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[Regionalforum-Saar] 750 Jahre Ersterwähnung von Selchenbach - Festschrift
Datum 2012/01/10 23:18:57
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Autor 2012/01/10 23:18:57
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[Regionalforum-Saar] Rez. MA: S. Neumann: Der gerichtliche Zweikampf im Mittelalter

Date: 2012/01/10 23:18:02
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

From:    Christian Jaser <christian.jaser(a)...   11.01.2012
Subject: Rez. MA: S. Neumann: Der gerichtliche Zweikampf
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Neumann, Sarah: Der gerichtliche Zweikampf. Gottesurteil - Wettstreit -
Ehrensache (= Mittelalter-Forschungen 31). Ostfildern: Jan Thorbecke
Verlag 2010. ISBN 978-3-7995-4284-5; geb.; 268 S.; EUR 49,00.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Christian Jaser, Institut für Geschichte, Technische Universität
Dresden
E-Mail: <christian.jaser(a)... Neumann markiert mit ihrer Studie zum gerichtlichen duellum des
Mittelalters, die 2008 als Dissertation an der Universität Oldenburg
angenommen wurde, eine wichtige Zwischenetappe der mediävistischen
Zweikampfforschung. Sie räumt ebenso sachdienlich wie begrüßenswert mit
der rechtshistorischen "Sehnsucht nach Eindeutigkeit" (S. 21) auf, die
mittelalterliche Zweikampfpraktiken in ein Korsett aus Definitionen und
Typologisierungen einzuzwängen suchte und daran
fortschrittsoptimistische Entwicklungshypothesen wie etwa einen Ausbruch
des Zweikampfs aus der vermeintlichen Irrationalität des Gottesurteils
anknüpfte.[1] Gegen diesen simplifizierenden Zugriff einer historischen
Rechtssystematik betont Neumann in ihrer diachron angelegten
"Bestandsaufnahme der Bedeutungsvarianten des gerichtlichen Zweikampfs"
(S. 30) mit Recht, dass "sich das duellum durch Mehrdeutigkeit und
gerade nicht durch Eindeutigkeit auszeichnet" (S. 27). Denn dieses
vielschichtige und variantenreiche historische Phänomen lässt sich
keinesfalls in einem entschiedenen Entweder-Oder monolithischer
Klassifikationen, sondern nur in der Interaktion von Wahrnehmungs- und
Deutungsebenen - Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache - hinreichend
interpretieren, wie bereits der differenzierende Untertitel von Neumanns
Arbeit nahelegt. Indem die Autorin konsequent der Analyse von
Rechtsnormen die Auswertung historiographischer und literarischer
Narrative zur Seite stellt und damit den "Mechanismen der erzählerischen
Sinnstiftung" (S. 30) breiten Raum gewährt, bewahrt sie ihren Gegenstand
vor dem Irrweg einer dezidiert essentialistischen Lesart und nimmt
stattdessen wechselseitige Durchdringungen und Bruchlinien beider
Quellentypen in den Blick.

Im Zuschnitt ihres Untersuchungsfeldes bemüht Neumann ein ambitioniertes
grand tableau, wie es gegenwärtig bei Dissertationen nur noch selten
anzutreffen ist: In zeitlicher Hinsicht deckt sie das gesamte
Mittelalter von den frühmittelalterlichen leges bis zu den "Ritter[n]
von sehr trauriger Gestalt" (S. 218) der beginnenden Neuzeit ab, während
der räumliche Horizont das Reich, Frankreich, England und Skandinavien
umfasst. Gegliedert ist der Hauptteil der Arbeit nach vier W-Fragen:
"Wo, wie und warum wird gekämpft und wer sind die Kombattanten" (S. 30)?
Im ersten Analyseabschnitt geht die Autorin nicht nur den Rechtsräumen
und typischen Schauplätzen des gerichtlichen Zweikampfes nach, sondern
rückt auch das traditionelle Bild, sowohl die Stadt als auch die Kirche
seien kategorische Duellfeinde gewesen, zugunsten eines eher
ambivalenten Meinungsspektrums zurecht. Die Verlaufsformen des
Zweikampfs stehen im Mittelpunkt des zweiten Fragekomplexes. In der
Zusammenschau von Regelwerken, die den Zweikampf als Rechtsmittel,
Sakralhandlung oder Wettkampf ausweisen, und narrativen Schilderungen
treten Interdependenz- und Transformationslogiken zutage, die im
Gefährdungsmoment des Regelverstoßes zusätzlich akzentuiert werden. Den
Gründen für den Einsatz des duellum als Beweis- und Rechtsmittel spürt
Neumann in der dritten Etappe ihres Fragekataloges nach: Privat- und
strafrechtliche Delikte - Auseinandersetzungen um Besitzrechte an Grund
und Boden, Raub, schwere Körperverletzung oder Mord - werden dabei
genauso diskutiert wie die typischen Konfliktstrukturen um Treubruch und
Verrat, die in der erzählenden Literatur regelmäßig mit spezifischen
Vorstellungen von Ehre und Reputation verknüpft werden. Den Abschluss
des Hauptteils bildet der Blick auf Identifikationsmuster,
Wertvorstellungen und Distinktionsinteressen derjenigen Personen, die in
die Schranken des Kampfplatzes eintreten oder darüber verhandeln. Die
erwartbar enge Verbindung von duellum und adlig-ritterlichem
Standesbewusstsein ist in der Dichtung und Chronistik ebenso gegenwärtig
wie hierarchische Binnendifferenzierungen zwischen Herren und Vasallen,
Ritterbürtigen und Aufsteigern. In diese aristokratische Logik des
Zweikampfs, der - abgesehen von entlohnten Kampfesstellvertretern - nur
von der funktional und moralisch definierten Elite der bellatores
adäquat ausgeführt werden kann, gliedern sich implizit auch inversive
literarische Sujets ein, die kämpfende Bauern, Bürger, Juden und Frauen
präsentieren. Insofern fungiert der Zweikampf in den erzählenden Quellen
als Instrument sozialer Integration oder Ausgrenzung, das in einem
fiktionalen Aushandlungsraum seinerseits die etablierte geistliche und
weltliche Ordnung reproduziert und stabilisiert.

