gut auf, dass sowohl die
historischen Commons
nicht frei von sozialen und ökologischen Widersprüchen waren,
als auch die neue
Share Economy – zuerst als alternative Lösung perzipiert
– sich als
eigentliche Camouflage der kapitalistischen Privatisierung
entpuppt. So können
Gemeingüter-Institutionen der Vergangenheit mit ihren
Ausgrenzungsmechanismen
nicht einfach als Blueprint in die Gegenwart appliziert
werden, sondern
müssten prozessual gedacht erfasst werden. Bei der Share
Economy müsse
zudem deutlich werden, was die Shareholder an privatem
Gewinn erreichen
wollen.
Schläppi verweist sodann auf die sehr diverse Bandbreite des
Themas, das von
der Problematik der kommunal bestellten Güter (materielle und
immaterielle) und
Prozesse im Gemeingüterbereich bis hin zur ökonomischen Logik
und Dynamiken von
Persistenz betreffend Gemeinschaftsgütermanagement reicht. Hier
gilt
insbesondere das Augenmerk auf die Kraft von Identitätsbildung
zu richten wie
auch auf die Frage von Machtstrukturen, die m.E. in der
Einleitung und auch im
Band generell zu kurz kommen. Es ist in diesem Zusammenhang
wichtig, darauf zu
verweisen, dass Ostrom Fragen der Macht in der Aufstellung der
Grundprinzipien
für robuste Regelwerke in ihrem Buch, die sie vor allem aus
Forschung der
Sozial- und Kulturanthropologie herleitete (in der Schweiz z.B.
durch den
amerikanischen Anthropologen Robert Netting mit seiner Forschung
im Walliser
Dorf Törbel), fast vollständig ausklammerte. Während Schläppi
diesen Aspekt
zwar teilweise anklingen lässt, ist er theoretisch wie
konzeptuell im Band
nicht systematisch untersucht. Man hätte hier auch auf Modelle
der
Wirtschaftsgeschichte (siehe D. North 1990) und der
Sozialanthropologie (siehe
J. Ensminger 1992) zurückgreifen können. Es handelt sich dabei
um Ansätze, die
auch in einem Forschungsprojekt des Schweizerischen
Nationalfonds zum Wandel
der Commons in der Schweiz (von 1750 bis heute), auf das
Schläppi kurz
verweist, für die theoretische Konzeptionalisierung herangezogen
wurden.
Wichtig ist jedoch, und ist ein Verdienst dieses Bandes, dass
auf die
problematische Dichotomie zwischen Gemeingut einerseits und
Staatseigentum/Privateigentum andererseits hingewiesen wird.
Zudem behandeln
die Beiträge eine große Spannweite des Commons-Themas,
die neue Inputs
in der bisherigen Forschung zu geben vermögen.
Das Buch ist in drei thematische Teile gegliedert, welche die
oben erwähnte
Spannbreite verdeutlichen: a) Historische Beispiele von
Gemeinschaft und
Kooperation, b) Handlungsfelder der Gegenwart (Wissen,
Wirtschaft, Kultur und
Politik) sowie c) Zukunft der Commons bezüglich
kommunaler Landrechte
und indigener Souveränität im globalen Süden.
Es ist in dieser Rezension nicht möglich, auf alle diese
interessanten, aber
sehr weit gefächerten Texte gebührend einzugehen. Deshalb soll
hier nur kursiv
eine Einschätzung zu den einzelnen Themen gegeben werden. Ich
werde mich vor
allem auf die Frage von Machtbeziehungen und wie diese
angesprochen werden,
fokussieren.
Im ersten Teil zu den historischen Commons geht
Christian Hoffarth auf
die mittelalterlichen Konzepte der Commons im
christlichen Gedankengut
ein und hebt dabei die Arbeiten von Wyclif als Vordenker der
Reformation
hervor, der das Commoning zu einer christlichen Tugend
erklärte. Hier
wären die Machtkonstellationen in der Kirche für die Analyse
wichtig gewesen,
die eventuell bei Gelehrten wie Wyclif das Commoning als
Reaktion auf
die Gier des Klerus zu kontrastieren vermochten. Auch die
Landfriedensbündnisse
im 13. und 14. Jahrhundert aus der Wetterau sind vor allem unter
machtpolitischen Konstellationen zu verstehen und das
Hervorheben des
Gemeinschaftsgutes hat hier etwas sehr Strategisches (Beitrag
von Hendrik
Baumbach). In der häuslichen Ökonomie im Verhältnis von
Herrschaft und
Dienstboten (Beitrag von Sebastian Kühn) liesse sich ebenfalls
eine gewisse
analytische Schärfe erreichen, indem auf die
Verhandlungsmacht-Beziehungen
hingewiesen worden wäre, beispielsweise bei der Anerkennung des
Verdienstes der
Dienerschaft. Gut gefasst ist dieser Aspekt im Beitrag von
Gabriele Jancke, da
die Autorin auf die Vermittlung von Tradition als
Gemeinschaftskultur durch
Gelehrte verweist. Dabei hervorhebt sie hervor, dass nicht alle
Gelehrten die
gleiche Macht hatten, zentrale Begrifflichkeiten in diesem
Bereich zu
definieren (Verwaltung von immateriellen Ressourcen z.B. von
Gastfreundschaft).
