Suche Sortierung nach Monatsdigest
2015/04/06 23:29:58
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Orte der Varuskatastrophe und der römischen Okkupation in Germanien.
Datum 2015/04/07 13:29:01
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] „Mit dem Nachtwächter nach Amerika”
2015/04/19 17:49:47
Hans-Joachim Hoffmann
[Regionalforum-Saar] Broschüre: Der Jüdisch e Friedhof in Ottweiler
Betreff 2015/04/02 08:09:46
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Er war der Herr des Eisens.
2015/04/06 23:29:58
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Orte der Varuskatastrophe und der römischen Okkupation in Germanien.
Autor 2015/04/07 13:29:01
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] „Mit dem Nachtwächter nach Amerika”

[Regionalforum-Saar] Deutsche Frauen in den Süds ee-Kolonien des Kaiserreichs

Date: 2015/04/06 23:38:52
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Loosen, Livia: Deutsche Frauen in den Südsee-Kolonien des Kaiserreichs.
Alltag und Beziehungen zur indigenen Bevölkerung, 1884-1919. Bielefeld:
Transcript - Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis 2014.
ISBN 978-3-8376-2836-4; 675 S.; EUR 49,99.

Inhaltsverzeichnis:
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/beitraege/rezbuecher/toc_23476.pdf>

Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Bettina Brockmeyer, Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie,
Universität Bielefeld
E-Mail: <bettina.brockmeyer(a)... nackte, tanzende Frauen zeigt die Südseefolge der ZDF
Dokumentationsreihe "Das Weltreich der Deutschen". Mit zeitgenössischen
Aufnahmen und nachgestellten Bildern wird hier das Jahrhunderte alte
Klischee der Südseeinseln als Paradies des heterosexuellen Mannes
untermalt. Formate wie diese Fernsehproduktion, aber auch Romane wie
"Imperium" von Christian Kracht zeigen, dass die deutsche Kolonialzeit
in der populären Geschichtsvermittlung angekommen ist. Auch in der
wissenschaftlich betriebenen, deutschsprachigen Geschichtsschreibung ist
seit wenigen Jahrzehnten eine Trendwende hin zu vermehrten
kolonialgeschichtlichen Fragestellungen zu verzeichnen. Besonders die
Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent haben inzwischen einige
Aufmerksamkeit erfahren. Dabei ist auch die geschlechtergeschichtliche
Perspektive nicht unberücksichtigt geblieben, zumal die Verknüpfung der
Kategorien race, class und gender zur Auslotung neuer Handlungsräume für
Frauen auf dem Feld des europäischen Imperialismus geführt hat.[1]

Die Dissertation von Livia Loosen behandelt nun mit ihrem Fokus auf
deutsche Frauen in der Südsee ein bis dato noch nicht eingehender
untersuchtes Forschungsfeld. Die "German Women for Empire"[2] waren
bislang vor allem Frauen, die nach Deutsch Südwestafrika oder Deutsch
Ostafrika gingen. Auf über 600 Seiten wird den Fragen nachgegangen,
welche Frauen aus dem Kaiserreich warum in die deutschen Kolonien der
Südsee migrierten und was sie dort erlebten und von dort berichteten.
Dass sich die Autorin nahezu ausschließlich mit der europäischen
Perspektive befasst, rechtfertigt sie mit der für die Kolonialgeschichte
so typischen einseitigen Quellenlage. Sie versucht, der fehlenden
Sichtweise der Kolonialisierten mit einer aufmerksamen und besonders
vorsichtigen und abwägenden Interpretation der Berichte
kolonialisierender und missionierender Frauen zu begegnen.

