A. Christoph (Hrsg.): Kartieren um 1800
Kartieren um 1800.
Herausgeber Christoph, Andreas
Reihe Laboratorium Aufklärung 19
Erschienen Paderborn 2019: Wilhelm
Fink Verlag
Anzahl Seiten 191 S.
Preis € 34,90
ISBN 978-3-7705-5189-7
Rezensiert für H-Soz-Kult von Fabian Fechner, Lehrgebiet
Geschichte Europas in
der Welt, FernUniversität in Hagen
„Kartieren um 1800“ – knapper Titel, kein Untertitel. Mit
entsprechender
Neugier wird der Sammelband aufgeschlagen und bald stellt sich
heraus: Der auf
den ersten Blick allgemein wirkende Titel ist noch weitaus zu
speziell gefasst,
denn um das „Kartieren“ geht es eigentlich nur in den ersten
beiden der
insgesamt fünf Aufsätze. Allerdings ist auch ein gewisser
geographischer Fokus
auf Freiberg/Sachsen und Thüringen festzustellen, wodurch der für
diese Zeit
übliche Blick auf das Kartieren in Frankreich und Großbritannien
dezentriert,
aber auch das altbekannte Lob der Landesaufnahme nicht erneut
angestimmt wird.
Das sehr knappe Vorwort des Herausgebers ist eher formaler Natur.
Einleitend referiert
aus mathematisch-technikgeschichtlicher Sicht Joachim Neumann 19
kartographische Projektionsarten, die um 1800 neu entworfen wurden
bzw. noch in
Gebrauch waren. Dieses wissenschaftshistorische Fundament wird bei
geisteswissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der
Kartographie oftmals zu
rasch übergangen, wenn sich der/die Lesende dann auch vielleicht
auf der harten
Hörsaalbank einer geographischen Einführungsveranstaltung wähnt.
Ausgangspunkt
der Ausführungen ist Johann Tobias Meyers zwischen 1777 und 1809
erschienenes
Lehrbuch „Gründlicher und ausführlicher Unterricht zur praktischen
Geometrie“.
Von großem Wert sind statistische Tendenzen zur Entwicklung der
gedruckten
Karte in der Frühen Neuzeit, beispielsweise hinsichtlich der
Kartenmaßstäbe und
der Blattgrößen (S. 25). Diese sind sonst nur nach langer
Quellenlektüre
herauszuarbeiten und gerade beim Einstieg in die Materie oder bei
der eigenen
Analyse von Kartenwerken äußerst hilfreich.
Im Anschluss charakterisiert Gyula Pápay „[d]ie Zeit um 1800 [...]
in der
topographischen Kartographie [als] eine Umbruchepoche, die sich
vor allem durch
den Übergang zur größeren Homogenität auszeichnet“ (S. 36). Auch
diese
Ausführungen haben eher einführenden Charakter. Der Blick auf
topographische
Landesaufnahmen bzw. Katastervermessungen in Österreich, Hannover,
Frankreich,
England, Württemberg, der Schweiz und vielen weiteren Staaten ist
mit seinem
komparatistischen Impetus sehr weit. Der Begriff der
„Homogenität“, der laut
Pápay in der Kartographie bislang eher unüblich sei und den der
Autor nun eben
für diese Disziplin vorschlagen will, schärft den Blick dafür,
dass um 1800
nicht nur Kartenmaßstäbe vereinheitlicht wurden (in der
vorgeschlagenen
Terminologie wäre von „der metrisch homogenen Raumdarstellung in
horizontaler
Beziehung“ die Rede, S. 37), sondern auch „vertikal“ die
Höhendarstellung zu
gewisser Einheitlichkeit fand. Bei dieser finden auch normierte
Böschungsschraffen (als heute kaum bekannte Kennzeichnung des
Reliefs zwischen
„Maulwurfshügel“ und Höhenlinie) besondere Beachtung. Der Begriff
der
„Homogenisierung“ sensibilisiert ohne Frage für die vielfachen
Bemühungen der
Vereinheitlichung in der Kartographie um 1800, doch ob der Begriff
deshalb
dauerhaft als Fachterminus eingeführt werden muss, sei
dahingestellt.
