Kriegstrennungen im Zweiten Weltkrieg –
Familienzerstörung
zwischen „Kollateralschaden“ und Biopolitik
Veranstalter
Dr. Wiebke Lisner, Institut für Geschichte,
Ethik und
Philosophie der Medizinischen Hochschule Hannover; Prof. Dr.
Cornelia Rauh,
Historisches Seminar der Leibniz Universität Hannover; PD Dr. Lu
Seegers,
Historisches Seminar, Universität Hamburg
12.07.2019 - 13.07.2019
Hanns-Lilje-Haus Hannover
Von Dr. Wiebke Lisner; Prof. Dr. Cornelia Rauh;
PD Dr. Lu
Seegers
Familienleben — als Zusammenleben der
Kernfamilie von Vater,
Mutter und Kindern — im Bürgertum seit dem 19. Jahrhundert
idealisiert und nach
dem Ersten Weltkrieg zur gesellschaftlichen Norm erhoben, wurde in
Kriegszeiten
gleichwohl zur Ausnahme. Temporäre Trennungen bis hin zur
endgültigen
Zerstörung von Familien waren im Europa des 20. Jahrhunderts die
unvermeidliche
Folge der immer „totaler“ geführten Kriege, — Begleiterscheinungen
des
Kriegsdienstes der Männer und „Kollateralschäden“ von
Gewalteinsatz,
Krankenmorden, Flucht, Vertreibung, Umsiedlung und Tod.
Familientrennungen
wurden insofern zu einer kollektiven Kriegserfahrung.
Trennungsbedingungen und
Handlungsoptionen gestalteten sich hierbei für Familien jedoch
nicht gleich.
Vielmehr generierten gesellschaftliche Kategorien von Differenz,
wie
„rassische“ Zuordnung, medizinische Kategorisierung und soziale
Schichtzugehörigkeit unterschiedliche Bedingungen und Deutungen
der Trennungen
bis hin zu unterschiedlichen Überlebenschancen.
Der Zweite Weltkrieg wurde von deutscher Seite
als
rassischer Vernichtungskrieg geführt mit dem Ziel der Gewinnung
neuen
„Lebensraums“, ja einer „ethnischen Neuordnung“ Europas. Unter
diesen
Kriegsbedingungen wurden Familien zu einem zentralen Feld
nationalsozialistischer Rassen-, Volkstums-, Gesundheits- und
Biopolitik. Sie
bildeten eine wichtige Ressource für den Zusammenhalt und die
Mobilisierung der
„Volksgemeinschaft“ für den totalen Krieg – von der Produktion und
Organisation
bis hin zur Reproduktion. Umgekehrt zielte das NS-Regime durch
rassistisch
motivierte Ausgrenzung, durch Verfolgung und Vernichtung auf die
Zerstörung von
Familien, die als „rassisch minderwertig“ oder „erbkrank“ galten.
Heiratsverbote zielten auf die Verhinderung von
Familiengründungen, eine
antinatalistische Biopolitik wollte „unerwünschten“ Nachwuchs
verhindern.
Rassenpolitische wie eugenische resp. rassenhygienische Eingriffe
führten zur
gewaltsamen Trennung von Familien. Wer als „erbkrank“ oder
„rassisch
minderwertig“ galt, wurde sterilisiert, separiert und vernichtet.
Die
Zerstörung bzw. Trennung von Familien während des Zweiten
Weltkriegs war
insofern nicht nur ein in Kauf genommener „Kollateralschaden“,
sondern auch
integraler Bestandteil von Unrechtsmaßnahmen des NS-Regimes.