Die Arbeit ist in sechs große Kapitel gegliedert. Inhaltlich spannt
Livia Loosen dabei einen chronologischen Bogen, der drei Blöcke umfasst:
Ankunft, Alltag, Abschied. Die Autorin hat Einblick in zahlreiche
Privatarchive erhalten und kann deshalb mit bislang nie ausgewertetem
Material aufwarten. Private Briefe und Tagebuchblätter von
Missionarinnen, Missionarsgattinnen, Reisenden oder Beamtinnen finden
Eingang in die Studie. Loosen betont, dass sie mit den Akten der
Beamtinnen auch einen gänzlich unbearbeiteten Quellenbestand
hinzugezogen habe (S. 592). Das reiche Material bietet einen mitunter
sehr intimen, sehr eindrücklichen und vielfältigen Blick auf den
möglichen Alltag einer in die Südseekolonien ausgewanderten deutschen
Frau. Was es nicht bietet, und das hebt Loosen auch immer wieder hervor,
ist einen Einblick in das Leben von Angehörigen der verschiedenen
Bevölkerungsgruppen der Südseeinseln unter der Kolonialherrschaft.
Gleichwohl versucht Loosen mitunter, aus den europäischen Quellen
Rückschlüsse auf die Perspektive der Inselbewohnerinnen (es
interessieren sie auch hier vornehmlich die Frauen) zu ziehen. Dieses
"Bemühen um die indigene Perspektive" (S. 43) kennzeichnet sie als
Anregung der postcolonial studies, ebenso wie ihr Interesse an Fragen
des Transfers. Abgesehen davon betont sie ein eher eklektisches Vorgehen
im Hinblick auf Theorieangebote und ordnet ihre Arbeit prinzipiell der
Frauen- und Geschlechtergeschichte zu. Eine geographische,
anthropologische und historische Einordnung der Südseekolonien schließt
das einleitende Kapitel ab. Die Vielfalt und die Unübersichtlichkeit des
deutschen Kolonialgebietes, das Teile Neuguineas, Samoa sowie zahlreiche
kleinere Inselgruppen umschloss, wird hier augenfällig.

Deshalb waren die Südseekolonien auch nie zur Besiedelung gedacht und
damit auch nicht für eine Massenemigration vorgesehen. Der Frauenbund
der Deutschen Kolonialgesellschaft warb demensprechend auch nicht für
die Südsee, sondern wollte die ausreisewilligen Frauen Richtung Afrika
lotsen. Die Zahl der in die Südseegebiete auswandernden Frauen blieb
somit gering. Missionsschwestern, Ehefrauen, Lehrerinnen und manch
Reisende zog es in diese Weltregion, die eine wochenlange Schiffsreise
von der Heimat entfernt war. In einem sozialgeschichtlich ausgerichteten
Unterkapitel widmet sich Loosen dem sozialen Hintergrund dieser Frauen
und ihren Ausreisemotiven. Am Ende ihres Buches befindet sich auch eine
Namensliste aller Frauen, die sie ausfindig machen konnte. Die
Dissertation bietet demnach eine sehr gute Dokumentation der Daten, die
über deutsche Frauen in der Südsee erhalten sind. Zusammengefasst waren
es vor allem Frauen "aus einfachen bis bürgerlichen Verhältnissen" (S.
172), die die Ausreise aus dem Reich antraten. Das entspricht
Ergebnissen der bisherigen Forschung für die Südseekolonien, die zeigen
konnte, dass die Region offensichtlich für hochrangige Militärs und Adel
nicht attraktiv war. In ihren Untersuchungen zur Ausreise befasst sich
Loosen auch eingehend mit der Diskussion um die Emanzipation in der
Kolonie. Vertreterinnen der ersten Frauenbewegung und heutige
Forscherinnen betonen gleichermaßen den emanzipatorischen Charakter des
Koloniallebens. Loosen will das in ihren Quellen überprüfen.

