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2012/11/27 23:01:06
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Zeitreise in die Vergangenheit
Datum 2012/11/28 23:19:14
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[Regionalforum-Saar] Zusammenschlüsse deutscher Länder im 19. + 20. Jahrh
2012/11/24 09:13:02
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[Regionalforum-Saar] Buchvorstellung „Untergega ngene Industrien im Hochwald-Hunsrückraum“
2012/11/27 23:01:06
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[Regionalforum-Saar] Zeitreise in die Vergangenheit
Autor 2012/11/28 23:19:14
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Zusammenschlüsse deutscher Länder im 19. + 20. Jahrh

[Regionalforum-Saar] Aufzeichnungen Joseph Hundeggers aus dem Revolutionsjahr 1848

Date: 2012/11/28 17:30:58
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Egger, Matthias: "Für Gott, Kaiser und Vaterland zu Stehen oder zu
Fallen". Die Aufzeichnungen Joseph Hundeggers aus dem Revolutionsjahr
1848 (= Erfahren - Erinnern - Bewahren 1). Innsbruck: Wagner 2012. ISBN
978-3-7030-0494-0; 268 S.; EUR 28,00.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Ernst Wangermann, Fachbereich Geschichte, Universität Salzburg
E-Mail:<Ernst.Wangermann(a)... einigen Jahren fand ich in einem Antiquariat eine Broschüre mit dem
Titel "Notizen über die erste academische Feldcompagnie der k.k.
Universität Innsbruck 1848" (Innsbruck 1853). Da mir damals die
Ereignisse des Revolutionsjahres in Wien viel bekannter waren als jene
in Innsbruck, glaubte ich in dieser Schrift einiges über radikale und
demokratische Strömungen im Land Tirol entdecken zu können. Ich wurde
aber bald eines Besseren belehrt. Schon die ersten Zeilen des Vorworts
brachten die Ernüchterung: "Kaum hatte sich in Innsbruck die Nachricht
vom Ausbruch der Revolution in Italien verbreitet, als sich die
Studierenden der Universität zusammenscharten und einstimmig aus eigenem
Antriebe und Patriotismus erklärten, in eigenen Compagnien nach dem
bedrängten Süden zu ziehen, um sich dort zur Vertheidigung des theuren
Vaterlandes verwenden zu lassen."

Die aktuelle Publikation Matthias Eggers präsentiert Aufzeichnungen und
Briefe Joseph Hundeggers aus dem Jahre 1848. Hundegger zog als Doktorand
Juris mit der ersten akademischen Feldkompagnie aus, um seinen Kaiser
und sein Vaterland gegen die italienischen "Insurgenten" sowohl im
Trentino als an den Grenzen zur Lombardei und zu Venetien zu
verteidigen. Seine Aufzeichnungen und Briefe enthalten also wenig über
radikale und demokratische Strömungen und viel über die nationalen
Gegensätze, welche die Revolutionen im Habsburgerreich sehr schnell zu
Fall brachten. Sie bieten auch einen Einblick in die Mentalität des
gemäßigt-liberalen Bürgertums in Tirol.

Die kaiserliche Proklamation vom 15. März, mit dem Zugeständnis von
Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit löste vorerst auch in Innsbruck
helle Begeisterung aus. Im Volke entstand eine gewisse Bewegung, die
sich an den neuen Freiheiten orientierte. Am 4. April gab es sogar schon
eine Katzenmusik für den unpopulären Landeskommandanten Freiherrn von
Welden. Die Ausdehnung der Bewegung auf die italienische Bevölkerung
Tirols gab der Bewegung unter den deutschen Tirolern unmittelbar eine
ganz neue Richtung. Theoretisch gestand man den Italienern in- und
außerhalb Tirols den Genuss der erweiterten Freiheit zu, aber die
Forderung nach Abtrennung der italienischen Gebiete an einen neuen
italienischen Nationalstaat löste unter den deutschen Tirolern eine Art
von Empörung aus, die alle anderen Bewegungen und Perspektiven gänzlich
überschattete. Die hier veröffentlichten Dokumente bestätigen den oben
zitierten Passus aus den 1853 erschienen Notizen. Matthias Egger
schreibt in der einleitenden biographischen Skizze Hundeggers: "Die
Hochschüler konnten es offenbar gar nicht erwarten, [...] an die [von
den Insurgenten] bedrohte Grenze zu ziehen." (S. 51) Zu dieser
patriotischen Begeisterung trug auch die Ernennung des nach wie vor sehr
populären Erzherzogs Johann als Hofkommissar für die Landesverteidigung
Tirols bei.