„Rasse“ wurde im Nationalsozialismus zur
zentralen
Differenzkategorie, die Zugehörigkeiten von Familien zur
„Volksgemeinschaft“
sowie Exklusion von dieser definierte und Handlungsmöglichkeiten
und
Überlebenschancen bestimmte. NS-Rassenpolitik war hierbei – wie in
der
Forschung herausgearbeitet – nicht geschlechtsneutral und wirkte
entsprechend
unterschiedlich auf Familienmitglieder. Welche Bedeutung aber kam
sozialer
Schichtzugehörigkeit hinsichtlich sozialer Praxen und
Handlungsoptionen von
Familien(mitgliedern) in Trennungssituationen zu?
Der Workshop will — schichtspezifisch
differenziert —
Familientrennungen als „Kollateralschaden“ von Kriegshandlungen,
als Konsequenz
gesundheits- und biopolitischer Maßnahmen sowie
nationalsozialistischer
Unrechtsmaßnahmen sowohl derjenigen beleuchten, die zur
nationalsozialistischen
„Volksgemeinschaft“ zählten, wie jener, die aus dieser
ausgeschlossen waren.
„Soziale Schichtzugehörigkeit“ als zentrale gesellschaftliche
Kategorie von
Differenz neben „Rasse“ und „Geschlecht“ wird hierbei verstanden
als durch
soziale Merkmale, wie materielle Absicherung, Beruf,
Bildungshintergrund und
Religion begründeter sozialer Unterschied. Territorial sollen
sowohl das Gebiet
des „Altreiches“ (Deutschland in den Grenzen von 1937) betrachtet
werden, wie
die annektierten (z.B. Westpolen) und die besetzten Gebiete (z.B.
Frankreich
und Dänemark), um Deutungen, soziale Praxen und Handlungsoptionen
unterschiedlicher Familien zu analysieren. Der Begriff „Familie“
umfasst
hierbei nicht ausschließlich die Kernfamilie, sondern schließt
darüber hinaus
gehende verwandtschaftliche bzw. wahlverwandtschaftliche
Beziehungen mit ein.
Mögliche Fragen und Themen:
- Konnten Familien als Netzwerk und als
Ressource zur
Kompensation oder gar Zurückweisung von Zumutungen des NS-Regimes
und als
Hilfsstruktur bei Trennungen mobilisiert werden? Inwiefern spielte
hier die
soziale Schichtzugehörigkeit eine Rolle?
- Trennung und Vernichtung als „Erlösung“?
Rolle von
Familienangehörigen im Kontext der Euthanasiemorde während des
Krieges
- Welche Praxen und Strategien entwickelten
Familien bzw.
einzelne Familienmitglieder, z.B. in Abhängigkeit von Alter,
Geschlecht, sozialer
Schichtzugehörigkeit (so z.B. Bildung und Religion) im Umgang mit
Trennungen?
- Welchen Familien wurde unter welchen
Bedingungen ein
Zusammenleben im Krieg zumindest temporär z.B. als Privileg,
gestattet?
- Wie wurden Familientrennungen bzw. auch
spätere
Familienzusammenführungen – sofern diese intendiert waren –
geplant, verhandelt
und legitimiert?
- Wie wurden Trennungen von Familien in
Öffentlichkeit und
Medien z.B. in Zeitschriften und Radio jeweils thematisiert?
- Änderten sich durch Trennungen Strukturen und
soziale
Ordnungen von Familien? Kam es z.B. neben der in der Forschung
herausgearbeiteten Verschiebung von Geschlechterrollen durch die
Abwesenheit
von Männern unter den Bedingungen kriegsbedingter
Familientrennungen während
des Krieges zu weiteren Veränderungen sozialer Ordnungen (z.B. zu
Ehescheidungen oder Veränderungen zwischen den Generationen)
innerhalb von
Familien?
Vorschläge für einen Beitrag bitte in Form
eines Abstracts
(ca. 1 Seite) bis zum 10. Januar 2019 per e-mail einreichen an:
Reise- und Unterbringungskosten der
ReferentInnen werden
übernommen.
Kontakt
Dr. Wiebke Lisner
Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie
der Medizin
der Medizinischen Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1
30625 Hannover
Tel. 0511-532-3506
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