„Allerunterthänigst unterfertigte Bitte“ –
Inhalt, Form
und Bedeutung von Bittschriften im langen 19. Jahrhundert
Ort München
Veranstalter Marion
Dotter / Ulrike
Marlow
Datum 29.10.2020 -
30.10.2020
Bewerbungsschluss 01.03.2020
Von Marion Dotter
Vom „halben Bein“ des Kriegsveteranen bis zur Begnadigung des
Todeskandidaten:
Hunderte Bittschriften zu unterschiedlichsten Themen und in
verschiedensten
Formen erreichten jährlich die Staatsoberhäupter des 19.
Jahrhunderts. Aber
nicht nur die höchsten Entscheidungsträger der Monarchien und
frühen Republiken
wurden um Gnadengaben gebeten, auch bedeutende Persönlichkeiten in
ihrem Umfeld
oder in anderen Macht- und Einflusspositionen, wie Hochadelige,
Mitglieder der
Herrscherfamilien, Minister oder Parlamentsabgeordnete waren über
diese
Textsorte mit dem Volk verbunden und konnten dadurch nicht selten
ein enges
Patronagenetzwerk aufbauen.
So umfangreich jedoch die Zahl der überlieferten Bestände, so
überschaubar ist
gleichzeitig die diesbezügliche Forschung. Hier soll der Workshop
ansetzen: Er
sucht nach methodisch und inhaltlich innovativen Wegen, mit
Bittschriften als
historischer Quelle umzugehen und aus ihnen dadurch neue
Erkenntnisse für
aktuell relevante Forschungsfelder zu generieren. Fünf
Fragenkomplexe sollen
dabei im Vordergrund stehen:
- Wie lassen sich Bittschriften als Textsorte beschreiben und
definieren? Wie
sind sie von anderen mündlichen und schriftlichen Bitten (z.B.
Audienzen,
Petitionen) abgrenzbar? Welche stilistischen und inhaltlichen
Merkmale besaß
eine "gute", d.h. eine erfolgsversprechende Bittschrift im 19.
Jahrhundert und wie zirkulierte das Wissen über deren Abfassung?
- Worauf stützten die Verfasser der Bittschriften ihre Hoffnung
auf
Bewilligung? Welche Formen von Loyalität werden anhand der
Bittschriften
sichtbar und wie wurden diese in den Texten transportiert?
- Welche gesellschaftlichen und politischen Akteure erhielten
wann, warum und
von wem eine Bittschrift? Welche Möglichkeiten der Einflussnahme
besaßen sie
bzw. wie lässt sich diese „messen"? Wie gingen sie selbst und der
staatliche Verwaltungsapparat mit den Bittschriften um? Welche
Rolle spielten
dabei insbesondere genderbezogene Unterschiede?
- Inwiefern dienten Bittschriften (und ähnliche Formate wie
Petitionen oder
Gravamina) der Staatsbildung und politischen Modernisierung durch
nicht-staatliche Akteure, inwiefern war also der Einzelfall
Ausgangspunkt
weitreichenderer staatsrechtlicher Reformen? Wie veränderte im
Gegenzug aber
auch die entstehende Sozialpolitik die Inhalte und Bedeutung von
Bittschriften
im 19. Jahrhundert?
- Wie lassen sich Bittschriften als Massenquellen der Neuzeit
systematisch
auswerten? Welche Methoden sind für ihre Analyse sinnvoll und
welche
Möglichkeiten bzw. Grenzen bieten hierbei insbesondere die Digital
Humanities?
Damit schließt dieser Workshop konzeptionell an zahlreiche,
virulente
Themenfelder der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft an: Durch
den Fokus
auf die Textsorte der Bittschriften versucht er Regieren als
soziale Praxis
gleichermaßen „von oben“ wie auch „von unten“ zu diskutieren und
eine Vielzahl
von lange Zeit wenig beachteten Akteuren – beispielsweise Frauen
und
Personenverbände – in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken.
Ihre „Agency“
als Produzenten und Rezipienten von Suppliken und Petitionen soll
dabei vor
allem in Zusammenhang mit der Ausbildung moderner Staatlichkeit im
19.
Jahrhundert analysiert werden, die gerade im Vormärz stark von
außerstaatlicher
Seite getragen wurde. Der Workshop soll dabei insbesondere von der
grundsätzlichen Frage begleitet werden, wie Bittschriften als
traditionelles,
imperiales Herrschaftsinstrument im 19. Jahrhundert nicht nur
Loyalitäts- und
Patronagebeziehungen, sondern auch eine politisierte und
systematisierte
Verrechtlichung individueller Ansprüche beförderten und dadurch
die Entwicklung
moderner Politikfelder anregten.
Um das Potenzial der Bittschriften als Quelle der
Geschichtswissenschaft zu
erhöhen, ist zudem eine Reflexion formal-methodischer Aspekte von
Nöten – auch
zu diesem Anliegen soll der Workshop einen Beitrag leisten und
insbesondere die
Bedeutung der Digital Humanities für die Aufbereitung und
Präsentation dieser
großen, prä-digitalen Quellenbestände hervorheben.
Ziel der in München stattfindenden Veranstaltung ist die
Vernetzung junger
WissenschaftlerInnen, die zu einem der oben genannten
Themenbereiche arbeiten.
Der zeitliche Schwerpunkt liegt auf dem 19. Jahrhundert,
ergänzende Blicke in
das 18. und 20. Jahrhundert sind aber ebenfalls willkommen.
Räumlich fokussiert
sich der Workshop auf die Habsburgermonarchie (insbesondere die
böhmischen
Länder) sowie Preußen bzw. das deutsche Kaiserreich (insbesondere
Schlesien).
Wir ermutigen daher vor allem HistorikerInnen aus den sogenannten
Nachfolgestaaten dieser Imperien zur Teilnahme, sind jedoch auch
an
vergleichenden Perspektiven interessiert.
Wir bitten um Zusendung eines Abstracts (2000 Zeichen mit
Leerzeichen) in
Deutsch oder Englisch und eines kurzen CVs bis 1. März 2020 an
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