Aus diesen Dokumenten geht deutlich hervor, dass die Reaktion der
deutschen Tiroler auf die italienischen Bestrebungen sowohl
deutsch-nationale als auch Habsburg-treue Wurzeln hatte. Es galt also
für einige, die südlichen Fundamente des von Tirol bis Schleswig
reichenden "deutschen Domes" zu sichern, für andere als Söhne Tirols das
Haus Kaiser Ferdinands zu verteidigen. Bezeichnend ist auch, dass sich
unter den akademischen Kämpfern eine Art von Kriegsbegeisterung
entwickelte, in deren Rahmen der Krieg als notwendig für die Erhaltung
des Volks- bzw. Nationalcharakters erachtet wurde - ähnlich wie im
Deutschen Reich in den Jahren vor 1914.

Tatsächlich jedoch bewirkt jeder auch noch so berechtigte Krieg schnell
eine Verrohung und Brutalisierung unter den Kämpfern. Hundegger wurde
während der Kampfhandlungen nahe der venezianischen Grenze selbst Zeuge
dieser Brutalisierung. Am 9. Juni erblickte er vor sich ein abgebranntes
italienisches Dorf, durch das er nachher auch marschieren musste. Diese
Erfahrung löste in ihm neue Gedanken und Empfindungen aus. Nach
quälenden Überlegungen über die mögliche militärische Sinnhaftigkeit der
Brandschatzung, versuchte er sich mit dem Gedanken an den "Willen der
Vorsehung" zu trösten. Aber es gelang ihm nicht. In einem Brief an die
mütterliche Freundin Angelica von Riccabona-Reichenfels, in dem er
seinen wechselnden Gefühlen eingehenden Ausdruck gab, schrieb er: "
[...] Kaiser, milder Kaiser, sehest [recte: sähest] du, wie diese Steine
deiner Krone blitzen und grausig funkeln, du würfest sie weg, die
schwere thräumebeladene Krone - dieser Gedanke und die Scene, die ihn
hervorrief, hatte mich im tiefsten Grunde erschüttert [...]" (S. 179)
Matthias Egger zitiert ausführlich aus diesem Brief in seiner
biographischen Skizze Hundeggers, und folgert meines Erachtens
vollkommen zurecht, dass der Anblick des verbrannten Dorfes, der
Plünderungen, der haarlosen Katzen usw. seinen Glauben an die
Gerechtigkeit des Krieges gegen die Italiener ins Wanken brachte und ihm
den Gedanken nahe brachte, dass Kaiser Ferdinand auf die italienischen
Grenzprovinzen verzichten würde, wüsste er, dass sie nur um den Preis
derartiger Brutalitäten gehalten werden können.

Andere hier veröffentlichte bemerkenswerte Dokumente werfen ein Licht
auf die öffentliche Meinung in Innsbruck über die Radikalisierung der
Revolution in Wien im Mai 1848 und über die Studenten, die an der Spitze
der radikalen Bewegung standen. In einem Brief aus Innsbruck vom 30. Mai
las Hundegger, dass das Gesindel der Studenten in Wien nur brennen und
rauben wolle. Im selben Brief wurde auch ein Flugblatt "An die Wiener"
erwähnt - im Anhang S. 218f. abgedruckt - das, ähnlich der Erklärung des
Herzogs von Braunschweig an das revolutionäre Paris im Jahre 1792, das
revolutionäre Wien nach der Flucht des Kaisers im Mai 1848 mit der
totalen Zerstörung bedroht: "Ihr habt uns den Kaiser geschickt, zwar
nicht auf die höflichste Weise, dessen ungeachtet danken wir euch dafür
[...] Läßt ab von diesem Treiben, damit nicht bald der Wanderer dem
Wanderer erzähle, hier hat einst Wien [...] gestanden." Der Autor dieser
schönen Schrift war ein Dr. Alphons von Pulciani.

Die hier präsentierten Dokumente beschränken sich auf die unmittelbare
Revolutionsepoche 1848/49. Aus Matthias Eggers biographischer Skizze
Hundeggers erfahren wir noch, dass der gemäßigt-liberale Advokat
Hundegger, im Gegensatz zu Ferdinand Kürnberger, der im revolutionären
Wien als sehr radikaler Journalist tätig war, nach dem Sieg Preußens
1866 kein glühender Verehrer Bismarcks wurde. Trotz des meines Erachtens
etwas zu umfangreich ausgefallenen wissenschaftlichen Apparats und
einiger Wiederholungen, ist die hier besprochene Publikation als Beitrag
zu einem besseren Verständnis des Revolutionsjahres 1848 in Tirol sehr
zu begrüßen.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Peter Stachel <peter.stachel(a)...