Freilich bringt die auf den ersten Blick durchaus überzeugende
Architektur der Arbeit bei genauerem Hinsehen nicht unerhebliche Kosten
mit sich. Zwar gelingt die avisierte Bestandsaufnahme der
Bedeutungsvarianten, die - so Neumanns durchaus vorhersehbarer Befund -
"sowohl dem Gesetz der Tradition als auch dem Diktat des Wandels
unterworfen" (S. 215) sind und in der Schlussbetrachtung als
Schnittmenge von Rechtsvorstellungen, Gesellschaftsbildern, Positionen
und Ausdrucksformen resümiert werden. Allerdings bleibt der analytische
Geländegewinn bei der sich aufdrängenden historischen Frage, welche
spezifischen Funktionen, Bedeutungen und Eigenlogiken dem Zweikampf für
bestimmte soziale Räume und soziokulturelle Milieus zukam, doch eher
bescheiden. Verantwortlich hierfür ist das Zusammenhänge und Kontexte
zerschneidende Trennungsdenken der W-Fragen, das beispielsweise keinen
systematischen Zugriff auf mittelalterliche Städte als Rechtsräume,
Austragungsorte, Konfliktschauplätze und Aufenthaltsorte potenzieller
Zweikampfakteure erlaubt. Zwangsläufig verweist die Autorin regelmäßig
auf die unscharfe Totale der "mittelalterlichen Kultur" (S. 23),
"mittelalterlichen Rechts- und Lebenswelt" (S. 27), "mittelalterlichen
Vorstellungen von Recht und Gesellschaft" (S. 215) als analytischen
Fluchtpunkt, setzt aber nur sehr zaghaft das Instrumentarium einer
sozial- und kulturgeschichtlichen Feinanalyse an. Insofern bleibt auch
ihr Erkenntnisinteresse, eine "Re-Interpretation des duellum unter
kulturwissenschaftlichen Vorzeichen" (S. 30) zu leisten, auf halber
Strecke stehen. Hierfür hätte es einer konsequenteren Nahperspektive auf
die agonalen Praktiken kleinerer sozialer Einheiten in Selbst- und
Fremddeutung bedurft. Aus diesem Blickwinkel wäre vielleicht auch neu
und unverkrampft über den historischen Wandel des mittelalterlichen
Zweikampfs zum neuzeitlichen Ehrenduell nachzudenken, dem Neumann im
Abwehrkampf gegen jegliche entwicklungsgeschichtliche Fragestellung zu
wenig Aufmerksamkeit schenkt. An dieser Stelle erscheint es besonders
bedauerlich, dass Neumann zwar den Gerichtszweikampf mit Recht als
"gesamteuropäisches Element des mittelalterlichen Rechts" (S. 11)
begreift, zugleich aber ohne weitere Begründung den südeuropäischen Raum
ausspart. Denn die lebhafte italienische Duellforschung des letzten
Jahrzehnts, namentlich eines Marco Cavina, konnte zeigen, dass Italien
für die zukunftsweisenden Fortschreibungen des mittelalterlichen
Zweikampfs eine Schlüsselrolle zukommt.[2] Den gerichtlichen Zweikampf
des Mittelalters und das neuzeitliche Ehrenduell als gemeinsames
alteuropäisches Langzeitphänomen zu denken und in der Reziprozität von
mikrogeschichtlichen Logiken und makrohistorischen Wandlungsprozessen zu
begreifen, wird für die zukünftige Beschäftigung mit dem
Untersuchungsgegenstand maßgebend sein. Hierfür hat Sarah Neumann eine
bei allen genannten Defiziten höchst anregende, für den weiteren Gang
der Forschung grundlegende Arbeit geschaffen.


Anmerkungen:
[1] Der Generalmaßstab der 'Rationalität' zur Bewertung historischer
Phänomene steht auch vonseiten der Rechtswissenschaft selbst zunehmend
in Frage. Vgl. Helge Dedek, Die Schönheit der Vernunft -
(Ir-)Rationalität von Rechtswissenschaft in Mittelalter und Moderne, in:
Rechtswissenschaft 1 (2010), S. 59-86.
[2] Siehe Marco Cavina, Il sangue dell'onore. Storia del duello, Rom
2005; ders., Il duello giudiziario per punto d'onore. Genesi, apogeo e
crisi nell'elaborazione dottrinale italiana (sec. XIV-XVI), Turin 2003.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Lioba Geis <geis(a)... for citation of this contribution
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-1-020>

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