Mit dem Beitrag des Kunsthistorikers Jan von Brevern beginnt der
langsame
Abschied des Bandes vom Titelthema, doch ist damit gewonnen, dass
einige
Nachbarbereiche, die unser heutiges Verständnis der Bildwelt um
1800 fördern,
in die Betrachtung einbezogen werden. Die Ausführungen zur
Schulung des
„landschaftlichen Auges“ gehen auf die Annahme des
Konstruktionscharakters von
„Landschaft“ zurück. Nach einem unerwarteten und erfrischenden
Ausflug in die
Astronomiegeschichte – William Herschels Schlagwort des „mental
eye“ (S. 60)
ist entscheidend – macht von Brevern an zahlreichen Symptomen
einen Bruch in
der Geschichte der Wahrnehmung fest, dass in Herschels Zeit das
„einfache Sehen
[...] seine Unschuld verloren“ habe (S. 60f.) und vielmehr das
Beobachten
fortan gelehrt wurde, was unter anderem an neuen Traktattypen im
19.
Jahrhundert zu erkennen sei. Hinsichtlich der Landschaft wird das
Bedürfnis
nach Beobachtung auf mehreren Ebenen durchgespielt, etwa auf
akademischer Ebene
in Form der „ästhetischen Geographie“, auf einer populären Ebene
in Form der
„Myrioramen“ in den 1820er-Jahren, mit denen Spielkarten zu
Panoramen
kombiniert werden konnten – wobei aber nicht aus jeder
Kartenkombination
automatisch „Landschaft“ wurde. Mit einem Ausblick auf das späte
19.
Jahrhundert wird anhand einer Belegstelle (aus einem Vortrag des
Geologen
Albert Heim von 1894) nahegelegt, dass auch das Zeichnen zu einer
„Schule des
Sehens“ geworden war.
Die Wissenschaftshistorikerin Kathrin Polenz geht von der
Beobachtung aus, dass
es seit Mitte des 18. Jahrhunderts immer mehr Reiseführer für die
Alpen und die
deutschen Mittelgebirge gab, welche dann auch topographische
Karten und andere
Abbildungen enthielten. Das angekündigte Erkenntnisinteresse
(„einerseits die
Wege der Vermittlung von Wissen über die Gesteine, andererseits
die
Erschließung geognostischen Wissens aus der Natur über eine Praxis
der
Beobachtung und Beschreibung“, S. 74) wird anhand von einigen
Reiseführern zur
Schweiz, dem Thüringer Wald und dem Harz verfolgt, wobei nicht
immer klar wird,
nach welchen Kriterien die Auswahl der ausführlich besprochenen
Werke erfolgte.
Die besondere Bedeutung der Bergakademie in Freiberg bei der
Popularisierung
geognostischen Wissens wird überzeugend belegt, vor allem anhand
eines
Lehrkursus von Abraham Gottlob Werner – wie auch sonst im Artikel
spielt die
Kartographie keine besondere Rolle, sie wird kaum erwähnt (S. 83,
93).
Gesteinskundliche Rückschlüsse von Mittelgebirgen auf die weithin
unbekannten,
ungleich komplexeren Alpen waren nur bedingt möglich.
