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2020/02/12 18:19:09 Roland Geiger [Regionalforum-Saar] Kirchenreform und Landesherrschaft im 15. Jahrhundert. Studien aus den Acta Cusana |
Datum | 2020/02/28 20:05:35 Roland Geiger [Regionalforum-Saar] Tag der Archive im Landesarchiv Sa arbrücken am 7. März 2020 |
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2020/02/12 18:19:09 Roland Geiger [Regionalforum-Saar] Kirchenreform und Landesherrschaft im 15. Jahrhundert. Studien aus den Acta Cusana |
Betreff | 2020/02/03 21:01:54 Roland Geiger [Regionalforum-Saar] Mühlen, Kraftwerke, Wasse rbauten: Die Regulierung von Flüssen und Gewässern . Rechtshistorische Tagung |
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2020/02/12 18:19:09 Roland Geiger [Regionalforum-Saar] Kirchenreform und Landesherrschaft im 15. Jahrhundert. Studien aus den Acta Cusana |
Autor | 2020/02/28 20:05:35 Roland Geiger [Regionalforum-Saar] Tag der Archive im Landesarchiv Sa arbrücken am 7. März 2020 |
Date: 2020/02/18 22:13:34
From: Roland Geiger <alsfassen(a)...
Menschenzucht. Frühe Ideen und
Strategien 1500–1870
Autor Maren Lorenz
Erschienen Göttingen 2018: Wallstein
Verlag
Seiten 416 S.
Preis € 34,90
ISBN 978-3-8353-3349-9
Inhalt meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-54625.pdf
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Regine Maritz, Historisches Institut, Universität Bern
Sicherlich zu Recht besteht Maren Lorenz in der Einführung zu
ihrem hier zu
rezensierenden Buch auf die historische Relevanz des Themas Menschenzucht;
zumal heute die aktive genetische Manipulation von menschlichen
Embryonen in
greifbare Nähe rückt und sich medizinisch unterstützte
Fortpflanzungsmethoden
immer weiter verbreiten. In ihrer Studie will sie
„Normalisierungsprozesse“
untersuchen, durch die „gedankliche Grenzen und kollektive
Wertvorstellungen“
verschoben wurden (S. 10). Daher arbeitet der vorliegende
Beitrag zur
Ideengeschichte mit Michel Foucaults Konzepten zu Gouvernementalität
und
Bio-Macht, sowie mit Ludwik Flecks Überlegungen zu Denkkollektiven
und strebt somit eine breite Kontextualisierung der Diskussionen
um
bevölkerungspolitische Optimierungen an. Dies gelingt Lorenz
auch beispielhaft.
Sie liefert eine wichtige Untersuchung proto-eugenischer Ideen
und führt
souverän in ein bisher wenig bearbeitetes Thema ein. Der
überwiegende Fokus der
Studie liegt auf dem 18. und 19. Jahrhundert, was angesichts des
recht offen
gehaltenen Titels erwähnt werden muss. Gerade der Fokus auf die
Vorgeschichte
der Eugenik ist besonders interessant, da die Autorin hier die
tiefen Wurzeln
der (pseudo-)wissenschaftlichen Unterfütterung dieser Bewegung
auf nuancierte
Art und Weise historisieren kann. Die Studie verfolgt einen
transnationalen
Fokus und beschäftigt sich ausführlich mit dem Alten Reich,
Frankreich,
Großbritannien und Nordamerika. Dem Leser oder der Leserin wird
es so
ermöglicht zu beobachten, wie einzelne proto-eugenische Konzepte
und Vorschläge
in verschiedenen Kontexten entwickelt und entweder aufgegriffen
oder
zurückgewiesen wurden.
In ihrem ersten Kapitel unterstreicht Lorenz, wie Überlegungen
zur Entwicklung
idealer Staatlichkeit bereits im voraufklärerischen Europa fast
immer auch beim
Thema menschliche Reproduktion ansetzten. Das Kapitel analysiert
diverse
Textstellen in den Utopien von Thomas More, Francis Bacon und
einer Reihe
anderer frühneuzeitlicher Denker, sowie in den
staatstheoretischen Schriften
Jean Bodins. Lorenz betont, dass religiöse und ständische
Logiken zu dieser
Zeit variabel eingesetzt werden konnten, um körperliche
Differenzen auf
unterschiedliche Art und Weise zu interpretieren. Insgesamt
bestätigt Lorenz
für die ausgehende Frühe Neuzeit eine fortschreitende Abwendung
von religiösen
Erklärungsmustern hin zu einer vermehrten Privilegierung von
Naturbeobachtungen, worauf zum Beispiel der Erfolg von Johann
Caspar Lavaters
Physiognomie hindeutet.
