Jene Schriftrollen, die beim Ausbruch
des Vesuv
zerstört wurden, könnten dank neuer Methoden lesbar werden.
Womöglich befinden
sich darunter verschollene Klassiker
Wann
genau
der Vesuv im Jahr 79 unserer Zeitrechnung ausbrach, ist fast
2000 Jahre später
immer noch unklar. Erst vor einem Jahr stieß man bei
Ausgrabungen in Pompeji
auf ein Graffito, das vermutlich vom 17. Oktober des Jahres 79
stammt. Deshalb
nimmt man nun an, dass die verheerende Eruption, die Pompeji,
Herculaneum und zwei
weitere Städte unter einer bis zu 25 Meter hohen Schicht aus
vulkanischer Asche
und Bimsstein begrub, am 24. Oktober stattgefunden haben dürfte.
Fast 1700 Jahre später begann man dort mit den
wissenschaftlichen Ausgrabungen. Und bereits im Jahr 1752
entdeckte man bei
Grabungen in Herculaneum eine Sammlung von etwa 1800
Schriftrollen. Fundort
dieser bis heute einzigartigen Bibliothek war übrigens eine
Villa, die dem
Schwiegervater von Julius Cäsar gehört haben dürfte.
Einzige "erhaltene" antike Bibliothek
Diese Schriftrollen, die heute zum Gutteil in der Biblioteca
Nazionale di
Napoli aufbewahrt werden, bilden die einzige bekannte
Textsammlung der Antike,
die sich als Ganze erhalten hat – aber eben nur in völlig
verkohlter und
entsprechend fragiler Form. Entsprechend brachten alle
Versuche, die verkohlten
Papyri wieder auszurollen, nicht wirklich brauchbare
Ergebnisse. Zudem gehen
Forscher davon aus, dass die noch sichtbare Schrift durch den
Kontakt mit der
Luft vollends verschwinden könnte.
Doch seit ein paar Jahren gibt es neue Hoffnung. 2016 gelang
Forschern um
Brent Seales (University of Kentucky) nämlich ein wichtiger
Durchbruch: Sie
schafften es, eine 1.700 Jahre alte, ebenfalls verbrannte
hebräische
Schriftrolle mit hochenergetischen Röntgenstrahlen so zu
durchleuchten, dass
der verborgene Text tatsächlich lesbar wurde. Wie sich
herausstellte, handelte
es sich um einen Text aus dem biblischen Buch Levitikus.
Der "digitale Restaurator" Brent Seales erklärt,
wie er
die hebräische Schriftrolle lesbar machte.
Eine wahre Herkulesaufgabe
Das neue Forschungsunterfangen, das der international
führende
"digitale Restaurator" alter Texte nun mit zwei Schriftrollen
aus
Herculaneum begonnen hat, ist freilich ungleich
herausfordernder und, wenn das
Wortspiel erlaubt ist: eine wahre Herkulesaufgabe.
Während die Tinte der hebräischen Schriftrolle feinste
Metallpartikel enthielt und deshalb bei Röntgenbestrahlung
relativ gut sichtbar
wurde, hat man für die Schriftrollen aus Herculaneum Tinte auf
Kohlenstoffbasis
mit ganz wenig Blei verwendet – jedenfalls bei jenen
Schriftrollen, die nun
analysiert werden. Das mache es unmöglich, den Inhalt der
Schriftrollen mit
"normalen" Röntgenstrahlen sichtbar zu machen, so Seales.
Energiereiche Strahlen und KI
Er setzte deshalb auf besonders energiereiche Röntgenstrahlen
der britischen
Synchrotronstrahlungsquelle Diamond Light Force, wo in den
letzten Wochen
zahllose Scans der beiden antiken Schriftrollen gemacht
wurden, die dem Collège
de France gehören. Für die Analyse dieser Scans wird dann
maschinelles Lernen
eingesetzt.
Das ist eine Methode aus der KI-Forschung, bei der Software
"trainiert" wird, um sich selbstlernend zu verbessern. Konkret
soll
der Algorithmus mittels vier Fragmenten, die ebenfalls
durchleuchtet wurden, minimalste
Unterschiede zwischen beschriebenen und unbeschriebenen
Bereichen erkennen
lernen.
Griechisch
oder Lateinisch?
Ob das auch tatsächlich gelingen wird, ist noch offen und
wird sich wohl
erst in den nächsten Monaten zeigen. Dann aber könnte die
Methode für alle
weiteren rund 1.000 Schriftrollen verwendet werden, die noch
nicht völlig
zerstört sind. Die wenigen identifizierten Schriftrollen
waren übrigens auf
Griechisch verfasst, was für die restlichen Papyri nicht
gelten muss, wie der
Papyrologe und Gräzist Dirk Obbink von der Uni Oxford
erklärt, der beim
Training der Algorithmen half
Er ist besonders neugierig, was sich in den Rollen
verbirgt und verweist unter anderem darauf, dass erst im
Vorjahr ein neues
historisches Werk von Seneca dem Älteren unter den Papyri
aus Herculaneum
entdeckt wurde. Obbink hofft, dass die noch unentzifferten
Schriftrollen
womöglich sogar verschollene Werke der Antike wie die
Gedichte Sapphos oder die
Abhandlung von Marcus Antonius über seine eigene Trunkenheit
enthalten könnten.
Letztere würde er besonders gerne lesen. (tasch, 4.10.2019)