Martin Stuber bietet dann mit seiner Analyse von kollektiver
Waldbewirtschaftung den einzigen Bezug zu einer «klassischen» Commons,
indem er die Prozesse der longue durée auf das
Waldmanagement der
lokalen Commoner-Gemeinschaft (der Burgergemeinde Bern)
anwendet. Er
zeigt, wie sich die Veränderungen der Energiezeitalter auf den
Wert und die
Preise von Wald und Waldressourcen sowie von Land als Bauland
auswirken und wie
dadurch die Teilhabe immer wieder neu ausgehandelt wurde,
basierend auf
unterschiedlichen Verhandlungsmacht-Konstellationen diverser
Akteursgruppen der
Stadt Bern.
Im zweiten Teil zur Gegenwart weitet sich der Commons-Begriff
im Text
von Olaf Dilling auf die digitalen Commons aus. Es wird
am Beispiel von
Wikipedia deutlich, wie sich kollektive Normen des guten
Schreibens auf
Wikipedia entwickeln, die auch Moralaspekte und die Frage der
Macht der neuen
Medien und deren interne Kontrolle basierend auf Reziprozität
und Vertrauen
aufzeigen. Aber auch hier sind Machtbeziehungen im
Kapitalismus-Kontext
wichtig, denn bezahlte Artikel werden zunehmend online gestellt
und drohen,
diese interne Commons-Kultur zu unterwandern. Ebenso ist
hier hervorzuheben:
Die Macht von kapitalistischen Marktakteuren wird immer auch
dazu dienen, sich
solche wichtigen und interessanten kommunalen Plattformen
anzueignen. Die
Verhandlungsmacht der gemeinschaftlich ausgerichteten Akteure
wird auch an
diesem Kontext zu messen sein. Hans-Dieter Schat hebt in seinem
Beitrag hervor,
wie Unternehmen das Commoning zur Effizienzsteigerung in
der Belegschaft
anzuwenden versuchen, um von solchen kollektiven
Motivationsspritzen zu
profitieren, indem Ideen und Handlungsoptionen gewinnbringend
gepoolt werden.
Hier gilt aber wiederum die Frage, wer von diesem Pooling
profitiert und wer
die Macht hat mitzubestimmen, was wo und wie gepoolt und wie die
Profite des
Poolings verteilt werden. Viola Hildebrand-Schat geht des
Weiteren auf die spannende
Frage von Kulturgütern als Gemeingut ein. Diese pendeln zwischen
dem der
Öffentlichkeit frei zugänglichen Kunst-Gutes (also hier „Open
Access“ und
eigentlich nicht Commons) und der Kunst als
kapitalistisches
Investitionsgut mit hohem Ausschlusscharakter. Mahnmale in Form
von Kunst
können zwar einen Gemeinschaftsgutaspekt aufweisen, aber auch
hier gelte es
wieder festzustellen, wer die Diskurse um diese
Gemeinschaftlichkeit prägt und
definiert. Dieter Kramer bietet anschließend einen historischen
Überblick zur
Frage des kollektiven Anrechts auf Elemente der Grundversorgung
in Europa. Er
zeigt auf, wie aus ständischen Privilegien allgemein
zugängliches Recht auf
Gesundheit, Bildung und kulturelles Leben wurde, von dem ein
großer Teil der
Bevölkerung in dieser Form früher ausgeschlossen war. Hier würde
ich
argumentieren, dass dies in dieser Dichotomie nicht der Fall
war: Durch
kommunale Systeme wurden gewisse Grundstrukturen gesichert
(Grundversorgung der
armen Commoners und teilweise auch gewisse Teilhabe von
sogenannten
Hintersassen), solange die Obrigkeit nicht allzu gierig auf
diese Ressourcen
zurückgriff und diese ausbeutete. Gerade Revolutionen und
(Bauern-)Aufstände
haben mit dieser Thematik zu tun, die als Resultat auch zu einer
Verallgemeinerung dieser Rechte beigetragen haben. Daraus
entstanden
Kompromisse, die die Teilhabe der sogenannt unteren Schichten
zur Folge hatte.