Kapitel zwei und drei befassen sich mit der Epoche, die von
Lorenz als für die
vorliegende Thematik am ausschlaggebendsten identifiziert wird:
der Aufklärung.
Das zweite Kapitel untersucht die Sattelzeit im Alten Reich. Im
Kontext
landesfürstlicher Herrschaft wurden dort Konzepte und Ordnungen
zur besseren
Kontrolle des Volkskörpers entwickelt, wie zum Beispiel Johann
Peter Franks
„medicinische Policey“ (S. 100). Die Kernideen Franks und seiner
Kollegen zu
Themen wie Samenökonomie und Gesundheitschecks für
Heiratswillige, gepaart mit
dem erwachenden Selbstbewusstsein von Medizinern, die nun als
Experten über
gesellschaftliche Ordnungen präsidierten, führt die Autorin
gekonnt anhand von
einigen spannenden Fallstudien vor.
Im folgenden Kapitel werden die Debatten in Frankreich für
dieselbe Periode
vergleichend analysiert. Dort verstärkten die Revolution und
ihre unsteten
Nachwirkungen die Beschäftigung mit Problemfeldern wie
Bevölkerungsschwund und
„Degeneration“ (S. 149–51). Lorenz bespricht unter anderem die
Vorschläge zur
sozialen Restrukturierung von Sexualität und Fortpflanzung
anhand der Schriften
von Jean-Jacques Rousseau und dem Marquis de Sade, sowie die
Reflexionen von
Maupertuis und Diderot zur Erblichkeit physischer und
moralischer Qualitäten. In
den französischen Kolonien konnten diese Gedankenspiele zur
Optimierung
menschlicher Zucht schließlich in die Praxis umgesetzt werden.
Die Autorin
zeigt hier, dass die Machtstrukturen in den Kolonien mit den
Hierarchien der
neuen gegenderten, rassistischen Konzeption der Gesellschaft
deckungsgleich
waren. Sie liefert somit ein weiteres implizites Argument für
ihren Zugang:
„neue“ Ideen erweisen sich nämlich stets als Modifikationen und
Anpassungen von
vorbestehenden Strukturen und Ideen.
Das vierte Kapitel der Studie nimmt Großbritannien in den Blick.
Literarische
Auseinandersetzungen mit dem Thema Reproduktion und
Vererblichkeit bilden hier
den Ausgangspunkt für eine Betrachtung der internen britischen
Diskussionen zum
Thema. Zum Beispiel schlug Jonathan Swift in einer Polemik von
1729 vor,
verarmte irische Kinder als Nahrungsmittel zu verwenden, um
ihnen einen
gesellschaftlichen Nutzen abzugewinnen. Diese analytische
Verknüpfung der
Diskussionen um menschlichen Überschuss und Ressourcenknappheit
wurde schließlich
etwa 70 Jahre später effektvoll von Thomas Robert Malthus
bearbeitet. Der
Schockfaktor war sowohl für die zeitgenössische Literatur als
auch für die
Wissenschaft in diesem Bereich zentral, wie die regen sich
entfaltenden
Diskussionen über die Implikationen von kontrollierter
Bevölkerungspolitik in
Zeitungen und anderen öffentlichen Räumen beweisen.
Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit der Neuen Welt. Lorenz
argumentiert,
dass proto-eugenisches Gedankengut gerade dort auf besonders
fruchtbaren Boden
stieß. Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg war die lokale Elite
stark dezimiert
und die Frage nach den künftigen Führungsschichten der USA
stellte sich mit
Dringlichkeit. Darüber hinaus verlangte die heikle Frage der
Integration der
schwarzen Bevölkerung Aufmerksamkeit, weshalb Schriften,
Vorträge und Debatten,
die sich mit der Optimierung von menschlicher Reproduktion
auseinandersetzten,
auf großes Interesse stießen und nicht nur intellektuelle,
sondern auch
kommerzielle Chancen eröffneten. Diese Vorschläge und Ideen
bildeten ein
breites Spektrum ab und die Autorin geht im Besonderen auf die
Phrenologie ein,
also jene Idee, dass Vermessungen des Schädels eines Menschen
dessen Talente
und Einschränkungen nachweisen können.
Im letzten Kapitel untersucht Lorenz die Modalitäten der
Übernahme
proto-eugenischen Gedankenguts in den privaten Haushalt und
liefert somit einen
angemessenen Schluss für ihre auf Foucault aufbauende Studie.
Sowohl für
Alteuropa als auch in den USA verfolgt sie die
Publikationsgeschichten von
Eheratgebern, die behaupteten, bei der Zeugung von besonders
schönen (und
männlichen) Kindern Hilfe leisten zu können. Neben dem Wunsch,
zur Optimierung
der Bevölkerung beizutragen, sieht Lorenz den Erfolg dieser
Schriften auch
darin begründet, dass hier oft anatomisch bis schlüpfrige
Illustrationen
enthalten waren, und nebenbei auch stets Tipps zur Verhütung
erlernt werden
konnten. Diese Texte sowie die Vorträge und Demonstrationen
ihrer Autoren
trugen dazu bei, breiten Bevölkerungsschichten das Vertrauen zu
den
medizinischen Wissenschaften und deren Vertretern anzuerziehen
und somit den
gesellschaftlichen und privaten Rahmen für die Empfängnis von
praktischen
Anwendungen der Menschenzucht vorzubereiten.
Da Lorenz spezifisch an Normalisierungsprozessen – also an
Veränderung –
interessiert ist, wirft ihr Material, welches von zentralen
Kontinuitäten
zeugt, weitere Fragen auf. Zum Beispiel fällt auf, dass die in
der antiken
Imaginationstheorie angelegte Annahme der engen Verbindung
zwischen den
mentalen Zuständen einer Schwangeren und der Unversehrtheit
ihres Fötus bis
weit ins 19. Jahrhundert weiterlebte (S. 50–53 und 299). Dieses
Konzept
entfaltete also über Jahrhunderte seinen Einfluss und es wäre
interessant zu
fragen, was die Resilienz dieses Diskurses ausmachte. Des
Weiteren nimmt das
vorliegende Buch Religion zumeist als ein normsetzendes Bündel
von Argumenten
in den Blick, welches dank der Grundsätze von Barmherzigkeit und
Nächstenliebe
radikalere Vorschläge von Naturwissenschaftlern für einige Zeit
abfederte (z.B.
S. 104, 111, 152, 319). Jedoch scheinen Glauben und Religion in
manchen von der
Autorin angesprochenen Situationen auch in andere Richtungen zu
weisen. So etwa
im Fall von John Humphrey Noyes, der in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts
danach strebte, seine – angeblich – von Gott auserwählte
Blutlinie in
innovativen, sektiererisch anmutenden Familienstrukturen
fortzupflanzen (S.
265–271). Für die Rezensentin regen solche Handlungen auch zu
Überlegungen dazu
an, welche Wechselwirkungen sich zwischen spirituellen
Bedürfnissen und
entstehenden Individualisierungskonzepten entfalteten und ob
diese
proto-eugenischen Praktiken weiter den Weg bereiteten. Solche
weiterführenden
Fragen aufzuwerfen, ist ein weiterer Verdienst dieser
lesenswerten Studie.
Darüber hinaus ist die Genderperspektive, die sich
gewinnbringend durch das
gesamte Buch zieht, ein besonders interessanter und methodisch
wertvoller
Beitrag zur nach wie vor sehr männlich konnotierten
Wissenschafts- und
Ideengeschichte.
Zitation
Regine Maritz: Rezension zu: Lorenz, Maren: Menschenzucht.
Frühe Ideen und
Strategien 1500–1870. Göttingen 2018. ISBN 978-3-8353-3349-9, in: H-Soz-Kult,
19.02.2020, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-27397>.