Von der historischen Bildungsforschung her blickend gelingt es
Kerrin Klinger
für die Zeit um 1800 nachzuweisen, „dass mathematische Kenntnisse
für einen
Adligen gewissermaßen zum Alltag gehörten“ (S. 120). Dass das
Beispiel des
Schriftstellers Friedrich von Hardenberg (Novalis) gewählt wurde,
liegt wohl
eher am Interesse an einem großen Namen der deutschen
Geistesgeschichte denn an
einer erwähnenswert guten Quellenlage. Die wenigen Schulhefte aus
dem
Familienarchiv können nämlich kaum kontextualisiert werden, und
für eine an
sich interessante Probekarte (die einzige tragfähige Verbindung
zum Kartieren)
gilt das in besonderem Maße. So ist einiges auf Vermutungen
gegründet, auch die
Verwendung von Lehrbüchern, sodass die Forschungsergebnisse wohl
eher in der
Novalis-Forschung als in der Wissenschaftsgeschichte Aufnahme
finden werden.
Sage und schreibe ein knappes Drittel des Bandes nimmt eine
kommentierte
Transkription einer 1796 in Weimar gedruckten programmatischen
Schrift ein, in
der ein aufgeklärter Geographieunterricht für Schulkinder
entworfen wird,
alters- und standesgemäß in drei Kurse aufgeteilt. Es handelt sich
um ein Werk
des Thüringer Geographen Adam Christian Gaspari, „Ueber den
methodischen
Unterricht in der Geographie und die zweckmäßigen Hülfsmittel
dazu“, in der
Ausgabe von 1796. Andreas Christoph führt kurz in das Werk ein und
kommentiert
knapp; die 74 Fußnoten klären vor allem biographische und
bibliographische
Zusammenhänge. Diese Schrift an sich zu untersuchen, ist fraglos
vielversprechend: Sie „erstaunt [...] ob ihrer innovativen Idee
einer
Aufteilung des geographischen Unterrichts in aufeinander
aufbauende Kurse und
liest sich geradezu wie eine moderne Handlungsanweisung zur
theoretischen und
praktischen Planung sowie Durchführung eines nach didaktischen
Gesichtspunkten
vielschichtig vernetzten Lehrplans.“ (S. 125) Inwiefern sich die
hier
wiederabgedruckte Auflage zum eng verwandten Hamburger Druck von
1789, der
nicht in den Buchhandel kam, und zu den anderen vier zwischen 1791
und 1819 in
Weimar erschienenen Auflagen unterscheidet, bleibt im Dunkeln. In
gewisser
Weise führt Christoph damit die bildungshistorische Richtung des
vorangehenden
Aufsatzes weiter. An drei Stellen kommt Gaspari in der
enzyklopädisch ausholenden
Schrift sogar auf Karten zu sprechen, wenn er sich nämlich fragt,
wie diese in
den drei Kursen gestaltet werden sollen (S. 144–150, 152, 155).
Diese
Bemerkungen zur Verwendung des Mediums Karte im Schulunterricht
sind sehr
ergiebig und verleihen der Kartengestaltung um 1800
aufschlussreiche Konturen.
Ob dieser Erkenntnisgewinn die 50 Druckseiten rechtfertigt, die
der
Komplettabdruck eines bereits in mehreren Auflagen vorliegenden
und bequem
(auch digital) zugänglichen Textes einnimmt, ist allerdings
fraglich. Übrigens
werden die editorischen Grundsätze nicht offengelegt, was
insbesondere bei den
Fußnoten irreführend ist (die Anmerkungen Gasparis werden durchweg
stark
modifiziert, wenn nicht gar ausgelassen, und sind nicht von den
von Christoph
neu gesetzten zu unterscheiden).
Für sich genommen kann jeder der durchweg kenntnisreich
geschriebenen,
sorgfältig lektorierten Artikel mit großem Gewinn gelesen werden,
wenn man sich
allgemein fragt, inwiefern die Zeit um 1800 auch eine visuelle und
didaktische
Umbruchzeit war. Dass dabei vom sächsischen und thüringischen Raum
schon weit
vor August Petermann auf kartographischem Gebiet entscheidende
Impulse
ausgingen, ist zentrales Ergebnis des Sammelbandes. Es ist zu
wünschen, dass
dies zu weiteren Forschungen auf dem Gebiet anregt.
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