Teilhabe an Kultur für alle ruft dann aber im Sinne von Foucault
wiederum die
Frage auf, wie Kultur für alle definiert wird, wer dies tut und
welche
gouvernementalen Werte dabei mitgegeben werden.
Der dritte Teil verweist zuletzt auf ein Themenfeld der
Sozialanthropologie, in
dem von Philipp Altmann und Jonas Perrin in ihren Beiträgen eine
andere,
nämlich eine indigene Sichtweise und Ontologie von Commons
hervorgehoben
wird. Diese Diskussion, die von der Analyse der in
südamerikanischen indigenen
Kosmologien enthaltenen Konstruktion des «Mutter Erde»-Diskurs
geprägten ist,
zeigt die diversen Versatzstücke auf, mittels welchen der buen-vivir-Ansatz
in Ecuador und auch Bolivien die kommunale Emanzipation zu
versprechen scheint.
Zwar sieht in der Tat das Modell des «Guten Lebens» eine
kommunale Verteilung
von Gütern vor, basierend auf der neuen Legitimität der
indigenen Identität.
Doch fußt diese Akkumulation und Redistribution von Gütern auf
eigentlich
kapitalistisch und von Landraub und ökologischer Zerstörung
geprägten
extraktivistischen Prozessen (Bergbau und
Monokulturlandwirtschaft). Gut wird
in den Beiträgen die konstruktivistische Seite des Ansatzes
hervorgehoben, der
wiederum nur im Kontext der Definitionsmacht von Diskursen über
die Bedeutung
von Ökologie und Nachhaltigkeit zu verstehen ist. Es ist so
nicht erstaunlich,
dass sich im Prinzip sowohl in Ecuador wie auch in Bolivien
nichts an der
Grundausrichtung der kapitalistischen Ökonomie und der
Marktintegration
geändert hat und an die breite Versorgung durch kommunale
Redistribution dieser
Gewinne nicht zu denken ist. Perrin zeigt dann auch sehr gut
auf, weshalb der
Fokus auf kollektive Landrechte von großer Bedeutung ist, die im
Gegensatz zu
den privatrechtlichen Entwicklungen der letzten Jahrhunderte
stehen.
Menschenrechtskonventionen sowie Schutz der kollektiven Rechte
der indigenen
Völker sind wichtig, um die Verhandlungsmacht dieser Gruppen in
ihren Ländern
zu stärken. Dies wird jedoch auch nicht immer erreicht und so
kommt es, dass
indigene Gruppen trotz dieser neuen rechtlichen Normen einen
schweren Stand
haben. Insbesondere geraten sie je stärker unter Druck, je mehr
sich der Wert
ihrer Regionen und Landressourcen, die sie kollektiv verwalten
wollen, aufgrund
von Preisveränderungen erhöht. Auch hier stellt sich wiederum
die nicht
thematisierte Frage von Macht, respektive von Verhandlungsmacht
im Aushandeln
von Regelwerken mit anderen Akteuren.
Generell ist der Bogen des Bandes fast zu weit gespannt und ein
Schlusswort,
welches konzeptuell die vielen Fäden zusammengehalten hätte,
wäre von Nöten
gewesen. Man hätte somit konzeptuell die Macht-Frage sowie die
Interaktion auf diversen
Ebenen zwischen externen Faktoren (z.B. Umwelt-, Markt- und
Technologie-Faktoren) und der Veränderung des Wertes eines
Kontextes oder einer
Ressource hervorheben können, um dann in den einzelnen Kapiteln
darauf
hinzuweisen, wer nun die Verhandlungsmacht besitzt, um welche
Art von
Regelwerken des Kommunalen auf welche Weise zu definieren und zu
legitimieren.
Der Fokus auf Ostrom alleine reicht hier leider nicht aus,
sondern die neuere
Literatur betreffend Aushandlungsprozessen hätte man hier
gewinnbringend
einbeziehen können. Trotzdem ist der Band sehr wertvoll, vor
allem auch wegen
der diversen heterogenen Themen und Fallbeispiele, die als
Anregung für weitere
Reflexionen dienen können, und wegen der sehr gut verfassten
Einleitung von
Daniel Schläppi, der eine kritische, historische Tiefenschärfe
aufblitzen lässt.
|