Die beiden folgenden Hauptkapitel sind dem Leben in den Kolonien
gewidmet. Auf S. 185 befindet sich die Leserin zum ersten Mal vor Ort,
die dort vermerkte "lange Reise in die Südsee" kann man also durchaus im
doppelten Sinne verstehen. Loosen differenziert die Frauen nach den
aussendenden Institutionen und den verschiedenen Motiven, die in die
Kolonie geführt haben. Sie kommt durch diese Differenzierungen zu
interessanten Befunden. So reichten die jeweiligen Ziele der Tätigkeit
von der Erlangung deutscher Hygienezustände bis zum reinen Seelenheil.
Sowohl für diejenigen, die aus religiösen und missionarischen Gründen in
die Südsee kamen, als auch für Ehefrauen, Krankenschwestern, Beamtinnen
sowie Reisende resümiert Loosen, dass diese Frauen in einem oftmals
aufreibenden Alltag doch nie die sogenannte colour bar vergaßen, sie
also in einem hierarchischen, rassistischen Denken verhaftet blieben, ob
sie nun zum Christentum erziehen wollten oder den Haushalt des
Bezirkamtmannes führten. Gleichzeitig betont die Autorin, dass die
Quellen verdeutlichen, wie wandel- und verhandelbar die Kategorie
"Rasse" war, was man z.B. an der "Mischehen-Debatte" (S. 412) habe sehen
können. Ein weiterer wichtiger Befund der Arbeit ist, dass die in der
Metropole entwickelten Emanzipationsgedanken keineswegs auf ungeteilte
Gegenliebe bei den Frauen in den Kolonien stießen. Die meisten Frauen
waren, Loosen zufolge, gar nicht aufgebrochen, um Emanzipation zu
erfahren und entsprechend wenig taten sie auch für deren Umsetzung.

Die Transferfrage beantwortet Loosen recht nüchtern: Zwar hätten die
deutschen Frauen in den Kolonien manches Kochrezept übernommen,
ansonsten sei die Übernahme neuer Praktiken doch eher in eine
Transferrichtung gegangen, zu sehen beispielsweise an den sich
hegemonial verbreitenden europäischen Kleidungsgewohnheiten. Insgesamt
scheint die Südseekolonie jedoch manche Freiheit geboten und die
europäische Gesellschafts- und Genderordnung gelockert zu haben. Im
Kapitel zum Abschied betont die Autorin denn auch, dass die meisten
Frauen mit Kummer weggegangen seien. Das habe freilich auch am Krieg und
dem geringen Wissen um die Zustände im Deutschen Reich gelegen.
Insgesamt kommt die Studie zu zahlreichen wichtigen Ergebnissen für die
Kolonialgeschichte. Kritisch anzumerken ist, dass das "Bemühen um die
indigene Perspektive" an vielen Stellen an Grenzen stößt. Die meisten
benennt Loosen selbst. Jedoch liegt wohl schon in der Formulierung das
Hauptproblem verborgen, denn DIE Perspektive zu suchen, erscheint als
unmögliches Unternehmen. Mitunter tauchen "die Indigenen" denn auch als
eine homogene Masse auf (S. 489). Das ist freilich eine Gefahr, der man
auch nicht mit der Unterscheidung Kolonialisierte und Kolonialisierende
entgehen kann, auch wenn die Begriffe wegen ihrer Sperrigkeit vielleicht
zumindest irritierend wirken. Kritisch anzumerken ist außerdem, dass
Loosen viele Bilder einfügt, diese aber nicht in gleichem Maße
quellenkritisch einführt, wie das mit den Schriftquellen erfolgt.
Mitunter stehen zeitgenössische Abbildungen illustrativ im Text. Hier
hätte der Arbeit eine theoretisch methodische Schärfung gut getan, auch
im Text hätte mehr theoretische Anbindung, z.B. an entangled histories,
zu mehr Pointierung statt Deskription führen können. So taucht man am
Ende doch, allein ob der Fülle an Beispielen, Zitaten,
Situationsbeschreibungen, in eine genuin 'weiße' Welt ab und landet da,
wo einen die Autorin mit ihren quellenkritischen und vorsichtigen
Deutungen bestimmt nicht haben möchte. Die aufschlussreiche und
vielschichtige Arbeit verweist damit aber nur einmal mehr auf ein
grundsätzliches Problem des Schreibens über die Kolonialzeit: Wie
schreiben, ohne ungewollt Asymmetrien zu reproduzieren?


Anmerkungen
[1] Vgl. z.B. Birthe Kundrus, Weiblicher Kulturimperialismus. Die
imperialistischen Frauenverbände des Kaiserreichs, in: Sebastian Conrad
/ Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland
in der Welt 1871-1914, Göttingen 2006, S. 213-235.
[2] Lora Wildenthal, German Women for Empire, 1884-1945, Durham 2001.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Kirsten Heinsohn <xhq643(a)...